Als vor ein paar Monaten das Thema „Grüne Alternative Liste spaltet sich von der Fraktion ab“ auf der Tagesordnung stand, sah es nach einem lokalen Freiburger Problem aus. Inzwischen sind auch anderswo ähnliche Tendenzen zu beobachten – bzw. ganz anders intendierte Tendenzen, die zu ähnlichen Ergebnissen führen.
Das prominenteste Beispiel ist derzeit Heidelberg: Hier wurden die Grünen jahrelang und historisch gewachsen durch eine Grün-Alternative Liste (GAL) im Gemeinderat vertreten. Die Grünen – Heidelberg ist u.a. der Wahlkreis von Fritz Kuhn und Theresia Bauer – haben beschlossen, diese Fraktionsgemeinschaft aufzukündigen und fortan mit einer eigenen Liste anzutreten. Das Klima ist vergiftet, der Draht zwischen Partei und lokaler sozialer Bewegung scheint, soweit das von außen beurteilbar ist, zerschnitten zu sein. Die GAL/grüne Fraktion im Gemeinderat hat sich gespalten, es sitzen also auch hier zwei Grüne Listen im Gemeinderat.
Jetzt wird darüber diskutiert, ob diejenigen, die weiterhin auf der GAL-Liste antreten – darunter Urgesteine der Heidelberger Grünen – aus der Partei ausgeschlossen werden sollen. Pikant wird die Sache, weil auch Memet Kilic, gerade auf Platz 10 der Bundestagsliste (Grüne) gewählt, zu den GAL-KandidatInnen gehört. Nebenbei bemerkt: die Möglichkeit, dass so eine Situation eintritt, wurde im Flurfunk des Landesparteitags als ein Argument genannt, Memet nicht zu wählen.
Und auf einer ganz anderen Ebene spielt Jan Seifert das Gedankenexperiment durch, dass sich der geschwächte Realo-Reformer-Flügel von „Bündnis 90/Die Grünen“ verabschieden könnte, im Sinn grün-liberaler Parteien, wie es sie in der Schweiz gibt. Jan kommt zu dem Schluss, dass das nicht wirklich ein Erfolgsprojekt wäre, weil die Verankerung in der Basis einer neuen grün-liberalen Partei um Özdemir, Palmer & Co. möglicherweise fehlen würde.
Stichwort Basis: damit sind wir wieder beim Eingangsthema: Grüne und unabhängige Listen. Mancherorts scheinen entsprechende Doppel-Kandidaturen ganz problemlos zu funktionieren (z.B. gibt es in Rottweil neben den Grünen auch eine Frauenliste, auf der viele grüne Frauen antreten). Ich sehe darin sogar Chancen, das Wählerspektrum zu erweitern, wenn’s geschickt gemacht wird. Die Drohung mit Parteiausschlüssen ist allerdings ebenso wie das gegenseitige öffentliche Beschimpfen was ganz anderes als „geschickt gemacht“.
Mein Fazit: es sollte sich lohnen, dafür zu kämpfen, auf der Landes- und Bundesebene die Partei zusammenzuhalten (nicht zuletzt aufgrund der 5 %-Hürde) – und auf der Kommunalebene einen modus vivdeni zu finden (oder fortzutragen), der unterschiedliche Aspekte grüner Programmatik und grüner Geschichte – auch außerhalb des parteilichen Rahmens – bestmöglich lebendig erhält. Wenn wir – Parteigrüne und sonstige Grüne – vor Ort stark bleiben wollen, dann geht das am besten gemeinsam, am zweitbesten in Listen, die sich gegenseitig nicht als „Gegner“ betrachten, und überhaupt nicht, wenn Grüne sich plötzlich nicht mehr grün sind. Auch solche im besten Sinne liberalen Umgangsformen mit Vielfalt auf der Kommunalebene sind ein entschiedener Beitrag zur Geschlossenheit der Partei, egal, wie paradox das erst einmal klingen mag.
Warum blogge ich das? Weil mir dass dann vielleicht doch ein bißchen zuviel der „Normalisierung“ der grünen Partei darstellt.
Naja… die Ergebnisse sind nicht ähnlich und die Ursachen doch auch nicht. Nochmals zur Erinnerung: Hier in Freiburg zwei Stadträte, die sich irgendwie fies behandelt fühlen und – ohne das mit der Basis mal zu diskutieren – mit großem Trara und der pathetischen Botschaft, die Grünen seien eigentlich nicht mehr Grün, austreten. Es handelt sich gerademal um ein Sechstel der Fraktion und ob und in welcher Form daraus eine Liste wird, wird man sehen.
