Kurz: Nostalgieflash beim Ordner-Scannen

Im Win­ter­se­mes­ter 1995/96 habe ich mein Stu­di­um der Sozio­lo­gie, Infor­ma­tik und Psy­cho­lo­gie begon­nen und 2001 abge­schlos­sen. Dazwi­schen habe ich flei­ßig auf karier­ten Col­lege-Blö­cken mit­ge­schrie­ben, Hand­outs ein­ge­sam­melt, Refe­ra­te und Haus­ar­bei­ten aus­ge­ar­bei­tet, Übun­gen in Infor­ma­tik und Psy­cho­lo­gie abge­ge­ben und Unmen­gen an Lite­ra­tur kopiert. Das alles gesam­melt in meh­re­ren Regal­rei­hen Ord­nern, die ich flei­ßig von Umzug zu Umzug mit­ge­nom­men habe. 

Den Umzug aus dem Frei­bur­ger Rie­sel­feld – da stan­den die­se Ord­ner im Kel­ler, die Eti­ket­ten von Klein­kin­dern und Kat­zen abge­knab­bert, neben den grü­nen Par­tei­tags­un­ter­la­gen aus einem Vier­tel­jahr­hun­dert und neue­ren Samm­lun­gen – nach Ess­lin­gen habe ich jetzt zum Anlass zu einer gro­ßen Scan-Akti­on genom­men, mir dafür einen halb­wegs pro­fes­sio­nel­len Brot­her-Ein­zug­scan­ner gekauft und … ver­fü­ge jetzt über vie­le lee­re Ord­ner und sehr gro­ße Men­gen Kon­zept­pa­pier. Noch ist nicht alles ein­ge­scannt, aber zumin­dest die Uni­ord­ner sind weit­ge­hend durch. 

Das war dann mit einem gewis­sen Nost­al­gie­fak­tor ver­se­hen. Zum einen, noch­mal nach­zu­voll­zie­hen, in was für inter­es­san­te Win­kel der Sozio­lo­gie, Psy­cho­lo­gie und Infor­ma­tik ich mich in mei­nem Stu­di­um bege­ben habe – von Stra­ße und Stra­ßen­kul­tur über Kul­tur- und Medi­en­psy­cho­lo­gie bis zu einer Kurs­vor­le­sung Künst­li­che Intel­li­genz. Und schön nach­voll­zieh­ba­ren waren auch die rie­si­gen Sprün­ge, was Prä­sen­ta­ti­ons- und Auf­schreib­sys­te­me angeht. Anfangs fin­den sich in den Ord­nern (neben den teil­wei­se noch auf Schreib­ma­schi­ne geschrie­be­nen Hand­outs der Komilliton*innen) schwarz-wei­ße Over­head-Foli­en, spä­ter dann in Corel Draw gebas­tel­te bun­te Foli­en, auf dem Tin­ten­strahl­dru­cker aus­ge­druckt. Die oben stammt aus mei­nem Refe­rat „Poli­tik im Inter­net“ aus dem Semi­nar „Sozio­lo­gie des Inter­nets“, 1998. Und rief dann beim Blick auf die dama­li­ge Web­site-Gestal­tung einen aku­ten Nost­al­gie­flash her­vor. Die Screen­shots, die ich da ver­wen­de, habe ich ver­mut­lich auf den Unix-Work­sta­tions der Infor­ma­tik gemacht.

Z. fängt wohl in zwei Jah­ren ihr Stu­di­um an. Das ist heu­te schon stän­dig ein The­ma. Ich ver­mu­te, sie wird – wie jetzt schon in der Kurs­stu­fe der Schu­le – ihr Tablet als allei­ni­ges Auf­schrei­be­sys­tem ver­wen­den, das dann gleich­zei­tig auch für Prä­sen­ta­tio­nen nutz­bar ist. Die Zei­ten haben sich geändert.

