Kurz: Dystopische Einflussnahme

Irgend­wie habe ich die Ansa­ge ver­passt, dass wir jetzt ins cyber­punk-dys­to­pi­sche abbie­gen. Etwas zuge­spitzt: die klas­si­schen Mas­sen­me­di­en wur­den durch algo­rith­misch und durch ihre Eigen­tü­mer direkt-mani­pu­la­tiv steu­er­ba­re sozia­le Medi­en ersetzt, und die wer­den jetzt eben­so wie enor­me Wahl­kampf­spen­den, Schat­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen und sogar kom­plet­te Fake-News­si­tes dazu genutzt, die Demo­kra­tie zu desta­bi­li­sie­ren. Dahin­ter ste­cken teil­wei­se staat­li­che Akteu­re – wenn etwa Russ­land nicht nur Le Pen und die AfD (und das BSW?) unter­stützt, son­dern über Tik­Tok etc. es auch fast geschafft hät­te, einen rechts­extre­men Prä­si­den­ten in Rumä­ni­en zu instal­lie­ren. Oder es sind Akteu­re wie der reichs­te Mann der Welt, Elon Musk, der jetzt klar sagt, dass er faschis­ti­sche Par­tei­en toll fin­det, der sein Netz­werk „X“ kom­plett dar­auf aus­ge­rich­tet hat, die­se zu pushen – und der mas­sig Geld in die Hand nimmt, um in den USA Trumps Wie­der­wahl und in Groß­bri­tan­ni­en die rechts­extre­me Reform-UK nach vor­ne zu bringen.

Bun­des­tags­wahl 2025 – und wir gucken die­sen Mani­pu­la­ti­ons­be­stre­bun­gen eher hilf­los zu. Die CDU (Spahn, Lin­ne­mann) fin­den Trumps Wahl­kampf kopie­rens­wert. Musk spricht sich für die AfD aus und wird dar­auf­hin von Lind­ner ange­bet­telt, der sich als Ver­tre­ter einer rechts­li­ber­tä­ren Poli­tik a la Milei pro­fi­lie­ren möch­te. Der öffent­lich-recht­li­che Rund­funk lädt wäh­rend­des­sen wei­ter mun­ter die AfD in Talk­shows ein und ver­wi­ckelt sich in Debat­ten, um „Tün­kram“ (Scholz über Merz) oder die Beschimp­fun­gen durch Merz schlim­mer sind. Das nimmt fast lori­ot-bade­wan­nen­taug­li­ches For­mat an. Nur: eigent­lich ste­hen wir gra­de vor ganz ande­ren Her­aus­for­de­run­gen. Rus­si­scher Info­krieg mit Fehl­in­for­ma­tio­nen, die es bis in Reden der CDU und Kom­men­ta­re der ARD (von Trump kopie­ren …) schaf­fen. Kli­ma­kri­se mit einem Aus­maß an Beschleu­ni­gung, das dann doch lie­ber igno­riert wird. Von Koali­tio­nen und Dul­dun­gen mit/durch BSW ganz zu schwei­gen. Zwar bes­ser als die AfD, aber so rich­tig demo­kra­tisch wirkt die­se Kader­par­tei auch nicht.

Klei­ner Licht­blick: Ver­an­ke­rung der Grund­ele­men­te des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­auf­baus im Grund­ge­setz. Das dürf­te zumin­dest eine direk­te Wie­der­ho­lung des Supre­me-Court-Mas­sa­kers erst ein­mal aus­schlie­ßen. Aber in der Sum­me bleibt Ent­set­zen dar­über, wann wir eigent­lich in die Dys­to­pie abge­bo­gen sind. 

