Der Fall der Brandmauer

Demo 30.01.2025

Weil gera­de schon flei­ßig ande­re Geschich­ten in die Welt gesetzt wer­den, fan­ge ich mit dem an, was gesche­hen ist. Herr Merz von der CDU hat einen (hart rechts­au­ßen posi­tio­nier­ten) Fünf-Punk­te-Plan auf­ge­schrie­ben. Er hat ange­kün­digt, die­sen im Bun­des­tag als Antrag ein­brin­gen zu wol­len. SPD und Grü­ne könn­ten ja mit­stim­men – wenn nicht, wür­de er auch eine Mehr­heit mit der AfD in Kauf neh­men. Aus emo­tio­na­ler Erre­gung her­aus. Und ganz im Gegen­satz zu dem, was er ein paar Wochen zuvor noch als Ange­bot und „Brand­mau­er“ zur AfD ver­kün­det hatte.

SPD und Grü­ne haben sinn­vol­ler­wei­se abge­lehnt, hier mit­zu­ge­hen. Herr Merz hat den Antrag ein­ge­bracht – und mit Hil­fe der FDP und vor allem der AfD auch eine Mehr­heit dafür erhal­ten. Damit ist das jetzt ein offi­zi­el­ler Appell des Bun­des­tags an die Bun­des­re­gie­rung (die aller­dings nicht ver­pflich­tet ist), irgend­wie dar­auf zu reagieren.

Nach der Abstim­mung saß die CDU/CSU ziem­lich bedröp­pelt da, die AfD feix­te und freu­te sich. Und tap­fe­re Jungunionist*innen ver­brei­te­ten schnell die Erzäh­lung, Grü­ne und SPD hät­ten die Mehr­heit ja ver­hin­dern kön­nen, wenn sie denn bloß voll­zäh­lig da gewe­sen wären. Und über­haupt: das alles sei ja bloß so eine Art Not­wehr gewe­sen, weil SPD und Grü­ne bis­her kei­ne CDU-Poli­tik machen wollten.

Hand­lun­gen haben Fol­gen. In die­sem Fall: eine schar­fe Rüge durch die Alt­bun­des­kanz­le­rin Mer­kel – mit­ten im Wahl­kampf. Ers­te Aus­trit­te aus der CDU, Fried­mann als bekann­tes­ter Name. Ankün­di­gun­gen CDU-mit­re­gier­ter Bun­des­län­der, im Bun­des­rat gegen das scheuß­lich benann­te „Zustrom­be­gren­zungs­ge­setz“ zu stim­men, das Herr Merz als nächs­tes in den Bun­des­tag ein­brin­gen will. Und, am wich­tigs­ten: rund hun­dert­tau­send Men­schen, die über­all in der Repu­blik, teil­wei­se vor CDU-Zen­tra­le, teil­wei­se ein­fach so, auf die Stra­ße gegan­gen sind. Um die Brand­mau­er zu verteidigen.

In Frei­burg waren das min­des­tens 15.000 Men­schen, der Platz der Alten Syn­ago­ge war voll, und auch Nie­sel­re­gen hielt hier nie­mand ab. In weni­gen Stun­den von den poli­ti­schen Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen auf die Bei­ne gestellt. In Frank­furt: der Römer zu. In Ber­lin: 13.000 vor der CDU-Zen­tra­le, in Mün­chen 10.000 bei der CSU. Und so weiter. 

Auf dem Platz war viel Wut zu spü­ren. Und es scheint bis in die „bür­ger­li­che Mit­te“ hin­ein zu brodeln. 

Mit der wil­li­gen Inkauf­nah­me der AfD-Zustim­mung – und der so ent­stan­de­nen Mehr­heit für ein Papier, das inhalt­lich eben­so­gut von der AfD hät­te stam­men kön­nen, hat Herr Merz meh­re­res deut­lich gemacht:

1. Sein Wort hat kein Gewicht, was er gesagt hat, gilt nicht, wenn ihn Emo­tio­nen und Erre­gung packen.

2. Er ist bereit, Mehr­hei­ten mit der AfD zusam­men zu bil­den. Mit einer rechts­extre­men Par­tei. Das ist ein Bruch mit allen Tra­di­tio­nen der Bun­des­re­pu­blik und ein his­to­ri­scher Einschnitt.

3. Nie­mand weiß, ob Herr Merz nicht doch eine Koali­ti­on mit oder eine Tole­rie­rung durch die AfD anstrebt. (By the way: das sel­be gilt für die FDP).

4. Inhalt­lich spie­len Euro­pa­recht, Ver­fas­sung, die gute Abstim­mung mit den euro­päi­schen Nach­barn usw. kei­ne Rol­le für die­se Uni­on. Statt des­sen wird die Popu­lis­mus­kar­te gezogen.

5. Ent­we­der wuss­te Herr Merz genau, was er mit sei­nem Antrag, sei­ner Unwil­lig­keit, sich auf Kom­pro­mis­se und Gesprä­che ein­zu­las­sen, und sei­ner Bereit­schaft, Stim­men der AfD zu bekom­men, tat. Dann ist das der Ver­such, das Modell Öster­reich in Deutsch­land zu eta­blie­ren. Oder er hat tat­säch­lich nicht abge­se­hen, wel­che Fol­gen ein „mir doch egal, wer zustimmt“ hat. Dann feh­len Selbst­kon­trol­le und Weit­sicht. In bei­den Fäl­len: so einer eig­net sich nicht als Kanzler.

