Kurz: Ein wenig mehr Gelassenheit, bitte – auch bei Doppelspitzenfragen

In der Süd­deut­schen Zei­tung ist heu­te – lei­der hin­ter einer Pay­wall – ein lan­ges Inter­view mit Minis­ter­prä­si­dent Win­fried Kret­sch­mann erschie­nen. In die­sem Inter­view wird er – neben vie­len ande­ren Din­gen – auch zum The­ma Dop­pel­spit­ze gefragt, und zwar in Bezug auf die anste­hen­de Nomi­nie­rung von Spitzenkandidat*innen auf Bun­des­ebe­ne. Er ant­wor­tet dar­auf, dass er seit 30 Jah­ren gegen Dop­pel­spit­zen gekämpft habe, und „[man] in man­chen Din­gen […] als Poli­ti­ker auch mal resi­gnie­ren [muss]“. Zudem macht er deut­lich, dass er durch­aus die femi­nis­ti­sche Begrün­dung für die Dop­pel­spit­ze nach­voll­zie­hen kann („inso­fern ein ver­nünf­tig­tes Prin­zip“), dass er aber den aus­ta­rier­ten Flü­gel­dua­lis­mus ablehnt. Da sei es bes­ser, „sich für den einen oder den ande­ren Weg zu entscheiden“.

Eigent­lich ist der Nach­rich­ten­wert die­ser Aus­sa­ge gering. Dass Kret­sch­mann wenig von Dop­pel­spit­zen hält, ist seit län­ge­rem bekannt, und dass er in Inter­views nicht unbe­dingt ein Blatt vor den Mund nimmt, auch. Auch dafür wird er übri­gens geschätzt. Ver­fah­rens­fra­gen zur Urwahl ste­hen akut nicht zu Dis­kus­si­on. Den­noch tobt seit heu­te mor­gen ein Sturm der Empö­rung durch die Online­me­di­en­welt. Die jour­na­lis­ti­schen Spür­na­sen wit­tern, dass sich hier ein Keil zwi­schen grü­ne Par­tei, ins­be­son­de­re grü­ne Bun­des­par­tei, und den baden-würt­tem­ber­gi­schen Wahl­sie­ger trei­ben las­sen könn­te. Und gehen voll drauf, nut­zen jeden Reflex aus, und die Reak­tio­nen sind die erwart­ba­ren. Pro­fes­sio­nell ist das nicht, und den Ein­druck einer sou­ve­rä­nen Par­tei erweckt das Gesamt­bild auch nicht gerade.

Ich hal­te es, um das deut­lich zu sagen, und obwohl ich für eine Frak­ti­on mit nur einer Vor­sit­zen­den arbei­te, für falsch, das grü­ne Dop­pel­spit­zen­prin­zip abzu­schaf­fen. Aus geschlech­ter­po­li­ti­schen Über­le­gun­gen her­aus, weni­ger wegen der Flü­gel­pa­ri­tät. Bei­spiel lau­fen­de Urwahl: da kann durch­aus ein Rea­la-Rea­lo-Duo her­aus­kom­men. Ich sehe ein gewis­ses Pro­blem, wenn der grü­ne Anspruch der Min­dest­quo­tie­rung auf n=1‑Posten prallt, wenn es also dar­um geht, z.B. eine Ober­bür­ger­meis­te­rin oder einen Ober­bür­ger­meis­ter zu nomi­nie­ren. Oder eine Kanz­ler­in­kan­di­da­tin oder einen Kanz­ler­kan­di­da­ten. Oder Direktkandidat*innen im baden-würt­tem­ber­gi­schen Land­tags­wahl­recht. Anders als bei Gre­mi­en und Wahl­lis­ten greift hier das grü­ne Frau­en­sta­tut nicht, und dem­entspre­chend soll­ten wir uns viel­leicht doch noch­mal Gedan­ken dar­über machen, wie grü­ne Geschlech­ter­po­li­tik hier sinn­voll umsetz­bar ist. Denn bis­her, das zeigt der Blick auf grü­ne Bürgermeister*innen repu­blik­weit, haben wir da doch einen deut­li­chen Män­ner­über­hang. Für Par­tei­vor­sit­zen­de (und eigent­lich auch für Frak­ti­ons­vor­stän­de) spricht aus mei­ner Sicht jedoch nach wie vor viel für Dop­pel­spit­zen. Und das wird auch dadurch nicht in Fra­ge gestellt, dass ein Minis­ter­prä­si­dent dazu eine ande­re Mei­nung hat. Darf er, darf er mei­ner Mei­nung nach auch äußern, zum heim­li­chen Vor­sit­zen­den und Leit­wolf wird er dadurch nicht. Letzt­lich ent­schei­det hier aus guten Grün­den die Par­tei. Und die steht bis­her fest – und ganz unauf­ge­regt – zum Frauenstatut.