P.S.: Ach ja, und die zuneh­men­de Über­nah­me des Net­zes durch Sprach­ma­schi­nen hät­te ich auch noch erwäh­nen können …

Bundestag XXS

Wenn dann tat­säch­lich am 23. Febru­ar 2025 gewählt wird, wird dies die ers­te Bun­des­tags­wahl nach dem von der Ampel refor­mier­ten Bun­des­tags­wahl­recht sein. Eck­punk­te die­ses refor­mier­ten Wahl­rechts sind: die Sitz­zahl wird auf 630 fest­ge­legt. Es gibt eine 5%-Hürde (nur Par­tei­en, die bun­des­weit min­des­tens fünf Pro­zent der Zweit­stim­men errei­chen, wer­den berück­sich­tigt) und nach Inter­ven­ti­on des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts eine Grund­man­dats­klau­sel (die 5%-Hürde gilt nur dann, wenn eine Par­tei weni­ger als drei Direkt­man­da­te errun­gen hat). Es gibt 299 Direkt­wahl­krei­se. Die Ober­ver­tei­lung fin­det nach dem bun­des­wei­ten Zweit­stim­men­wahl­er­geb­nis nach Sain­te-Lague statt. Inner­halb einer Par­tei erfolgt eine Unter­ver­tei­lung wie­der­um nach Sain­te-Lague auf die Lan­des­lis­ten je nach Zahl der auf die­se ent­fal­len­den Zweitstimmen.

Neu ist nun das Ver­hält­nis von Direkt­man­da­ten und Zweit­stim­men­sit­zen. Galt bis­her, dass jedes über die Erst­stim­me errun­ge­ne Direkt­man­dat in den Bun­des­tag führt – was auf­grund des (par­ti­el­len) Aus­gleichs der so ent­ste­hen­den Über­hang­man­da­te zur deut­li­chen Ver­grö­ße­rung des Bun­des­tags in den letz­ten Legis­la­tur­pe­ri­oden geführt hat – gilt dies nun nur bis zu der laut Ober- und Unter­ver­tei­lung gege­be­nen Sitz­zahl der Par­tei im jewei­li­gen Bun­des­land. Dies erfolgt nach dem Anteil der Erst­stim­me im Wahl­kreis (die stärks­ten Wahl­krei­se einer Par­tei zie­hen also zuerst ein). Rest­li­che Sit­ze wer­den dann gemäß der Rei­hung auf der Lan­des­lis­te verteilt.

Zudem gibt es Son­der­re­geln: zie­hen Einzelbewerber*innen ein, ver­rin­gert sich die Zahl der nach die­sem Sys­tem zu ver­ge­ben­den Sit­ze ent­spre­chend. Und erringt eine Par­tei die abso­lu­te Mehr­heit der Zweit­stim­men, aber nicht die abso­lu­te Mehr­heit der Sit­ze, erhält die­se zusätz­li­che Sit­ze, bis die Mehr­heit auch der Sit­ze her­ge­stellt ist.

Hat eine Par­tei weni­ger Direktmandate/Listenplätze auf­ge­stellt als ihr nach dem Ergeb­nis zuste­hen, ver­klei­nert sich der Bun­des­tag. Mehr als 630 Sit­ze sind nur mög­lich, wenn der gera­de beschrie­be­ne Fall ein­tritt, dass eine Par­tei die abso­lu­te Mehr­heit der Stim­men erreicht. Damit soll­te die­ses Sys­tem also zu einer effek­ti­ven Kap­pung füh­ren. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die aus­ge­setz­te Grund­man­dats­klau­sel wie­der ein­ge­setzt (als Zwi­schen­lö­sung bis zu einer Ände­rung der 5%-Hürde), abge­se­hen davon die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit bestätigt. 

