Stadtwerke Tübingen bauen Kohlekraftwerk in Schleswig-Holstein (Update 8: Klimacamp)

CO2hleNicht nur im Ham­bur­ger Koa­li­tons­ver­trag war „Moor­burg“ das gro­ße The­ma – also die Fra­ge, ob der Bau eines neu­en Koh­le­kraft­werks geneh­migt wird oder nicht. In den Jah­ren kli­ma­schüt­ze­ri­scher Real­po­li­tik, die jetzt auf uns zukom­men, ist der Aus­stieg aus der Koh­le – oder alter­na­tiv: die Koh­le als „Über­gangs­tech­no­lo­gie“ – der Punkt, an dem Umwelt­ver­bän­de und Grü­ne einer­seits und die gro­ßen Ener­gie­kon­zer­ne und die „Volks­par­tei­en“ ande­rer­seits auf­ein­an­der­pral­len. Das dies­jäh­ri­ge, von einem brei­ten Bünd­nis getra­ge­ne Kli­ma­camp sieht in Koh­le (Ham­burg: Koh­le­ha­fen, Vat­ten­fall, Kraft­swerks­neu­bau­ten und Expor­te) einen Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt. Robin Wood macht Aktio­nen zu „Moor­burg“ und „Karls­ru­he“. Der BUND hat eben­falls eine Kam­pa­gne Koh­le­kraft­wer­ke stop­pen. Bei cam­pact gibt’s einen Kli­ma-Appell gegen Koh­le. Und die Grü­nen: die erst recht. Zum Bei­spiel mit der Betei­li­gung an der Demo gegen ein Koh­le­kraft­werk bei Mann­heim. Und auch für die umwelt­po­li­ti­sche Spre­che­rin der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on, Syl­via Kot­ting-Uhl, ist der Umgang mit Koh­le und der „Clean-Coal“-Schimäre ein zen­tra­les kli­ma­po­li­ti­sches The­ma. Soweit könn­te fast der Ein­druck ent­ste­hen, dass die Bau­plät­ze der neu geplan­ten Koh­le­kraft­wer­ke so etwas wie das Wyhl oder Bruns­büt­tel unse­rer Gene­ra­ti­on wer­den könnten. 

Aller­dings schei­nen das nicht alle so zu sehen. Der von mir durch­aus geschätz­te Tübin­ger Ober­bür­ger­meis­ter Boris Pal­mer hat zwar erst vor kur­zem eine hoch­wer­ti­ge Kli­ma­schutz-Kam­pa­gne „Tübin­gen macht blau“ (sie­he auch hier) gestar­tet. Aber jetzt ist er doch aus etwas selt­sa­men Grün­den in die Schlag­zei­len gera­ten, näm­lich mit der Betei­li­gung der Tübin­ger Stadt­wer­ke an einem Koh­le­kraft­werks­neu­bau in Brunsbüttel: 

Der Tübin­ger Ober­bür­ger­meis­ter Boris Pal­mer (Grü­ne) ver­tei­digt die Betei­li­gung sei­ner Stadt am Bau eines gigan­ti­schen Koh­le­kraft­werks in Schles­wig-Hol­stein: „Wir dür­fen neue Kraft­werks­pro­jek­te nicht um den Preis ver­hin­dern, dass alte inef­fi­zi­ent wei­ter lau­fen“, sagt Pal­mer der ZEIT und stellt sich damit gegen sei­ne Par­tei, die neue Koh­le­kraft­wer­ke ablehnt. Tübin­gen wol­le sich von den gro­ßen Ener­gie­ver­sor­gern unab­hän­gig machen, sagt Pal­mer und fährt fort: „Denn wenn die Stadt­wer­ke ster­ben, hat man kei­ne Chan­ce, den völ­lig ver­krus­te­ten Strom­markt öko­lo­gisch neu aus­zu­rich­ten.“ Aller­dings sei es auch sein Ziel, einen „ener­gie­po­li­ti­schen Rah­men“ zu schaf­fen, „der alle Koh­le­kraft­wer­ke über­flüs­sig und unwirt­schaft­lich macht“.

