Kurz: Historische Tage

Weil die­ses Blog ja auch ein biss­chen sowas wie ein öffent­li­ches Tage­buch ist, und viel­leicht irgend­wann ein Rück­blick span­nend sein könn­te: heu­te liegt die Gro­ße Koali­ti­on in den Umfra­gen unter 50 Pro­zent. SPD, AfD und Grü­ne rücken nahe anein­an­der. Aber auch die CDU hat nach den Kin­der­gar­ten­ak­tio­nen von Horst See­ho­fer (CSU) und einem ins­ge­samt eher schwie­ri­gen Bild Umfra­ge­ein­brü­che zu vermelden. 

Kann sein, dass das in zwei Mona­ten schon wie­der ganz anders aus­sieht. Kann sein, dass über­mor­gen die Gro­ße Koali­ti­on platzt. Kann sein, dass es der CSU eigent­lich nur um die Bay­ern­wahl geht und als Neben­ef­fekt davon das poli­ti­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik sei­nen letz­ten Rest an Sta­bi­li­tät ver­liert. Blei­ben Sie dran. Und falls es in der Rück­schau his­to­ri­sche Tage sind: auch hier wur­de es notiert.

Kurz: Wichtige Themen

Wel­che The­men die „öffent­li­che Mei­nung“ domi­nie­ren, und wie es dazu kommt, ist kom­pli­ziert (wer es näher wis­sen will: Medi­en­wis­sen­schaft und die sozio­lo­gi­sche Dis­kurs­theo­rie geben Hinweise). 

Zwei Din­ge möch­te ich aber fest­hal­ten. Ers­tens: nur weil etwas in der öffent­li­chen Mei­nun­gen domi­nant ist, heißt das noch lan­ge nicht, dass es sich dabei um ein wich­ti­ges Pro­blem han­delt, und umge­kehrt gilt das glei­che: ein The­ma kann wich­tig sein, aber auch extrem unin­ter­es­sant. Wir ste­cken mit­ten in einem gra­vie­ren­den Kli­ma­wan­del, und die Maß­nah­men dage­gen lau­fen schlep­pend an und grei­fen nicht. Es scheint ein sta­tis­tisch nach­weis­ba­res Insek­ten­ster­ben zu geben. Die Digi­ta­li­sie­rung wirft ziem­lich viel um, dar­über wie arbeits- und sozi­al­po­li­ti­sche Ant­wor­ten aus­se­hen könn­ten, wird kaum dis­ku­tiert. Welt­po­li­tisch ver­schie­ben sich gra­de die Gewich­te – wel­che Rol­le soll und wird die EU dabei spie­len? Auch dar­über wird ver­hält­nis­mä­ßig wenig gere­det. Und wich­tig sind die­se The­men allesamt.

Zwei­tens: Journalist*innen und die klas­si­schen Mas­sen­me­di­en tra­gen, auch wenn Auf­la­gen­zah­len zurück­ge­hen, immer noch in star­kem Maße dazu bei, was als öffent­li­che Mei­nung wahr­ge­nom­men wird. Hier liegt ein wich­ti­ger Teil media­ler Ver­ant­wor­tung. „Neue Medi­en“ tra­gen seit min­des­tens zehn Jah­ren dazu bei, Skan­da­li­sier­ba­res zu skan­da­li­sie­ren. Und so rich­tig domi­nant für die öffent­li­che Mei­nung wird es, wenn klas­si­sche und neue Medi­en inein­an­der grei­fen und in einem gegen­sei­ti­gen Reso­nanz­pro­zess ver­stär­ken. Damit kön­nen The­men gesetzt wer­den. Hier lohnt der Blick auf die bereits 2017 durch­ge­führ­te Ana­ly­se des Moni­tors zu Talk­show­the­men. Und hier liegt, ich wie­der­ho­le es noch ein­mal, eine mas­si­ve Ver­ant­wor­tung der Medi­en­schaf­fen­den dafür, wie sich das gesell­schaft­li­che Kli­ma in Deutsch­land wei­ter entwickelt.

