Kurz: Reisewarnung

Allein schon aus Kli­ma­grün­den ist für mich klar, dass ich nicht zu Kon­fe­ren­zen in den USA oder in Aus­tra­li­en rei­se. Des­we­gen war ich so froh, dass die Sci­ence-Fic­tion-World­con letz­tes Jahr im gut erreich­ba­ren Glas­gow statt­fand. An der World­con die­ses Jahr in Seat­tle wer­de ich dem­entspre­chend nicht teil­neh­men (jeden­falls nicht vor Ort, ob ich eine vir­tu­el­le Teil­nah­me sinn­voll fin­de, muss ich mal noch sehen).

Zu den Kli­ma­grün­den ist mit dem Trump-Musk-Regime ein wei­te­rer Grund dazu gekom­men. Es häu­fen sich Berich­te über ver­wei­ger­te Ein­rei­sen (zuletzt: ein fran­zö­si­scher Wis­sen­schaft­ler, der in pri­va­ten Chats Kri­tik an Trump geübt hat­te) und Abschie­be­haft (u.a. Tourist*innen aus Deutsch­land, aus Kana­da, aus Groß­bri­tan­ni­en, die wegen kleins­ter Feh­ler in Abschie­be­la­gern lan­de­ten). Das Aus­wär­ti­ge Amt warnt in rela­tiv har­ten Wor­ten nicht nur vor Kri­mi­na­li­tät und gras­sie­ren­den Krank­hei­ten wie der Vogel­grip­pe, son­dern weist auch dar­auf hin, dass Geschlechts­iden­ti­tä­ten nicht aner­kannt wer­den, Mobil­te­le­fo­ne durch­sucht und die Ein­rei­se jeder­zeit ver­wei­gert wer­den kann. 

Ent­spre­chend stellt sich die Fra­ge, ob es über­haupt noch ange­mes­sen ist, in die­sen Zei­ten gro­ße Kon­fe­ren­zen in den USA statt­fin­den zu las­sen. Die Vor­sit­zen­de der Seat­tle World­con hat jetzt ein State­ment ver­öf­fent­licht, in dem zwar einer­seits Ver­ständ­nis dafür geäu­ßert wird, dass die aktu­el­len Bedin­gun­gen dazu füh­ren kön­nen, dass indi­vi­du­el­le Rei­se­ent­schei­dun­gen nach Seat­tle nega­tiv aus­fal­len. „The situa­ti­on ist frig­thening.“ Ander­seits soll die World­con aber wei­ter statt­fin­den – „becau­se it is even more important than ever to gather with tho­se who are able to do so to dis­cuss our the­me and cele­bra­te the power of SFF to ima­gi­ne dif­fe­rent socie­ties.“ Und zwi­schen den Zei­len scheint durch, wie macht­los es sich anfühlt, gut gemeint auf „safe spaces“ und Ver­pflich­tung zu Diver­si­ty zu set­zen, wäh­rend außen her­um die Welt zusammenbricht.

Ich kann das zwar nach­voll­zie­hen, schließ­lich ist eine Kon­fe­renz mit ein paar tau­send Teil­neh­men­den nichts, was mal so eben abge­sagt oder vir­tua­li­siert wer­den kann, auch aus finan­zi­el­ler Per­spek­ti­ve. Ich bin aber gespannt, wie sich die Lage auf die Teil­nah­me von Men­schen außer­halb der USA aus­wirkt. Und eigent­lich wäre eine Absa­ge – oder eine Ver­la­ge­rung ins Aus­land – das sehr viel stär­ke­re Zei­chen gewe­sen in einer Zeit, in der die rea­le Poli­tik SF-Dys­to­pien rechts überholt.

