Kurz: Neujahrswunsch Gelassenheit

Mein guter Vor­satz, also, nicht nur für mich, son­dern so ins­ge­samt für uns alle: mehr Gelassenheit. 

Wir ste­hen vor ziem­lich gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen, die gera­de anfan­gen, sicht­bar zu wer­den. Das eine ist die Kli­ma­kri­se mit allem, was dazu gehört. Das ande­re ein zuneh­mend brü­chig wer­den­des gesell­schaft­li­ches Klima. 

Ich möch­te nicht ger­ne social media die Schuld dar­an geben, aber zumin­dest gibt es inzwi­schen Grup­pen in die­sem Land (und wohl auch außer­halb davon), die es gelernt haben, die Radi­ka­li­sie­rungs- und Empö­rungs­ef­fek­te von social media für ihre ganz eige­ne Agen­da zu nut­zen. Dis­kurs­ver­schie­bung wäre der aka­de­mi­sche­re Aus­druck dafür. Die gehört zu den Din­gen, die ich in den letz­ten zwölf Mona­ten mit gro­ßer Sor­ge beob­ach­tet habe. Das Vor­ge­hen dabei ist im Kern ganz ein­fach: es wird irgend­et­was zwi­schen anstän­dig und ein klein wenig Anstoß erre­gend als Anlass für eine Skan­da­li­sie­rung genom­men. Eine gro­ße Zahl empör­ter Tweets, ein paar gro­ße rech­te Platt­for­men, die es auf­neh­men, und schon fin­det die Auf­re­gung um etwas, das kei­ne Auf­re­gung wert wäre, Ein­gang in den Main­stream der gesell­schaft­li­chen Debat­te. Politiker*innen äußern sich, Medi­en berich­ten, ein­zel­ne Enga­gier­te ver­wen­den viel Zeit und Mühe dar­auf, um gera­de­zu­rü­cken, das der Kern des Skan­dals in Wahr­heit leer ist. Und wie­der sind alle abge­lenkt von den eigent­li­chen Pro­ble­men, und wie­der ist es ein Stück weit nor­ma­ler gewor­den, rech­te Denk­mus­ter zu übernehmen.

Des­we­gen wün­sche ich Gelas­sen­heit. Eine höhe­re Akti­vie­rungs­en­er­gie, bevor öffent­lich-recht­li­che Medi­en mei­nen, sich recht­fer­ti­gen zu müs­sen, bevor Politiker*innen mei­nen, Stel­lung neh­men zu müs­sen. Es gibt genü­gend, über das sich auf­zu­re­gen lohnt – aber doch bit­te nicht über jede Sau, die durchs Dorf getrie­ben wird. Denn das zahlt letzt­lich nur auf ein Kon­to ein: das der­je­ni­gen, die mit Demo­kra­tie und Mei­nungs­frei­heit, Rechts­staat und Soli­da­ri­tät nicht viel am Hut haben. 

Zwanzig Jahre Campusgrün: ein Blick auf den Anfang

Website 2002

Aller­or­ten fin­den der­zeit grü­ne Jubi­lä­ums­ver­an­stal­tun­gen statt. Im Sep­tem­ber wur­de die Lan­des­par­tei vier­zig, im März wird die Land­tags­frak­ti­on fei­ern, und auch die Bun­des­par­tei hat nächs­tes Jahr ihren vier­zigs­ten Grün­dungs­tag. Halb so alt – und Zwan­zig ist auch ein Grund für Fei­ern und Reflek­tio­nen – ist Cam­pus­grün, das Bünd­nis grü­ner und grün-naher Hochschulgruppen.

Als Mit­glied des Grün­dungs­vor­stands durf­te ich ges­tern in Ber­lin bei der Bun­des­mit­glie­der­ver­samm­lung dabei sein und ein biss­chen was aus den ers­ten paar Jah­ren des Ver­ban­des berich­ten. Ein gemein­sa­mes Motiv der Exvor­stän­de aus ver­schie­de­nen Jahr­gän­gen, die ges­tern dabei waren (Patrick Luzi­na, Lui­sa Schwab, Phil­ipp Bläss, Ricar­da Lang), war übri­gens der Weg in die Hoch­schul­po­li­tik: ganz oft spiel­ten Stu­di­streiks dabei eine gro­ße Rol­le – und wo das nicht der Fall war, poli­ti­sier­te die Hoch­schul­grup­pen­ar­beit und wur­de zum Sprung­brett in grü­ne Poli­tik hinein.