Damit hat Boris zwar mal wie­der bewie­sen, dass er es her­vor­ra­gend schafft, die grü­ne Par­tei bei Bedarf als Kon­trast­fo­lie zu benut­zen, um sich selbst beson­ders her­vor­he­ben zu kön­nen. Inhalt­lich scheint mir der Schluss von „Stadt­wer­ke müs­sen über­le­ben“ (rich­tig) zu „wir betei­li­gen uns an einem Koh­le­kraft­werk“ feh­ler­haft. EWS und ande­re machen vor, dass wirt­schaft­lich erfolg­rei­che Ener­gie­pro­duk­ti­on – selbst ohne kom­plett rege­ne­ra­tiv auf­ge­stellt zu sein – auch ohne Koh­le mach­bar ist. Es gibt Alter­na­ti­ven, und jetzt die fal­schen ener­gie­po­li­ti­schen Wei­chen für die nächs­ten 30 Jah­re zu stel­len, muss ein­fach nicht sein.

Noch dazu hat die Sache inso­fern einen unschö­nen Bei­geschmack, als die Luft­li­ni­en­ent­fer­nung von Tübin­gen nach Schles­wig-Hol­stein doch recht groß ist. Wenn Boris mit den Tübin­ger Stadt­wer­ken unbe­dingt ein Koh­le­kraft­werk mit­bau­en will, dann soll er das halt im Länd­le ver­su­chen – aber bit­te nicht in Karls­ru­he oder Mann­heim (s.o.). Noch bes­ser wäre es jedoch, das finan­zi­el­le Enga­ge­ment zukunfts­fä­hi­ger zu platzieren. 

War­um blog­ge ich das? Weil mich die Argu­men­ta­ti­on des Tübin­ger Ober­bür­ger­meis­ters doch ein biß­chen stört. Und der „deut­sche Barack Oba­ma“, wie er viel­leicht bald genannt wer­den wird, kann’s eigent­lich bes­ser. Was also soll das?

Update: (22.5.2008) Eine beson­ders inter­es­san­te Note erhält das gan­ze dadurch, dass in weni­gen Tagen Kom­mu­nal­wah­len in Schles­wig-Hol­stein sind – und die Grü­nen dort u.a., und rich­ti­ger­wei­se, einen kla­ren Anti­koh­le-Schwer­punkt gesetzt haben. 

Update 2: Der Kon­stan­zer OB Horst Frank, eben­falls ein Grü­ner, setzt sich gegen eine Betei­li­gung der Kon­stan­zer Stadt­wer­ke an dem in Bruns­büt­tel geplan­ten Kraft­werk ein. Die dor­ti­gen Stadt­wer­ke sind aller­dings eben­falls dafür. Horst Frank wird in dem Arti­kel mit fol­gen­der Aus­sa­ge zitiert: „Die Stadt­wer­ke [Kon­stanz] soll­ten mit der Süd­west­strom ver­han­deln, war­um sie nicht auf ein Gas­kraft­werk setzt.“ Dar­um geht es. Die Süd­west­strom Kraft­werk GmbH&Co KG, die das Koh­le­kraft­werk in Bruns­büt­tel bau­en will, ist übri­gens ein Zusam­men­schluss von Stadt­wer­ken aus Süddeutschland.

An die­ser Stel­le viel­leicht auch noch eine Klar­stel­lung zu mei­ner etwas rei­ße­ri­schen Über­schrift – natür­lich sind es nicht die Stadt­wer­ke Tübin­gen allein, viel­mehr sind die­se nur mit einem Anteil von 0,4 % / 2 Mio. Euro betei­ligt, und erzeu­gen (so jeden­falls die Aus­kunft von Boris) über 90 % ihres Stroms nicht in Kohlekraftwerken. 

Update 3: (25.5.2008) Der Voll­stän­dig­keit hal­ber hier noch der Ver­weis auf das Posi­ti­ons­pa­pier der Stadt­wer­ke Tübin­gen zu die­sem Thema.

Update 4: (27.5.2008) Zur Situa­ti­on in Bruns­büt­tel – und dem vor Ort fast völ­lig feh­len­den Wider­stand – ist die­ser ZEIT-Arti­kel recht lesenswert.

Update 5: (3.6.2008) In einer heu­te ver­öf­fent­lich­ten Pres­se­mit­tei­lung der Tübin­ger Grü­nen (lei­der nicht online) heißt es „Kreis­vor­stand von Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN, Lan­des­vor­stands­mit­glied Chris­ti­an Kühn und Win­fried Her­mann, MdB gegen Tübin­ger Ein­stieg in das Koh­le­ge­schäft“. Damit stellt sich natür­lich die Fra­ge, wer außer Boris eigent­lich den Ein­stieg der öko­b­lau­en Stadt in die Koh­lestrom­pro­duk­ti­on möch­te. Und ob das die rich­ti­gen Bünd­nis­part­ner für den grü­nen Ober­bür­ger­meis­ter sind.

