Überblick: Mark Zuckerberg hat vor einigen Tagen bekanntgegeben, dass Facebook in Zukunft Meta heißen wird, und in seiner Keynote mächtig Werbung für eine Ausrichtung der Aktivitäten dieser Firma Richtung „Metaversum“ gemacht. Ich nehme das zum Anlass, um über Virtuelle Realitäten zu sprechen – ausgehend von Hank Greens Büchern (An Absolutely Remarkable Thing und A Beautifully Foolish Endeavor). Dann gucke ich mir an, was es bedeuten könnte, wenn das Metaverse als »Web 3.0« dargestellt wird. Das geht nicht ohne zwei längliche Exkurse – einmal in die Geschichte des WWW, und einmal in den Kaninchenbau der Blockchain- und NFT-Community. Am Schluss lande ich bei Matthew Ball, der eine Definition aufstellt, was alles zu so einem Metaversum dazugehört – und bleibe hinsichtlich des tatsächlichen Bedarfs dann doch, Überraschung, extrem skeptisch.
A Beautifully Foolish Endeavor, oder: Was es braucht, um eine Virtuelle Realität aufzubauen
In der letzten Woche habe ich zwei Bücher von Hank Green gelesen, das 2018 erschienene An Absolutely Remarkable Thing (dt. Ein wirklich erstaunliches Ding) und dessen letztes Jahr herausgekommene Fortsetzung A Beautifully Foolish Endeavor. Beide sind gut und spannend geschrieben und auf jeden Fall eine Leseempfehlung wert, aber darum geht es mir heute nicht. Vielmehr will ich mal versuchen, aufzuschreiben, was es mit Metaverse und ähnlichen plötzlich in der Welt befindlichen Begriffen auf sich hat. Aber dazu gleich – erst einmal zu Hank Green.
Ich erwähne die Bücher, weil sie – ausgehend von dem Szenario, das plötzlich ein außerirdischer Roboter mitten in Manhattan steht – in wunderbarer Weise die Gesetzmäßigkeiten unserer Social-Media-Zeit auseinandernehmen. Denn die erste, die dem Roboter begegnet, ist April May, die Design studiert hat, in einem Start-up arbeitet und gerne Influencerin wäre. Und ein großer Teil der Handlung von An Absolutely Remarkable Thing zeichnet schlicht nach, mit welchen Mechanismen aus einem ersten kleinen Youtube-Video weltweite Aufmerksamkeit wird, wie Medieneinladungen folgen, usw. April May genießt ihren neu gefundenen Ruhm im Licht der Öffentlichkeit.
Dann kippt das Ganze: eine Gegenseite entsteht, eine aus dem Netz gesteuerte Hass-Bewegung der „Defenders“, die die USA oder die Erde vor Außerirdischen schützen möchten. Gut geschrieben, alles sehr echt, und mit dem Hauch Satire, der heute notwendig ist, um deutlich zu machen, dass es um ein ernstes Thema geht. Der erste Band endet eher überraschend – ich möchte dem hier nicht vorgreifen. Und der zweite Band widmet sich dann einem anderen Thema. Auch da sei nicht zu viel verraten, aber letztlich geht es um die Frage, was passiert, wenn die Menschheit eine Möglichkeit bekommt, in virtuelle Räume umzuziehen, die komplett echt wirken, aber alle Möglichkeiten bieten, sie selbst zu gestalten.
Greens Roman ist beileibe nicht das erste Buch, das sich mit den Vor- und Nachteilen virtueller Realität auseinandersetzt. Da ließe sich mit Neal Stephensons Snowcrash und William Gibsons Neuromancer eine Linie bis zum Cyberpunk der 1980er ziehen. Irgendwo zwischendrin tauchen dann auch Ernest Clines Ready Player One, LX Becketts Gamechanger und Stephensons Fall; or, Dodge in Hell auf. Und viele andere.
A Beautifully Foolish Endeavor ist aber insofern anders, als es erstens genau den Moment in den Blick nimmt, in dem eine Virtuelle Realität beginnt, äh, Realität zu werden – und weil Green genau hinschaut, was die plattformökonomische Seite eines solchen Unternehmens betrifft.
Oder, um das Buch zu zitieren:
„What happens when one person, or a small group of people, motivated primarily by the need to get their stock price to go up, realize that they have the power to program a society?“
Die fiktive Firma im Buch heißt Altus, ihre Virtuelle Realität „Altus Space“ – und ich muss jetzt nochmal zitieren:
„The goal of big American business is to monopolize everything. […] The goal is to lock every single person into one platform – to own them from sunup to sundown, to know everything about them and monetize their every thought. Altus took that beyond the biggest, sweatiest dream of even the most delusional Silicon Valley billionaries. You didn’t even need to leave to sleep! Aside from the frustrating needs of the body, you could live your entire life there. Your home, your work, your learning, your life could be in the Space.“
Klingt erstaunlich wie das, was Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor ein paar Tagen zu Facebooks Metas Ziel, das Metaverse zu dominieren, gesagt hat.
