Augmented Reality, jetzt aber wirklich?

Wer die­ses Blog schon län­ger liest, weiß, dass ich bei Vir­tu­al-Rea­li­ty-Visio­nen eher skep­tisch bis sehr skep­tisch bin. Ein biss­chen anders sieht es mit „Aug­men­ted Rea­li­ty“ (AR) aus, also dem Ein­blen­den digi­ta­ler Ele­men­te in den rea­len Raum. Dazu hat Apple ges­tern Abend den Pro­to­typ einer Aug­men­ted-Rea­li­ty-Bril­le vor­ge­stellt. Sieht eher aus wie eine Ski­bril­le (oder eine Tau­cher­bril­le), ist wohl nicht ganz leicht, und ein Kabel zum Bat­te­rie­pack oder zur Steck­do­se hängt auch dran. In den USA soll es die­ses Ding – „Visi­on Pro“, wie es beein­dru­ckend visi­ons­los heißt – ab nächs­tem Jahr geben, für 3500 Dol­lar als Start­preis. Sieht also erst­mal nach einer teu­ren Spie­le­rei aus.

Trotz­dem: das, was da an Anwen­dun­gen vor­ge­stellt wur­de, klingt für mich durch­aus inter­es­sant. Ein kom­plet­ter Com­pu­ter mit belie­big gro­ßem Bild­schirm zum Mit­neh­men? Ein 3D-Kino, das ech­te Immersi­on erlaubt? Das Ein­blen­den von Apps in den rea­len Raum? Und das nicht wie bei Goog­le Glass in Mini­auf­lö­sung, son­dern mit 4K oder mehr? Und ziem­lich viel Tech­nik, um rea­len und digi­ta­len Raum rei­bungs­los inein­an­der über­ge­hen zu lassen?

Das hat schon etwas und klingt ziem­lich viel­ver­spre­chend. Vor allem auch des­halb, weil Apple das bei den neue­ren iPho­ne- und iPad-Gene­ra­tio­nen im Ansatz schon macht. Da ist dann ein Lidar ein­ge­baut, und so Din­ge wie Ent­fer­nungs­mes­sung oder das Ein­blen­den von 3D-Objek­ten in kor­rek­ter Ori­en­tie­rung in Foto­auf­nah­men gelingt problemlos.

Wenn die Ski­bril­le noch leich­ter und ele­gan­ter wird, und statt 4000 Euro (oder was auch immer der genann­te Preis am Ende bedeu­tet) deut­lich güns­ti­ger wird, kann ich mir schon vor­stel­len, dass eine AR-Bril­le zu einem Teil unse­res All­tags wird; zumin­dest in pro­fes­sio­nel­len Kon­tex­ten, und als Ding für Men­schen, die ger­ne Spie­le oder Fil­me auf einem größt­mög­li­chen Bild­schirm sehen wol­len – hier 180° oder mehr umfassend.

Ob das ein iPho­ne-Moment wird, also sowas wie 2007, als das knopf­lo­se Smart­phone mit Ganz­flä­chen­touch­screen sich in die Welt begab? Kei­ne Ahnung. Ein SF-Moment ist es jedenfalls.

„Siehs­te jetzt, wie das geht?“ Er klapp­te sie auf, einen Bügel in jeder Hand. „Links ist aus, rechts ein. Du brauchst sie nur ein biß­chen zu bewe­gen.“ […] „Hier. Pro­bier mal.“ Er setz­te sie ihr auf.
Sie stand mit dem Gesicht zur Stadt, als er das tat. Der Finanz­di­strikt, die Pyra­mi­de mit den Stüt­zen vom Litt­le Gran­de, die Hügel dahin­ter. „Du mei­ne Güte!“ sag­te sie, als sie die Tür­me sah, die dort erblüh­ten, Gebäu­de, die grö­ßer waren als alles ande­re, ein voll­kom­men regel­mä­ßi­ges Netz, das sich von den Hügeln her­ein­wälz­te. […] Dann füll­te sich der Him­mel mit chi­ne­si­schen Schriftzeichen.
„Sam­my …“
Sie merk­te, wie er sie pack­te, als sie das Gleich­ge­wicht verlor.
Die chi­ne­si­schen Schriftt­zei­chen ver­wan­del­ten sich in englische.
S U N F L O W E R   C O R P O R A T I O N
„Sam­my …“
„Hm?“
„Was, zum Teu­fel ist das?“ Wor­auf sie auch den Blick rich­te­te, immer erhell­te ein ande­res Eti­kett den Him­mel, dich­te Zusam­men­bal­lun­gen tech­ni­scher Wor­te, die sie nicht verstand.