In gewis­ser Wei­se ist es gut, dass all das vor der Wahl deut­lich gewor­den ist. Der bis­her rela­tiv drö­ge Wahl­kampf gewinnt damit eine neue Dyna­mik. Rich­tig beliebt ist bis­her kei­ner der Kanz­ler­kan­di­da­ten. Aber viel­leicht ist genau die­ser Tabu­bruch Anlass für unent­schie­de­ne Wähler*innen, sich noch ein­mal genau anzu­schau­en, wer aus dem Trio Habeck, Scholz, Merz eigent­lich zu sei­nem Wort steht. Wer über­zeu­gen und füh­ren kann. Und was das für die Wahl bedeutet.

Und viel­leicht mobi­li­siert die­ser Tabu­bruch bis­her unent­schlos­se­ne Men­schen, doch zur Wahl zu gehen; und wich­ti­ger noch: doch in den drei Wochen bis zur Wahl zu kämp­fen und Über­zeu­gungs­ar­beit zu leisten. 

Denn mit dem grel­len Licht der gest­ri­gen Ent­schei­dung ist deut­lich gewor­den, dass es dar­um gehen muss, zu ver­hin­dern, dass es im nächs­ten Bun­des­tag eine rech­te Mehr­heit gibt. Bis­her stand die Brand­mau­er. Auch da, wo CDU/CSU, FDP und AfD (und BSW) zusam­men auf eine Mehr­heit kamen, wur­de die­se nicht genutzt. Die­se Sicher­heit ist spä­tes­tens jetzt weg. Und wer dazu bei­tra­gen möch­te, dass es kei­ne sol­che Mehr­heit gibt, hat genau drei Mög­lich­kei­ten, das zu tun: GRÜNE wäh­len, SPD wäh­len, Lin­ke wäh­len. Jedes nicht zur Wahl gehen, jede Stim­me für eine Kleinst­par­tei ist ver­schenkt. Und dies­mal kommt es wirk­lich dar­auf an.

Viel­leicht ist das Ver­hal­ten von Herrn Merz nicht nur ein Kon­junk­tur­pro­gramm für die AfD (seit sei­nem Ver­spre­chen, deren Wer­te zu hal­bie­ren, steigt die­se kon­ti­nu­ier­lich, die CDU/CSU sinkt ent­spre­chend in den Umfra­gen – ja, die Leu­te wäh­len das Ori­gi­nal), son­dern auch ein Kon­junk­tur­pro­gramm für die Lin­ke, Anstoss, die­se doch über die Fünf-Pro­zent-Hür­de zu hie­ven. Das hat sei­ne eige­nen Pro­ble­me, ist aber das, was aktu­ell passiert.

Bleibt das Pro­blem der Regie­rungs­bil­dung. Die – ambi­tio­nier­te – Hoff­nung wäre, dass tat­säch­lich eine Mehr­heit jen­seits von Uni­on und AfD zustan­de kommt und zur Regie­rungs­bil­dung genutzt wer­den kann. Aus mei­ner Sicht mit einem Kanz­ler Habeck – dazu bräuch­te es in den nächs­ten Wochen aber eine gewal­ti­ge Aufholjagd.

Die ande­re Vari­an­te wäre kurz vor der Unre­gier­bar­keit: je nach­dem, wie es mit BSW und Lin­ke aus­sieht, kann es sein, dass die ein­zi­ge sta­bi­le Regie­rung eine aus Uni­on und SPD oder Uni­on und Grü­nen wäre. Nach ges­tern kann ich mir das nur sehr schlecht vor­stel­len. Am ehes­ten noch, wenn Herr Merz eben nicht Kanz­ler wird, son­dern eine ande­re Per­son gefun­den wird. Das wäre aber so oder so im bes­ten Fall eine Ver­hin­de­rungs­re­gie­rung, eine Regie­rung, um die Uni­on ein­zu­he­gen und um die in einem sol­chen Fall immer dro­hen­de Mehr­heit einer schwarz-blau­en Ver­bin­dung unwahr­schein­li­cher zu machen. 

Anders­her­um heißt das: wer eine sol­che Regie­rung nicht möch­te, muss sich jetzt dar­an betei­li­gen, für eine Mehr­heit jen­seits von Uni­on und AfD zu kämp­fen. Das war der Tenor heu­te bei der Demo in Frei­burg, und viel­leicht ist es die gesell­schaft­li­che Dyna­mik, die durch Herrn Merz Tabu­bruch zustan­de kommt. Ich wür­de es mir wünschen.

Denn die Alter­na­ti­ve ist trost­los. Die wür­de näm­lich bedeu­ten, dass eine Mehr­heit der Bevöl­ke­rung auch in Deutsch­land eine Regie­rung mit der AfD gut­heißt. Und das wäre 80 Jah­re nach der Befrei­ung der Beginn eines neu­en his­to­ri­schen Schreckens. 

Genau dar­um wird es in den nächs­ten Wochen gehen. 

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