Altus im Buch verbindet den Altus Space mit zwei Dingen (und jetzt muss ich doch etwas spoilern). Erstens ist der Altus Space ein Markt. Es ist zwar alles möglich – aber wer dort eintritt, ist zunächst einmal nackt in einem weißen Raum. Kleidungsstücke? Gegenstände, ein hübscher Hintergrund? Erlebnisse und Spiele, die Möglichkeit, Dinge im Schlaf zu lernen, Pornografie? All das muss gekauft werden. Und es kann nur in einer Währung gekauft werden – „AltaCoin“. Die wiederum gibt es, wenn jemand Dinge im Altus Space erstellt und an andere verkauft. Oder indem er oder sie – der zweite Spoiler – über das Gehirninterface, das den Altus Space möglich macht, die Kryptowährung AltaCoins schürft. Alles außerhalb des Altus Space ist damit plötzlich belanglos, bis auf lästige körperliche Bedürfnisse eben.
So viel cooler und spannender als eine Welt, die durch Ungleichheit, Pandemien, eine Klimakatastrophe gekennzeichnet ist.
Science or Fiction?
Was Green hier beschreibt, scheint mir sehr nah dran zu sein an den verschwitzten Träumen der libertärsten Silicon-Valley-Millionäre: eine Virtuelle Realität aufbauen, in der alles möglich ist – und alles mögliche gekauft und verkauft werden kann. Wenn dann noch eine eigene Währung dazukommt, und damit die totale Kontrolle über diesen Markt – dann … Profit!
Zum Glück gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen den Plänen von Zuckerberg und Co. und dem Altus Space. Der wird durch ein außerirdisches Gehirninterface möglich gemacht, das den Traumzustand dafür nutzt, absolut realistisch erscheinende Welten darzustellen. Sozusagen programmierte und steuerbare Träume. Facebook Meta dagegen kämpft mit der Begrenztheit der verfügbaren VR-Technik. Die ist eindrucksvoll – aktuelle Computerspiele auf entsprechend stromfressenden Grafikkarten zeigen, was möglich ist, und VR-Brillen haben eine gewisse Coolness. Aber sie schalten den Körper nicht ab, und wir sind noch längst nicht an dem Punkt, an dem irgendwer dauerhaft in einer 3D-Grafik-Welt leben möchte.
Dennoch scheint mir der Altus Space das Ziel zu sein, auf das Zuckerberg et al. hinarbeiten. Und zwar idealerweise in der monopolisierten Fassung, in der „Meta“ und „Metaverse“ 1:1 gesetzt werden. Und das halbwegs konsequent – jedenfalls passt dazu, dass der VR-Headset-Hersteller „Ocolus VR“ von Facebook (bereits 2014) Meta aufgekauft wurde. Gleiches gilt für den VR-Spielehersteller Beat. Zu einer ordentlichen allumfassenden Plattform gehören möglichst weitreichende „social graphs“, also kauft Facebook Meta sowohl WhatsApp (2014) als auch Instagram (2012). 2019 wurde dann FacebookCoin Libra Diem vorgestellt, der Versuch, eine Facebook Meta-eigene Währung zu etablieren. Diem sollte ursprünglich 2020 2021 ausgerollt werden, bisher ist aber unklar, ob, wann und in welcher Form es dazu kommt. (Update 10.03.2022: laut FT wurde Diem im Januar 2022 von Facebook Meta an eine Bank verkauft und gilt als Fehlschlag …)
Facebook Meta hat also Nutzer*innen auf diversen Plattformen, den Zugang zu VR-Technologie und plant, eine eigenen Krypto-Währung zu etablieren. Und die anderen großen Konzerne? Die sind gar nicht so anders aufgestellt. Microsoft entwickelte VR-Headsets für das US-Militär, hat mit der Xbox eine eigene Gamingplattform und mit MS Teams ein weitverbreitetes Videokonferenzsystem. Ach ja, und Minecraft gehört auch zu Microsoft. Google Alphabet hat mit Google Glass als Augmented-Reality-Brille und diversen weiteren VR-Tools experimentiert, zudem ist Youtube eine der weitverbreitesten Bewegtbildplattformen. Und Google Stadia als Fuß in der Gaming-Tür gibt es auch noch. Ebenso hat Apple VR-Firmen aufgekauft, setzt zunehmend auf eigene Medieninhalte und in seinem Betriebssystem iOS zunehmend auf Tools für Augmented Reality bei Mobilgeräten (also beispielsweise einblendbare Maßbänder in die Kameraaufnahmen). Zu den Tocherfirmen von Amazon gehört seit 2014 die Videospielplattform Twitch, zudem investiert Amazon in eigene Medienproduktionen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Wer möchte, kann hier Firmen sehen, die sich bestmöglich darauf vorbereiten wollen, beim Schritt in die nächste Entwicklungsstufe des Internet ganz vorne mit dabei zu sein. Allerdings ist dieses Bild selektiv – beispielsweise investiert Google auch in Breitbandzugänge und Energieproduktion, Amazon wie Google setzen auf Home-Automation, alle haben eigene Machine-Learning- und AI-Forschung usw. Insofern mag es richtiger sein, das als ein Offenhalten von breiten Möglichkeiten zu deuten.
Facebook Meta dagegen hat sich am weitesten aus dem Fenster gelehnt mit der bereits angesprochenen Keynote von Zuckerberg, die so klingt, als wollte sich Facebook Meta ganz vorne an die Bewegung hin zu einer Virtuellen Realität setzen. Offen bleibt, wozu eigentlich – doch bevor ich dazu komme, ein genauerer Blick auf die Werkzeuge. Und dafür scheint mir ein kleiner Blick zurück in die Internetgeschichte hilfreich zu sein.