P.S.: Poli­tisch viel rele­van­ter ist aus mei­ner Sicht die Fra­ge, ob das mit der annä­hern­den Quo­tie­rung beim Kabi­nett Kret­sch­mann II klap­pen wird.

Kurz: Stadt Land Wahl (Update)

Wahlergebnisse bei der Landtagswahl 2016 nach Gemeindegröße

Nach­dem ich das 2011 schon ein­mal detail­liert ange­schaut hat­te, auch für die dies­jäh­ri­ge Land­tags­wahl oben ein Ver­gleich der Wahl­er­geb­nis­se der jetzt fünf im Land­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en nach Gemein­de­grö­ße (bzw. genau­er: nach Zahl der Wahl­be­rech­tig­ten). Deut­lich zeigt sich der Sink­flug der SPD, der von der Gemein­de­grö­ße eher unab­hän­gi­ge Erfolg der AfD, die star­ke Abhän­gig­keit der CDU-Ergeb­nis­se von der Zahl der Wahl­be­rech­tig­ten und umge­kehrt die flä­chen­de­ckend ange­stie­ge­nen grü­nen Wahl­er­geb­nis­se, die jedoch wei­ter­hin in grö­ße­ren Städ­ten deut­lich stär­ker aus­fal­len als auf dem Land.

Zum Ver­gleich 2006 und 2011 (Daten­quel­le ist jeweils die gemein­de­schar­fe CSV des Sta­tis­ti­schen Lan­des­am­tes, gemein­de­über­grei­fen­de Brief­wahl­be­zir­ke wer­den hier ignoriert):

Wahlergebnisse nach Gemeindegröße 2011 und 2006

Update: Hier noch ein­mal die grü­nen Ergeb­nis­se 2006, 2011 und 2016 nach Gemeindegröße:

Grüne Ergebnisse bei der Landtagswahl 2006, 2011 und 2016 im Vergleich

Wer wird dem 16. Landtag von Baden-Württemberg angehören?

Stormy green

Die Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg liegt jetzt auch schon wie­der zwei Wochen zurück, die ers­ten Gesprä­che zwi­schen den mög­li­chen Koali­ti­ons­part­nern GRÜNE und CDU haben statt­ge­fun­den, und ab 1. Mai läuft die Wahl­pe­ri­ode des 16. Land­tags von Baden-Würt­tem­berg und er wird sich offi­zi­ell kon­sti­tu­ie­ren. Anlass genug, um ein­mal der Fra­ge nach­zu­ge­hen, wer eigent­lich im zukünf­ti­gen Land­tag sit­zen wird. 

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Gelesen: Fifty Shades of Merkel

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Die Ex-Poli­ti­ke­rin (Pira­ten) und Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Julia Schramm schreibt über – Ange­la Mer­kel. Das Ergeb­nis ist mehr Blog auf Papier als klas­si­sches Buch. Genau­er gesagt nähert sich Schramm dem Phä­no­men Mer­kel in Fif­ty Shades of Mer­kel (Hoff­mann & Cam­pe, 2016) in fünf­zig Vignet­ten an. Die behan­deln so dis­pa­ra­te The­men wie „Ucker­mark“, „Anden­pakt“, „Par­tei“, „Reli­gi­ons­un­ter­richt“, „Pflau­men­ku­chen“ oder „#Neu­land“, grob chro­no­lo­gisch geordnet.