Kurz: Tendenz zum Kulturkampf in Gundelfingen

Ich bin froh, wenn die­se Woche vor­bei ist. Dann wur­de näm­lich – am Sonn­tag – in Gun­del­fin­gen über die Fra­ge abge­stimmt, ob die Gemein­de sich unver­züg­lich für eine Wie­der­auf­nah­me der Stra­ßen­bahn­pla­nun­gen ein­set­zen soll oder nicht. Eine simp­le Sach­fra­ge, eigentlich. 

Der Wahl­kampf aller­dings ist zer­mür­bend. Nach­dem sich abzeich­ne­te, dass drei der vier Gemein­de­rats­frak­tio­nen den Bür­ger­ent­scheid, die Stra­ßen­bahn und über­haupt alles ver­hin­dern wol­len – SPD, CDU und anfüh­rend die Frei­en Wäh­ler mit ihrem Chef, Herrn Horn­bruch – grün­de­te ein Ange­stell­ter von Horn­bruchs Pfle­ge­dienst flugs eine Gegen-BI. Der Pfle­ge­dienst liegt an der Alten Bun­des­stra­ße, also direkt an der mög­li­chen Tras­se einer Stra­ßen­bahn­ver­län­ge­rung durch Gun­del­fin­gen. Und dann ging’s los mit Emo­ti­ons­wahl­kampf. Die 12.000-Einwohner-Gemeinde Gun­del­fin­gen wird in der Pro­pa­gan­da der Nein-Sager zum Dorf, schon im August, lan­ge vor Beginn der offi­zi­ell erlaub­ten Wahl­kampf­zeit, wird das „Dorf“ mit gro­ßen Ban­nern zuge­pflas­tert, die die Stra­ßen­bahn düs­ter aus­ma­len. An Geld scheint es der Nein-Sei­te dabei nicht zu feh­len. Anzei­gen der Frei­en Wäh­ler und der Pseu­do-BI, vie­le gro­ße Pla­ka­te, Brie­fe an Senior*innen (mit Grü­ßen des Pfle­ge­diensts) und Erstwähler*innen („mega, du“). Weni­ger wich­tig: Fak­ten und Argumente. 

Die Stra­ßen­bahn wür­de durch Land und Kreis bezahlt. Die Nein-Sei­te ver­spricht statt des­sen „E‑Busse“, pro­pa­giert die­se als bil­li­ger und fle­xi­bler. Dass der Bus­fahr­plan für Gun­del­fin­gen bes­ser wer­den kann, stimmt, dass es klug wäre, die Die­sel­bus­se – wie im Rest des VAG-Net­zes – durch E‑Busse zu erset­zen, auch. Ob die Nein-Sager und vor allem die popu­lis­tisch auf­tre­ten­den Frei­en Wäh­ler nach Sonn­tag noch etwas von E‑Bussen hören wol­len, wer­den wir dann sehen. Weil: die müss­te die Gemein­de selbst zah­len. Und sind ziem­lich teu­er. Eigent­lich wun­dert es mich nur, dass Nein-Sager-BI nicht gleich Flug­ta­xis ver­spro­chen hat.

Jeden­falls: ein eher uner­freu­li­cher Wahl­kampf, mit Popu­lis­mus, mit abge­ris­se­nen und zer­stör­ten Pla­ka­ten, mit Fehl­in­for­ma­tio­nen und einer ziem­lich zuge­spitz­ten Stim­mung. Am Sonn­tag haben wir dann min­des­tens mal Klar­heit, ob die Mehr­heit der Gundelfinger*innen möch­te, dass der nächs­te Schritt für den Anschluss ans Stra­ßen­bahn­netz gegan­gen wird. 

P.S. (17.11.): Hat lei­der nicht geklappt – wobei 42% Ja zu 58% Nein zumin­dest nicht dra­ma­tisch schlecht ist. Grü­ne Stel­lung­nah­me zum Ergebnis.

Science Fiction im Oktober 2023

Morning sky, train window

Auch auf­grund einer gan­zen Rei­he von Bahn­fahr­ten bin ich im Okto­ber gut zum Lesen gekom­men, genau­er gesagt, habe ich einen Near-Future-Thril­ler und vier Bücher aus drei Space-Ope­ra-Seri­en gelesen. 