Schulz’ Geschichte

Die Schulz-Sto­ry von Mar­kus Fel­den­kir­chen – ich habe den Feh­ler gemacht, sie als Hör­buch zu kau­fen und gemerkt, dass das ein­fach nicht mein prä­fe­rier­ter Wahr­neh­mungs­ka­nal ist, aber das ist eine ande­re Geschich­te – also: die Schulz-Sto­ry ist ein beein­dru­cken­des Stück Jour­na­lis­mus, bis hin zu den wie neben­bei in den Text ein­ge­streu­ten Erläu­te­run­gen zu Fach­be­grif­fen und poli­ti­schen Situa­tio­nen. Sie lässt sich auf drei Ebe­nen lesen: als Text über die Per­son Mar­tin Schulz, als Text über den Zustand der SPD, und als Text über eini­ge Dys­funk­tio­na­li­tä­ten unse­res poli­ti­schen Systems. 

„Schulz’ Geschich­te“ weiterlesen

Nach der Wahl ist nach der Wahl

Nach der OB-Wahl III

Die Hoff­nung, dass der zwei­te Wahl­gang alles noch ein­mal dre­hen könn­te, zer­schlug sich ziem­lich schnell – mit den ers­ten paar aus­ge­zähl­ten Wahl­be­zir­ken war klar, dass Mar­tin Horn noch ein­mal deut­lich zuge­legt hat und zum neu­en Ober­bür­ger­meis­ter von Frei­burg gewählt wor­den ist. Die­ter Salo­mon und Moni­ka Stein blie­ben jeweils mit leich­ten Ver­lus­ten auf dem Ergeb­nis des ers­ten Wahl­gangs. Dass es schwie­rig sein könn­te, ein Plus an Stim­men zu errei­chen, hat­te ich erwar­tet – dass fast exakt die Stim­men­zahl aus dem ers­ten Wahl­gang für Die­ter Salo­mon übrig blieb, wun­dert mich doch etwas, da ich von vie­len Stein-Wähler*innen gehört habe, dass sie ihre Stim­me dies­mal an Salo­mon geben woll­ten. Hin­ter den schein­bar gleich­blei­ben­den Stim­men­zah­len dürf­te also eine gewis­se Dyna­mik aus Wäh­ler­wan­de­rung und Mobi­li­sie­rungs­ef­fek­ten ste­cken. Unterm Strich zählt jedoch die Stim­men­zahl, und die ist – lei­der – eindeutig.

Wahl- berech- tigte Wäh­ler* innen Stein, Moni­ka Krö­ber, Manfred Horn, Mar­tin Dr. Salo­mon, Dieter Beh­rin­ger, Anton Werm­ter, Stephan Sons­ti­ge
1. 170.793 87.118
51,0%
22.726
26,2%
1.240
1,4%
30.066
34,7%
27.095
31,3%
3.244
3,7%
2.252
2,6%
70
0,1%
2. 170.419 88.190
51,7%
21.235
24,1%
38.899
44,2%
27.009
30,7%
796
0,9%
47
0,1%

 
Mich ärgern zwei Mythen, die jetzt über die­se Wahl erzählt wer­den. Der eine Mythos ist der von der grü­nen Spal­tung in Frei­burg. Moni­ka Stein sitzt für die GAF – Grü­ne Alter­na­ti­ve Frei­burg – im Gemein­de­rat. Das ist eine Abspal­tung der Grü­nen, die­se Spal­tung ist aller­dings schon etwa zehn Jah­re her. Zudem trat Moni­ka als Kan­di­da­tin eines lin­ken Bünd­nis­ses an, bestehend aus der Links­par­tei-nahen Lin­ken Lis­te, den Unab­hän­gi­gen Frau­en, Jun­ges Frei­burg und PARTEI sowie diver­sen Einzelunterstützer*innen. Der Auf­ruf aus der Fer­ne, dass Grü­ne und Grü­ne zusam­men­hal­ten müss­ten, dass so eine Spal­tung doch blöd sei, oder dass es ver­wun­de­re, dass sei­tens von Moni­ka kein Wahl­auf­ruf für Die­ter erfolg­te, ver­kennt die loka­le Situa­ti­on. Bei­lei­be nicht alle Wähler*innen von Moni­ka „ticken“ grün, und auch inhalt­lich gibt es kla­re Unter­schie­de zwi­schen ihrem Pro­gramm und dem der Gemein­de­rats­frak­ti­on von Bünd­nis 90/Die Grü­nen bzw. dem des noch amtie­ren­den Oberbürgermeisters. 