Was sind nun die kon­kre­ten Fol­gen des neu­en Wahl­rechts? Dazu las­sen sich ver­schie­de­ne Modell­rech­nun­gen durch­füh­ren. Zunächst ein­mal neh­me ich dazu das Ergeb­nis der Bun­des­tags­wahl 2021 (ohne Berück­sich­ti­gung der Ände­run­gen durch die Wie­der­ho­lungs­wahl in Ber­lin). „Bun­des­tag XXS“ weiterlesen

Feldschlacht, D‑Day, Pyramide

Es geschieht nicht jeden Tag, dass ein neu­es Meme gebo­ren wird. Ges­tern war die FDP (Feld­schlacht, D‑Day, Pyra­mi­de) so freund­lich. Und natür­lich ging es da nicht um Rosen­kohl, son­dern um den geplan­ten und von lan­ger Hand vor­be­rei­te­ten Ampel-Bruch. Regie­ren, um nicht zu regie­ren – dass das Mot­to der FDP war, ließ sich ahnen, fast schon seit Beginn der Ampel-Regie­rung. ZEIT und Süd­deut­sche deck­ten dann auf, wie inten­siv die­ses Lie­ber-nicht-Regie­ren in den Füh­rungs­zir­keln der FDP ven­ti­liert wur­de. Den Begriff „D‑Day“, der in die­sen Berich­ten vor­kam, ließ Lind­ner demen­tie­ren. Eine Nach­richt sah er nicht.

Ges­tern gab es dann Berich­te von Table.Media , auf die die FDP – war­um auch immer – mit der Ver­öf­fent­li­chung des Feld­schlacht-D-Day-Pyra­mi­den-Doku­ments, bzw. stil­echt und genau­er: der Power­point-Prä­sen­ta­ti­on – reagier­te. (Autor laut Doku­men­ten­ei­gen­schaf­ten des PDF übri­gens: Cars­ten Rey­mann, Bun­des­ge­schäfts­füh­rer der FDP, zuvor Büro­lei­ter Chris­ti­an Lindner.)

Und die­ses Doku­ment hat es in sich. Nicht nur, dass es klar auf­deckt, dass Lind­ner und Djir-Sarai gelo­gen haben, wenn sie behaup­tet haben, dass Begrif­fe wie „D‑Day“ nicht ver­wen­det wur­den. Es wird auch, um im Duk­tus der Prä­sen­ta­ti­on zu blei­ben, deut­lich, dass es eine gene­ral­stabs­mä­ßi­ge Pla­nung gab. Oder soll man sagen: dass es eine möch­te­gern-gene­ral­stabs­mä­ßi­ge Pla­nung gab? Denn letzt­lich hat das ja alles über­haupt nicht so funk­tio­niert, wie Lind­ner und sei­ne Par­tei sich das vor­ge­stellt haben: Scholz ist der FDP zuvor gekom­men (mit dem Zeit­punkt, den eigent­lich die FDP nut­zen woll­te); das Nar­ra­tiv der „bösen Ampel“ und des „Auf­op­ferns für das Land“ will selbst in den Talk­shows nicht so recht ver­fan­gen – und die Kon­kur­renz ist für die vor­ge­zo­ge­ne Wahl deut­lich bes­ser auf­ge­stellt als die Par­tei mit dem Pyramidenschema. 

Es bleibt span­nend, ob die FDP erneut aus dem Bun­des­tag fliegt. Nach die­ser Per­for­mance hät­te sie es sowas von ver­dient. „Die Atmo­sphä­re muss ernst­haft aber nicht getrie­ben wir­ken.“ – hat nicht geklappt. Und Poli­tik, die die eige­ne Per­son und die Par­tei ganz nach vor­ne stellt, hat hier doch einen deut­li­chen Dämp­fer bekom­men. Viel­leicht hät­te es sich gelohnt, sich auf die Sach­aus­ein­an­der­set­zung ein­zu­las­sen, das Regie­rungs­pro­jekt ernst zu neh­men – statt über Mona­te hin­weg nur zu blockieren? 

Dazu kommt, dass das neue Wahl­recht Leih­stim­men­kam­pa­gnen deut­lich unat­trak­ti­ver macht, als das bis­her der Fall war. Ent­spre­chend hat ja auch die Uni­on schon ange­kün­digt, für sich zu kämp­fen und kei­ne Wer­be­kam­pa­gne für die klei­ne gel­be Par­tei zu machen.