Mein Three-Letter Acronym, dein Three-Letter Acronym: eine kurze Geschichte des WWW
Die Geschichte des Internets lässt sich lang und breit erzählen. Die Kurzfassung: in den 1960er Jahren gab es erste Versuche (im akademischen wie militärischen Bereich), Daten direkt zwischen Computern zu übertragen. In den 1970er Jahren wurden dafür standardisierte Protokolle entwickelt, insbesondere das Protokoll TCP/IP erlaubte es, verschiedene lokale Netzwerke miteinander zu vernetzen – dazu braucht es Adressen für jeden teilnehmenden Rechner und Anweisungen, wie Daten von einem zum anderen Rechner kommen sollen. Vereinfacht gesagt bildet TCP/IP weiterhin die technische Grundlage des heutigen globalen Internets.
Bis zu den 1990er Jahren ging es vor allem darum, Mails und Daten zwischen Rechnern auszutauschen. Dazu wurden Services wie das FTP (File Transfer Protocol) oder Gopher (eine menügestützte Oberfläche, um Daten auszutauschen) entwickelt. Neben der Wissenschaft, dem Militär und einigen Firmen (mit ihren teilweise eigenen Standards) interessierte sich nur eine kleine Hobby-Bastler*innen-Szene für diese Möglichkeiten. Das Bild der Hacker*in entstand. Der breiten Bevölkerung vertraut waren eher dezidierte Netzwerke wie Bildschirmtext oder etwas später AOL.
Das Web 1.0 betritt die Bühne
Mit dem »Web 1.0« änderte sich das Mitte der 1990er Jahre: Das World Wide Web (WWW) betrat die Bühne. Jede*r, der oder die einen an das Internet angeschlossene Rechner betrieb, konnte nun einen „Webserver“ aufsetzen, also einen Service laufen lassen, der auf Abfragen für das Hypertext Transfer Protocol reagierte und Webseiten anzeigte. Damit diese auch gefunden wurden, wurde das „DNS“ aufgesetzt, also das Domain Name System – die inzwischen völlig selbstverständliche Möglichkeit, bestimmte Rechner nicht über IP-Adressen (127.0.0.1), sondern über Namen und Verzeichnisstrukturen anzusprechen (also [www.][westermayer.de][/index.html]).
Die Webseiten des Web 1.0 waren zumeist statische Texte, in der Auszeichnungssprache HTML beschrieben. Sie waren – das neue – mit Links untereinander verbunden, und wurden bald über Kataloge (Lycos, Altavista, …) und wenig später auch über Suchmaschinen (Auftritt Google) erfasst. Wer sich ein paar Grundelemente HTML beibrachte, für wenig Geld eine Domain und Webspace kaufte oder bei zum Beispiel einer Universität (oder einem Anbieter wie Geocities) ein privates Verzeichnis bekam, konnte nun mitspielen und selbst eine Website ins Netz stellen. Layout wurde über Tabellen gestaltet, beliebt waren kleine blinkende GIFs und bunte Farben.
Die Browser-Kriege begannen: der kostenfreie Netscape Navigator, der Urahn des heutigen Mozilla Firefox. Der Internet Explorer, mit dem Microsoft versuchte, in diesem Spiel dabei zu sein. Und auf der anderen Seite zeigte Open-Source-Software (Apache), dass ein Betrieb von Webservern ohne hohe Zugangshürden möglich war.
Zusammengefasst: das Web 1.0 war gekennzeichnet durch relativ niedrige Hürden. Fast alles war kostenlos oder frei, nur für den Zugang zum Internet via Telefonleitung, später dann DSL, musste gezahlt werden. Oft war in diesen Verträgen sogar Webspace dabei (t‑online.de/home/xyz). Andere experimentierten auf dem Webspace von Universitäten. Das Wissen, um eine halbwegs ansprechende Website zu bauen, war frei verfügbar. Die eigene Homepage stand in den Suchergebnissen möglicherweise vor den Websites der Medienkonzerne. Wer etwas interessantes zu sagen hatte, und sich HTML zutraute, konnte das ins Netz stellen.
Vom Boom zur Selbstverständlichkeit: Web 2.0
In den 2000er Jahren stellte sich heraus, dass das Netz auch ein Markt sein konnte. Die erste Internetblase „Dotcom-Boom“ wuchs und implodierte dann irgendwann. Einige der damals entstandenen Firmen gibt es weiterhin – eBay beispielsweise.
Zugleich wurde aus dem Web 1.0 das »Web 2.0«. Das zeichnete sich dadurch aus, dass die statischen Seiten durch Dynamik ersetzt wurden, und dass nach und nach Standards für Multimedia, Video usw. etabliert wurden. Statt jede Webseite von Hand (oder in den inzwischen verfügbaren HTML-Editoren) zu schreiben, wurde auf kleine Programme gesetzt, die auf dem Webserver aus Textschnippseln dynamisch die abgerufene Seite generierten. Das war die Geburtsstunde der Blogs, aber auch der ersten Social-Media-Anbieter. Eigene Inhalte in das Web 2.0 zu packen, wurde komplizierter. Bald war es einfacher, Plattformen wie Twitter oder Facebook zu nutzen, statt umständlich eigene Seiten aufzusetzen oder Software wie WordPress auf dem eigenen Webspace zu installieren.
Die Ansprüche an Gestaltung und Inhalt wuchsen. Zudem etablierten sich erste Bezahlmöglichkeiten – die Übermittlung von Kreditkartendaten, später Plattformen wie PayPal. Medienkonzerne erfanden die Paywall und stellten ihre Inhalte nicht mehr frei ins Netz. Google war nicht mehr nur Suchmaschine, sondern vor allem auch Werbevermittler. E‑Kommerz entstand und wurde zu einer Selbstverständlichkeit, die Amazon groß machte.
