The good kind of weird – Teil II

Offi­zi­ell soll­te die Bekannt­ga­be der Hugo-Awards – Herz der World­con – um 20 Uhr star­ten. Schon vor 19 Uhr bil­de­te sich eine beträcht­li­che Schlan­ge vor dem Ein­gang des „Arma­dil­lo“, wie über­haupt das Anste­hen in Schlan­gen einen erheb­li­chen Teil der World­con-Expe­ri­ence aus­mach­te. Jeden­falls dau­er­te es dann bis 20.30 Uhr, bis das Cly­de-Audi­torum dann tat­säch­lich gefüllt war: im vor­de­ren Drit­tel die Nomi­nier­ten und Gäs­te, hin­ten wir „ein­fa­che“ Fans, die aber immer­hin auch die­je­ni­gen sind, die über die Ver­ga­be der Hugos bestim­men. Dazu gleich mehr. 

Eine gedul­di­ge war­ten­de bun­te Men­ge, teil­wei­se in Abend­gar­de­ro­be, teil­wei­se in Ver­klei­dung, teil­wei­se in Abend­gar­de­ro­be ver­klei­det. Rund um mich her­um min­des­ten vier oder fünf Spra­chen, nicht nur das all­ge­gen­wär­ti­ge Eng­lisch – mit oder ohne schot­ti­scher Ein­fär­bung – son­dern auch Schweit­zer­deutsch, Fin­nisch und Chi­ne­sisch. Blau-lila Farb­spie­le an den Wän­den; vio­lett ist die Signa­tur­far­be die­ser Glasgow-Worldcon. 

Es wer­den letz­te Sel­fies gemacht. Im vor­de­ren Bereich neh­men Grup­pen aus Chi­na teil, die wohl extra für die­se Preis­ver­lei­hung ange­reist sind; unter den Nomi­nier­ten sind auch chi­ne­si­sche Publi­ka­tio­nen. Auch das hat etwas mit dem Ver­fah­ren zu tun, wie die Hugos ver­ge­ben wer­den. Spoi­ler: Prei­se gab es keine. 

Dass die Hugos, die es seit den 1950ern gibt, immer noch vor allem ein Fan-Award sind, zeigt sich nicht nur im Ver­ga­be­ver­fah­ren, son­dern auch an der Viel­zahl von Kate­go­rien, in denen Prei­se ver­ge­ben wer­den. Dazu gehö­ren Fan Art und Fan­zines, Pod­casts und „best rela­ted work“ – aber auch die gro­ßen, renom­mier­ten Prei­se, die ganz am Ende der Zere­mo­nie ver­ge­ben wer­den, für die bes­te Kurz­ge­schich­te, die bes­te Novel­le und den bes­ten Roman aus dem ver­gan­ge­nen Jahr. 

Vor­schlä­ge für all die­se Kate­go­rien kön­nen von den Mit­glie­dern der WSFA ein­ge­reicht wer­den – das sind alle Teil­neh­men­den der ver­gan­ge­nen und aktu­el­len World­con. Die World­con 2023 fand zum ers­ten Mal – durch­aus kon­tro­vers bewer­tet – in Chi­na statt. Inso­fern nicht ver­wun­der­lich, dass in vie­len Kate­go­rien auch chi­ne­si­sche Wer­ke nomi­niert wur­den, die mir – und ver­mut­lich vie­len ande­ren – aller­dings wenig sagten.

„I‘m a Hugo voter“ – die eigent­li­che Wahl unter den fünf oder sechs Nomi­nier­ten fin­det vor der World­con statt, die digi­ta­len Wahl­ur­nen schlie­ßen eini­ge Tage vor Beginn. Aus­ge­zählt wird nach einem – wir sind unter Nerds – Prä­fe­renz­wahl­ver­fah­ren. Als Wähler*in gebe ich eine Rei­hung je Kate­go­rie, aus denen dann in einem mehr­stu­fi­gen Ver­fah­ren mit Über­tra­gung der übri­gen Stim­men der aus­schei­den­den Nomi­nie­run­gen auf die übri­gen Plät­ze ermit­telt wird, wer die Hugo-Awards erhält.