Das zwei­te ist die Geschich­te davon, dass damit das Ende der grü­nen Ära in Baden-Würt­tem­berg her­ein­bre­chen wür­de. Ich möch­te hier dar­an erin­nern, dass Horst Frank, grü­ner OB von Kon­stanz, von 1996 bis 2012 regier­te und danach ein CDU-Bür­ger­meis­ter gewählt wur­de. Inso­fern ist es zwar ärger­lich, aber kei­ne „Sen­sa­ti­on“ (O‑Ton SPD), dass ein amtie­ren­der grü­ner Ober­bür­ger­meis­ter nach 16 Jah­ren abge­wählt wird. Natür­lich ist es mit den aktu­el­len Streits in der Koali­ti­on im Land­tag und der kla­ren grün-schwar­zen Unter­stüt­zung in Frei­burg eine schö­ne Geschich­te, die­se Abwahl zu einem lan­des­po­li­ti­schen Mene­te­kel zu machen, gar von einem Erd­be­ben zu spre­chen – das alles trifft es nicht. Die Erde hat vor ein paar Tagen in Müll­heim bei Frei­burg gebebt; die Ober­bür­ger­meis­ter­wahl wur­de dage­gen nicht landes‑, son­dern stadt­po­li­tisch oder viel­leicht sogar per­so­nen­spe­zi­fisch entschieden.

Jetzt schon las­sen sich aus mei­ner Sicht drei Leh­ren aus die­ser Wahl ziehen.

Ers­tens: den Ober­bür­ger­meis­ter zu stel­len und im Gemein­de­rat stark ver­tre­ten zu sein, ist kein Selbst­läu­fer und heißt nicht, dass Erfol­ge auto­ma­tisch hono­riert wer­den. Man­cher­seits gab es den Ein­druck, dass da nichts Neu­es mehr kommt, dass zwar viel für Frei­burg erreicht wur­de, aber die Visio­nen für die nächs­ten acht Jah­re fehl­ten. Das hat eine inhalt­li­che Kom­po­nen­te – wer grün wählt, will auch kla­re grü­ne Erfol­ge sehen; zumin­dest gilt dies für einen rele­van­ten Anteil der grü­nen Wäh­ler­schaft. Das Kom­mu­na­le ist sehr kon­kret; noch stär­ker als auf Lan­des- und Bun­des­ebe­ne zählt hier das sicht­ba­re Ergeb­nis poli­ti­schen Han­dels, wie es im All­tag ankommt oder nicht ankommt. Ein­mal errun­ge­ne Erfol­ge wer­den dabei schnell ver­ges­sen und als selbst­ver­ständ­lich ange­se­hen. Nur gut zu ver­wal­ten reicht nicht aus. Oder, etwas zuge­spit­zer gesagt: so wich­tig eine Erwei­te­rung des grü­nen Wäh­ler­kli­en­tels in die Brei­te der Bevöl­ke­rung ist – der grü­ne Kern und des­sen Inter­es­sen soll­ten nicht ver­ges­sen wer­den. Sonst wird, wie im Vau­ban und in den Innen­stadt­ge­bie­ten von Frei­burg, im Zwei­fel auch mal links(grün) gewählt.

Neben der inhalt­li­chen geht es hier aber auch um eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Kom­po­nen­te. In die­se Lücke hat Mar­tin Horn sehr genau gezielt, in dem das Bild eines arro­gan­ten Ober­bür­ger­meis­ters in Umlauf gege­ben wur­de, dem Bür­ger­be­tei­li­gung und bür­ger­na­he Kom­mu­ni­ka­ti­on ent­ge­gen­ge­stellt wur­de. Kom­mu­ni­ka­tiv auch jen­seits der Ver­bän­de und Bür­ger­ver­ei­ne prä­sent zu sein, die erreich­ten Erfol­ge immer wie­der auch „zu ver­kau­fen“, und neue Visio­nen mit Bürger*innen zusam­men zu erar­bei­ten – das ist sicher­lich ein Pro­blem, das weit vor dem Wahl­ter­min vor­han­den war und sich jetzt voll­ends aus­ge­wirkt hat. (Über die Kam­pa­gne, ins­be­son­de­re zum ers­ten Wahl­gang, schrei­be ich jetzt lie­ber nichts). 