Das Web 2.0 ist also im Prinzip das World Wide Web, wie wir es heute kennen. Zusammen mit immer schnelleren und günstigeren Breitbandverbindungen ist es inzwischen ein Netz, in dem Audio und Bewegtbild eine große Rolle spielen. Fast alles, was auf einem einzelnen Computer gemacht werden kann, ist auch „in der Cloud“ möglich, also die Bedienung von Programmen und Datenspeichern auf irgendwo liegenden Servern über ein Webinterface.
Zudem kam Anfang der 2000er Jahre die ersten netztauglichen Mobiltelefone (Standard „WAP“) auf den Markt, 2007 etablierte das iPhone dann die Glasplatte fast ohne weitere Bedienelemente als das Kennzeichnen des Smartphones, das dann auch den einfachen Zugang zu allem, was das Web 2.0 zu bieten hatte, darstellte.
Hier sind wir jetzt. Das Netz ist dominiert durch einige wenige Anbieter, die bestimmte Elemente nahezu monopolisieren. Wer eigene Inhalte ins Netz stellen will, kann zwar theoretisch weiter die eigene Website bauen, wird aber in der Praxis Videos bei Youtube oder Tiktok, Fotos auf einer der entsprechenden Clouds oder bei Instagram, Audio bei einer der Podcasting-Plattformen oder bei einem der Streamer – und das, was früher die eigene Homepage ausmachte, jetzt bei Facebook, Instagram oder Twitter abladen. Und – Zauberwort Monetarisierung – durch die Einblendung von Werbung in Youtube-Videos kann damit Geld verdient werden. Die wenigen, deren Youtubekanäle richtig populär sind, verdienen damit sogar richtig viel Geld.
Unser heutiges Web 2.0 ist ein Netz der Ungleichzeitigkeit. Manches ist weiter frei zugänglich, anderes muss bezahlt werden, drittes wird indirekt über Werbevermarktung bezahlt. Es gibt keine zentrale Kontrolle, aber eine weitgreifende rechtliche Regulierung (die es inzwischen fast unmöglich macht, die Inhalte kleinerer US-Zeitungen aus Europa zu lesen). Es gibt Geoblocking, also an die Lokalität gekoppelte Zugriffserlaubnisse oder ‑verbote. Und es gibt die bekannten Plattformen, die bestimmte Teilbereiche des Netzes nahezu kontrollieren.
Aus der – wahlweise – Brecht’schen Radioutopie oder dem kalifornischen Eldorado ist ein Alltagsding geworden, das viele Menschen schlicht (als weiteres Medium) konsumieren, in dem Geld verdient werden kann, das vielfältig aufgegliedert und stratifiziert ist, und in dem manchmal doch noch der eine oder andere Edelstein entdeckt werden kann.
Vor dem Versionssprung? Web3 und NFTs – samt Exkurs zur Blockchain
Das Web 2.0 ist ein wohlstrukturiertes Chaos, das für jede*n anders aussieht, aber für die meisten von uns zu einem völlig normalen Bestandteil unseres Alltags geworden ist. Damit könnte diese Geschichte am Ende sein. Aber der Versionszählung wohnt ja eine eigene Logik inne. Wenn es ein Web 1.0 gibt und ein Web 2.0, dann muss es auch ein Web 3.0 geben, und das muss in irgendeiner Hinsicht schöner, besser, schneller, bequemer sein, um sich durchzusetzen. Es sei denn, es wird einfach als automatisches Update eingespielt, und wir haben dann den Salat, den wir dann haben.
Und ja: es gibt ein paar Dinge, die auch beim Web 2.0 nicht gut gemacht waren, und die dann auch geändert wurden. Beispielsweise betrifft das die fehlende Verschlüsselung der über das Netz transportierten Informationen (u.a. deswegen hat sich HTTPS inzwischen mehr oder weniger als Standard statt HTTP durchgesetzt) oder auch die begrenzte Zahl der IP-Adressen (IPv6 statt IPV4). Aber das sind aus Sicht der Nutzer*innen mehr oder weniger unsichtbare Änderungen an der Infrastruktur.
Daneben haben unterschiedliche Leute Vorstellungen davon entwickelt, was ein ganz grundlegend neues »Web 3.0« sein könnte.
Das semantische Netz
Eine Variante ist das semantische Netzwerk, das Semantic Web, das auch als Web 3.0 bezeichnet wird. Die Idee dahinter scheint mir zu sein, HTML um eine semantische – also auf die Bedeutung der Inhalte zielende – Ebene zu erweitern. Etwas verständlicher finde ich die Bezeichnung „Web of Data“ – es geht darum, Informationen über „Dinge“ sinnvoll zu vernetzen. Diese zusätzliche Bedeutungsebene kann dann dazu genutzt werden, zum Beispiel klügere Suchergebnisse zu produzieren, Kontextwissen einzublenden oder – mit einigen Winkelzügen – die Vertrauenswürdigkeit von Informationen festzustellen. Klingt alles nützlich, aber auch etwas akademisch, wenn es um Wissensrepräsentationen, Ontologien und Prädikatenlogik geht. Zudem ist unklar, wie verhindert werden soll, dass falsche Informationen sich durchsetzen – in der Wikipedia geschieht das dadurch, dass viele Augen auf Inhalte sehen und Korrekturen möglich sind. Wer korrigiert die Website, die behauptet, Annalena Baerbock sei die Kanzlerin von Deutschland?
