Leseprotokoll Juni 2017

Auch im Juni habe ich ein biss­chen was gele­sen – und Fern­se­hen geschaut. Genau­er gesagt: nach­dem ich Dr Who bis­her nur als pop­kul­tu­rel­les Phä­no­men kann­te (und ganz evtl. mit zwölf oder so im Eng­land-Aus­tausch mal eine der klas­si­schen Fol­gen in schwarz-weiß gese­hen habe), habe ich mir jetzt die dank Video-on-demand inzwi­schen über­all ver­füg­ba­re Serie ange­schaut. Na gut, nicht die gan­ze, son­dern spon­tan mal mit­ten­drin, sprich: die 2010 gelau­fe­ne Staf­fel. Und war doch sehr ange­tan davon. Was all denen, die Dr Who als sehr bri­ti­sche, sehr wild in Zeit und Raum manö­vrie­ren­de Sci­ence Fiction/Fantasy ken­nen, nicht neu ist. Wer­de ich wei­ter machen!

Und sonst so? Ein­mal Poli­tik, ein­mal Essays, zwei­mal SF&F.

„Lese­pro­to­koll Juni 2017“ weiterlesen

Nach der Digitalisierung: Was bleibt?

Small waterfall II

Ver­mut­lich muss ich den Titel die­ses Blog­bei­trags erklä­ren, und ver­mut­lich muss ich dafür etwas wei­ter ausholen. 

Aus­gangs­punkt ist die Art und Wei­se, wie wir – z.B. in der grü­nen Par­tei, oder in der Wis­sen­schaft, oder in den Medi­en – den Pro­zess der Digi­ta­li­sie­rung betrach­ten, ver­ste­hen und vor allem auch dar­stel­len. Immer wie­der fin­den sich da Bil­der wie das der (vier­ten indus­tri­el­len) Revo­lu­ti­on, der Zei­ten­wen­de, der neu­en Ära oder Epo­che. Der „digi­ta­le Wan­del“ ver­än­dert alles, kein Stein bleibt auf dem ande­ren, und was ges­tern noch galt, wird mor­gen unge­wiss sein. Das lässt sich jetzt zum einen auf ver­schie­de­ne Berei­che durch­de­kli­nie­ren – was macht „DeepT­ech“ (so der schö­ne Begriff, den Hol­ger Schmidt auf der Open! 2016 für die Kom­bi­na­ti­on aus Inter­net-der-Din­ge, Sen­so­rik, AR/VR, Künst­li­che Intel­li­genz und ver­teil­te Platt­form­mo­del­le präg­te) mit der Auto­mo­bil­in­dus­trie, wird die Arbeits­welt und der All­tag „in Zukunft“ ganz anders aus­se­hen als heu­te, ändern sich fun­da­men­tal nicht nur Bil­dung, Kom­pe­ten­zen und Kul­tur­tech­ni­ken, son­dern auch Vor­stel­lun­gen von Raum und Zeit, usw. usf. Das gan­ze lässt sich als tech­no­phi­le Uto­pie zeich­nen, oder als Mene­te­kel, als War­nung vor der gro­ßen Kata­stro­phe (Face­book zer­stört, Goog­le hat uns im Griff, …). 

„Nach der Digi­ta­li­sie­rung: Was bleibt?“ weiterlesen

Kurz: Faktencheck

Trump lügt – deut­lich mehr als ande­re US-Politiker*innen. Auch der hie­si­ge rech­te Rand – egal ob CSU oder AfD – fällt ger­ne mal durch den Fak­ten­check. Teils mit gro­bem Unsinn, teils mit an den Haa­ren her­bei­ge­zo­ge­nen Behaup­tun­gen, teils mit fein zise­lier­ten Ver­dre­hun­gen der Tat­sa­che. Wir erin­nern uns: de Mai­zie­re erfin­det Pro­zent­zah­len ohne Grund­la­ge. Und auch man­che Ple­nar­de­bat­te wür­de einen Fak­ten­check nicht bestehen.

Nur: das scheint nicht wei­ter zu inter­es­sie­ren. Sto­ry schlägt Wahr­heit, und je lau­ter das zum eige­nen Welt­bild pas­sen­de Gebrüll, des­to weni­ger inter­es­sie­ren die Fak­ten. Da kann sich z.B. das Netz noch so mühen – die „Das stimmt gar nicht? Dann über­le­ge ich es mir noch­mal anders.“-Fälle sind und blei­ben sel­ten. Der Wir­kungs­grad des mühe­vol­len, ehren­haf­ten, auf­klä­re­ri­schen Fak­ten­che­ckens scheint mir doch gering zu bleiben.