Zwei­tens: Die Stadt stand und steht gut da der Ober­bür­ger­meis­ter war erfolg­reich. Also wur­den mög­li­che, noch dazu stadt­frem­de, Gegen­kan­di­da­ten lan­ge Zeit nicht beson­ders ernst genom­men. Dass ein ame­ri­ka­ni­sier­ter Wahl­kampf mit viel Prä­senz (der der Sug­ges­ti­on von Prä­senz), viel Hän­de­schüt­teln und Sor­gen anhö­ren, mit einem popu­lis­tisch ange­hauch­ten Auf­tre­ten ohne viel Inhal­te, aber mit ein­präg­sa­men Slo­gans auch in Frei­burg zün­den könn­te, wur­de nicht gese­hen – und als es gese­hen wur­de, war es zu spät. Da hat­te Mar­tin Horn längst über­all in der Stadt ein Samen­korn des Küm­merns ein­ge­sät, jedem alles ver­spro­chen – auf die Umset­zung bin ich gespannt – und den Wahl­kampf in die Hän­de eines umtrie­bi­gen Gras­wur­zel­netz­werks gelegt, das mit viel­fäl­ti­gen Aktio­nen Sicht­bar­keit in der Stadt erzeug­te und weit über den Par­tei­ap­pa­rat der SPD wirk­te. Im zwei­ten Wahl­gang kam dazu dann noch der Band­wag­gon-Effekt dazu, also ein Auf­sprin­gen auf den sieg­rei­chen Zug.

Ich neh­me an, dass mit einem sol­chen – cha­ris­ma­ti­schen – Wahl­kampf in Zukunft stär­ker zu rech­nen sein wird. Was das für Poli­tik bedeu­tet, wäre zu diskutieren.

Drit­tens: Sech­zehn Jah­re sind eine ganz schön lan­ge Zeit, egal, wer Ober­bür­ger­meis­ter oder Kanz­le­rin ist. Demo­kra­tie lebt vom Wech­sel. Viel­leicht muss dar­über nach­ge­dacht wer­den, ob die bis­he­ri­ge, in Baden-Würt­tem­berg acht Jah­re wäh­ren­de Bür­ger­meis­ter­wahl­pe­ri­ode nicht zu lang ist. (Ober-)Bürgermeister*in zu sein, ist kein Lebens­zeit­job mehr, son­dern wird stär­ker als frü­her zum poli­ti­schen Amt auf Zeit. Hier könn­te ich mir vor­stel­len, dass eine Ver­kür­zung der Wahl­pe­ri­ode auf fünf Jah­re ange­mes­se­ner wäre. Und auch der zwei­te Wahl­gang, der ja in Baden-Würt­tem­berg kei­ne Stich­wahl dar­stellt, son­dern eine eigen­stän­di­ge Wahl, bei der dann die rela­ti­ve Mehr­heit reicht, soll­te noch ein­mal genau­er betrach­tet wer­den. Ist es sinn­voll, wenn ein Ober­bür­ger­meis­ter von der Mehr­heit der Stadt­be­völ­ke­rung nicht gewählt wird? Wäre es nicht bes­ser, wenn der zwei­te Wahl­gang als ech­te Stich­wahl aus­ge­stal­tet wäre? 

Zusam­men­ge­fasst: Das Wahl­sys­tem hat eini­ge Eigen­hei­ten, die durch­aus auf den Prüf­stand gestellt wer­den könn­ten. Wahl­kampf wird ame­ri­ka­ni­scher und per­sön­li­cher, eine Mobi­li­sie­rung schon weit im Vor­feld der Wahl gewinnt an Bedeu­tung. Erfolg­rei­ches poli­ti­sches Han­deln muss auch kom­mu­ni­ziert und dis­ku­tiert wer­den, und zwar nicht erst bei der Wahl, son­dern kon­ti­nu­ier­lich. Und: sich auf den Erfol­gen der Ver­gan­gen­heit aus­zu­ru­hen, reicht nicht aus.