Update 6: (26.6.2008) Ob’s stimmt, weiss ich nicht, aber den Link woll­te ich doch noch hier unter­brin­gen: heu­te steht in der Tele­po­lis ein kur­zer Arti­kel, in dem behaup­tet wird, dass das Kraft­werk in Bruns­büt­tel eigent­lich ein Gas­kraft­werk (viel­leicht sogar ein GuD-Kraft­werk?) in Wert­heim sein soll­te, dort aber von einem grün ange­führ­ten Bür­ger­ent­scheid ver­hin­dert wur­de. Wenn’s so ist, ist’s scha­de. Aber viel­leicht lässt sich ja auch anders­wo ein bes­se­res Kraft­werk als ein Koh­le­gi­gant hinstellen.

Update 7: (3.7.2008) Ein paar inter­es­san­te Hin­wei­se zum glo­ba­len Kon­text, z.B. zu einem mög­li­cher­wei­se geplan­ten zwei­jäh­ri­gen Mora­to­ri­um für Koh­le­kraft­wer­ke in Groß­bri­tan­ni­en, bei Nature/TheGreatBeyond.

Update 8: (10.8.2008) Spree­blick berich­tet anläss­lich des Ham­bur­ger bri­ti­schen Kli­ma­camps über Koh­le. (Upps, genau­er lesen: nicht nur in Ham­burg wird klimagecampt).

18 Antworten auf „Stadtwerke Tübingen bauen Kohlekraftwerk in Schleswig-Holstein (Update 8: Klimacamp)“

  1. Pingback: GruenesFreiburg
  2. Guter Text

    hof­fent­lich merkt Herr Pal­mer schnell, wie sehr er die Glaub­wür­dig­keit sei­ner Par­tei unter­gräbt, und ändert ent­spre­chend sei­nen Stand­punkt – ansons­ten wird die Quit­tung wohl erst bei der nächs­ten Wahl serviert…

    Woher kom­men die 2 Mio. Eur. Betei­li­gung? bei 0,4% und geschätz­ten Inves­ti­ti­ons­kos­ten von 3 Mrd. Eur. bei 1800 MW käme ich auf knapp 12 Mio. Eur.??

    Die 7MW Betei­li­gung erge­ben bei 7500 Voll­last­stun­den für ein Koh­le­kraft­werk übri­gens 53.000 MWh im Jahr – ver­gleicht man dies mit der Eigen­erzeu­gung aus erneu­er­ba­ren Ener­gien von
    9.400 MWh in 2006 so zeigt sich ein ziem­lich erbärm­li­ches Bild der ach-so-grü­nen Stadtwerke … 

    und der zukunfts­ge­wand­ten Grü­nen Politik.
    Schade.

    Gruß
    Robert Pietzcker

  3. In der Regi­on Bruns­büt­tel hat sich bereits im letz­ten Jahr der Wider­stand gegen das geplan­te Koh­le­kraft­werk der Süd­west­strom in einer Bür­ger­initia­ti­ve for­miert (Bür­ger­initia­ti­ve Gesund­heit und Kli­ma­schutz Unter­el­be – BiG­KU).
    Die­se BI arbei­tet eng mit Green­peace, Bünd­nis 90 / Die Grü­nen und dem BUND zusam­men. Mit Arti­keln in den Medi­en und öffent­li­chen Pro­tes­ten wird gegen die Betei­li­gun­gen der Gesell­schaf­ter (Stadt­wer­ke) vorgegangen.
    Alle angren­zen­den Gemein­den haben in öffent­li­chen Stel­lung­nah­men das Pro­jekt abge­lehnt. Die­se Gemein­den ver­tre­ten mit ihrer Ableh­nung die Mei­nun­gen und Inter­es­sen der Ein­woh­ner und unter­stüt­zen daher die Bürgerinitiative.
    Die Süd­west­strom, die die­ses Koh­le­kraft­werk bau­en und betrei­ben will, hat ihren Sitz eben­falls in Tübin­gen – im glei­chen Gebäu­de wie die Stadt­wer­ke Tübin­gen (SWT). Der Geschäfts­füh­rer der Süd­west­strom war zuvor der Geschäfts­füh­rer der SWT.

