Brandung (6)

Im sechs­ten Teil der SF-Serie erfah­ren wir, wie Mar­tha ihren Sams­tag ver­bracht hat.

Brandung (6)

Den Sams­tag­nach­mit­tag hat­te Mar­tha damit zuge­bracht, mit dem Rad durch die Stadt zu fah­ren. Sie hat­te lan­ge gebraucht, um sich sicher zu sein – aber jetzt war sie es. Sie hat­te einen Plan: Sie woll­te das Gespräch mit Dr. May­mo­th suchen. Wenn sie die Lei­te­rin der For­schungs­ab­tei­lung nicht dazu brin­gen konn­te, ihre Beden­ken gegen das Vor­ha­ben ernst zu neh­men, wür­de sie ihre Kün­di­gung ein­rei­chen. Soviel Kon­se­quenz muss­te sein. 

Mar­tha war über­zeugt, dass sie Dr. May­mo­th an ihrem Arbeits­platz fin­den wür­de. Wenn jemand in der For­schungs­ab­tei­lung ein Work­aho­lic war, dann deren Lei­te­rin. Selbst sonn­tags war sie eher dort als zu Hau­se – jeden­falls, wenn den erstaun­ten Berich­ten von Kol­le­gIn­nen Glau­ben geschenkt wer­den konn­te, die am Wochen­en­de Expe­ri­men­te oder Simu­la­ti­ons­rech­nun­gen zu betreu­en hat­ten und von lee­ren Flu­ren in der For­schungs­ab­tei­lung berich­te­ten; nur in den Räu­men von Dr. May­mo­th brann­te immer Licht.

Ihr ers­tes Ziel waren des­we­gen die Büros der For­schungs­ab­tei­lung im Water Tower. Kei­ne Spur von Dr. May­mo­th. Das glei­che Bild in der etwas vom Water Tower ent­fernt gele­ge­nen Test­an­la­ge im Gewer­be­ge­biet. Aus dem Sams­tag­nach­mit­tag war inzwi­schen fast schon ein Sams­tag­abend gewor­den. Soviel zu fes­ten Plä­nen. Mar­tha über­leg­te, was sie nun tun soll­te. Natür­lich wäre es mög­lich gewe­sen, Dr. May­mo­th ein­fach eine Mail zu schi­cken oder sie anzu­ru­fen. Aber nun hat­te sie es sich in den Kopf gesetzt, das direk­te Gespräch zu suchen, hat­te sich auch zurecht­ge­legt, wie sie argu­men­tie­ren wür­de – nein, sie muss­te Dr. May­mo­th per­sön­lich treffen. 

Auch wenn heut­zu­ta­ge Tele­kon­fe­ren­zen der Nor­mal­fall waren, bestand natür­lich die Mög­lich­keit, dass Dr. May­mo­th schlicht und ein­fach nicht in der Stadt war. Einen letz­ten Ver­such gab sich Mar­tha noch. Sie wür­de Dr. May­mo­th in ihrem Wohn­haus auf­su­chen. Das lag in einer Gegend der Stadt, mit der Mar­tha wenig zu tun hat­te – Häu­ser im Jugend­stil, fast schon ein Vil­len­vier­tel. Sie klick­te das Tele­fon in die Navi­ga­tor­hal­te­rung an ihrem Fahr­rad. Sie war ein- oder zwei­mal bei Dr. May­mo­th gewe­sen: ein frei­ste­hen­des Haus mit rie­si­gen Rosen­bü­schen im Gar­ten, das Dr. May­mo­th allei­ne bewohn­te. Mar­tha erin­ner­te sich an den Geruch nach fei­nem Tee und Gebäck. 

Die Rou­te dort­hin, die ihr Tele­fon aus­such­te, war nicht ganz nach Mart­has Geschmack – statt der Rad­ex­press­rou­ten, die es fast über­all in der Stadt gab, muss­te sie durch Wohn­stra­ßen und ver­kehrs­be­ru­hig­te Zonen fah­ren. Immer­hin gab es eine öffent­li­che Fahr­rad­ga­ra­ge direkt neben Dr. May­mo­ths Haus. Also los.