Der Thril­ler heißt Pro­phet, wur­de von Sin Blach und Helen Mac­Do­nald geschrie­ben und ist im August 2023 erschie­nen. Und viel­leicht ist es auch gar kein Thril­ler, son­dern eher eine Art moder­nes Mär­chen. Die Prot­ago­nis­ten – Adam Ruben­stein, ein erst ein­mal sehr hart wir­ken­der ame­ri­ka­ni­scher Geheim­dienst­ler, und Sunil Rao, exzen­tri­sches Wun­der­kind, das jede Lüge sofort erkennt und in Dro­gen Zuflucht sucht – ste­cken in einer Hass-Lie­bes-Bezie­hung; nach und nach wer­den deren Hin­ter­grün­de und die jewei­li­gen Per­sön­lich­kei­ten und deren Geschich­te schär­fer kon­tu­riert. Drit­ter Prot­ago­nist des Buchs ist die titel­ge­ben­de Sub­stanz „Pro­phet“, die – wie das funk­tio­nie­ren soll, ist für die Geschich­te nicht wich­tig – in der Lage ist, mit Nost­al­gie besetz­te Gegen­stän­de, vom Ted­dy­bä­ren bis zum voll­stän­di­gen Diner, aus der Bio­gra­fie ihrer Nutzer*innen zu mate­ria­li­sie­ren. Nach­teil: die sind danach nicht mehr von die­sen Gegen­stän­den zu tren­nen, wenn es doch ver­sucht wird, kommt es zu Koma und Todes­fäl­len. Natür­lich hat auch das Mili­tär Inter­es­se an „Pro­phet“, und irgend­wel­che durch­ge­knall­ten Tech-Inves­to­ren erst recht. Wie gesagt: einer­seits ein Thril­ler mit allen, was dazu gehört – ande­rer­seits, vor allem gegen Ende, dann mehr und mehr ein moder­nes Mär­chen. Inter­es­sant auf jeden Fall.

Mar­ta Rand­alls Jour­ney ist 2018 im Selbst­ver­lag erschie­nen, stammt ursprüng­lich aber aus dem Jahr 1978; das dama­li­ge Taschen­buch ist längst ver­grif­fen. Ich bin jeden­falls froh, dass die­se Space Ope­ra damit wie­der erhält­lich ist. Zusam­men mit der Fort­set­zung, die ich noch nicht gele­sen habe, läuft das gan­ze auch unter dem Seri­en­ti­tel „Ken­ne­rin Saga“. Das Sze­na­rio ist aus heu­ti­ger Sicht ganz typisch – eine wüs­te Erde, ein fie­ses bis teil­nahms­lo­ses inter­stel­la­res Impe­ri­um, ver­bun­den durch Raum­schif­fe, die in einer ande­ren Dimen­si­on ein­tau­chen und „drif­ten“, und Pla­ne­ten am Ran­de der Gren­ze, die kolo­ni­siert wer­den. Es gibt ein qua­si-feu­da­les Sys­tem – und eine die­ser Adels­fa­mi­li­en, die Ken­ne­rins, stel­len den Fokus des Romans dar. Sie besie­deln den Pla­ne­ten Aerie, und haben, anders als ande­re, Empa­thie für die dort leben­den Ali­ens und für Flüch­ten­de von ande­ren Pla­ne­ten. In Quer­schnit­ten durch eini­ge Jahr­zehn­te sehen wir, wie auf die­sem Pla­ne­ten eine neue Gesell­schaft ent­steht – immer ver­wo­ben mit den Dyna­mi­ken inner­halb der Fami­lie, also auch Soap im ganz klas­si­schen Sin­ne. Wäre durch­aus auch verfilmbar.