Ich habe ja geschrie­ben, dass ich die Ein­schät­zung für falsch hal­te, dass die Wahl in Frei­burg eine lan­des­po­li­ti­sche Wahl war. Rich­tig ist aller­dings, dass wir uns – gera­de in der grün-schwar­zen Koali­ti­on – ver­stärkt über­le­gen soll­ten, wie es um Ange­bo­te an den grü­nen Kern unse­rer Wäh­ler­schaft bestellt ist, und wie es gelingt, Erfol­ge auch sicht­bar zu machen. 

re:publica, oder: das Gute im Netz

Die jun­ge Fern­seh­schaf­fen­de Sophie Pass­mann lie­fert den pas­sen­den Ein­stieg für mei­nen Bericht über die re:publica 2018.

Mein Fazit zur #rp18: Digi­ta­li­sie­rung: wich­ti­ges The­ma, soll­ten wir mal ran. 

Und spricht damit, ganz uniro­nisch, die größ­te Schwä­che und die größ­te Stär­ke der wie immer viel zu vol­len (so unge­fähr 20.000 Besucher*innen, 500 Panels, 50.000 Tweets und 30.000 Bäl­le im Bäl­le­bad, unzäh­li­ge Sei­fen­bla­sen) Ver­an­stal­tung an. Die re:publica ist nach wie vor eine Netz­po­li­tik-Kon­fe­renz, kei­ne Digitialisierungskonferenz. 

Also, viel­leicht ist das. Viel­leicht habe ich auch wie­der mal nur die fal­schen Panels erwischt/ausgesucht.

Am zwei­ten re:publica-Tag war die­ser Unter­schied zwi­schen Digi­ta­li­sie­rung und Netz­po­li­tik für mich eher so ein vages Gefühl. Auch, weil sich ganz viel gar nicht so anders anfühl­te und anhör­te, als bei mei­nem letz­ten re:publica-Besuch. Und der ist schon fünf Jah­re her.

Heu­te hör­te ich dann einen Vor­trag von Jea­nette Hof­mann, Urge­stein der Netz­for­schung in Deutsch­land, und Ron­ja Kniep, bei­de vom Wis­sen­schafts­zen­trum Ber­lin, der ganz gut zu die­sem vagen Gefühl pass­te und das ordent­lich aka­de­misch kon­tex­tua­li­sier­te. Die bei­den gin­gen der Fra­ge nach, ob Netz­po­li­tik in Deutsch­land ein ordent­li­ches Poli­tik­feld ist. Dafür braucht es, so der theo­re­ti­sche Hin­ter­grund, ins­be­son­de­re ein gesell­schaft­lich akzep­tier­tes Schutz­gut. Also sowas wie „Netz­frei­heit“.

Kur­zer his­to­ri­scher Abriß: In den 1980ern gab’s, netz­po­li­tisch gese­hen, auf der einen Sei­te das staat­li­che Bun­des­post­mo­no­pol, auf der ande­ren Sei­te eine Com­pu­ter­sub­kul­tur (Hacker, CCC, Foe­bud, FifF etc.), und ein paar aka­de­mi­sche Fans der neu­en Tech­nik (ers­te E‑Mail in Deutsch­land an der Uni Karls­ru­he). Nischen und Infra­struk­tur­po­li­tik also.

In den 1990er Jah­ren geht’s auf der Daten­au­to­bahn in die Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft. Der Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­markt wird libe­ra­li­siert, und über­haupt domi­nie­ren wirt­schaft­li­che Sich­ten auf das Netz, das jetzt als Are­na für ver­schie­de­ne Dienst­leis­tun­gen dis­ku­tiert wird. 

Mit den 2000er Jah­ren tritt erst­mal die Netz­po­li­tik als eigen­stän­di­ger Poli­tik­be­reich ins Licht der Öffent­lich­keit. Becke­dahl und Notz, Frei­heit-statt-Angst-Demos, eine Zen­sur­su­la-Bewe­gung, der Auf­stieg (und Fall) der Pira­ten­par­tei. Auch die 1980er-Sub­kul­tur-Initia­ti­ven tau­chen, teils in gewan­del­ter Form, wie­der auf. Daten­schutz kommt dazu. Ins­ge­samt wird die Idee, dass ein frei­es und offe­nes Netz etwas schüt­zens­wer­tes sein könn­te, also ein Schutz­gut, zum gesell­schaft­lich akzep­tier­ten Deu­tungs­mus­ter. Die Netz­po­li­tik, wie wir sie ken­nen, ist gebo­ren. Und gebloggt wird auch darüber.