„Mist­kerl!“, fauch­te Mar­tha. Ein alter­tüm­li­ches Mons­ter, ein ben­zin­be­trie­be­ner roter Por­sche, hat­te sie an der Ein­fahrt zur Sei­te gedrängt und kam wei­ter unten auf der Wohn­stra­ße mit krei­schen­den Brem­sen zum Ste­hen. Mar­tha ver­ge­wis­ser­te sich mit einem Blick auf das Tele­fon in der Navi­ga­tor­hal­te­rung am Rad: genau dort, wo der Por­sche park­te, wohn­te Dr. May­mo­th. Mit ihrer ID-Kar­te öff­ne­te sie die Fahr­rad­ga­ra­ge – eine Hoch­ga­ra­ge mit Auf­zug. Von hier oben hat­te sie einen guten Blick auf die men­schen­lee­re Spiel­stra­ße. Aus dem Por­sche war jetzt eine von Kopf bis Fuß in rotes Leder geklei­de­te Per­son aus­ge­stie­gen – eine Art Motor­rad­fah­rer­kluft. Sie ging ein­mal um das Auto her­um, setz­te sich einen ver­spie­gel­ten Helm auf und schien den Sitz einer Pis­to­le in einem Half­ter zu prü­fen. Mar­tha konn­te erken­nen, dass am Lenk­rad des urtüm­li­chen Ben­zi­ners noch jemand saß. Die Per­son mit der Pis­to­le schien auf jemand oder etwas zu war­ten, jeden­falls lehn­te sie sich jetzt an die Sei­te des Wagens und trom­mel­te mit der frei­en Hand unge­dul­dig auf das Autodach. 

Das Sur­ren eines hoch­get­un­ten Tes­la-Rol­lers durch­brach die Stil­le. Der Fah­rer war ganz ähn­lich geklei­det wie die Per­son aus dem Por­sche: rote Motor­rad­le­der­kluft, ver­spie­gel­ter Helm. Offen­sicht­lich war er es, auf den der Por­sche gewar­tet hat­te. „Alles klar?“ – „Alles klar!“ Was auch immer es war, was die bei­den vor hat­ten – auf Unau­fäl­lig­keit leg­ten sie kei­nen Wert.

Sie mar­schier­ten zur Tür von Dr. May­mo­ths Haus, die Per­son mit der Pis­to­le – Mar­tha konn­te jetzt sehen, dass es eine Frau war – ein Stück hin­ter dem Rol­ler­fah­rer. Sie klin­gel­ten. Mar­tha über­leg­te, was sie tun konn­te. War sie selbst in Gefahr? Das obe­re Stock­werk der Fahr­rad­ga­ra­ge war mit einem von wil­dem Wein berank­ten Bleck­git­ter umge­ben. Unwahr­schein­lich, dass die Por­sche­fah­re­rin sie hier oben sehen konn­te. Aber vor­her, als er sie abge­drängt hat­te? Oder war das für den nur irgend­ein Fahr­rad? Sie beschloss, sich sicher­heits­hal­ber nicht sehen zu las­sen. Ihr blieb nichts übrig, als die Sze­ne zu beob­ach­ten, die sich jetzt abspielte. 

„Auf­ma­chen!“, brüll­te der Rol­ler­fah­rer in die Sprech­an­la­ge. Er trug einen ver­chrom­ten Zylin­der bei sich. Mar­tha mein­te, einen Unter­druck­si­cher­heits­be­häl­ter für orga­ni­sche Nano dar­in zu erken­nen. Dr. May­mo­th öff­ne­te die Tür. Sie wirk­te nicht im gerings­ten über­rascht, soweit Mar­tha das erken­nen konn­te. Sie sprach, aller­dings zu lei­se, als dass Mar­tha etwas davon ver­ste­hen konn­te. Ins­ge­samt wirk­te Dr. May­mo­th auf sie wie eine, die sich ihrem Schick­sal erge­ben hat.

Der Rol­ler­fah­rer kann­te offen­bar nur eine Ton­la­ge, näm­lich laut. Ihn konn­te Mar­ta gut hören: „Ich muss dich nicht an unse­re Abma­chung erin­nern, oder? Stell dich also nicht so an! Du weißt, was wir gegen dich in der Hand haben!“

Jetzt rede­te Dr. May­mo­th wie­der – offen­sicht­lich zur Zufrie­den­heit des Rol­ler­fah­rers. „Gut – hier ist die letz­te Lie­fe­rung. Wenn der Beweis da ist, ver­nich­ten wir die Unter­la­gen. Wir hal­ten uns näm­lich an unse­re Deals.“ 

Damit drück­te er Dr. May­mo­th den glän­zen­den Zylin­der in die Hand und mach­te ohne wei­te­ren Gruß kehrt. Die Haus­tü­re schloss sich, und der rote Por­sche und der rote Elek­tro­rol­ler braus­ten in unter­schied­li­che Rich­tun­gen davon. In der Fahr­rad­ga­ra­ge atme­te Mar­tha auf. Die direk­te Gefahr war vor­bei. Offen­sicht­lich wur­de Dr. May­mo­th erpresst. 

(to be continued)

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