The­ma­tisch zeig­te sich eine inter­es­san­te Debat­ten­kon­ti­nui­tät – dar­auf wies auch Kai Geh­ring als hoch­schul­po­li­ti­scher Spre­cher der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on hin. Er nann­te zehn zen­tra­le Hoch­schul­po­li­tik-The­men – und zumin­dest Stu­di­en­ge­büh­ren und Stu­di­en­fi­nan­zie­rung, Hoch­schul­fi­nan­zie­rung und Stu­di­en­re­form (Bolo­gna, seit 1998!) sind The­men, die eben auch 1999 schon auf der Agen­da standen. 

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Warum es sich lohnen könnte, dafür zu kämpfen, Politik an wissenschaftlichen Fakten auszurichten

Die Stär­ke der neu­en Kli­ma­be­we­gung kann aus zwei Ursa­chen abge­lei­tet wer­den. Das eine ist sicher­lich die zuneh­men­de Sicht­bar­keit und damit Dring­lich­keit des Kli­ma­wan­dels. Das ande­re ist, dass wir es hier mit wohl mit der ers­ten Bewe­gung zu tun haben, die Hand­lungs­be­darf schlicht aus Phy­sik ablei­tet. Es sind kei­ne theo­re­ti­schen Über­le­gun­gen, kein revo­lu­tio­nä­rer Über­bau, es ist schlicht die gut erforsch­te Wir­kung der Treib­haus­ga­se in der Atmo­sphä­re mit allen Kon­se­quen­zen für das Kli­ma­sys­tem, die hier zum poli­ti­schen Impuls ver­dich­tet wor­den sind. 

(Natur-)wissenschaftliche Wahr­heit als Grund­la­ge einer poli­ti­schen Bewe­gung – das ist neu. Übri­gens auch im Ver­gleich zu der bloß behaup­te­ten Wis­sen­schaft­lich­keit des Mar­xis­mus-Leni­nis­mus, bei dem im Kern der Argu­men­ta­ti­on eben nicht beweis­ba­re und dem wis­sen­schaft­li­chen Pro­zess offe­ne Fak­ten lagen, son­dern ein auf Sand errich­te­tes Gedankengebäude. 

Mit Fak­ten lässt sich nicht dis­ku­tie­ren. Dar­in liegt die Stär­ke, dar­in liegt aber auch eine gro­ße Schwä­che der Kli­ma­be­we­gung. Denn die blo­ße Fest­stel­lung, dass zur Begren­zung der Erd­er­wär­mung ein maxi­ma­les CO2-Bud­get für die Mensch­heit ver­braucht wer­den darf, ist aber noch kei­ne poli­ti­sche Hand­lungs­an­wei­sung. Zudem ent­zieht sich die natur­wis­sen­schaft­li­che Wahr­heit auch inso­fern dem Poli­ti­schen, als damit eine Redu­zie­rung auf Null oder Eins nahe liegt. Das erleich­tert radi­ka­le For­de­run­gen. Ent­we­der schafft die Mensch­heit – bis­her kein han­deln­der Akteur – es, das CO2-Bud­get ein­zu­hal­ten, oder sie schafft es nicht, und löst damit mit hoher Wahr­schein­lich­keit Kipp­punk­te aus. Das liegt quer zum Modus des Kom­pro­mis­ses. Ein Tref­fen in der Mit­te gibt es nicht, wenn 2,2 Grad Erd­er­hit­zung in ihren Kon­se­quen­zen genau­so dra­ma­tisch sind wie ein Plus von drei oder vier Grad.

Der Anspruch, den die Kli­ma­be­we­gung an die Poli­tik stellt, muss also zwangs­läu­fig ein radi­ka­ler sein. Ent­spre­chend hoch ist die Fallhöhe.

Das ist der eine Teil der Her­aus­for­de­rung. Der ande­re besteht dar­in, die heu­te not­wen­di­gen Maß­nah­men, um die­ses Ziel zu errei­chen, zu fin­den und zu ver­han­deln, demo­kra­ti­sche Mehr­hei­ten dafür zu suchen und in kur­zer Zeit einen Weg zu fin­den, das inter­na­tio­na­le Abkom­men von Paris ins­be­son­de­re in den zehn oder zwan­zig Staa­ten mit den größ­ten Treib­haus­gas­emis­sio­nen umzusetzen.

Das his­to­ri­sche Fens­ter hier­für – eine hohe Akzep­tanz für Kli­ma­schutz­maß­nah­men in der Bevöl­ke­rung, Druck von der Stra­ße, brei­te Mehr­hei­ten im Par­la­ment – hat die Bun­des­re­gie­rung aus CDU, CSU und SPD nicht genutzt.