Die 2010er Jah­re sind dann in die­ser kur­zen Geschich­te der Pen­del­schlag zurück. Klar, die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung und der Cam­bridge-Ana­ly­ti­ca-Skan­dal sind in aller Mun­de, aber noch wich­ti­ger sind „Digi­ta­li­sie­rung“ – vor allem wirt­schaft­lich gedacht – und „Cyber­crime“ bzw. „Cyber­se­cu­ri­ty“, also sicher­heits­po­li­ti­sche Über­le­gun­gen. Netz­po­li­tik als eige­nes Poli­tik­feld ver­liert an dis­kur­si­ver Deu­tungs­macht – und damit ver­än­dert sich auch der poli­ti­sche Mög­lich­keits­raum. (Und das, so Hof­mann, ist ein deut­lich grö­ße­res Pro­blem als die Fra­ge Digi­ta­li­sie­rungs­mi­nis­te­ri­um ja/nein).

Soweit der holz­schnitt­ar­ti­ge Abriß des schon auf nur drei­ßig Minu­ten gekürz­ten Vor­trags von Hof­mann und Kniep über ihre For­schungs­ar­beit. Eine Ses­si­on von ein paar hun­dert, voll, aber nicht auf der ganz gro­ßen Bühne.

Und irgend­wie trifft die­se Unter­schei­dung eben ganz gut auf mei­ne Wahr­neh­mung der dies­jäh­ri­gen re:publica zu. Dis­clai­mer: das mag an mei­ner Aus­wahl an Ver­an­stal­tun­gen gele­gen haben – vie­len Medi­en­po­li­tik und Medienmacher*innen, ein biss­chen Kon­zept- und Akti­ons­kunst, eini­ges zu Open Cul­tu­re und auch ein biss­chen was zu Daten­schutz. Viel­leicht wür­de mein Bild ganz anders aus­se­hen, wenn ich mir mehr der „Part­ner­ses­si­ons“ der Wer­be­part­ner ange­schaut hät­te (ein Vor­trag einer Auto­desk-Frau zu den Poten­zia­len von Robo­tern und KI für den Bau einer bes­se­ren Welt ging in die­se Rich­tung), oder die Tracks zu Arbeit oder Gesundheit.

In mei­ner Panel-Aus­wahl, und auch in eini­gen Gesprä­chen, war es aber so, dass in den Panels viel über Netz­po­li­tik gere­det wur­de – alles mög­li­che, was mit dem media­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­raum Netz, den dort beweg­ten Daten und ihrem Schutz sowie mit der dar­un­ter­lie­gen­den Sozio­tech­nik zu tun hat­te – und kaum über Digi­ta­li­sie­rung. (Und um den Umgang mit rech­tem Hass im Netz, viel­leicht war dass das eigent­li­che gro­ße The­ma). Jeden­falls: um das freie und offe­ne Netz, um die „Zurück­er­obe­rung“ des Internets.

Ganz anders das Bild, das sich auf dem Gelän­de bot: schon am Ein­gang begrüß­te der Postbot*innen hin­ter her fah­ren­de Post­bot, eine schnu­cke­li­ge Art Geträn­ke­box auf Rädern. An min­des­tens jedem zwei­ten Stand hin­gen VR-Bril­len. Und zwi­schen Bit­co­in-Start­ups und Tech for Good, neu­er Arbeits­welt und Goog­le-AIs ging es an den Stän­den um Digi­ta­li­sie­rung, wie das halt heu­te so gemacht wurde.

Viel­leicht wäre Sepia als Leit­far­be bes­ser gewe­sen als das pop­pi­ge Grün der Green Screens. Nost­al­gie für den uto­pi­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­raum, um den „wir“ in den 2000er Jah­ren gekämpft haben. Ver­traut­heit mit dem Tagungs­ort, der STATION Ber­lin. Selbst das WLAN erkann­te einen wie­der. Oder doch Begeis­te­rung dar­über, wie nor­mal das alles inzwi­schen ist?

War­um blog­ge ich das? Hey, ein re:publica-Besuch ohne Blog­post dazu wäre ja irgend­wie schräg.