Wenn ich das richtig sehe, haben einige Elemente aus dem Semantic-Web-Konzept inzwischen eine gewisse Verbreitung gefunden, beispielsweise die Nutzung von Unified Resource Identifiers im Bereich des wissenschaftlichen Veröffentlichens. Aber das Web 2.0 auf breiter Basis verändert oder gar abgelöst hat dieses Konzept nicht. Und auch Tim Berners-Lees diesbezügliches Start-up hat wohl bisher keine große Resonanz erzeugt.
Ethereum und die Web3 Foundation
Variante 2 des »Web 3.0«, oder, wie es hier eher heißt, des »Web3« kommt dagegen aus dem Blockchain-Umfeld. Und hier wird es dann richtig kompliziert. Gavin J. Wood ist einer der Gründer von Ethereum, er hat die „Web3 Foundation“ ins Leben gerufen, die sich auf dezentralisierte Internettechnologie fokussieren soll.
Ethereum ist ein verteiltes quelloffenes System, dass es ermöglicht, automatisch Programme („Smart Contracts“) gegen Bezahlung „auf der Blockchain“ auszuführen. Dabei wird intern eine Kryptowährung (ETH) verwendet, die nach Bitcoin inzwischen das zweitgrößte Volumen (300 Mrd. €) aufweist. Ethereum legt dabei großen Wert auf Dezentralität. Das Gegenstück zu einer Anwendung im Kontext von Ethereum ist eine „Dezentrale App“ (DApp), die für ihre Ausführung einen Smart Contract startet, d.h. etwas zahlt (in ETH) und dafür – ohne weitere Zwischenschritte – ein Programm ausführt.
Dieses Konzept lässt sich noch einmal verallgemeinern, und dann kommt – wenn ich die etwas kryptische Terminologie der Blockchain-Szene richtig verstehe – das heraus, was die Web3-Foundation als „Polkadot“ bezeichnet: ein „scalable heterogenous multi-chain framework“ darstellen.
„Chain“ bezieht sich in diesem Kontext auf blockchain-artige Ansammlungen von Daten. Polkadot soll es ermöglichen, verschiedene dieser Chains, die unterschiedlichen Standards folgen, miteinander zu koppeln, und das ganze soll dezentral (also ohne zentrale Einrichtung, die zum Beispiel die Gültigkeit von Adressen bestätigt) und „trustless“ geschehen. „Trustless“ ist ein Kernbegriff aus dem Blockchain-Umfeld, der so etwas wie institutionalisiertes Misstrauen bedeutet. Bei jeder Transaktion (also z.B. beim Zugriff auf eine Website) wird erst einmal angenommen, dass es sich um eine Fälschung handelt, die ohne Zugriff auf zentrale Ressourcen erst einmal validiert werden muss. Dazu wird dann auf Mehrheitsabstimmungen in Vertrauensnetzwerken o.ä. zurückgegriffen (wenn x verkettete Aktoren zurückmelden, dass die Transaktion gültig ist, dann wird angenommen, dass sie gültig ist). „Scalable“ schließlich meint, dass das Verfahren unabhängig von der Zahl der Teilnehmenden funktioniert.
Oder, als Versuch, das etwas allgemeinverständlicher zusammenzufassen: Polkadot soll ein Protokoll sein, dass es erlaubt, sichere Transaktionen jeglicher Art zwischen verschiedenen Blockchains zu ermöglichen, ohne auf zentrale Instanzen oder auf Vertrauen angewiesen zu sein. Eine solche Blockchain ist das oben genannte Ethereum. Bitcoin wäre eine andere.
Ethereum versucht, eine Infrastruktur zu etablieren, die ähnlichem der Webinfrastruktur die Ausführung von Anwendungen über ein Netzwerk ermöglicht – allerdings dezentral, trustless und in jedem Schritt monetarisiert.
Polkadot ist dann das Gegenstück zum Internet – ein Stück Protokoll, das Ethereum mit ähnlichen Mechanismen verbindet und Transaktionen über die Grenzen von homogenen Blockchains hinweg ermöglichen soll.
NFTs: Einmalige Dinge
Oder, andersherum – Implementationen von Ethereum etc. bilden eine Infrastruktur, die es ermöglicht, digitale Gegenstände mit Besitznachweisen zu versehen. Für diese digitalen Gegenstände wurde das Akronym NFT eingeführt. Ein NFT ist ein „non-fungible token“, also ein nicht ersetzbares – einmaliges – Objekt.
NFTs erlebten in den letzten Monaten einen gewissen Hype, weil digitale Kunstwerke (teilweise mit künstlerischem Werk, teilweise computergenerierte Serigrafien ohne besonderen Anspruch …) für teilweise enorm hohe Summen (in ETH) als NFTs verkauft wurden. Genauer gesagt bedeutet ein Verkauf als NFT, dass in einer Blockchain gespeichert ist, dass eine bestimmte Person die Rechte an einem bestimmten digitalen Gegenstand hält. „Die Rechte“ ist hier allerdings schwammig. Beispielsweise lassen sich die meisten dieser digitalen Kunstwerke im klassischen Web 2.0 ganz umsonst betrachten oder sogar per Screenshot kopieren. Ihren Einmaligkeitsanspruch haben diese Werke nur im Kontext der entsprechenden Marktplätze.