Ganz neu dage­gen The Bligh­ted Stars (2023) und The Frac­tu­red Dark (2023), die ers­ten bei­den Bän­de von Megan E. O’Kee­fes „The Devou­red Worlds“-Serie. Auch hier das bekann­te Space-Ope­ra-Sze­na­rio, in die­sem Fall herrscht ein Quin­tett von Wirt­schafts­mäch­ten – unter dem Kür­zel MERIT bekannt. Ers­ter unter Glei­chen ist die Fami­lie Mer­ca­tor (das M in MERIT), die ein Mine­ral abbaut, das not­wen­dig ist, um Raum­schif­fe und Raum­sta­tio­nen zu betrei­ben, und zugleich in Form von sub­der­ma­len Schalt­krei­sen Men­schen zu ganz neu­en Eigen­schaf­ten ver­hilft. Tar­quin Mer­ca­tor ist das schwar­ze Schaf die­ser Fami­lie – ihn inter­es­sie­ren nicht Macht­spie­le, son­dern Geo­lo­gie. Der Abbau des Mine­rals erfolgt mit Hil­fe eines ange­pass­ten Orga­nis­mus – und zieht die Zer­stö­rung gan­zer Pla­ne­ten durch eine töd­li­che Flech­te nach sich. Mer­ca­tor behaup­tet, Abbau des Rel­ka­ti­te und Flech­ten­be­fall haben nichts mit­ein­an­der zu tun. Eine Bewe­gung samt ter­ro­ris­ti­schem Arm ver­mu­tet ganz ande­res – deren Agen­tin Nai­ra Sharp ver­sucht, sich in eine Mer­ca­tor-Expe­di­ti­on auf einen bis­her noch nicht aus­ge­beu­te­ten Pla­ne­ten ein­zu­schmug­geln (um Men­schen über inter­stel­la­re Distan­zen zu trans­por­tie­ren, wird hier eine Art Klo­nen plus Gehirn-Down­load ver­wen­det, was zu ganz eige­nen Pro­ble­men und Mög­lich­kei­ten führt). Das Schiff stürzt ab, und der Pla­net ent­puppt sich als lebens­feind­lich. Tar­quin und Sharp müs­sen zusam­men­ar­bei­ten. – Soweit mal die Vor­aus­set­zun­gen, aus denen sich eine sehr les­ba­re Geschich­te ent­wi­ckelt. O’Kee­fe ver­bin­det drei Hand­lungs­ebe­nen: die per­sön­li­che Geschich­te von Tar­quin Mer­ca­tor und Nai­ra Sharp, in meh­re­ren Varia­tio­nen; die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen und inner­halb der Wirt­schafts­kon­glo­me­ra­te; und, ohne hier zu viel zu ver­ra­ten, eine neue Inter­pre­ta­ti­on der Body-Snat­cher-Vari­an­te von Begeg­nun­gen zwi­schen Men­schen und Ali­ens. Ich bin jeden­falls auf den drit­ten Band gespannt.

Eben­falls sehr gut gefal­len hat mir das gera­de erschie­ne­ne A Fire Born of Exi­le (2023), laut Anga­be der Autorin Ali­et­te De Bodard eine Neu­in­ter­pre­ta­ti­on des Gra­fen von Mon­te Chris­to in ihrem sino-viet­na­me­sisch grun­dier­ten Xuya Uni­ver­se. Es geht um Gerech­tig­keit vs. Rache, um Fami­li­en­dy­nas­tien und „mind ships“, um die Nach­we­hen einer geschei­ter­ten Revo­lu­ti­on – und nicht zuletzt um eine Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen Hoa, die Din­ge repa­riert, und der Rebel­lin Quynh. Sehr gut geschrie­ben, auch irgend­wie Space Ope­ra, aber – wie die ande­ren Xuya-Uni­ver­se-Geschich­ten sehr weit weg von „fron­tier“ und „Wild West im Welt­raum“. Wenn ich eines der im Okto­ber gele­se­nen Bücher emp­feh­len möch­te, dann dieses.

Und sonst? Zum Anschau­en von Seri­en bin ich weni­ger gekom­men – ein kur­zer Blick auf die zwei­te Staf­fel von Loki (hat was, ins­be­son­de­re nach wie vor die Mid­cen­tu­ry-Optik der Zeit­rei­se­zen­tra­le) und natür­lich Star Trek: Lower Decks (mit einem noch nicht ganz auf­ge­lös­ten, aber sich andeu­ten­den inter­es­san­ten Ende für den Haupt­geg­ner die­ser Staffel).