Am 8. März 2026 findet in Baden-Württemberg die Landtagswahl statt, die Spitzenkandidaten im Kampf um das Amt des Ministerpräsidenten heißen Cem Özdemir (Grüne) und Manuel Hagel (CDU). Der Bundeskanzler Merz (CDU) hat in einem öffentlichen Gespräch sinngemäß – und klar rassistisch – geäußert, dass ihn etwas am Stadtbild störe und mehr „Rückführungen“ hier helfen würden.
Beide Fakten haben zunächst einmal nicht so viel miteinander zu tun, auch wenn sich trefflich über die Strategie und die Optionen der CDU diskutieren ließe. Das will ich aber hier und jetzt nicht machen.
Beiden Aussagen gemeinsam ist, dass sie für mich komplett selbstverständliche Wissenselemente sind: Das weiß doch jede*r, dass im nächsten März Landtagswahl ist. Die Frage, ob/wie die persönlichen Umfragewerte von Cem (viel, viel besser als Hagel) mit den Parteiwerten (da liegt die CDU deutlich vor uns Grünen) so in Verbindung gebracht werden können, dass die aktuell noch neun Prozent Differenz zur CDU geschlossen werden, treibt das „politische Stuttgart“ um. Und über Merz regen sich seit Tagen „alle“ auf Mastodon, in den politischen Kommentarspalten und in der Teeküche der Fraktion auf.
Nur: ist halt nicht so. Wer nicht jeden Tag beruflich mit Politik zu tun hat, weiß – in Baden-Württemberg – vielleicht noch vage, dass demnächst Landtagswahlen sind und dass Kretschmann nicht mehr antritt. Auch das ist aber nicht sicher. Und wer sich nicht bewusst für Politik interessiert, wird vermutlich erst im Januar, wenn Plakate hängen und Anzeigen geschaltet werden, davon mitbekommen. Als ehemaliger Bundesminister und langjähriger Spitzenpolitiker der Grünen ist Cem Özdemir bekannt genug, dass viele trotzdem etwas zu „d’r Cem“ einfällt. Zu seinem Gegenkanddiaten, dem CDU-Fraktionschef und ehemaligen Bankangestellten aus dem Alb-Donau-Kreis, haben nur wenige Menschen ein Bild.
Was Grüne und CDU genau wollen, wo die inhaltlichen Unterschiede liegen, wer wen in den letzten Monaten der 17. Legislaturperiode ausmanövriert und blockiert – all das kommt im Alltag kaum vor. Dass im SWR über eine Landtagssitzung berichtet wird, hat zunehmend Seltenheitswert, und auch die baden-württembergischen Tageszeitungen greifen nur sehr begrenzt das politische Geschehen in Stuttgart auf – egal, ob es um das Polizeigesetz, die Umsetzung des Wechsels von G8 auf G9 im Gymnasium oder die Verknüpfung der beiden Teile des Nationalparks geht. Die schlechte Lage der Kommunen – davon mag der eine oder die andere schon mal gehört haben, erst recht, wenn es lokal dadurch zu Problemen kommt. Dass zwischen Land und Kommunen jetzt ein Verfahren ausgehandelt wurde? Weiß das jemand? Da geht es darum, dass 2/3 des Geldes, dass der Bund für den Ausbau und die Sanierung der Infrastruktur, also von Straßen, Schienen, Gebäuden usw., – durch neue Schuldenaufnahmen – zur Verfügung stellt, an die Kommunen weitergegeben wird, und zwar weitgehend bedingungslos. Das sind immerhin fast neun Mrd. Euro, die da in den nächsten Jahren an die Kommunen gehen. Dazu wird es im Landtag kurz vor der Wahl noch einen Nachtragshaushalt geben. Hochspannend, und gleichzeitig etwas, was den meisten Menschen vermutlich völlig unbekannt ist.
Und selbst Aufregerthemen wie die unsägliche Äußerung von Kanzler Merz gehen an sehr vielen Menschen schlicht vorbei. Klar, da wurde drüber berichtet – aber wer guckt noch regelmäßig in Nachrichtensendungen, auf entsprechende Websites oder in Zeitungen? Und wer dann nicht zufälligerweise auf sozialen Medien damit konfrontiert wird, wird das nicht einordnen können (genauso, wie gut gemachte Kommentierungen im Meme-Style, die auf diese Äußerung anspielen, halt nur denen verständlich sind, die davon schon mal gehört haben).
Es gibt auch in einer Demokratie keine Pflicht dazu, sich politisch zu informieren. Umso wichtiger, sich immer wieder klar zu machen, dass viele Mitbürger*innen im besten Fall nichts von der politischen Arbeit mitbekommen, die in Stuttgart, Berlin oder Brüssel läuft, und erst recht nichts von Insiderdebatten und zugespitzten Empörungswellen. Und im schlechteren Fall wissen sie davon, weil ihnen ein Algorithmus oder ein auf die falschen Quellen zurückgreifender Chatbot AfD-Propaganda und Desinformation auf die Bildschirme spült.
Soweit meine etwas ernüchternde sonntägliche Bestandsaufnahme. „Besser kommunizieren“ ist da nur ein halb guter Vorsatz, wenn der Resonanzraum, in dem erörtert wird, was politisch getan wird, immer kleiner und marginaler wird. Volks- bzw. Arbeiterbildung, hieß eine Antwort, die im 19. Jahrhundert auf eine ähnliche Problemdiagnose gefunden wurde, glaube ich – möglicherweise braucht es mehr davon. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei Volkshochschulen und Bibliotheken, und an vielen anderen Orten.