Das Ergeb­nis – manch­mal etwas bou­le­var­desk, immer im locke­ren Info­tain­ment-Stil eines reich­wei­ten­star­ken Blogs gehal­ten, voll mit Netz­re­fe­ren­zen – kann sich durch­aus sehen las­sen. Es liest sich weg, und danach wirkt die Per­son Mer­kel ver­trau­ter. Viel­leicht sogar sym­pa­thi­scher. (Ein Nach­teil des For­mats: man­ches, etwa die Dar­stel­lun­gen der Beschimp­fun­gen Mer­kels im Netz, wie­der­holt sich. Wer das Buch „in einem Zug“ liest, merkt das.)

Wer sich dafür inter­es­siert, wie die Per­son Mer­kel aus­se­hen könn­te, wird hier fün­dig. Dabei gilt: Nicht alle Zuschrei­bun­gen, denen Schramm in den Fif­ty Shades nach­geht, wir­ken glei­cher­ma­ßen plau­si­bel. Mer­kel als „post­de­mo­kra­ti­sche Natio­nal­staats­ma­na­ge­rin“ (S. 101) oder als „Iro­nic Lady“ (S. 209) zu beschrei­ben, emp­fin­de ich als plau­si­bler als die „spi­ri­tu­el­le Leh­re­rin der Deut­schen“ (S. 157). Die „Mut­ter der Flücht­lin­ge“ fehlt dage­gen weit­ge­hend – Fluch der Tages­ak­tua­li­tät. Und ob Mer­kel als „Außen­sei­te­rin“ (S. 80) und „Nerd“ (S. 162) zutref­fend beschrie­ben ist, dar­über muss ich doch erst noch­mal nach­den­ken. Schön in die­sem Zusam­men­hang das Kapi­tel­chen zum „Han­dy“ (S. 175), Tele­fon und SMS als bewusst ange­eig­ne­te Macht­werk­zeu­ge der Kanzlerin.

Drei Leit­mo­ti­ve durch­zie­hen die ein­zel­nen Kapi­tel: Das gro­ße Schwei­gen (Mer­kels Sti­l­in­stru­ment, aber eben auch das immer wie­der geschil­der­te Pro­blem feh­len­der rede­be­rei­ter Quel­len – Schramm bezieht sich, von einem Aus­flug in die Ucker­mark abge­se­hen, rein auf Sekun­där­quel­len, Zei­tungs­ar­ti­kel, Netz­be­rich­te und diver­se Mer­kel-Inter­views und ‑Bücher). Geschlech­ter­ver­hält­nis­se (vom „Vater­mord“ und dem stra­te­gi­schen Aus­spie­len der CDU-Män­ner­cli­quen bis zum „Hosen­an­zug“ und den klei­ne­ren und grö­ße­ren Dis­kri­mi­nie­run­gen, die selbst gegen­über der der­zeit mäch­tigs­ten Frau der Welt fort­be­stehen; dem Buch ist anzu­mer­ken, dass Schramm hier­bei auf eine gefes­tig­te femi­nis­ti­sche Hal­tung zurück­grei­fen kann, die nicht beim bewusst ver­wen­de­ten „_“ in vie­len Per­so­nen­be­zeich­nun­gen auf­hört). Und die Per­spek­ti­ve auf Mer­kel aus Sicht der Netz­ge­ne­ra­ti­on. (Klei­ner Gim­mick am Ran­de: die Sei­ten­zah­len sind in –< >– ein­ge­fasst, also der Mer­kel-Rau­te in ASCII).

Das Buch zeich­net ins­ge­samt Mer­kel als Meis­te­rin der Stra­te­gie mit sym­pa­thi­schen Cha­rak­ter­zü­gen. Schramm lobt Mer­kel immer wie­der, betont posi­ti­ve Eigen­schaf­ten wie die Selbst­iro­nie, den Humor, das Spiel mit der Boden­stän­dig­kei­ten. Man­ches erscheint als Deu­tungs­ver­such in Rich­tung grün-schwarz. Die har­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit einem über wei­te Stre­cken klar neo­li­be­ra­len Kurs Mer­kels blitzt nur ganz ver­ein­zelt auf, etwa im Kapi­tel „Frei­heit“.