In Heidelberg hingegen hat sich aus der 8er-Fraktion eine dreiköpfige Bündnis’90/Die Grünen-Fraktion abgespalten und die Partei selbst hat sich wohl auf einer MV für diese Trennung entschieden. Witzigerweise unter anderem auch vor dem Hintergrund der Frage, wie denn eine Partei (und ihre Parteibasis) politisch eine unabhängige Liste kontrollieren kann. Dass daraus zwei Listen werden, könnte gut sein, weil hier zwei Organisationen bereits bestehen, die wahlerprobt sind.
Tim, dass die Prozesse, die zu den Abspaltungen geführt haben, ganz unterschiedlicher Natur sind, ist mir schon klar (ich hatte auch versucht, das in meinem Einleitungssatz deutlich zu machen). Nur das Ergebnis ist halt doch irgendwie ähnlich: hier Partei, dort eine inhaltlich nahe Gruppierung (und ich bin ziemlich sicher, dass die GAL FR eine Liste aufstellen wird) – und Parteimitglieder, die (warum auch immer) die inhaltlich-nahestehende-aber-organisatorisch-getrennte Gruppierung unterstützen möchten, stehen plötzlich vor dem Problem möglicher Parteiausschlüsse. Da sehe ich die Gemeinsamkeiten (und etwas darüber hinausgreifend eben in der Frage, wie mit „small-g-greens“ umgegangen wird, die politisch aktiv sind, aber nicht Teil der „capital-G-greens“ sein wollen. Und umgekehrt.
Nochmal zur Begründung, warum ich gewisse Ähnlichkeiten sehe, ein Ausschnitt aus einem Artikel in der heutigen Stuttgarter Zeitung über die MV der Heidelberger:
Die Frage, wer sich von wem abspaltet, ist aber doch ganz entscheidend. In Freiburg gab es schon immer eine grüne Parteiliste – in Heidelberg kandidierten Grüne schon immer auf der GAL-Liste. Wer in Heidelberg weiter bei der GAL bleibt, befindet sich in einer anderen Position, wie der, der sich in Freiburg aktiv für eine neue Gruppierung entscheidet, deren „Inhalte“ ja im wesentlichen aus einer Abgrenzung gegenüber Grüns und der Behauptung, die wahren Grünen zu sein, bestehen. Aus Sicht der Freiburger GAL gibt es eben sehr wohl einen inhaltlichen Dissens.
Die Ausgangslage ist anders, okay.
Die Hintergründe dafür, warum sich in Freiburg eine GAL oder GAF oder wie auch immer abspaltet, und warum in Heidelberg Grüne plötzlich lieber selbst antreten wollen (und darüber diskutieren, Grüne, die weiterhin bei der Heidelberger GAL antreten, rauszuwerfen), sind meiner Meinung nach ähnlich. Darüber lässt sich aber sicherlich streiten.
Unbestrittene Ähnlichkeiten sehe ich jedoch weiterhin im Ergebnis: Potenziell zwei grüne Listen, von denen eine an Bündnis 90/Die Grünen dranhängt, die andere nicht. Die sich inhaltlich nur in einigen Punkten unterscheiden, die sich tatsächlich eher anhand von Stilfragen voneinander absetzen. Und die jeweils das Dilemma produzieren, dass Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen, die bei einer GAL antreten, plötzlich als „Parteifeinde“ behandelt werden.
Ich habe gerade einen Brief von Theresia Bauer (MdL aus Heidelberg) zu dem Thema gelesen. Möchtest Du den vielleicht verlinken, Till?
Hallo Thorsten, ich kenne den Brief – dachte aber bisher, dass er parteiintern sei.
Hm. Da könntest Du Recht haben. Vielleicht frag ich bei Theresia einfach mal an ;)
Zum parteiinternen Brief von Theresia Bauer gibt’s jetzt eine parteiinterne Entgegnung einiger mehr oder weniger prominenter Heidelberger GAL-Grüner. Vielleicht kommt ich morgen dazu, beides noch etwas stärker auszubreiten.
Die beiden Briefe – ebenso wie eine kleine Presseschau zum Konflikt in HD – finden sich auf der Seite der GAL (http://www.gal-heidelberg.de/)
@Tim: danke für den Hinweis und Link.
Aktueller Stand ist übrigens m.W., dass versucht wird, zwischen beiden Seiten zu verhandeln/schlichten. Ich drücke (im Interesse der gemeinsamen grünen Sache) die Daumen!