Neben der aktuellen NFT-Digitalkunstblase – manche sprechen hier von einem Ponzi-Scheme – kommt NFTs vor allem im Kontext von Computerspielen eine Bedeutung zu, nämlich dann, wenn es darum geht, digitale Gegenstände in einem Spiel zu erwerben und zu handeln.
Hier wären wir dann wieder beim fiktiven Altus Space aus der Einleitung: damit die Urheber*innen der ganzen digitalen Dinge in AltaCoin bezahlt werden, braucht es eine klare Identifikation zwischen Ding, Urheber*in und Besitzer*in, und eine solche Identifikation stellen NFTs dar.
Das ganze ließe sich, nebenbei, auch durch simple Datenbankeinträge o.ä. lösen, würde dann aber bedeuten, dass Vertrauen in den Eigentümer der Datenbank da sein muss.
Also eigentlich doch eine ganz gute Lösung, um digitale Märkte in einer Welt zu etablieren, in der niemand dem anderen trauen kann?
Möglicherweise ja, möglicherweise ist das auch die einzige Anwendung, für die eine Blockchain an Stelle einer (verteilten) Datenbank sinnvoll ist.
Exkurs zur Blockchain
Allerdings haben NFTs und alle blockchain-basierten Technologien eine Schattenseite, und zwar unabhängig von der aktuellen NFT-Blase.
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle nochmal erklären, was eine Blockchain ist. Das ist eine Reihe von verketteten Blocken, in der Transaktionen gespeichert werden, und die jeweils die Echtheit des vorherigen Blocks bestätigen. Damit ist vom ersten bis zum letzten Block nachvollziehbar, dass die Transaktionen so gespeichert wurden, wie sie zum Speicherzeitpunkt vorlagen. Eine nachträgliche Änderung ist nicht möglich. Damit eine solche massiv dezentral verteilte Kette überall gleich aussieht, braucht es einen Mechanismus, der entscheidet, welcher neue Block an die Kette angehängt wird. Dies darf keine zentrale Instanz sein. Statt dessen wird auf „Proof of Work“ gesetzt, d.h. derjenige, der eine immer komplizierte, aber leicht nachzuprüfende Rechenaufgabe als erstes löst, erzeugt den nächsten Block (und erhält dafür eine Belohnung, was den Anreiz setzt, derartige Rechenaufgaben zu lösen – Blöcke/Bitcoin/ETH zu schürfen).
Die bekannteste Blockchain, die Kryptowährung Bitcoin, schleppt beispielsweise derzeit über 300 GB an existierenden Blöcken mit sich rum, die jede daran partizipierende Node kopieren muss. Erst in der Gesamtheit aller Blöcke lässt sich sicher nachweisen, dass aktuelle Transaktionen nicht gefälscht sind; gleichzeitig gehen dort gespeicherte Informationen nie verloren und können prinzipienbedingt auch nicht gelöscht werden.
Der Pferdefuß – neben der Frage, ob das Insistieren darauf, dass es keine vertrauenswürdigen Institutionen gibt – an Blockchain-Technologien ist der oben genannte Proof of Work (Ethereum scheint irgendwann zu „Proof of Stake“ übergehen zu wollen, soweit ich das verstehe, gilt aber auch hier aktuell Proof of Work), d.h. das Lösen immer komplizierter werdender Rechenaufgaben, um Transaktionen in Blöcke einzuschließen und damit in der Blockchain zu dokumentieren (oder, bei Ethereum, um ein als Smart Contract bezeichnetes Programm auszuführen).
Das heißt, andersherum: jede Transaktion auf einer Blockchain verursacht einen stark über den tatsächlichen Datenaustausch hinausgehenden Rechenaufwand bei einem „Miner“. Der Strombedarf steigt mit der Komplexität der Rechnungen. Oder anders gesagt: jeder Erwerb und jeder Verkauf eines NFT produziert CO2.
Manche Künstler*innen versprechen daher, Ausgleichszahlungen zu leisten. Trotzdem dürften Proof-of-Work-Blockchains eine der unsinnigsten CO2-Emissionsquellen auf diesem Planeten sein.
Möglicherweise lässt sich dieses Problem lösen, wenn das Verfahren, mit neue Blöcke generiert werden, von Proof-of-Work umgestellt wird. Solange das aber nicht der Fall ist, hilft es, sich die Faustregel NFT=CO2 zu merken.
Zurück zum Web3 und ähnlichen Ideen. Dahinter steckt, wenn ich es richtig verstehe, die Idee, das auch so schon nicht emissionsfreie Internetprotokoll durch eine Infrastruktur zu ersetzen, die jede Transaktion trustless dezentral durchführt – und damit zwar extrem fälschungssicher ist, sich gut monetarisieren lässt, aber eben auch dauernd neue Einträge in eine Blockchain produziert und damit dauernd neue und steigende Emissionen.
Das scheint mir für eine Technologie, die vielleicht gar nicht benötigt wird, ein recht hoher Aufwand zu sein.
Nachtrag (03.11.2021): Mal ganz abgesehen von der Frage, ob die hochgepriesene Möglichkeit, Transaktionen zu überprüfen, in der Praxis eigentlich von irgendwem genutzt wird bzw. genutzt werden kann, oder ob da nicht letztlich ganz viel Vertrauen in den zugrundeliegenden Algorithmus und entsprechende Marktplätze da sein muss. Auf den real existierenden Fall, dass eine Blockchain mit einer zentralen Instanz wie der Bundesdruckerei genutzt wird, um … äh, sicherzustellen, dass die Bundesdruckerei keinen Mist baut? … will ich gar nicht erst eingehen.