So Che­vet­te in Wil­liam Gib­sons Roman Vir­tu­al Light (dt. Vir­tu­el­les Licht), 1993. Die AR-Bril­le, die hier beschrie­ben wird, die Che­vet­te eher zufäl­lig geklaut hat und dann aus­pro­biert, ist im Buch ein Pro­to­typ. Irr­sin­nig teu­er (wie ein japa­ni­scher Klein­wa­gen). und der Schlüs­sel zu Gib­sons Roman. Drei­ßig Jah­re spä­ter viel­leicht Wirklichkeit. 

Photo of the week: Vitra, Weil am Rhein

Vitra, Weil am Rhein - V

 
Vor zwei Wochen haben wir die Aus­stel­lung „Hel­lo, robot.“ im Vitra Design Muse­um in Weil am Rhein besucht. Läuft noch bis 5. März 2023, mein Fazit ist aller­dings durch­mischt. Im Kern stammt die Aus­stel­lung aus dem Jahr 2017. Und auch wenn eini­ges wohl über­ar­bei­tet wur­de, sind fünf Jah­re mit Blick auf das hier weit gefass­te The­men­feld Robo­ter, AI, Digi­ta­li­sie­rung unse­rer Welt doch eine ziem­lich lan­ge Zeit. Ins­be­son­de­re die Machi­ne Lear­ning / Lar­ge Lan­guage Model-Ent­wick­lun­gen der letz­ten Mona­te feh­len weitgehend. 

Das The­men­feld der Aus­stel­lung reicht von der Dar­stel­lung von Robo­tern in Lite­ra­tur und Kunst über Kunst­pro­jek­te, die sich mit z.B. Droh­nen, der Visua­li­sie­rung von unsicht­ba­ren Wel­len oder mit immersi­ven (aug­men­ted rea­li­ty) Zukunfts­vor­stel­lun­gen befas­sen, bis hin zu aus­ge­stell­ten Indus­trie­ro­bo­tern, Pro­to­ty­pen (Bos­ton Dyna­mic ist auch ver­tre­ten) und Werk­stü­cken. Da wird’s dann aller­dings auch ein biss­chen lang­wei­lig: es gibt inter­ak­ti­ve Sta­tio­nen, ein gro­ßer Teil der Aus­stel­lung ist jedoch sta­tisch. Bes­ten­falls läuft neben dem als Design­ge­gen­stand posi­tio­nier­ten Robo­ter ein Video auf einem Bild­schirm, das die­sen in Akti­on zeigt. Aber viel­leicht muss das in einem Design-Muse­um so sein: im Vor­der­grund steht nicht Inter­ak­ti­on (wie etwa in einem Sci­ence Cen­ter), und auch nicht der durch Infor­ma­tik oder sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Debat­ten ver­mit­tel­te Zugang (ich den­ke da ans ZKM), son­dern die Fra­ge danach, was es für gestal­te­te Lebens­wel­ten bedeu­tet, wenn dort Robo­ter mitmischen.

Hübsch gestal­tet ist das alles ja, und die Vitra-Archi­tek­tur selbst bei grau­em Nie­sel­wet­ter nett anzu­se­hen. Wenn Weil jetzt noch eine Fuß­gän­ger­zo­ne hät­te [1], statt einen Bahn­hofs­vor­platz mit sonn­tags geschlos­se­nen Cafes … 

Ein paar mehr Fotos in die­sem Album bei Flickr.

[1] Wur­de gera­de in einem Bür­ger­ent­scheid abgelehnt.

Kurz: Nichtstandardhaushalte und Netflix

Nur, weil’s mir gra­de mal wie­der auf­fällt – an zwei Orten zu woh­nen, und z.B. tech­ni­sche Gerä­te zu haben, die an dem einen oder an dem ande­ren Ort befind­lich sind, zum Bei­spiel aus Grün­den eines Patch­work­fa­mi­li­en­mo­dells oder berufs­be­ding­tem Pen­delns oder … ist für vie­le Insti­tu­tio­nen immer noch arg unge­wöhn­lich. Wobei z.B. Finanz­äm­ter da fast fle­xi­bler sind als Net­flix. Zumin­dest, wenn die ges­tern ver­brei­te­ten Gerüch­te und Ankün­di­gun­gen stim­men, dass Net­flix zur Ver­mei­dung von Zugangs­code­sha­ring Haus­halt und IP-Adres­sen gleich­setzt. Nur, was im loka­len Netz ein­ge­bun­den ist, gehört zum Haus­halt. An Ort A. Ort B ist undenk­bar, und alles, was mobil geschieht, wird maxi­mal unpraktisch. 

