Das grüne Distinktionsproblem

Green eggs I

Müs­lis und Ökos. Das gehör­te lan­ge zu den Kli­schees, wenn es um grü­ne Wäh­le­rIn­nen und Mit­glie­der ging. Oder, etwas arri­vier­ter, sozio­lo­gi­scher und mit einem Hauch Sozi­al­neid ver­se­hen: Ange­hö­ri­ge des post­ma­te­ria­lis­ti­schen Bür­ger­tums, die es sich leis­ten kön­nen, die Welt zu ret­ten. Poin­tiert: Anhän­ge­rIn­nen eines „Life­style of Health and Sus­taina­bi­li­ty“, kurz: Lohas, mit Glit­zer, Yoga-Flug­rei­sen und vega­ner Wellness. 

Ob Grü­ne „grau und bür­ger­lich“ gewor­den sind, dar­über lässt sich lan­ge strei­ten. Zumin­dest bis vor eini­gen Jah­ren – das ist mein Stand der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur – gab es durch­aus recht enge Über­schnei­dun­gen zwi­schen einer (wie auch immer gear­te­ten) Ori­en­tie­rung an im wei­tes­ten Sin­ne nach­hal­ti­gen Lebens­sti­len und Hal­tun­gen einer­seits und Sym­pa­thien für Bünd­nis 90/Die Grü­nen ande­rer­seits. Viel­leicht hat sich da was aus­ein­an­der­ge­lebt, in den letz­ten Jah­ren. Aber wenn wir nicht über tat­säch­li­che Prak­ti­ken spre­chen, son­dern über vor­herr­schen­de Bil­der – auch Selbst­bil­der? – dann ist das mit der dis­kur­si­ven Domi­nanz des „Ökos“ gar nicht so weit weg, wenn über Grü­ne gespro­chen wird. 

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Kreistagswahlergebnisse 2014 in Baden-Württemberg (korrigiert)

Ich habe die vor­lie­gen­den grü­nen Ergeb­nis­se zur Kreis­tags­wahl (z.T. sta­tis­ti­sches Lan­des­amt, z.T. Mel­dun­gen der ein­zel­nen Land­krei­se) und zur Kom­mu­nal­wahl in den Städ­ten mal gra­fisch auf­be­rei­tet – da nicht in allen der 1101 Gemein­den Grü­ne ange­tre­ten sind, und da zudem viel­fach grün-nahe Lis­ten auf­tre­ten, erscheint mir die­ses Bild auf­schluss­rei­cher als die lan­des­wei­te Gemein­de­sta­tis­tik. Nicht sicht­bar wird hier, dass Grü­ne im Ver­gleich zu 2009 fast über­all zuge­legt haben – das hat auch etwas damit zu tun, dass Ergeb­nis­se wie „16 Pro­zent“ inzwi­schen als „nor­mal“ erschei­nen. Sicht­bar wird in der Kar­te auch, wo bis zur Land­tags­wahl noch etwas gesche­hen muss …

Kreistagswahlen 2014: Grüne Ergebnisse in den Land- und Stadtkreisen
Zugrun­de­lie­gen­de Kar­te: Baden-Würt­tem­berg-Loca­ti­on-Map, CC-BY-SA von Ssch und Kju­nix

Neu: Die in der Kar­te dar­ge­stell­ten Zah­len für die Land­krei­se beru­hen auf Anga­ben des Sta­tis­ti­schen Lan­des­am­tes, für den Land­kreis Karls­ru­he und für den Boden­see­kreis lie­gen die­se noch nicht vor. Wäh­rend dort die Daten aus den Schnell­mel­dun­gen der Land­krei­se ange­ge­ben sind (Stim­men Grü­ne / gül­ti­ge Stim­men), ver­wen­det das Sta­tis­ti­sche Lan­des­amt „gleich­wer­ti­ge Stim­men“ und berech­net den Anteil dar­an. Das bedeu­tet, dass Ver­zer­run­gen durch unter­schied­lich gro­ße Wahl­kreis­zu­schnit­te in den ein­zel­nen Land­krei­sen her­aus­ge­rech­net wer­den. Dadurch erge­ben sich Dif­fe­ren­zen zu den Schnell­mel­dungs­er­geb­nis­sen. Bei­spiel Land­kreis Tübin­gen: Ohne die­se Kor­rek­tur liegt der Land­kreis bei 24,7 % „grün“, dies kommt u.a. dadurch zustan­de, dass die Stadt Tübin­gen als Land­kreis-Wahl­kreis über­re­prä­sen­tiert ist. Wer­den die­se unter­schied­li­chen Gewich­tun­gen her­aus­ge­rech­net, ergibt sich der hier dar­ge­stell­te Wert von 21,8 %.