Web 3.0: willkommen im Metaversum
Die dritte Inkarnation des World Wide Web könnte ein semantisches Netzwerk sein, in dem Websites standardisiert mit bedeutungstragenden Zusatzinformationen versehen sind. Sie könnte grundlegend umgestellt werden auf vertrauenslose dezentrale monetarisierte Transaktionen in einer Blockchain. Oder sie könnte ein Metaversum werden, eine Virtuelle Realität, wie der eingangs vorgestellte Altus Space.
Das jedenfalls ist die Zuckerbergsche Vision, und er steht nicht ganz alleine damit. Kristian Köhntopp hat dazu einiges aufgeschrieben. Insbesondere verlinkt er auf die Definition von Matthew Ball. Demnach ist das Web‑3.0‑Metaverse nicht einfach irgendeine virtuelle Realität, ein Computerspiel oder eine digitale Ökonomie (naja, ich würde sagen: all of the above), sondern lässt sich durch sieben zentrale Eigenschaften beschreiben:
Es ist (1) persistent; anders als ein Film oder Computerspiel fängt es nicht an und endet, sondern ist da. Es ist (2) synchron/live und (3) ohne Obergrenze bzgl. der gleichzeitigen Zugriffe. Das Metaverse stellt (4) eine vollständige Ökonomie dar, d.h. es können Dinge erstellt, verkauft und gekauft werden, und es wird so etwas wie „Arbeit“ geben, die einen von anderen erkennbaren „Wert“ erzeugt. Dann soll das Metaverse (5) öffentliche und private Bereiche umfassen und auf digitale und physische Welten ausgreifen (hm, hm). Es soll (6) eine zwischen verschiedenen Welten umfassende Interoperabilität aufweisen (digitale Dinge lassen sich transferieren und sind nicht auf eine bestimmte Umgebung wie Roblox oder Fortnite bezogen). Und (7) soll es durch eine Vielzahl unterschiedlicher Teilnehmenden und „Contributors“ umfassen.
Ball beschreibt als weitere, noch unklare Punkte zudem die Frage, ob es eine übergreifende digitale Identität je Nutzer*in geben soll, oder ob es (wie im Netz heute mit Google-Accounts und Microsoft-Accounts und Facebook-Accounts …) parallel verschiedene Identitäten geben soll; und schließlich: wird das Metaverse zentral oder dezentral organisiert sein?
Als Nukleus eines solchen Metaverse sieht Ball interessanterweise nicht das 2003-Projekt Second Life, sondern den Gamehersteller Epic und dessen Game Fortnite, das heute schon eine massive und gleichzeitig von sehr vielen unterschiedlichen Personen nutzbare Online-Umgebung darstellt. Zudem gehört die Unreal-Engine – also relativ einfach zu bedienende Software, um 3D-Objekte zu erstellen – zu Epic.
Neben Epic nennt Ball Microsoft (Account Management, clouds, XBox), Facebook Meta (siehe oben), Amazon (Online-Verkäufe/Käufe, AWS als starke Infrastruktur) und Google als mögliche „Erfinder“ des Metaverse; Apple scheint ihm weniger wahrscheinlich zu sein. Zudem weist er auf Unity Technologies hin, die ebenfalls (ähnlich wie Epic/Unreal) eine relativ einfach bedienbare 3D-Technologie auf der Markt gebracht haben, mit Fokus v.a. auf Spiele. Und auch Valve/Steam als sehr große Spielplattform scheint für Ball ein wichtiger Player zu sein.
Und auch Roblox sollte nicht vergessen werden. Das ist eine heute weit verbreitete Online-Spielelandschaft, in der auch selbst Spiele geschaffen und angeboten werden können. Also im Kern schon so etwas wie eine in eine virtuelle Realität mit Interaktion integrierte Ökonomie, nur bisher nur auf einem Bildschirm und recht … nun ja, klotzig.
Es gibt also, wie eingangs ja bereits festgestellt, eine ganze Reihe von möglichen Betreibern einer Virtuellen Realität. Falls diese sich auf einen gemeinsamen Stand (Punkt 6 oben) einigen, und dann vielleicht noch Dinge wie NFTs beimischen (Punkt 4, vollständige Ökonomie), könnten diese in der Tat so etwas wie »Second Life 2.0« bauen. Und vielleicht könnte Zuckerberg dann mit Roboter-Avataren in Schwerelosigkeit Karten spielen und gleichzeitig Videoanrufe annehmen, während andere viel Geld – ob € oder ETH – dafür ausgeben, einziger Besitzer eines pink-glitzernden Raketenrollschuhs zu sein, um damit im virtuellen Home-Office so richtig angeben zu können.
Wer braucht eine Virtuelle Realität?
Was mich abschließend zu der Frage bringt, wie ich die Chancen dafür einschätze, dass ein VR-World-Wide-Web mit den hier angesprochenen Merkmalen das Web 2.0 ersetzen wird. Kurz: ich bin skeptisch.
Jedenfalls unter der Voraussetzung, dass nicht irgendwer in der Zwischenzeit eine Computer-Gehirn-Schnittstelle oder tragbare Hologramprojektoren erfindet, die klobige VR-Headsets unnötig macht. Ersteres ist neben Elektroautos und der Erfindung von U‑Bahnen eines der Themen, an denen Elon Musks Firmen arbeiten. Letzteres gibt es als klobige LED-Ventilatortechnik, aber das ist noch weit weg von der aus SF-Filmen bekannten Variante. So richtig weit ist weder das eine noch das andere.
