Die Hoffnung, dass der zweite Wahlgang alles noch einmal drehen könnte, zerschlug sich ziemlich schnell – mit den ersten paar ausgezählten Wahlbezirken war klar, dass Martin Horn noch einmal deutlich zugelegt hat und zum neuen Oberbürgermeister von Freiburg gewählt worden ist. Dieter Salomon und Monika Stein blieben jeweils mit leichten Verlusten auf dem Ergebnis des ersten Wahlgangs. Dass es schwierig sein könnte, ein Plus an Stimmen zu erreichen, hatte ich erwartet – dass fast exakt die Stimmenzahl aus dem ersten Wahlgang für Dieter Salomon übrig blieb, wundert mich doch etwas, da ich von vielen Stein-Wähler*innen gehört habe, dass sie ihre Stimme diesmal an Salomon geben wollten. Hinter den scheinbar gleichbleibenden Stimmenzahlen dürfte also eine gewisse Dynamik aus Wählerwanderung und Mobilisierungseffekten stecken. Unterm Strich zählt jedoch die Stimmenzahl, und die ist – leider – eindeutig.
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Wahl- berech- tigte |
Wähler* innen |
Stein, Monika |
Kröber, Manfred |
Horn, Martin |
Dr. Salomon, Dieter |
Behringer, Anton |
Wermter, Stephan |
Sonstige |
1. |
170.793 |
87.118 51,0% |
22.726 26,2% |
1.240 1,4% |
30.066 34,7% |
27.095 31,3% |
3.244 3,7% |
2.252 2,6% |
70 0,1% |
2. |
170.419 |
88.190 51,7% |
21.235 24,1% |
– |
38.899 44,2% |
27.009 30,7% |
796 0,9% |
– |
47 0,1% |
Mich ärgern zwei Mythen, die jetzt über diese Wahl erzählt werden. Der eine Mythos ist der von der grünen Spaltung in Freiburg. Monika Stein sitzt für die GAF – Grüne Alternative Freiburg – im Gemeinderat. Das ist eine Abspaltung der Grünen, diese Spaltung ist allerdings schon etwa zehn Jahre her. Zudem trat Monika als Kandidatin eines linken Bündnisses an, bestehend aus der Linkspartei-nahen Linken Liste, den Unabhängigen Frauen, Junges Freiburg und PARTEI sowie diversen Einzelunterstützer*innen. Der Aufruf aus der Ferne, dass Grüne und Grüne zusammenhalten müssten, dass so eine Spaltung doch blöd sei, oder dass es verwundere, dass seitens von Monika kein Wahlaufruf für Dieter erfolgte, verkennt die lokale Situation. Beileibe nicht alle Wähler*innen von Monika „ticken“ grün, und auch inhaltlich gibt es klare Unterschiede zwischen ihrem Programm und dem der Gemeinderatsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen bzw. dem des noch amtierenden Oberbürgermeisters.
Das zweite ist die Geschichte davon, dass damit das Ende der grünen Ära in Baden-Württemberg hereinbrechen würde. Ich möchte hier daran erinnern, dass Horst Frank, grüner OB von Konstanz, von 1996 bis 2012 regierte und danach ein CDU-Bürgermeister gewählt wurde. Insofern ist es zwar ärgerlich, aber keine „Sensation“ (O‑Ton SPD), dass ein amtierender grüner Oberbürgermeister nach 16 Jahren abgewählt wird. Natürlich ist es mit den aktuellen Streits in der Koalition im Landtag und der klaren grün-schwarzen Unterstützung in Freiburg eine schöne Geschichte, diese Abwahl zu einem landespolitischen Menetekel zu machen, gar von einem Erdbeben zu sprechen – das alles trifft es nicht. Die Erde hat vor ein paar Tagen in Müllheim bei Freiburg gebebt; die Oberbürgermeisterwahl wurde dagegen nicht landes‑, sondern stadtpolitisch oder vielleicht sogar personenspezifisch entschieden.
Jetzt schon lassen sich aus meiner Sicht drei Lehren aus dieser Wahl ziehen.
Erstens: den Oberbürgermeister zu stellen und im Gemeinderat stark vertreten zu sein, ist kein Selbstläufer und heißt nicht, dass Erfolge automatisch honoriert werden. Mancherseits gab es den Eindruck, dass da nichts Neues mehr kommt, dass zwar viel für Freiburg erreicht wurde, aber die Visionen für die nächsten acht Jahre fehlten. Das hat eine inhaltliche Komponente – wer grün wählt, will auch klare grüne Erfolge sehen; zumindest gilt dies für einen relevanten Anteil der grünen Wählerschaft. Das Kommunale ist sehr konkret; noch stärker als auf Landes- und Bundesebene zählt hier das sichtbare Ergebnis politischen Handels, wie es im Alltag ankommt oder nicht ankommt. Einmal errungene Erfolge werden dabei schnell vergessen und als selbstverständlich angesehen. Nur gut zu verwalten reicht nicht aus. Oder, etwas zugespitzer gesagt: so wichtig eine Erweiterung des grünen Wählerklientels in die Breite der Bevölkerung ist – der grüne Kern und dessen Interessen sollten nicht vergessen werden. Sonst wird, wie im Vauban und in den Innenstadtgebieten von Freiburg, im Zweifel auch mal links(grün) gewählt.