Ich den­ke ja noch, dass das kei­nen Bestand haben wird, weil’s ein­fach für zu vie­le Men­schen nicht zu deren Lebens­mo­del­len passt. We will see. 

P.S.: Pas­send dazu.

Meine generelle Unzufriedenheit mit dem Jahr 2022

Orange gray, Gundelfingen - V

Das Jahr 2022 lässt mich unzu­frie­den zurück. Nicht so sehr auf das Pri­vat­le­ben bezo­gen – Kin­der und Kat­zen gedei­hen, im Gar­ten wuchs es im Som­mer, ich habe wei­ter­hin eine span­nen­de Arbeit in der grü­nen Land­tags­frak­ti­on – son­dern im Gro­ßen und Gan­zen. Und die­ses Gefühl der Unzu­frie­den­heit zieht sich auch durch mein Blog. 

Natür­lich gibt es offen­sicht­li­che Grün­de dafür. Der 24. Febru­ar mit dem rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne ist der sicht­bars­te die­ser Grün­de. Wir erle­ben Welt­ge­schich­te, die Zei­ten­wen­de ist immer prä­sent. Die­ser Krieg führt zu viel­fach mul­ti­pli­zier­tem Leid in der Ukrai­ne. Dane­ben wirkt ver­nach­läs­sig­bar, dass er auch bedeu­tet, dass lan­ge geheg­te Über­zeu­gun­gen über den Hau­fen gewor­fen wer­den müs­sen. Und ja: das müs­sen sie. Schön ist das trotz­dem nicht.

„Mei­ne gene­rel­le Unzu­frie­den­heit mit dem Jahr 2022“ weiterlesen

Traummaschinen, träumende Maschinen, Maschinenträume

Aure­lia auri­ta, CC0 Mar­tin Thoma

Ver­mut­lich wird im Rück­blick das Jahr 2022 das Jahr der Künst­li­che-Intel­li­genz-ver­än­dert-unser-Leben-Essays sein. Und es gibt ein paar Stan­dard­for­ma­te für die­se Essays – das eine ist der kom­plett von ChatGPT geschrie­be­ne Text, das ande­re die gro­ße Tech­nik­kri­tik samt Rau­nen dar­über, was mensch­li­che Krea­ti­vi­tät nun wirk­lich aus­macht, das drit­te der Hype-Arti­kel dar­über, dass sich jetzt wirk­lich alles ändert.

Und ja, ChatGPT und die gan­zen ande­ren gene­ra­ti­ven Model­le – die Bil­der­zeu­gung mit Sta­ble Dif­fu­si­on, Mid­jour­ney oder Dall‑E; die Über­set­zung mit DeepL – all das fühlt sich schon sehr nach Zukunft an. Als 2007 das iPho­ne auf den Markt kam, war nicht so ganz klar, dass es den Mobil­ge­rä­te­markt kom­plett umkrem­peln wür­de, das unter einem Smart­phone nicht ein Tas­ten­te­le­fon mit Bild­schirm zu ver­ste­hen ist, son­dern ein uni­ver­sell nutz­ba­rer Com­pu­ter in einem Soft­ware­gar­ten, der zur Not auch ein Tele­fon sein kann. Im nach­hin­ein betrach­tet hat das iPho­ne mas­siv etwas ver­än­dert. Unser Zugang zur Welt ist ein klei­ner schwar­zer Bild­schirm in der Hosen­ta­sche oder Hand­ta­sche, egal ob mit iOS oder Android als Betriebs­sys­tem. Das ist das Gerät, mit dem wir im Inter­net unter­wegs sind, Fahr­kar­ten kau­fen, uns ori­en­tie­ren, die Uhr­zeit able­sen, Fit­ness­wer­te spei­chern und natür­lich stän­dig und über­all Fotos und Vide­os machen.

Für mich fühlt ChatGPT sich ein biss­chen so an, als ob damit ein ähn­li­cher Umbruch ver­bun­den sein könn­te. Viel­leicht liegt die­ses Gefühl auch dar­an, dass ich mit Siri und Ale­xa (und erst recht nicht mit Cort­a­na) nie warm gewor­den bin; was hier noch als Ope­nAI-Feld­ver­such und wis­sen­schaft­li­ches Expe­ri­ment läuft, und noch ziem­lich feh­ler­an­fäl­lig und gera­de stark über­las­tet ist, könn­te unse­ren All­tag doch ganz erheb­lich verändern. 

„Traum­ma­schi­nen, träu­men­de Maschi­nen, Maschi­nen­träu­me“ weiterlesen