  4. Übri­gens haben die Stadt­wer­ke Schus­sen­tal mitt­ler­wei­le ihre eige­ne Betei­li­gung an Bruns­büt­tel zurück­ge­zo­gen und inves­tie­ren das Geld jetzt in Erneu­er­ba­re Ener­gien bzw. KWK.…

    scha­de dass ein grü­ner OB nicht so viel für den Kli­ma­schutz hin­be­kommt wie eine CDU-regier­te Stadt.…

  5. Gera­de auch im Hin­blick auf die letz­ten bei­den Kom­men­ta­re fin­de ich die neus­te Ent­wick­lung, wie ich sie gera­de als Update ange­hängt habe, sehr span­nend: der grü­ne Kreis­ver­band Tübin­gen und mit Win­ne Her­mann auch der loka­le Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te stel­len sich klar gegen die Betei­li­gung der Stadt­wer­ke und damit gegen die Poli­tik des grü­nen OB. Sowas soll vor­kom­men (ist auch in Frei­burg schon – leicht abge­schwächt – pas­siert); ich kann mir aber gut vor­stel­len, dass es letzt­lich die eige­ne Par­tei- und Wäh­le­rIn­nen-Basis ist, die beson­ders gro­ßen Ein­fluss dar­auf hat, ob die Ent­schei­dung zurück­ge­nom­men wird oder nicht.

  6. Brief von Boris Pal­mer an den grü­nen Lan­des­vor­stand von Baden-Würt­tem­berg, 18.06.2008:

    […] Wir kön­nen uns die ambi­tio­nier­ten Öko­lo­gie­pro­jek­te nur leis­ten, wenn wir auch von den Gewin­nen im Strom­markt ein Stück abbe­kom­men. Atom­kraft schei­det für uns aus, die Opti­on Gas wur­de uns aus der Hand geschla­gen, mit Erneu­er­ba­ren und KWK ist kaum Geld zu ver­die­nen. Es bleibt uns also nur die Betei­li­gung an einem Kohlekraftwerk. […]

    Den voll­stän­di­gen Text gibt es unter:
    http://www.wir-klimaretter.de

  7. Julia weist auf einen Spie­gel-Arti­kel hin, in dem Hubert Klei­nert, Josch­ka Fischer und Boris Pal­mer für eine Kurs­wen­de in der grü­nen Ener­gie­po­li­tik ein­tre­ten. Fin­de ich inso­fern lus­tig, als die Par­tei die Fort­füh­rung von Atom­aus­stieg und Ener­gie­wen­de ja der­zeit als gro­ßes The­ma fährt, durch­aus auch Anzei­gen in Spie­gelOn­line dazu schal­tet, und z.B. auf unse­rer Nomi­nie­rungs­ver­samm­lung für die Wahl­kreis­kan­di­da­tin vor ein paar Tagen Kers­tin And­reae sehr deut­lich mach­te, dass sie von CDU/C­SU-Dro­hun­gen mit von der grü­nen Ener­gie­li­nie abschwei­fen­den Grü­nen nichts hält. Hier sind sie also.

  8. Also sowas? War der OB infor­miert oder gar involviert?

    „Die Online-Umfra­ge unter Tag­blatt Online-Nut­zern zum Koh­le­kraft­werk in Bruns­büt­tel wur­de stark beein­flusst. Ab 10.51 Uhr und zehn Sekun­den regis­trier­te der TAG­BLATT-Ser­ver auf­fäl­lig vie­le Stim­men für das Koh­le­kraft­werk aus dem Haus der Tübin­ger Stadtwerke.

    Und jeder der Klicks für das von OB Boris Plamer pro­kla­mier­te Koh­le­kraft­werk kam von einem Ser­ver der Tübin­ger Stadt­wer­ke.„KLEINER MANIPULATIONSVERSUCH-SCHWÄBISCHES TAGBLATT

  9. Ich fin­de es ja lus­tig was ihr hier schreibt. Zum einen war die Tag­blatt Umfra­ge falsch dar­ge­stellt denn die Stadt­wer­ke Tübin­gen inves­tie­ren in alle genann­ten berei­chen und nicht nur in das Koh­le­kraft­werk. Zum ande­ren wur­de der betei­li­gung vom gemein­de­rat zuge­stimmt. Ich bin der ansicht gut für die Stadt­wer­ke. Die wo dage­gen sind den kann man ja den Strom abschal­ten wenn er knapp wird

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