Was also wäre denkbare Anwendungsfälle für ein Metaverse?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Online-Spielewelten zu einer gemeinsamen Arena zusammenkommen, wobei ich andererseits glaube, dass die von Ball angesprochene Interoperabilität nicht kommen wird. Das hat erstens rechtliche Gründe (Spiel A hat von Franchise B die Rechte an x, y und z gekauft; wenn ein*e Spieler*in damit plötzlich in Spiel B auftaucht, bringt das einiges durcheinander), zweitens technische (auch wenn beide Spiele/Bereiche in Unreal oder Unity programmiert sind, funktionieren sie vermutlich nicht identisch, haben unterschiedliche physikalische Regeln usw.) und drittens glaube ich, dass es wenig Spaß macht, in Minecraft plötzlich mit einem Fortnite-Avatar in einem Disney-Marvel-Superhelden-Fahrzeug mit runden Kurven aufzutauchen. Just doesn’t work.
Anders sieht es aus, wenn es eine Art gemeinsame Lobby gibt, in der Socializing möglich ist, und von der aus dann gemeinsam durchdesignte Spiele etc. betreten werden können. Maybe. Aber ob das Avatare und VR braucht, oder ob es da nicht Diskord und ein Mikro tun, oder im Zweifel Clubhouse oder andere Audio- oder Videokonferenzsysteme?
Der zweite aus meiner Sicht halbwegs realistische Anwendungsfall sind (Corona lässt grüßen) sowas wie echtere Videokonferenzen, nennen wir sie holografische Videokonferenzen. Einerseits. Andererseits: ich finde es schon ganz schön anstrengend, mit Webcam und Tischmikrofon den ganzen Tag über an Sitzungen teilzunehmen. Ob das mit einem VR-Headset besser wird? Hm.
Nachtrag (03.11.2021): Microsoft hat gestern angekündigt, „Mesh“ und „Teams“ zu vernetzen und für Teams demnächst – irgendwann in 2022 – virtuelle Räume und 2D- und 3D-Avatare einsetzen zu können. Zukünftig sollen dann auch virtuelle Tische etc. dazukommen. Oder, wie es bei Gizmodo dazu heißt:
„This makes it easier for people to work together either in person or virtually, I guess, although really it just makes it easier to keep your camera off for video calls while your 3D avatar makes interested facial expressions.“
Drittens: Pornografie. Die braucht allerdings keine übergreifenden Identitäten, keine mitnehmbaren Avatare, und vielleicht auch nicht unbedingt synchrone Live-Zugriffe. Vielleicht doch – das ist dann Sache jedes/jeder Einzelnen.
Als Oberfläche, von der aus 3D-Filme und „Experiences“ gelauncht werden können, Anwendungsbeispiel Nummer vier. Möglicherweise. Wobei das dann weniger Web 3.0 wäre als halt ein Betriebssystem, von dem aus Dinge gestartet werden können.
Fünftens: interaktive Lernsoftware, von virtuellen Klassenräumen bis hin zu erlebbaren Animationen. Klingt attraktiver als Moodle und Wikipedia. Klingt aber auch extrem viel aufwendiger als Moodle und Wikipedia. Und bringt dann schnell die Frage mit sich, wer sich das (anfangs) leisten können wird.
Was ich definitiv nicht sehe, egal, wie sehr das seit Gibsons Neuromancer (1984) in unseren Köpfen ist: ein Metaverse, in dem Leute Mails lesen (die dann eingeblendet werden), Anrufe per Audio oder Video entgegennehmen, von einer Website zur anderen navigieren (indem sie sich mühsam von Ort A nach Ort B bewegen) oder in dem sie die Nachrichten in einer virtuellen Zeitschrift durchscrollen.
Es gibt also bei näherer Betrachtung gar nicht so viele Anwendungen, für die halbwegs realistisch dargestellte Interaktion in einem synchronen virtuellen Raum erstrebenswert sind. Das wäre dann doch ein gewaltiger Schritt zurück von der Abstraktionsleistung, digitale Inhalte auf Fingerdruck überall verfügbar zu haben.
Ein bisschen anders sieht es aus, wenn der eher abstrakte Teil der Metaverse-Idee genommen wird: also übertragbare digitale Identitäten (Google-Account, E‑Identity), eine in Transaktionen eingebaute Monetarisierung bzw. ein in Web-Standards verankerter Besitz an digitalen Gegenständen (Profit!). Da kann ich mir vorstellen, dass es zumindest einen massiven Druck geben wird, in diese Richtung zu gehen – ein Stück weiter weg von einem Netz, das gerade dadurch interessant wurde, dass jede*r etwas reinstellen konnte und reinstellen kann.
Oder: die Träume von Silicon-Valley-Milliardären sind möglicherweise nicht meine Vorstellungen davon, wie eine Version 2.1 des WWW aussehen könnte.
Warum blogge ich das? Vor allem, um mir selbst mal ein Bild davon zu machen, was hinter der Blockchain-Blase und dem NFT-Hype steckt. Und danke an Felix Schmitt für Hinweise auf Roblox und Neuralink, danke an @publictorsten für Hinweise zur Blockchain und zu IPv6!
Eine Antwort auf „Eintauchen in den Kaninchenbau“