Ent­spre­chend hoch ist der Druck auf die Par­tei, die sich schon immer durch hohe Kom­pe­tenz­zu­schrei­bun­gen in öko­lo­gi­schen Fra­gen aus­zeich­net, also auf Bünd­nis 90/Die Grü­nen: zwi­schen Phy­sik und Poli­tik zu ver­mit­teln, und dabei weder die Demo­kra­tie noch das Welt­kli­ma vor die Hun­de gehen zu las­sen – das scheint die Auf­ga­be zu sein, die jetzt der kleins­ten Bun­des­tags­frak­ti­on zuwächst. 

(Und ja, es gibt Län­der­re­gie­run­gen mit grü­ner Betei­li­gung, und ja, es gibt die grün-geführ­te Regie­rung in Baden-Würt­tem­berg – aber zu den Regeln des Poli­ti­schen gehört eben auch, dass ein gro­ßer Teil der für das Pari­ser Kli­ma­ziel not­wen­di­gen Maß­nah­men in Bun­des­kom­pe­tenz lie­gen wür­den, und das der Bun­des­rat ein Gre­mi­um ist, das Geset­ze ver­zö­gern oder auf­hal­ten kann, aber kaum selbst gestal­te­risch tätig wer­den kann.) 

In die­ser Situa­ti­on bricht nun eine inner­grü­ne Debat­te über evi­denz­ba­sier­te Poli­tik los. Zur Unzeit? 

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Klimaaktionstag. Ein Gespräch mit Z.

Der 20. Sep­tem­ber 2019 ist in posi­ti­ver wie nega­ti­ver Hin­sicht ein Tag, der als Kipp­punkt der Kli­ma­kri­se in Erin­ne­rung blei­ben wird. Groß­ar­tig sind die heu­te und in die­ser Woche welt­weit statt­fin­den­den Demons­tra­tio­nen – ein Tag, der mit 300.000 Demons­trie­ren­den in Aus­tra­li­en beginnt, allei­ne in Deutsch­land 1,4 Mio. Demons­trie­ren­de gese­hen hat und mit 250.000 in New York endet. Fri­days for Future hat hier glo­bal etwas in Bewe­gung gesetzt. Gleich­zei­tig ist der 20. Sep­tem­ber 2019 der Tag, an dem die Bun­des­re­gie­rung ihren wenig ambi­tio­nier­ten Kom­pro­miss vor­ge­stellt hat, bei dem heu­te schon klar ist, dass damit die Zie­le des Pari­ser Kli­ma­ab­kom­mens nicht erreicht wer­den kön­nen. Die frei­täg­li­chen Demos und ähn­li­chen Aktio­nen wer­den also weitergehen.

In Frei­burg fand die größ­te Demons­tra­ti­on der Stadt­ge­schich­te statt, mit etwa 30.000 Teil­neh­men­den (bei 230.000 Einwohner*innen). Ich war mit mei­nem Zehn­jäh­ri­gen da – und als wir etwas zu spät anka­men, war nicht nur der Platz der Alten Syn­ago­ge voll, son­dern auch die Ter­ras­se des Thea­ter­ca­fes, die Ber­told­stra­ße und der Rott­eck­ring rund um den Platz. Extrem eindrucksvoll.

Auch mei­ne Toch­ter Z. (fast 14) hat wie an allen bis­he­ri­gen Demos in Frei­burg auch an die­ser teil­ge­nom­men; getrof­fen habe ich sie erst in der Stra­ßen­bahn zurück, so groß war die viel­fäl­ti­ge Men­schen­men­ge. Ich habe ihr ein paar Fra­gen zur Demo und zu den Frei­bur­ger Fri­days-For-Future-Akti­vi­tä­ten gestellt.
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In eigener Sache: grüne Heimatdebatte

In der aktu­el­len Aus­ga­be der AKP (Alter­na­ti­ve Kom­mu­nal Poli­tik)* fin­det sich ein umfang­rei­cher Son­der­teil zur grü­nen Hei­mat­de­bat­te, der über ein schlich­tes Pro und Con­tra deut­lich hin­aus­geht – viel­mehr geht es dar­um, ob und wenn ja wie ein Hei­mat­be­griff für grü­ne Poli­tik ange­eig­net und besetzt wer­den kann. Von mir ist eine gekürz­te Fas­sung mei­nes dies­be­züg­li­chen Blog­bei­trags aus dem Jahr 2017 enthalten.

* „Alter­na­tiv“ hat hier – immer­hin ist die AKP im 40. Jahr­gang – noch die ursprüng­li­che Bedeu­tung aus den 1970er und 1980er Jah­ren, und auch das Kür­zel AKP hat erst vor eini­gen Jah­ren die heu­ti­ge Bri­sanz erhal­ten. Letzt­lich ist die AKP die grü­ne Fach­zeit­schrift für Kom­mu­nal­po­li­tik und wird von grü­nen Gemeinderät*innen und Bürgermeister*innen gelesen.