Die gute Nach­richt: es gibt Gegen­ef­fek­te. Dass wir Grü­nen seit dem 6. Novem­ber über 20.000 neue Mit­glie­der dazu gewon­nen haben, ist so ein Gegen­ef­fekt (allein in mei­nem Orts­ver­band sind vier dazu­ge­kom­men – macht bei gut 40 Mit­glie­dern bis­her etwas um die zehn Pro­zent Zuwachs). Viel­leicht lohnt es sich ja doch, ernst­haft regie­ren zu wollen.

Ampel schaltet auf Notbetrieb

Was für eine Woche, oder eigent­lich: was für ein Tag! Am Mor­gen des 6. Novem­ber 2024 wird klar, dass Donald Trump nicht nur die Prä­si­dent­schafts­wahl klar gewinnt, son­dern auch durch­re­gie­ren kann und eine Mehr­heit der popu­lar vote haben wird. Am Abend des sel­ben Tages dann die Ent­las­sung des Finanz­mi­nis­ters und eine der weni­gen in Erin­ne­rung blei­ben­den Reden des Bun­des­kanz­lers (war­um erst da?). 

Die Ampel schal­tet nun tat­säch­lich in den Not­be­trieb. Das war zwar immer mal wie­der ver­mu­tet wor­den – dass es am Mitt­woch­abend dazu kam, war trotz­dem uner­war­tet. Chris­ti­an Lind­ner hat­te wohl einen etwas ande­ren Zeit­plan im Kopf. Trotz Feh­de­hand­schuh Wirt­schafts­pa­pier wirk­te er über­rascht, dass der Kanz­ler ihn tat­säch­lich vor die Tür setz­te. Und eben­so über­ra­schend folg­ten nur zwei der drei FDP-Minister*innen ihrem Parteichef. 

Umge­hend wur­de nach­be­setzt – für eine rot-grü­ne Min­der­heits­re­gie­rung mit unkla­rem Ablauf­da­tum. Das Gezer­re über den Ter­min der Ver­trau­ens­fra­ge wirkt unwür­dig und so, als sei­en alle Sei­ten nur auf ihren jewei­li­gen Vor­teil bedacht. Am absur­des­ten die Uni­on, die einer­seits mög­lichst sofort wäh­len las­sen möch­te, aber ande­rer­seits noch weit hin­ten dran ist mit Lis­ten­par­tei­ta­gen und Nomi­nie­run­gen. Mit Blick auf das Innen­le­ben von Par­tei­en und Wahl­be­hör­den und mit den ja durch­aus begrün­de­ten Fris­ten ist die von Olaf Scholz vor­ge­schla­ge­ne Wahl Ende März sinnvoll. 

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Zweieinhalb Landtagsbücher

Titel

Bei aller tages­po­li­ti­scher Auf­re­gung füllt Lan­des­po­li­tik nicht jeden Tag aus. Inso­fern ver­wun­dert es nicht, dass im Umfeld des Land­tags auch das eine oder ande­re Buch ent­steht. Nicht jedes davon ist so gelun­gen und wirk­mäch­tig wie Mon­r­epos, muss es aber auch nicht, um doch den einen oder ande­ren Ein­blick zu geben. In die­ser Woche, in der die Tages­po­li­tik von grü­nen Rück­trit­ten und Neu­auf­stel­lun­gen wim­mel­te, sind mir zwei sol­che Bücher begeg­net. Ein drit­tes (der Ent­hül­lungs­ro­man Der Beam­te Wie­ler der ehe­ma­li­gen Land­tags­pres­se­spre­che­rin Gabrie­le Renz) ist angekündigt.

