
Die 1978 ausgestrahlte BBC-Hörspielserie The Hitch Hiker’s Guide to the Galaxy von Douglas Adams hat uns nicht nur die Idee eines freundlichen, von überall aus zugreifbaren Lexikons in die Welt gesetzt – sehr viel besser als die galaktische Enzyklopädie, das sicherlich eines der Vorbilder für die Wikipedia wurde, sondern auch den Babelfisch. Das ist ein kleiner gelber Fisch, der ins Ohr gestopft wird, und übersetzt. Oder, um aus dem Buch zu zitieren:
‚What’s this fish doing in my ear?‘
‚It’s translating for you. It’s a Babel fish. Look it up in the book if you like.‘
He tossed over The Hitch Hiker’s Guide to the Galaxy […]
‚The Babel fish,‘ said The Hitch Hiker’s Guide to the Galaxy quietly, ‚is small, yellow and leach-like, and probably the oddest thing in the Universe. It feeds on brainwave energy received not from its own carrier but from those around it. It absorbs all unconscious mental frequencies from this brainwave energy to nourish itself with. It the excretes into the mind of its carrier a telepathic matrix […] The practical upshot of all this is that if you stick a Babel fish in your ear you can instantly understand anything said to you in any form of language. […]
Dank „AI“ sind wir jetzt ungefähr da. Google Translate und Google Lens, DeepL etc. etc. machen es möglich: Texte und inzwischen auch gesprochene Sprache lassen sich weitgehend beliebig von einer Sprache in eine andere übersetzen, jedenfalls dann, wenn genügend Material zur Verfügung steht. Das Ergebnis ist nicht immer optimal, reicht aber für viele Zwecke aus.
Douglas Adams setzt seine Beschreibung des Babelfischs nicht nur mit einem Beweis der Nicht-Existenz Gottes fort, sondern kommt auch zum Schluss, dass der „arme Fisch“ dadurch, dass er alle Kommunikationsbarrieren niedergerissen hat, mehr Kriege verursacht hat als jedes andere Wesen. (Wer sich das ganze in der BBC-Fernsehserie aus den 80ern mit wunderbar handgezeichneten Computeranimationen anschauen will, findet auf Youtube einen sehenswerten Ausschnitt).
Dass maschinelle Übersetzung für blutige Kriege verantwortlich ist, würde ich jetzt nicht unterschreiben. Für missverständliche Beschriftungen in User Interfaces und Anleitungen – auf jeden Fall. Gut, die gab es auch schon vor automatisierten Tools, wenn Wörter ohne Kontext übersetzt wurden. Und ja, einer der Gründe, warum ich englischsprachige Science Fiction am liebsten auf Englisch lese, und nicht in der Übersetzung, ist Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie. Die habe ich auf Deutsch gelesen, und bin dann mehrfach über Textteile gestoßen, deren Sinn sich mir erst entschlossen hat, als ich sie zurückübersetzt habe. Der Übersetzer oder die Übersetzerin hatte hier kein Kontextwissen – in dem Fall: über psychologische Standardtests, die ich aus meinem Studium kannte, wenn ich mich richtig erinnere – und hat dann beim Übersetzen unverständlichen Murks daraus gemacht, so dass das Handeln von Robinsons Protagonist*innen nur schwer nachvollziehbar war.
Jedenfalls: ich habe irgendwann festgestellt, dass einen Unterschied zwischen dem Original und der Übersetzung gibt, und freue mich, dass ich zumindest englischsprachige Bücher und Filme in den Nuancen des Originals genießen kann. Da fehlt dann vielleicht trotzdem der eine oder andere kulturelle Bezug, so dass mir Wortspiele entgehen. Aber immerhin.
Der AI-Babelfisch suggeriert nun, dass Einsprachigkeit kein Problem ist. Browser haben damit angefangen und bieten die Option, Websites automatisch übersetzen zu lassen. Bei Sprachen, die man selbst nicht spricht, kann das enorm praktisch sein. Bei anderen: nervt es. Immerhin lässt sich das z.B. in Chrome recht fein ziseliert einstellen – sowohl für bestimmte Sprachen als auch für einzelne Websites. Und mit wenigen Klicks kann von der übersetzen auf die Original-Seite umgeschaltet werden, wenn etwas fishy erscheint.
Allerdings halten sich nicht alle Websites daran. Bzw. manche übersetzen einfach selbst, Reddit beispielsweise. Das mag gut gemeint sein, und trägt eventuell zur Völkerverständigung bei, aber eigentlich würde ich Ausführungen zu technischen Problemen etc. lieber im Original als in einer mehr oder weniger guter Annäherung an Deutsch lesen. Auch da kommt es dann teilweise zu dem Problem, dass sich erst erschließt, was eigentlich gemeint ist, wenn rückübersetzt wird. Beispielsweise, weil die Programmiersprache eben eigentlich nicht übersetzt ist (Excel wäre hier böse anzugucken).
Heute morgen bin ich zum ersten Mal über ein Youtube-Video gestolpert, bei dem eine KI-Übersetzung gesprochener Sprache den Originaltext ersetzt hat. Das wirkte sehr uncanny. Als Option: meinetwegen, da kann das sinnvoll sein. Als Voreinstellung, die sich nur ändern lässt, wenn die Sprache insgesamt auf Englisch umgestellt wird? Bitte nicht!
In den USA mag das anders sein (wobei auch da Spanisch und Chinesisch relevante Sprachanteile haben), aber Europa ist nun mal ein multilingualer Kontinent, und diese Vielfalt hinter maschinellen Übersetzungen zu verstecken, ist nicht erfreulich. Bitte hört auf damit!
Das Ganze hat noch einen Nebenaspekt. Wer in den letzten Jahrzehnten „im Netz“ aufgewachsen ist, ist früher oder später mit englischsprachigen Medien konfrontiert worden. Das fängt bei Websites und Dokumentationen an und führt über Foren-Diskussionen hin zu Games, Podcasts, Videotagebüchern und Kurzvideos. Dass meine Kinder früher Englisch verstehen und sprechen gelernt haben, als das bei mir der Fall war, und dass sie eine deutlich bessere Aussprache und ein ungezwungeneres Verhältnis dazu haben, hat viel genau damit zu tun. Sein es Gamer*innen aus anderen Ländern, sei es der Konsum von Medienprodukten – da ist bisher Englisch eine lingua franca. Das muss nicht so bleiben, und vielleicht werden die Cyberpunk-Romane, die Japanisch, Koreanisch oder Chinesisch an diese Stelle rücken, irgendwann der Wirklichkeit entsprechen. Aktuell jedenfalls hilft es sehr, Englisch verstehen und sprechen zu können.
Wenn es jedoch an sehr vielen Stellen – möglicherweise gar nicht abschaltbare – maschinelle Übersetzungen gibt, wird diese Vielfalt ausgefiltert. Kinder und Jugendliche wachsen dann nicht mit Deutsch und Englisch (und möglicherweise der einen oder anderen Herkunftssprache) auf, sondern mit Deutsch und dem KI-Dauerwerbesendungsdeutsch. Ich befürchte, dass da was verloren gehen wird.
Der arme Babelfisch kann nichts dafür, uns ist ja wirklich ungemein praktisch. Aber ich möchte zum Beispiel das oben verlinkte BBC-Video gerne weiter im Originalton angeboten bekommen, und nicht hinter einem synthetischen Sprachkonstrukt.