Nur in den Land­krei­sen Freu­den­stadt (-0,9 Pro­zent­punk­te), Reut­lin­gen (-0,7 Pro­zent­punk­te) und Zol­lernalb (-0,2 Pro­zent­punk­te) ver­lie­ren die Grü­nen gegen­über 2009, bezo­gen auf die gleich­wer­ti­gen Stim­men, in allen ande­ren Land­krei­sen gibt es Zuge­win­ne zwi­schen 0,3 und 4,0 Pro­zent­punk­ten, letz­te­res in Sig­ma­rin­gen. In den Stadt­krei­sen Frei­burg (+0,4), Mann­heim (+0,4), Pforz­heim (+0,7), Ulm (+0,9), Baden-Baden (+2,1), Heil­bronn (+2,2) und Hei­del­berg (+4,7) gibt es Zuwäch­se, wäh­rend es in Karls­ru­he (-0,2) und Stutt­gart (-1,3) Ver­lus­te gegen­über 2009 gibt.

Kurz: Lokal schlägt bundesweit?

Die­ses Jahr fan­den die Euro­pa­wah­len ja in eini­gen Bun­des­län­dern gekop­pelt mit Kom­mu­nal­wah­len statt. Dabei ist eine deut­li­che Dis­kre­panz sicht­bar zwi­schen den grü­nen Ergeb­nis­sen, die für die Euro­pa­wahl erzielt wer­den konn­ten (ins­ge­samt sind es ja 10,7 % gewor­den) und den kom­mu­na­len Ergeb­nis­sen. Das ist jetzt inso­fern schwer zu ver­glei­chen, als Grü­ne nach wie vor nicht flä­chen­de­ckend kom­mu­nal antre­ten. Zudem ste­hen – zumin­dest in den Län­dern mit einem etwas kom­pli­zier­te­ren Aus­zähl­ver­fah­ren – die end­gül­ti­gen Kom­mu­nal­wahl­er­geb­nis­se noch nicht fest. 

Als Ein­druck setzt sich jedoch fest, dass wir da, wo wir antre­ten, kom­mu­nal teil­wei­se rich­tig stark sind, dass sich das – und das ist jetzt kein rei­nes Baden-Würt­tem­berg-Phä­no­men – nur bedingt in bun­des­wei­te Stim­men umsetzt. Bei­spiels­wei­se wur­den im Land­kreis Breis­gau-Hoch­schwarz­wald bei der Euro­pa­wahl 16,3 Pro­zent erzielt. Die Ergeb­nis­se für die grü­nen Kom­mu­nal­wahl­lis­ten lie­gen fast über­all, wo wir für Gemein­de­rä­te ange­tre­ten sind, deut­lich dar­über (ich habe bis­her eine Spann­wei­te von 15,1 % bis – Son­der­fall Merz­hau­sen – fast 50 % gese­hen). Das ist nicht nur ein Effekt davon, dass nach wie vor in vie­len Gemein­den im Land­kreis kei­ne grü­nen Lis­ten antre­ten. Auch in den Orten mit grü­ner Lis­te lag das Euro­pa­wahl­er­geb­nis (ähn­li­ches gilt für die Bun­des­tags­wahl) deut­lich unter­halb des jewei­li­gen kom­mu­na­len Listenergebnisses.

Wenn sich die­se Beob­ach­tung ver­all­ge­mei­nern lässt, wäre zu fra­gen, was für ein Mecha­nis­mus dahin­ter steht. Klar: Es gibt in vie­len klei­ne­ren Gemein­den weni­ger Aus­wahl. Wer bei der Euro­pa­wahl Lin­ke, Tier­schutz­par­tei oder Pira­ten gewählt hat, wählt dann viel­leicht kom­mu­nal grün. Reicht das zur Erklä­rung die­ser Beob­ach­tung aus – oder gibt es tat­säch­lich so etwas wie eine uns zuge­schrie­be­ne Kom­mu­nal­kom­pe­tenz, ein Pro­blem­lö­sungs­ver­trau­en, dass sich auf kon­kre­te Poli­tik vor Ort bezieht, sich aber nicht in der bun­des­wei­ten, v.a. medi­al ver­mit­tel­ten Wahr­neh­mung spiegelt?

P.S.: The­se 2 – für die SPD gilt das Gegenteil.