Mehr dazu (und zu allen Ergeb­nis­sen in allen Kate­go­rien) ist auf der Web­site theHugoAwards.org zu fin­den. Im Saal wur­de eine stark gekürz­te Geschich­te der Awards und des Ver­fah­rens prä­sen­tiert, dann begann – mit eini­gen Hol­pern und tech­ni­schen Pro­ble­men, wir sind, wie gesagt, wei­ter im Bereich der Fan-Orga­ni­sa­ti­on – die eigent­li­che Nen­nung der Gewinner*innen, und so sie anwe­send waren, deren mehr oder weni­ger trä­nen­rei­che und vor­be­rei­te­te („I just wro­te this on my pho­ne …“) Accep­tance-Spee­ches, mal zur Sache, und ab und an zur Welt­po­li­tik. Nicht ganz Oskar-Niveau, aber doch sehr spannungsreich. 

Ich will jetzt nicht auf alle 18 oder so Prei­se ein­ge­hen, son­dern nur sechs hervorheben:

Der Hugo für das bes­te „rela­ted work“ ging – zu deren Erstau­nen (aber völ­lig zu Recht) – an Zach und Kel­ly Wei­ners­mith für A City on Mars, deren lus­tig geschrie­be­ne, sehr ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der Unmög­lich­keit, Mond und Mars zu besie­deln. Uner­war­tet, weil das völ­lig an der Final-Fron­tier-Tra­di­ti­ons­li­nie vor­bei­geht, die die Sci­ence Fic­tion lan­ge Zeit geprägt hat. Wenn ich mir anschaue, wie vie­le Panels auf der World­con sich mit Solar­punk und der erneu­ten Hin­wen­dung zu unse­rem Hei­mat­pla­net befass­ten, war die­ser Erfolg viel­leicht gar nicht so uner­war­tet – und passt in gewis­ser Wei­se zu den wei­te­ren Preisträgerinnen.

Der Hugo für die bes­te Serie ging an Ann Leckie für deren Impe­ri­al Rad­ch-Serie. Die ist jetzt einer­seits doch tra­di­tio­nel­le Sci­ence Fiction/Space Ope­ra, inso­fern sie in irgend­wel­chen fer­nen Wel­ten spielt. Ande­rer­seits ist Leckies Serie eine inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit künst­li­chen Intel­li­gen­zen (in ver­teil­ten Kör­pern), spielt mit einer Kul­tur, die kon­se­quent nur ein Geschlechts­pro­no­men ver­wen­det („she“) und hat viel mit Fremd- und Anders­ar­tig­keit zu tun. Moti­ve, die sich alle­samt in vie­len erfolg­rei­chen Wer­ken der letz­ten Jah­re finden.

Nao­mi Krit­zer hat (eben­falls sehr ver­dient) gleich zwei Hugos gewon­nen, und zwar für die bei­den Geschich­ten „Bet­ter living through algo­rith­ms“ (Best short sto­ry) und „The year wit­hout suns­hi­ne“ (Best novel­let­te). Bei­de sind m.W.n. online zu fin­den, und lesens­wert. Ich wür­de bei­de irgend­wo in dem Feld aus Cozy SF – Hope­punk – Solar­punk ein­sor­tie­ren. „Bet­ter living …“ setzt sich damit aus­ein­an­der, was pas­siert, wenn Men­schen die „Erlaub­nis“ bekom­men – hier durch den titel­ge­ben­den Algo­rith­mus – sich Zeit für die Din­ge zu neh­men, die ihnen wich­tig sind. „The year wit­hout suns­hi­ne“ han­delt von ganz nor­ma­len Men­schen in einer Nach­bar­schaft, mit und ohne Behin­de­run­gen, die in einer Kri­se auf sich selbst gestellt sind. Statt zum Krieg aller gegen alle kommt es zu gegen­sei­ti­ger Unter­stüt­zung, eine Gemein­schaft bil­det sich. Bei­des defi­ni­tiv emp­feh­lens­wer­te Geschich­ten, die auch mei­ne Stim­men bekom­men haben, und die sich auch als Hand­lungs­an­lei­tung eig­nen. Und die mit der Hin­wen­dung zu unse­rer Rea­li­tät, zu nahen Kri­sen und weg von tech­ni­schen Lösun­gen für einen Trend der gegen­wär­ti­gen SF stehen.