Und nun? Ver­zweif­lung? Zumin­dest das blö­de Gefühl, dass es nötig ist, mit der eige­nen Poli­tik nicht nur bei den Tat­sa­chen zu blei­ben, authen­tisch und wahr­haf­tig, son­dern zugleich auch noch die bes­se­re Geschich­te erzäh­len zu müs­sen, um anzu­kom­men. Und ohne der Ver­lo­ckung zu erlie­gen, sozia­le Kon­struk­ti­on der Wirk­lich­keit mit einer Lizenz zum frei­en Erfin­den der Din­ge zu verwechseln.

Photo of the week: Neon green

Neon green

 
Immer­hin das Moos leuch­tet grell­grün, und man­che Wie­se tut das auch. Ich war die­ses Wochen­en­de grün unter­wegs ‑in Ham­burg tag­te die Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik (u.a. zum Aus­tausch mit der Ham­bur­ger Wis­sen­schafts­se­na­to­rin Katha­ri­na Fege­bank, zur Debat­te über den Imbo­den-Bericht zur Exzel­lenz­in­itia­ti­ve, und zu einer ers­ten Ideen­fin­dung für das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm 2017). Und dann ging’s mit einer klei­nen Dele­ga­ti­on von Ham­burg nach Ber­lin, wir besuch­ten die BAG Ener­gie, um über Fusi­ons­for­schung zu dis­ku­tie­ren. Was durch­aus kon­tro­vers, alles in allem aber erfreu­lich sach­lich und niveau­voll statt­fand. Und dann im Nacht­zug wie­der nach Frei­burg zurück. Erhol­sam ist das nicht wirklich. 

Ökologische Verelendungstheorie

Cloudporn III

In die­ser Woche fin­det der „Earth Over­shoot Day“ statt – also der Tag, an dem der Res­sour­cen­ver­brauch des Jah­res das nach­hal­tig nutz­ba­re Res­sour­cen­bud­get des Jah­res über­schrei­tet. Idea­ler­wei­se soll­te er frü­hes­tens auf dem 31. Dezem­ber lie­gen, statt des­sen wächst der Res­sour­cen­ver­brauch, so dass er im Herbst und inzwi­schen deut­lich im Som­mer liegt. Jahr für Jahr rückt das Datum des Earth Over­shoot Days nach vor­ne. So weit die Fakten. 

Was mich umtreibt, ist etwas, was sich – je nach Lau­ne – als „TINA-Para­dig­ma“ der Öko­sze­ne oder als „öko­lo­gi­sche Ver­elen­dungs­theo­rie“ beschrei­ben ließe. 

TINA, „The­re is no alter­na­ti­ve“ stammt wohl von der frü­he­ren bri­ti­schen Pre­mier­mi­nis­te­rin Mar­ga­ret That­cher, aber auch Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel agiert ger­ne „alter­na­tiv­los“. In bei­den Fäl­len ist damit gemeint, dass die jewei­li­ge (neo­li­be­ra­le) Poli­tik den ein­zi­gen über­haupt denk­ba­ren Weg dar­stellt. Ange­sichts der öko­lo­gi­schen Fak­ten liegt es nahe, TINA zu über­neh­men: Die Welt muss öko­lo­gi­scher und nach­hal­ti­ger wer­den, oder sie wird unter­ge­hen. Klingt nach einer ein­fa­chen Wahr­heit, ist aber letzt­lich doch kom­pli­zier­ter – denn TINA könn­te auch „The­re is no auto­ma­tism“ heißen.

Das heißt: Aus den öko­lo­gi­schen Fak­ten folgt noch lan­ge kei­ne poli­ti­sche Ein­sicht, denn die­ser Wil­lens­bil­dungs­pro­zess fin­det nach wie vor in der poli­ti­schen Are­na statt, in der unter­schied­li­che Inter­es­sen, Welt­sich­ten und „Sach­zwän­ge“ auf­ein­an­der pral­len. Fak­ten im Sin­ne außer­so­zia­ler Tat­sa­chen spie­len bei der Mei­nungs­bil­dung eine Rol­le (Kret­sch­mann: „Gegen Zah­len lässt sich nicht anbrül­len!“) – aber sie sind eben nicht der ein­zi­ge Fak­tor. Was als wahr gilt, was wie inter­pre­tiert wird, was gese­hen und was aus­ge­blen­det wird, wel­cher Weg in Rich­tung Nach­hal­tig­keit als taug­lich ange­se­hen wird, und wel­cher nicht – hier haben wir es mit sozia­len Tat­sa­chen zu tun, die sich eben nicht auto­ma­tisch aus den schlich­ten Res­sour­cen­ver­brauchs­zah­len und deren Extra­po­la­ti­on erge­ben. Poli­tik braucht wei­ter­hin über­zeu­gen­de Akteu­re und Akteurinnen. 