Kurz: Servicelinks zum grünen Wahlsonntag Europa – Freiburg – Südbaden

Die Stim­men zur Euro­pa­wahl sind in Frei­burg aus­ge­zählt – mit 27,7% lie­gen Grü­ne hier vor­ne*, haben aller­dings fast 5 Pro­zent­punk­te gegen­über 2009 ver­lo­ren. Im Land­kreis Breis­gau-Hoch­schwarz­wald ging es von 18,7 % auf 16,3 %. Und lan­des­weit wer­den der­zeit (etwa zwei Drit­tel der Krei­se aus­ge­zählt) 1,5 Pro­zent­punk­te Ver­lust gehan­delt (Ergeb­nis­se in den ein­zel­nen Land- und Stadt­krei­sen). Ins­ge­samt passt das gut ins Bild die­ser Euro­pa­wahl, bei der wir Grü­ne in Deutsch­land mit einem blau­en Auge davon­ge­kom­men sind – bes­ser als bei der Bun­des­tags­wahl, aber deut­lich schlech­ter als 2009 (Wahl­sei­te Tages­schau). Mit etwas Glück wer­den es 11 Sit­ze – dann ist Maria Heu­buch als baden-würt­tem­ber­gi­sche grü­ne EP-Kan­di­da­tin drin.

Einen Über­blick über die lan­des­wei­ten Hoch­rech­nun­gen gibt es wie immer bei Wahlrecht.de. Die euro­pa­wei­ten Daten sam­melt Elec­tion­is­ta (Twit­ter-Account); eine Über­sicht gibt es als Goog­le Doc. Auch auf Euro­pean Greens gibt es eini­ge Resul­ta­te aus ganz Euro­pa (in Schwe­den z.B. sind Grü­ne zweit­stärks­te Kraft gewor­den – in Frank­reich dage­gen lie­gen sie mit gut 10 % weit hin­ter der Front Natio­nal, die erschre­cken­de 25 % bekom­men haben soll).

Die Kom­mu­nal­wah­len wer­den in Frei­burg erst Mon­tag aus­ge­zählt. Da wird es span­nend, ob Grü­ne die stärks­te Frak­ti­on blei­ben, ob Frei­burg Lebens­wert sich als loka­le AFD erweist, und ob die SPD-Zuge­win­ne ein Schulz-Euro­pa-Ein­mal­ef­fekt waren („ein deut­scher Patri­ot für Euro­pa“), oder ob mehr dahin­ter steht. Auch aus dem Land­kreis ste­hen noch kei­ne Ergeb­nis­se zur Ver­fü­gung. Wenn sie da sind, soll­ten hier Infos zu fin­den sein:

* In mei­nem Stadt­vier­tel Rie­sel­feld ist das grü­ne Ergeb­nis rund 34 %, im Vau­ban wird mit 50,1 % bei der Euro­pa­wahl noch so gera­de eben die abso­lu­te Mehr­heit erreicht.

P.S. Kom­mu­nal­wah­len gab es auch in Groß­bri­tan­ni­en und Irland; in Bel­gi­en wur­de das Par­la­ment gewählt.

P.P.S. Eini­ge Gemein­den bie­tet die­ses Jahr die Ergeb­nis­se auch per App an.

Wahlwerbung im Briefkasten

Wahlwerbung

Nicht die schi­cken Spots, nicht die vie­len Köp­fe, die an Stra­ßen­la­ter­nen hän­gen – nein, wenn ich hier von Wahl­wer­bung spre­che, mei­ne ich das, was mein Brief­kas­ten so her­gibt. Es ist ja umstrit­ten, ob ein Auf­kle­ber „Kei­ne Wer­bung“ vor Wahl­wer­bung schützt. Par­tei­en und kom­mu­na­le Lis­ten sind ja schließ­lich – bekann­ter­ma­ßen – etwas ganz ande­res als schnö­de Wasch­mit­tel, Fit­ness­stu­di­os oder Billigangebote. 

Aus pro­fes­sio­nel­lem Inter­es­se sam­me­le ich ja, was ich in mei­nem Brief­kas­ten – der übri­gens kei­nen Auf­kle­ber trägt – so an Wahl­wer­bung fin­de. Bei die­ser Wahl ist es beson­ders viel. Ich habe mal durch­ge­zählt, geord­net nach Papierverbrauch:

  • Ein post­kar­ten­gro­ßes Zet­tel­chen (Fly­er­alarm oder so) von Jun­ges Frei­burg, auf dem sich die ers­ten vier Kan­di­da­tIn­nen vor­stel­len. Erin­nert an Wer­bung, die vor der Men­sa unter den Fahr­rad­ge­päck­trä­ger geklemmt wurde.
  • Ein bil­lig wir­ken­der A4-Wasch­zet­tel der AFD, ver­mut­lich deutsch­land­weit ver­teilt, erin­nert in der Hap­tik und Farb­ge­bung an Wer­bung für Auto­fens­ter oder Wasch­an­la­gen. „Nur wir sen­den die Bes­ten nach Euro­pa.“ Äh, nein.
  • Ein C6-lang-Fly­er von Frei­burg Lebens­wert, in dem vie­le Schlag­wor­te und Fotos der ers­ten zehn Plät­ze zu fin­den sind.
  • Ein C6-lang-Lepo­rel­lo der KULT mit Fotos aller Kan­di­da­tIn­nen und immer­hin fünf Sei­ten pro­gram­ma­ti­schem Text.
  • Ein Rechen­schafts­be­richt der FDP-Frak­ti­on im For­mat C6-lang-quer, dickes Papier, pro­fes­sio­nell gestaltet.
  • Ein gro­ßer Pro­spekt (A3) der Frei­en Wäh­ler, die umfang­reich über Pro­gramm und Kan­di­da­tIn­nen für die Wahl in Frei­burg infor­mie­ren. Dazu noch ein Ein­zel­fly­er (C6-lang) zwei­er Hand­wer­ker auf der FW-Liste.
  • Zwei Zei­tun­gen (Zei­tungs­druck auf Zei­tungs­pa­pier, viel rote Signal­far­be) der LINKE (Euro­pa) bzw. der Lin­ken Lis­te (Kom­mu­nal­wahl).
  • Zwei inno­va­tiv gefal­te­te Pro­duk­te der CDU (ein­mal ein dop­pel­tes Post­kar­ten­for­mat, das ist ein Kan­di­da­ten­fly­er, und ein­mal eine Art Stadt­plan, auf dem in äußerst pro­fes­sio­nel­ler Auf­ma­chung, auf Recy­cling­pa­pier, matt gedruckt, sämt­li­che Bewer­be­rIn­nen der CDU plus pro­gram­ma­ti­sche Aus­sa­gen zu fin­den sind).
  • Eine Post­kar­te eines Bewer­bers, ein C6-lang-Zet­tel­chen mit drei Kan­di­da­tIn­nen aus dem Stadt­teil und – wenn ich mich rich­tig erin­ne­re – schon vor eini­ger Zeit eine edel auf­ge­mach­te Bilanz­bro­schü­re der grü­nen Kom­mu­nal­frak­ti­on.
  • Und dann gibt es noch den eigent­li­chen Aus­lö­ser die­ses Blog­ein­trags – die SPD. Von der ich sage und schrei­be zehn Wer­be­kar­ten im Brief­kas­ten gefun­den habe. Dabei tritt die SPD nie als Lis­te ins­ge­samt auf, kann sie wohl auch nicht, son­dern es gibt einen klei­nen Pro­spekt (A5), in dem sich Kan­di­da­tIn­nen aus den umgren­zen­den Stadt­tei­len vor­stel­len, und dann noch ein­mal acht Sam­mel­post­kar­ten (C6-lang) und ein C6-lang-Fly­er, die jeweils einen Bewer­ber oder eine Bewer­be­rin vor­stel­len. Ich habe Platz 3 und Platz 18 jeweils dop­pelt, falls jemand tau­schen will. Ansons­ten noch 9, 11 und 14 (auf dicke­rem Papier), alle im Wahl­kampf-CI der SPD, sowie 13 in radi­kal abwei­chen­dem Design. Ach ja, und den Ein­zel­fly­er für Platz 6 nicht zu ver­ges­sen, der scheint beson­ders wich­tig zu sein.

Ob die­se Mate­ri­al­schlacht was bringt? Oder eher zu Ärger führt? Jeden­falls habe ich einen extrem inno­va­ti­ven Ver­bes­se­rungs­vor­schlag: Die Stadt bringt bei der nächs­ten Kom­mu­nal­wahl ein Sam­mel­al­bum her­aus, das güns­tig im Bür­ger­amt erwor­ben wer­den kann. Und dann darf mun­ter gesam­melt und getauscht wer­den, bis alle Lis­ten, die einem oder einer wich­tig sind, im Sam­mel­al­bum voll­stän­dig ein­ge­klebt sind, samt den Glit­zer-Extra-Sti­ckern mit den Haupt­aus­sa­gen zum Wahl­pro­gramm, und den Logos der Lis­ten mit Geruchs­ef­fekt. Alter­na­tiv wäre auch eine städ­ti­sche (oder viel­leicht gleich eine EU-wei­te?) Wahl­wer­benorm denk­bar, in cm² je Per­son defi­niert, immer im glei­chen For­mat. Das wür­de für Fair­ness und einen Fokus auf Inhal­te sor­gen, da bin ich mir sicher. Oder, als letz­te Mög­lich­keit: der „Dan­ke, ich weiß schon, wen ich wäh­len werde“-Aufkleber für den Brief­kas­ten, ver­teilt mit der Wahlbenachrichtigung.