Die bei­den Bücher, die ich in in die­ser tur­bu­len­ten Woche gele­sen habe, sind höchst unter­schied­lich – ein Sach­buch, ein Roman, eines blickt auf die SPD, eines vor allem auf die FDP – aber sie eint die Per­spek­ti­ve ihrer Autoren, die jeweils aus einer gewis­se Distanz auf ihre Frak­tio­nen bli­cken. Mar­tin Mend­ler war bis Okto­ber 2017 lang­jäh­ri­ger Pres­se­spre­cher der SPD-Frak­ti­on und wur­de danach als von der SPD als Bera­ter für Wis­sen­schaft ein­ge­setzt; Micha­el Haas schied fast gleich­zei­tig – aller­dings schon nach nur einem Jahr – als Pres­se­spre­cher der FDP-Frak­ti­on aus (vgl. Mül­ler 2017; der dort erwähn­te Pres­se­spre­cher der Grü­nen hat­te sich als CDU-Par­tei­gän­ger entpuppt). 

Mend­ler hat ein umfang­rei­ches, über 500 Sei­ten star­kes Sach­buch zur Geschich­te der baden-würt­tem­ber­gi­schen SPD vor­ge­legt (mal ganz ehr­lich. Geschich­te und Poli­tik von Land­tags­frak­ti­on und Lan­des­par­tei der SPD Baden-Würt­tem­berg von 1952 bis 2022, Eigen­ver­lag, Kirchheim/Teck 2024). Der mate­ri­el­le Schwer­punkt liegt dabei auf der grün-roten Regie­rungs­zeit – rund 175 Sei­ten – und den Jah­ren direkt davor; die Anfangs­zeit der SPD wird – wohl auch man­gels Quel­len – nur recht knapp dar­ge­stellt. Es geht dabei nicht nur um die SPD-Lan­des­po­li­tik, son­dern eben­so um rele­van­te baden-würt­tem­ber­gi­sche SPD-Akteur*innen im Bund und den Koali­tio­nen mit SPD-Betei­li­gung. Die par­la­men­ta­ri­sche Arbeit ins­be­son­de­re anhand der Zahl der Gro­ßen Anfra­gen, der ein­ge­brach­ten Gesetz­ent­wür­fe (in Oppo­si­ti­ons­zei­ten legi­tim, in Regie­rungs­zei­ten ein frag­wür­di­ger Indi­ka­tor) und der vor­ge­brach­ten Rück­tritts­for­de­run­gen zu mes­sen, wäre mir jetzt nicht eingefallen. 

Der Fokus des Buchs liegt aller­dings eh auf den – in der Geschich­te der SPD zahl­rei­chen – per­sön­li­chen Feind­schaf­ten, Putsch­ver­su­chen und Pro­te­gie­run­gen. Das ist inso­fern ganz inter­es­sant, weil es doch deut­lich macht, wie die SPD tickt, wie sich Epp­ler, Mau­rer, Spö­ri, Schmie­del, Vogt, Schmidt – kurz­fris­tig Brey­mai­er und schlicht Stoch jeweils durch­ge­setzt haben, und was dabei an Deals ver­ein­bart und gebro­chen wur­de. Eben­so gibt das Buch einen Ein­schät­zun­gen dar­über ab, wel­che lan­des­po­li­ti­schen The­men zie­hen (Bil­dung!), wel­che Kam­pa­gnen in den Sand gesetzt wur­den (Kin­der­gar­ten­ge­büh­ren) und wie die „Schmach“, klei­ne­re Regie­rungs­par­tei zu sein, das Selbst­bild der SPD-Frak­ti­on in der grün-roten Regie­rungs­zeit geprägt hat – bis hin zur „Arro­ganz“, die dem grü­nen Regie­rungs­part­ner zuge­schrie­ben wird. Das alles mag nur für eine klei­ne Schnitt­men­ge an Men­schen mit Gewinn zu lesen sein. Den­noch ist es ver­dienst­voll von Mend­ler, all das in die­ser Detail­tie­fe auf­ge­ar­bei­tet zu haben. Das Buch ist kein Werk mit einem geschichts- oder poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Anspruch im enge­ren Sin­ne, gibt aber, viel­leicht auch sei­nem Samen­korn in einem Über­blick für eine Jubi­lä­ums­prä­sen­ta­ti­on, einen guten Abriss über 70 Jah­re Sozi­al­de­mo­kra­tie in einem Land, dass die SPD nie beson­ders freund­lich behan­delt hat. Inso­fern bleibt es selbst eine über­dau­ern­de Quel­le der Lan­des­ge­schich­te, nicht nur zur SPD, son­dern auch zum zeit­ge­schicht­li­chen Kon­text ins­be­son­de­re seit den 1980er Jahren.