Letzt­lich blei­ben Fif­ty Shades of Mer­kel ergeb­nis­of­fen. Ein Urteil fällt Schramm nicht. Oder, um es sozi­al­wis­sen­schaft­li­cher aus­zu­drü­cken, auch wenn die Fif­ty Shades wohl eher als Poli­tain­ment gedacht sind: das Buch bleibt Zet­tel­kas­ten, bleibt Samm­lung von Memos mit ers­ten Ansät­zen zur Kate­go­rie­bil­dung, for­mu­liert aber – jeden­falls nicht expli­zit – kei­ne Theo­rie über Mer­kel. (In Groun­ded-Theo­ry-Begrif­fen: der Inte­gra­ti­ons­schritt fehlt). Aber viel­leicht bleibt es ja nicht dabei. 

War­um blog­ge ich das? Weil ich beim Ange­bot eines Rezen­si­ons­exem­plars nicht nein sagen konn­te. Und gera­de in Zei­ten, in denen allent­hal­ben über neue Koali­ti­ons­op­tio­nen gere­det wird, ist der facet­ten­rei­che Blick auf die Leit­wöl­fin der CDU nicht uninteressant.

Photo of the week: Dreifach

Dreifach

 
Es gab die­sen Moment ges­tern beim Wahl­abend der Frak­ti­on im Neu­en Schloss, als Win­fried Kret­sch­mann in den Wahl­sen­dun­gen von ARD, ZDF und SWR gleich­zei­tig zu sehen war. Tri­umph, mit 30,3 Pro­zent stärks­te Par­tei, 46 Direkt­man­da­te – aber auch die bit­te­re Erkennt­nis, dass eine wahr­lich dubio­se AfD es auf Anhieb mit 15 Pro­zent als dritt­stärks­te Kraft in den Land­tag schafft. Sah es am Anfang des Wahl­abends noch knapp aus, woll­te und woll­te sich doch kei­ne Mehr­heit für Grün-Rot ein­stel­len. Selt­sa­mer Schwe­be- und Zwi­schen­zu­stand, weil es erst wei­ter­geht, wenn FDP, CDU oder SPD sich bewe­gen. Ent­we­der in Rich­tung der bel­gi­schen Ampel, die knapp über eine Mehr­heit ver­fü­gen wür­de, oder in Rich­tung Ampel oder Grün-Schwarz. Die neue grü­ne Frak­ti­on: noch­mal deut­lich grö­ßer, vie­le neue Gesich­ter, mit 47 Pro­zent Frau­en­an­teil wohl die weib­lichs­te Frak­ti­on, die Baden-Würt­tem­berg je hat­te. Dank der Ver­lus­te der CDU an die AfD gehö­ren zu den neu gewon­ne­nen grü­nen Wahl­krei­sen auch wel­che, die bis­her noch nie ein grü­nes Man­dat hat­ten. Tra­gik des Wahl­sys­tems: Wer auf grü­ner Sei­te kein Direkt­man­dat erlangt hat, ist (mit einer Aus­nah­me, WK Wan­gen im RP Süd­würt­tem­berg) trotz Rekord­ergeb­nis­sen über­all nicht rein­ge­kom­men. Mensch­lich ganz beson­ders bit­ter im WK Wies­loch, wo unser AK-Vor­sit­zen­der Wis­sen­schaft, Kai Schmidt-Eisen­l­ohr, um 147 Stim­men den Wie­der­ein­zug ver­fehlt hat. Aber auch in den bei­den AfD-Direkt­man­dats­wahl­krei­sen Pforz­heim und Mann­heim lagen die grü­nen Kandidat*innen nur wenig hin­ter den gewähl­ten Direkt­man­da­ta­ren der AfD.

Inso­fern: Ein his­to­ri­sches Ergeb­nis für uns Grü­ne, für Win­fried Kret­sch­mann – aber auch ein Ergeb­nis mit bit­te­ren und dunk­len Unter­tö­nen. Jetzt heißt es: War­ten dar­auf, wie es weitergeht.

Wahl­kreis­er­geb­nis­se beim SWR (inter­ak­ti­ve Kar­te) und beim Sta­ti­schen Lan­des­amt.