Allmählich entwickeln sich neue Routinen. Draußen blühen die Obstbäume und die Forsythien, die Wiesen sind von Gänseblümchen übersät. Drinnen wechseln sich Tage, an denen eine Videokonferenz auf die andere folgt, mit Tagen ab, an denen meine Kinder bei mir sind, und an denen die Fraktionsarbeit in den Hintergrund rückt.
Ich beobachte, dass auch Telefonate mit Kolleg*innen inzwischen häufiger als früher als Videotelefonat stattfinden. Das mag eine Unachtsamkeit sein, weil unser Telefonsystem hier seine Eigenheiten hat, mag aber auch dem Wunsch entsprechen, die Kollegin bzw. den Kollegen zumindest mal zu sehen. Und manchmal ertappe ich mich dabei, die Tasche für das Pendeln packen zu wollen und früh ins Bett gehen zu wollen.
Aber das ist jetzt anders. Wir bleiben länger wach und stehen später auf.
Die Kinder dazu zu motivieren, die Aufgabenzettel abzuarbeiten, fällt weiterhin schwer. Wenn schon Schule, dann doch lieber Dokus zu komplett anderen Themen anschauen oder die Matheapp durcharbeiten. Ich bin froh, dass der Schulleiter der Schule meiner Kinder in einem Rundschreiben darauf hinweist, dass dieses Schuljahr kein normales Schuljahr sein wird, und dass alle ihre Erwartungen ändern müssen.
Nachmittags spielt R. nicht mit dem Nachbarsjungen auf dem Hof, sondern mit seinem Cousin aus Bonn auf einem Minecraft-Server. Für Z. ist Whatsapp der Kommunikationskanal der Wahl, um mit ihren Freund*innen in Kontakt zu bleiben.
Ich versuche weiterhin, die Wohnung möglichst selten zu verlassen. Das hat zu einem aufgeräumten Balkon geführt und zu ausgemisteten Zeitungsstapeln. Gut, dass es Twitter und Netflix gibt, dass eBooks weiter lieferbar sind, und gut, dass es Computerspiele gibt, die ich mag (derzeit neben Stardew Valley v.a. Minimetro). Ehrlich gesagt: ganz so groß sind die Unterschiede in meiner Freizeitgestaltung nicht – manchmal hat Introvertiertheit auch Vorteile.
Rausgegangen bin ich in den letzten Tagen einmal zum Einkaufen und zweimal, um beim Radfahren bzw. Spazierengehen etwas frische Luft und Bewegung zu bekommen. Ich bin froh, in einem Bundesland zu leben, dass die nötigen Maßnahmen zur Kontaktvermeidung nicht unnötig streng auslegt – anders als in Berlin sind Picknickdecken und Parkbänke nicht per se verboten, anders als in Sachsen wird die Entfernung zur Wohnung nicht kontrolliert. Allerdings kann es draußen ganz schön voll sein – gestern, bei schönem Frühlingswetter, bot es sich dann an, von den Hauptrouten abzuzweigen, um nicht alle paar Meter jemand ausweichen zu müssen.
Hefe gibt es weiterhin nicht. Der nette Bioladen verwandelt sich nach und nach in eine Industriehalle: Plexiglasscheiben an der Kasse, gelb-schwarz abgeklebte Sperrzonen und Abstandsmarkierungen. Es ist recht leer. Beim Einkaufen fühle ich mich weiterhin unsicher: Ist es riskant, das nicht abgepackte Gemüse zu kaufen? Wie viele Packungen Milch, wie viel Mehl ist angemessen? Ist es ein Problem, den Stift für die bargeldlose Unterschrift anzufassen?
Warum Hefe? Offenbar bin ich nicht der einzige, der jetzt versuchen möchte, selbst Brot zu backen, statt zum Bäcker zu gehen. Vielleicht geht es dabei um das Gefühl, sich notfalls selbst versorgen zu können – „Angstbacken“ nannte das jemand auf Twitter.
Wie geht es weiter? Das Land befindet sich im Wartezustand. Die Zahl der neuen Fälle steigt langsamer an als vor ein paar Tagen, aber es ist unklar, ob das ein Abflachen der Kurve ist oder nur ein Artefakt begrenzter Testkapazitäten und eines veränderten Testregimes. Währenddessen steigen die Todesfälle weiter exponentiell an. Der Blick nach Frankreich, nach Italien, in die USA beunruhigt. Wir warten weiter.