Die Omikron-Welle, die sich im Dezember andeutete, ist jetzt auch bei uns angekommen. Die Inzidenz für Freiburg liegt inzwischen bei 700, auch die bundesweiten Werte steigen schnell an. Gleichzeitig macht sich eine gewisse Wurstigkeit breit, auch deswegen, weil Omikron wohl tatsächlich tendenziell zu weniger Krankenhauseinweisungen und Todesfällen – in einer mittlerweilen recht gut geimpften und teilweise auch geboosterten Bevölkerung – führt. Es geht jetzt eher darum, wie Exit-Optionen aus der Pandemiebekämpfung aussehen, und an welcher Stelle diese einsetzen sollen.
Ich kann rational nachvollziehen, warum das so ist, und dass wir wohl tatsächlich an dem Punkt sind, an dem es um „mit dem Virus leben“ geht – und zwar so, dass schwere Erkrankungen vermieden werden, also durch Impfungen. Glücklich bin ich damit nicht, auch deswegen nicht, weil damit der Kurs, möglichst viele Infektionen zu verhindern, aufgegeben wird. Ob diese Strategie richtig ist, oder ob das drastische Vorgehen einiger asiatischer Staaten mit harten Lockdowns schon bei wenigen Fällen erfolgreicher ist, wird sich im Nachhinein zeigen.
Dass es hier einen Kurswechsel gibt, lässt sich aus den ergriffenen oder nicht ergriffenen Maßnahmen ableiten – kein Distanzunterricht, kein Lockdown, keine Quarantäne für Geboosterte. So richtig ordentlich kommuniziert wird das jedoch nicht. Wie ich überhaupt mit der aktuellen politischen Kommunikation zur Pandemie eher unzufrieden bin. Das fängt dabei an, dass zwar massenweise per Zeitungsanzeige fürs Impfen geworben wird, aber keine persönlichen Adressierung erfolgt, wie das einige andere Länder gemacht haben. Und es endet nicht beim parteipolitischen Gezerre um die mit Blick auf die Omikron-Welle viel zu späte Impfpflicht. Ich vermisse hier die angeblich bei Bundeskanzler Scholz zu bestellende Führung – ein „macht mal, wir gucken mal, und klar bin ich dafür, dass es eine Impfpflicht gibt“ hilft nicht wirklich.
Notwendig wäre eine bessere Kommunikation gerade deswegen, weil inzwischen unangemeldete Versammlungen von Corona-Leugner:innen, Neonazis und Impf-Gegner:innen nahezu täglich stattfinden, und weil diese Mischung mit Demos auf die Straße geht und versucht, die Diskurshoheit zu erringen. Eine beeindruckend langer Demozug dieser Melange zog sich am Samstag durch Freiburg – und es war für mich erschreckend, live zu sehen, wie sich hier Staatsverächter:innen, Antisemit:innen und Menschen mischten, die Herzluftballons schwenkten und optisch durchaus in ein alternatives Milieu passen würden. Nein, es geht nicht um „wir haben uns doch alle lieb“ – es geht darum, ob eine immer noch tödliche Krankheit mit sinnvollen Maßnahmen wie der Impfung bekämpft wird, oder ob das nicht passiert.
Die Umfragezahlen ergeben ein anderes Bild, als es diese Demonstrant:innen darstellen wollen. Drei Viertel der Befragten halten die geltenden Corona-Maßnahmen für richtig oder wollen, dass diese schärfer ausfallen. Und etwa zwei Drittel sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus – nur bei den Anhänger:innen der AfD gibt es klar keine Mehrheit dafür. Und die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen werden nur von einer deutlichen Minderheit der Bevölkerung begrüßt – bei Wähler:innen der Grünen sind es gerade einmal sieben Prozent, die diese Proteste gut finden. Auch hier: ein unheitliches Bild bei der FDP, große Zustimmung zu den Protesten bei den Fans der AfD.
Auch das unterstreicht noch einmal die Einschätzung, dass das Fenster nach rechts hier weit offen ist.
Entsprechend habe ich mich gefreut, dass sich in Freiburg ein Bündnis gebildet hat („FreiVAC“), das am Samstag ebenfalls auf die Straße gegangen ist, um für Wissenschaftlichkeit, für das Impfen und gegen Antisemitismus zu protestieren. Bei ‑1°C wurde es auf dem Platz der Alten Synagoge recht kalt, aber immerhin: der Platz war voll, und die Reden (u.a. von Chantal Kopf und Monika Stein) waren sehr gut und ein deutliches „Nein“ zum zeitgleichen Umzug der Melange der Corona-Freund:innen.
In other news: wie schon vor Weihnachten gab es in der Klasse eines meiner Kinder einen durch einen positiven PCR-Test bestätigten positiven Schnelltest (in der ersten Woche nach Schulbeginn wurde jeden Tag getestet). In der Folge also „Kohortierung“: die Klasse wird von den anderen Klassen getrennt, und der Ganztagsteil des Unterrichts entfällt, der Nachmittagsunterricht wird online erteilt bzw. es gibt Aufgaben. Die bestätigt positiven Tests häufen sich auch in anderen Klassen – ich bin gespannt, ob das nicht doch noch dazu führt, dass komplett auf Fernunterricht umgestellt wird; dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn Omikron für den Ausfall vieler Lehrkräfte sorgt. (Ähnlich gibt es inzwischen Befürchtungen zur Stabilität der kritischen Infrastruktur und des ÖPNV, wenn die Omikron-Welle zu viele Krankmeldungen verursacht – auch deswegen wohl das Ende der Quarantäne-Regelung für Geboosterte).
Ich selbst war diese Woche (abgesehen von der Teilnahme an der FreiVAC-Kundgebung mit Maske und Abstand) besonders vorsichtig – wir hatten Fraktionsklausur, als Hybridveranstaltung angelegt, abgesichert durch PCR-Tests für alle vor Ort teilnehmenden. Eigentlich hatte ich vor, nach Stuttgart zu fahren, fand das dann aber doch zu riskant* und habe insofern online teilgenommen (samt Input, Online-Workshop und dem einen oder anderen Back-Office-Kram). Geht auch, fühlt sich aber doch anders an als eine „richtige“ Klausur. (* riskant gar nicht so sehr wegen einer möglichen Ansteckung, sondern mit Blick auf die logistische Frage, was passiert, wenn in Stuttgart ein Test positiv ausschlägt, und ich direkt oder indirekt davon betroffen wäre …)