Wenn öko­lo­gi­sche Poli­tik alter­na­tiv­los ist, dann heißt das also noch lan­ge nicht, dass nicht hart dar­an gear­bei­tet wer­den muss, die­se Alter­na­ti­ve auch tat­säch­lich zur im Dis­kurs domi­nan­ten poli­ti­schen Opti­on zu machen. Und sie dann auch noch umzusetzen.

Wenn TINA der Leit­stern der har­ten Neo­li­be­ra­len ist, dann ist die Ver­elen­dungs­theo­rie der Hoff­nungs­trä­ger einer bestimm­ten Sor­te von Mar­xis­tIn­nen. Zuge­spitzt und popu­la­ri­siert: der Kapi­ta­lis­mus wird letzt­lich durch eine zuneh­men­de Ver­schlech­te­rung der Lebens­be­din­gun­gen der Arbei­te­rIn­nen schon selbst dafür sor­gen, dass es zur gro­ßen Revo­lu­ti­on und zum Umschwung der Ver­hält­nis­se kommt. So etwas in der Art gibt es auch in grün – wenn Peak Oil über­schrit­ten ist, wenn die Böden aus­ge­laugt sind, wenn die Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung zusam­men­ge­bro­chen ist – spä­tes­tens dann, mit der gro­ßen Kri­se, wird der gro­ße Umschwung zu nach­hal­ti­gen und öko­lo­gi­schen Pro­duk­ti­ons- und Lebens­wei­sen kom­men. Weil’s halt ein­fach gar nicht anders geht, und dann jeder und jede die öko­lo­gi­sche Wahr­heit sehen wird.

Mal abge­se­hen davon, dass bei der Hoff­nung auf Ver­elen­dung immer auch Zynis­mus mit­schwingt, hal­te ich die eine wie die ande­re Vari­an­te die­ser Vor­stel­lung für falsch. Auch hier sind die Ver­hält­nis­se kom­pli­zier­ter, auch hier scheint es mir kei­ne Auto­ma­tis­men zu geben. Allein schon des­we­gen, weil die welt­wei­ten Chan­cen und öko­lo­gi­schen Abhän­gig­kei­ten so ungleich ver­teilt sind bzw. als unglei­che Ver­tei­lung geschaf­fen und auf­recht erhal­ten wur­den und wer­den. Zudem blei­ben Inno­va­ti­ons­kraft und gegen­läu­fi­ge Ten­den­zen unterbelichtet.

Unterm Strich bleibt die Aus­sa­ge, dass es dumm wäre, öko­lo­gi­sche Poli­tik auf die Hoff­nung auf Auto­ma­tis­men auf­zu­bau­en. Es bleibt die Not­wen­dig­keit – und das ist Arbeit – sich in den unter­schied­lichs­ten gesell­schaft­li­chen Are­nen wei­ter­hin selbst dar­um zu küm­mern, dass es in Rich­tung Nach­hal­tig­keit geht. Dar­auf, dass sich hier bereits eini­ges bewegt, dass es durch­aus auch posi­ti­ve Nach­rich­ten gibt, Hoff­nun­gen zu set­zen, erscheint mir weit­aus sinn­vol­ler, als es die men­ta­le Vor­be­rei­tung auf den „unaus­weich­li­chen“ öko­lo­gi­schen Kol­laps wäre. 

War­um blog­ge ich das? Weil es manch­mal hilf­reich ist, sich die Begren­zun­gen der poli­ti­schen Wirk­sam­keit außer­so­zia­ler Fak­ten vor Augen zu füh­ren. Selbst psy­cho­lo­gisch lässt sich ganz gut erklä­ren, war­um es manch­mal ein­fa­cher ist, kon­tra­fak­tisch auf z.B. einer unbe­ding­ten Wachs­tums­ori­en­tie­rung zu behar­ren, als die Gren­zen des Wachs­tums zur (poli­ti­schen) Kennt­nis zu nehmen.