Das zwei­te Buch, das ich die­se Woche gele­sen habe (und auf das ich nur gesto­ßen bin, weil Mend­ler es in einer Fuß­no­te erwähnt), ist schon 2021 erschie­nen, hat aber trotz Schlüs­sel­ro­man­an­spruch kei­ne grö­ße­re Wel­len geschla­gen, mir wären sie jeden­falls nicht auf­ge­fal­len. Micha­el Haas hat mit Kri­ti­sche Mas­se. Ein Par­la­ments­ro­man (Edi­ti­on Out­bird, Gera) sei­nen wohl ziem­lich trau­ma­ti­sie­ren­den Aus­flug in die Lan­des­po­li­tik auf­ge­ar­bei­tet; er hat für weni­ge Jah­re als Pres­se­spre­cher der baden-würt­tem­ber­gi­schen FDP/DVP-Frak­ti­on gearbeitet. 

Sein Buch will ein Gesell­schafts­bild zeich­nen; eigent­lich han­delt es sich dabei eher um eine Anein­an­der­rei­hung von über­be­lich­te­ten Vignet­ten als um einen Roman im enge­ren Sin­ne. Die Haupt­per­son, David (oder an einer Stel­le Cle­mens?) David­sohn wird Pres­se­spre­cher der VDP-Vor­sit­zen­den Tama­ra Troll, die sich in der Rol­le als laut­stark pol­tern­de, nar­ziss­ti­sche Oppo­si­ti­ons­kraft gegen die Regie­rung um den kau­zi­gen – oder sich kau­zig dar­stel­len­den Minis­ter­prä­si­den­ten Habe­dank von der Par­tei rege­ne­ra­ti­ver Moral gefällt. Das ganz spielt in Stern­heim, gekenn­zeich­net durch eine Bahn­hofs­bau­stel­le und einen Fetisch für den Auto­ver­kehr und die Auto­in­dus­trie. Man­che in der VDP sym­pa­thi­sie­ren mit der rechts­na­tio­na­len Volks-Refor­mier­ten Vater­lands-Par­tei. Und über allem thront die iko­ni­sche. lea­ne und zu Pro­duk­ti­vi­tät und Effi­zi­enz antrei­ben­de Füh­rer­fi­gur Kie­bich auf der Ber­li­ner Bühne. 

Der Schwä­bi­sche Hei­mat­bund sieht den Roman in einer Rezen­si­on „im Hass“ ver­fasst; jeden­falls wer­den Krän­kun­gen und auch der Ekel, den der Autor aus dem Poli­tik­be­trieb mit­ge­nom­men hat, über­deut­lich. Kari­kie­rend, zur Kennt­lich­keit ent­stel­len – das ist das eine, und man­cher Ein­blick endet da an der Ober­flä­che. Wie es über­haupt das Äuße­re, und ins­be­son­de­re das Kör­per­li­che, Haas ange­tan hat – wer auf der Sei­te des Bösen steht, hat schwit­zi­ge Hän­de, ist kor­pu­lent, trägt abge­schab­te Schu­he und Anzü­ge von der Stan­ge. (Neben­bei: moder­ne Archi­tek­tur kommt eben­falls nicht gut weg.) Neben den halb­wegs kennt­li­chen Figu­ren ste­hen Arche­ty­pen pro­vin­zi­el­ler Politiker*innen – etwas lang­wei­lig dabei, dass alle die sel­be Hin­ter­grund­ge­schich­te haben, näm­lich sich längst mit ihren Ehe­frau­en aus­ein­an­der­ge­lebt haben, aus Grün­den der Außen­wir­kung jedoch nicht geschie­den sind. Das wah­re Spek­trum mag da viel­fäl­ti­ger sein, und viel­leicht steckt dann doch zu viel Freud und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft in der betont fein­geis­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit den Nie­de­run­gen der Landtagspolitik.

