Im Oktober hatte ich zuletzt über den Alltag in der Corona-Pandemie geschrieben. Seitdem ist viel passiert, und gleichzeitig fühlt es sich ein bisschen so an, als seien wir wieder genau an der gleichen Stelle.
Viel passiert ist, weil im November und Dezember die Infektionszahlen steil nach oben gegangen sind. Der „Wellenbrecherlockdown“ verfehlte sein Ziel, ziemlich zerknirschte Ministerpräsident:innen beschlossen dann nach und nach doch härtere Maßnahmen, um schließlich im Dezember die Weihnachtsferien vorzuziehen und den Präsenzunterricht auszusetzen. Die Weihnachtspause – so jedenfalls meine Interpretation – half dann, die zweite Welle tatsächlich zu brechen. Im Januar gingen die Zahlen nach unten. Ende Februar waren sie fast wieder auf dem Punkt vor der zweiten Welle. Weiterhin galten in Baden-Württemberg Ausgangsbeschränkungen. Trotz der Ankündigung der CDU-Kultusministerin, dass sie unabhängig von Inzidenzen die Schulen öffnen möchte, blieben diese zu. Dazu beigetragen hatten auch die ersten Nachweise für die gefährlicheren und ansteckenderen Virusmutationen – inzwischen machen sie den Großteil der nachgewiesenen Infektionen aus. Seit Ende Dezember begann die Impfkampagne, und auch wenn alle neidisch nach Israel oder in die USA blickten, die pragmatischer und schneller impften (und sich mehr Impfstoff gesichert hatten als die EU), sah es insgesamt doch so aus, als sei da Licht am Ende des Tunnels, um ein beliebtes Motiv aus den Sondersitzungsreden zu zitieren. Schnelltests für den Eigengebrauch wurden zugelassen, Schnellteststrategien ausgerollt. Entsprechend laut ertönten dann die Rufe nach Lockerungen durch den Einzelhandel, die Gastronomie, die Kulturbranche, durch einige Eltern – und als Sprachrohr: durch die Medien. Eine Mehrheit in Meinungsumfragen gab es für Lockerungen nie, trotzdem setzte sich, auch mit Blick auf die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Haltung durch, dass jetzt die Zeit für Öffnungen sei.
Deswegen stehen wir jetzt wieder da, wo wir im Oktober standen. Die Zahlen gehen rapide nach oben. Die dritte Welle hat längst begonnen. Bisher konnten sich die Ministerpräsident:innen nur zu halbherzigen Maßnahmen durchringen; einzelne Länder setzen noch nicht einmal die verabredete „Notbremse“ um, andere verkünden, dass ganze Land (ja, Saarland, du bist gemeint), zu einer Modellregion für Öffnungen zu machen. Der Versuch, die Osterpause zu verlängern, scheiterte an schlechter Vorbereitung, schlechter Kommunikation und dem Kompetenzwirrwarr zwischen Bund (Infektionsschutz) und Ländern (Feiertagsgesetze). Vor ein paar Tagen saß dann die Kanzlerin bei Anne Will und sprach ein Machtwort, vor allem in Richtung ihrer eigenen Ministerpräsidenten und Minister. Ob’s was hilft – da gehen die Meinungen auseinander.
Wenn ich mich so in meinem Umfeld umschaue, dann ist es common sense, dass trotz Impfungen der älteren Bevölkerung und trotz Teststrategie ein weiterer harter Lockdown zu erwarten ist. Bisher bleibt es bei Appellen an die Arbeitgeber:innen, doch bitte Home-Office zu ermöglichen. Das ist die eine Schraube, an der gedreht werden kann. Im Instrumentenkasten liegen ansonsten noch Ausgangssperren (über deren Wirksamkeit heftig gestritten wird) und härtere Kontaktbegrenzungen – derzeit sind Treffen zwischen zwei Haushalten erlaubt. Und mit der stärkeren Ansteckungsrate unter Kindern und Jugendlichen dank der Mutation B.1.1.7 geraten auch Schulen und Kindertagesstätten noch einmal in den Blick. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Öffnungen hier zurückgenommen werden (vor Ostern waren in Baden-Württemberg die Klassen 1–6 sowie die Abschlussklassen in Präsenz im Unterricht), bzw. dass sie nur dort erlaubt werden, wo die Inzidenzwerte niedrig genug sind (100, 200?) und wo eine umfangreiche Teststrategie zumindest dazu beiträgt, infizierte Schüler:innen schnell zu finden. Das hat in Österreich allerdings auch nur so halb geklappt.
Mit Blick auf meine eigenen Kinder bin ich da durchaus zwiegespalten. Meinem jüngeren Kind hat es gut getan, ein paar Wochen Präsenzunterricht gehabt zu haben. Das hat auch etwas damit zu tun, dass es viel einfacher ist, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, wenn Minecraft und Fortnite (das sind die Orte, wo mein Kind sich mit seinen Freund:innen trifft) nicht nur einen Mausklick entfernt sind. Und das ältere Teenagerkind war jetzt seit Weihnachten das erste Mal wieder in der Schule, um eine Mathearbeit zu schreiben – und hochbeglückt darüber, endlich einmal den Rest der Klasse wiederzusehen und nicht alleine zu versumpfen. Sie vermisst mehr oder weniger alles, was Fünfzehnjährige so machen.
Und gleichzeitig – trotz Pflicht, medizinische Masken im ÖPNV, in der Schule (und auch beim Einkaufen) zu tragen: da sind immer auch die Sorgen dabei.
Mit dem Impfen dauert es noch eine ganze Weile. Und die Berichte mehreren sich, dass die härtesten Fälle auf den Intensivstationen jetzt eher bei jüngeren Altersgruppen, also z.B. den 40–50-jährigen, auftreten. Gleichzeitig wird heftig über Long Covid und die möglichen Langzeitfolgen auch bei den wieder Genesenden diskutiert.
Meine Hoffnungen liegen in der Osterpause, die vermutlich nicht lang genug ist, aber den Anstieg der Infektionen vielleicht doch bremst – und in der politischen Vernunft, angesichts steigender Infektionszahlen und mit Zeitversatz dann volllaufenden Intensivstationen doch auf härtere Maßnahmen zu setzen. Portugal wird dafür als Beispiel angeführt. Und immer wieder schwirrt auch das Was-wäre-wenn durch den Raum – wenn es doch schon im Oktober einen echten Lockdown gegeben hätte, hätten dann Tote und schwer Erkrankte vermieden werden können?