Neben der inhaltlichen geht es hier aber auch um eine kommunikative Komponente. In diese Lücke hat Martin Horn sehr genau gezielt, in dem das Bild eines arroganten Oberbürgermeisters in Umlauf gegeben wurde, dem Bürgerbeteiligung und bürgernahe Kommunikation entgegengestellt wurde. Kommunikativ auch jenseits der Verbände und Bürgervereine präsent zu sein, die erreichten Erfolge immer wieder auch „zu verkaufen“, und neue Visionen mit Bürger*innen zusammen zu erarbeiten – das ist sicherlich ein Problem, das weit vor dem Wahltermin vorhanden war und sich jetzt vollends ausgewirkt hat. (Über die Kampagne, insbesondere zum ersten Wahlgang, schreibe ich jetzt lieber nichts).
Zweitens: Die Stadt stand und steht gut da der Oberbürgermeister war erfolgreich. Also wurden mögliche, noch dazu stadtfremde, Gegenkandidaten lange Zeit nicht besonders ernst genommen. Dass ein amerikanisierter Wahlkampf mit viel Präsenz (der der Suggestion von Präsenz), viel Händeschütteln und Sorgen anhören, mit einem populistisch angehauchten Auftreten ohne viel Inhalte, aber mit einprägsamen Slogans auch in Freiburg zünden könnte, wurde nicht gesehen – und als es gesehen wurde, war es zu spät. Da hatte Martin Horn längst überall in der Stadt ein Samenkorn des Kümmerns eingesät, jedem alles versprochen – auf die Umsetzung bin ich gespannt – und den Wahlkampf in die Hände eines umtriebigen Graswurzelnetzwerks gelegt, das mit vielfältigen Aktionen Sichtbarkeit in der Stadt erzeugte und weit über den Parteiapparat der SPD wirkte. Im zweiten Wahlgang kam dazu dann noch der Bandwaggon-Effekt dazu, also ein Aufspringen auf den siegreichen Zug.
Ich nehme an, dass mit einem solchen – charismatischen – Wahlkampf in Zukunft stärker zu rechnen sein wird. Was das für Politik bedeutet, wäre zu diskutieren.
Drittens: Sechzehn Jahre sind eine ganz schön lange Zeit, egal, wer Oberbürgermeister oder Kanzlerin ist. Demokratie lebt vom Wechsel. Vielleicht muss darüber nachgedacht werden, ob die bisherige, in Baden-Württemberg acht Jahre währende Bürgermeisterwahlperiode nicht zu lang ist. (Ober-)Bürgermeister*in zu sein, ist kein Lebenszeitjob mehr, sondern wird stärker als früher zum politischen Amt auf Zeit. Hier könnte ich mir vorstellen, dass eine Verkürzung der Wahlperiode auf fünf Jahre angemessener wäre. Und auch der zweite Wahlgang, der ja in Baden-Württemberg keine Stichwahl darstellt, sondern eine eigenständige Wahl, bei der dann die relative Mehrheit reicht, sollte noch einmal genauer betrachtet werden. Ist es sinnvoll, wenn ein Oberbürgermeister von der Mehrheit der Stadtbevölkerung nicht gewählt wird? Wäre es nicht besser, wenn der zweite Wahlgang als echte Stichwahl ausgestaltet wäre?
Zusammengefasst: Das Wahlsystem hat einige Eigenheiten, die durchaus auf den Prüfstand gestellt werden könnten. Wahlkampf wird amerikanischer und persönlicher, eine Mobilisierung schon weit im Vorfeld der Wahl gewinnt an Bedeutung. Erfolgreiches politisches Handeln muss auch kommuniziert und diskutiert werden, und zwar nicht erst bei der Wahl, sondern kontinuierlich. Und: sich auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen, reicht nicht aus.
Ich habe ja geschrieben, dass ich die Einschätzung für falsch halte, dass die Wahl in Freiburg eine landespolitische Wahl war. Richtig ist allerdings, dass wir uns – gerade in der grün-schwarzen Koalition – verstärkt überlegen sollten, wie es um Angebote an den grünen Kern unserer Wählerschaft bestellt ist, und wie es gelingt, Erfolge auch sichtbar zu machen.