Wenn das Buch nur das wäre, wäre es igno­rier­bar. Dort, wo beim Autor tat­säch­li­che Insi­der­kennt­nis­se zu ver­mu­ten sind, näm­lich bei der Innen­an­sicht der „VDP“, wird es inter­es­sant. Selbst wenn er hier deut­lich über­treibt, bleibt das Bild einer raff­gie­ri­gen, für die Wirk­lich­keit blin­den und in eige­ne Paro­len ver­lieb­ten Par­tei bzw. Frak­ti­on, die sich orga­ni­sa­to­risch an Hier­ar­chie, an Leis­tung und an ein dik­ta­to­ri­sches Ver­ständ­nis von Füh­rung klam­mert. Rund um den cha­ris­ma­ti­schen Bun­des­vor­sit­zen­den gibt es fast schon sek­ten­ar­ti­ge Züge samt Indok­tri­na­ti­on beim gro­ßen Zusam­men­kom­men in der Haupt­stadt. Wirt­schafts­nä­he ist bloß behaup­tet, die meis­ten Abge­ord­ne­ten glän­zen durch Inkom­pe­tenz. Und der Geist der unbe­ding­ten Leis­tungs­ori­en­tie­rung zieht sich, was wäre auch ande­res zu erwar­ten, durch: Mit­ar­bei­ten­de zeich­nen sich durch Intri­gen unter­ein­an­der aus, die Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on besteht aus teu­ren Abzieh­bil­dern des Vor­sit­zen­den. Hin­ter der Fas­sa­de der „VDP“ lau­ert die gro­ße Lee­re. Zu all dem kommt die Nähe zu Rechts­au­ßen, das Ein­for­dern sexu­el­ler Gefäl­lig­kei­ten und der Anti­se­mi­tis­mus, der der jüdi­schen Haupt­fi­gur entgegenschlägt. 

Dass das bei einer libe­ra­len Par­tei, bei einer ger­ne auch ein­mal rechts­li­be­ra­len Frak­ti­on so sein könn­te, hat man sich schon gedacht. Aber das ist dann doch noch­mal star­ker Tobak. Puh.

Poli­tik agiert im Medi­um Macht. Auch eine wer­te­ori­en­tier­te Par­tei wie mei­ne ist davon nicht aus­ge­schlos­sen. Trotz­dem neh­me ich nach fast drei­ßig Jah­ren Par­tei­mit­glied­schaft und im vier­zehn­ten Jah­ren Arbeit in der Land­tags­frak­ti­on doch immer noch war, dass wir ver­su­chen, den huma­nis­ti­schen Teil eines grü­nen Welt­bilds in den eige­nen Orga­ni­sa­tio­nen zu leben. Das schließt nicht aus, dass es Abge­ord­ne­te und ande­re poli­ti­sche Akteu­re gibt, die ähn­lich agie­ren, wie sie Mend­ler in Sach­lich­keit und Haas in sati­ri­scher Über­zeich­nung prä­sen­tie­ren. Und ja, ein Land­tag ist ein Par­la­ment, das nicht in jedem Poli­tik­feld Zustän­dig­kei­ten hat. Ganz so übel, wie sie hier gezeich­net wird, ist Poli­tik dann aller­dings doch nicht.