Über T. King­fi­shers Hugo für die Novel­le Thorn­hedg kann ich dage­gen wenig sagen. Ich habe die­se Novel­le, eine his­to­risch akku­ra­te Neu­er­zäh­lung von Dorn­rös­chen mit Fokus auf die schein­bar so unwich­ti­gen Details, bis­her nicht gele­sen, fand die Kate­go­rie auch ins­ge­samt eher schwie­rig in der Bewer­tung (ein­zig Mal­ka Olders „Mimi­cking of Known Suc­ces­ses“ sag­te mir etwas). In ihrer sehr ein­präg­sa­men Rede sprach King­fi­sher jeden­falls über die diver­sen mee­res­öko­lo­gi­schen und evo­lu­tio­nä­ren Beson­der­hei­ten der Seegurke.

Bleibt noch die Köni­gin­nen­ka­te­go­rie der Hugos, bes­ter Roman. Hier waren alle nomi­nier­ten Wer­ke her­aus­ra­gend; ich habe mich auch bei mei­ner Abstim­mung schwer getan, was ich nach vor­ne set­ze. Gewet­tet hät­te ich, dass mei­ne Nr. 2, The Saint of Bright Doors von Vajra Chandra­se­kera die Abstim­mung gewinnt. Tat­säch­lich gewor­den ist es dann – auf mei­nem Stimm­zet­tel eben­so wie im Gesamt­vo­ting – jedoch Emi­ly Tesh‘ Roman Some Despe­ra­te Glo­ry. Auf den ers­ten Blick wider­spricht die­ses Buch mei­ner Aus­sa­ge, dass der Trend der Stun­de Hope­punk und die Rück­be­sin­nung auf den Hei­mat­pla­ne­ten ist. Hier geht es um inter­stel­la­re Krie­ge und die letz­ten Res­te der Mensch­heit, die sich irgend­wo ver­schanzt haben. Das sieht erst­mal wie MilSF aus, ist ziem­lich düs­ter – und ent­puppt sich dann nach meh­re­ren Per­spek­tiv­wech­seln als etwas ganz ande­res. In ihrer beein­dru­cken­den Rede beton­te Tesh, dass es ihr in ihrem Roman dar­um gegan­gen sei, das schlech­tes­te, was die Mensch­heit aus­macht, in kon­zen­trier­ter Form dar­zu­stel­len: ein faschis­ti­sches Regime, das auf Mili­ta­ri­sie­rung, Pro­pa­gan­da und Indok­tri­na­ti­on setzt – und zu zei­gen, wie schwer – und trotz­dem mög­lich – es ist, sich dar­aus zu befrei­en. Ein klei­ner Fun­ke Hoff­nung in der Dunkelheit!

Ich habe für „mei­ne“ Favorit*innen mit­ge­fie­bert, als die Prei­se bekannt­ge­ge­ben wur­den, und bin ins­ge­samt (mal von Rand­ka­te­go­rien wie der bes­ten Bewegt­bild­se­ri­en­epi­so­de abge­se­hen) sehr zufrie­den mit den Ergeb­nis­sen. Herz­li­chen Glück­wunsch allen Nomi­nier­ten und Preisträger*innen – und wer nach lesens­wer­ter Lek­tü­re sucht, ist mit dem die­ses Jahr prä­sen­tier­ten Spek­trum sehr gut bedient.

Eine Antwort auf „The good kind of weird – Teil II“

  1. Dan­ke für die Ein­bli­cke in die World­con, die Award-Wah­len und für den Tip „Some Despe­ra­te Glo­ry“ den ich mitt­ler­wei­le auch gele­sen habe. Klas­se Buch!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich erkläre mich damit einverstanden, dass meine eingegebenen Daten und meine IP-Adresse nur zum Zweck der Spamvermeidung durch das Programm Akismet in den USA überprüft und gespeichert werden.
Weitere Informationen zu Akismet und Widerrufsmöglichkeiten.