Science Fiction und Fantasy im Februar 2025

Dry seeds

Auch im Febru­ar (der ja nun eh schon ein kur­zer Monat ist) bin ich auf­grund diver­ser äuße­rer Ereig­nis­se weni­ger zum Lesen / Medi­en­kon­sum gekom­men als sonst. Im Stream ange­schaut habe ich mir genau zwei Fil­me: Ers­tens Atlas (Net­flix, 2024). Der hat extrem schlech­te Kri­ti­ken bekom­men, ich fand ihn trotz­dem – beim Aus­blen­den der einen oder ande­ren Glaub­wür­dig­keits­lü­cke – ganz unter­halt­sam. Das Set­ting ist ein zeit­ge­nös­sisch bekann­tes: in Robo­ter und Haus­halts­ge­rä­te ein­ge­bau­te künst­li­che Intel­li­gen­zen haben die grö­ße­re Tei­le der Mensch­heit umge­bracht, deren Andro­iden-Anfüh­rer konn­te flie­hen. Ein paar Jahr­zehn­te spä­ter ist ihm eine Eli­te­ein­heit der ver­ei­nig­ten irdi­schen Natio­nen auf den Spu­ren – und wür­de völ­lig schei­tern, wenn nicht Atlas dabei wäre, deren Mut­ter an einem bidi­rek­tio­na­len Neu­ro­link zwi­schen Andro­iden und Men­schen geforscht hat­te, und für die der Andro­iden­ter­ro­rist lan­ge wie ein Bru­der war. Heu­te ist Atlas sozio­phob, extrem intel­li­gent, und wild ent­schlos­sen, Rache zu neh­men. Dass ein Film mit die­ser Prä­mis­se dann vor allem a. von Par­ti­sa­nen­kämp­fen auf einem außer­ir­di­schen Pla­ne­ten (in der Andro­me­da-Gala­xis) und b. von dem lang­sa­men Auf­bau von Ver­trau­en zwi­schen Atlas und der auto­no­men Mech-Kampf-Ein­heit, auf die sie sich wider Wil­len ver­las­sen muss, han­delt, kommt etwas über­ra­schend. Wie gesagt: ich fand ihn – beim Her­un­ter­dre­hen des einen oder ande­ren Anspruchs – recht unterhaltsam. 

Zwei­tens habe ich Jer­ry Sein­fields Unfros­ted (Net­flix, 2024) ange­schaut. Das ist jetzt im eigent­li­chen Sin­ne kei­ne Fan­ta­sy, son­dern eine Mischung aus völ­lig über­dreh­ter Komö­die und Doku­men­tar­film über die Kämp­fe zwi­schen kon­kur­rie­ren­den Cera­li­en-Her­stel­lern in den 1960ern. Alles sehr hübsch im Mid-cen­tu­ry-Design, völ­lig über­dreht, und ja – ich fand’s ganz amü­sant. Mag aber auch an den Zei­ten liegen.

Gele­sen habe ich pas­send zur Wahl zum einen das Par­tei­pro­gramm der Aus­ser­ir­di­schen Inva­so­ren Par­tei Deutsch­lands (AIPD) (Teil der ZOXFR Corp.) unter dem Titel Frei­heit durch Unter­wer­fung (2023). Aus­ge­dacht hat sich das Ruben A. Fischer. Das Par­tei­pro­gramm kommt aller­dings nicht ganz an die her­vor­ra­gen­den Pla­ka­te her­an, die zur Wahl wohl in eini­gen Städ­ten zu sehen waren, son­dern trägt manch­mal etwas zu dick auf. Trotz­dem bleibt die bit­te­re Erkennt­nis: wahr­schein­lich hät­te eine real exis­tie­ren­de Par­tei, die auf frei­wil­li­ge Unter­wer­fung durch außer­ir­di­sche Inva­so­ren setzt, durch­aus Chan­cen, Pro­zen­te abzusahnen.

Eben­falls irgend­wie was mit der Wahl zu tun hat Ronald M. Hahns Social­de­mo­kra­ten auf dem Mon­de (1998), auf das ich gesto­ßen bin, weil es im Face­book-Feed des SFCD erwähnt wur­de. Das Buch – eher eine Novel­le als ein Roman, erstaun­lich, wie dünn SF&F‑Bücher mal waren – schreibt im sati­risch über­spit­zen, aber kaum gebro­che­nen, Stil der wil­hel­mi­ni­schen Zeit von der Mond­fahrt des Gra­fen Revent­low, der 1920 den Mond dem Deut­schen Kai­ser­reich über­eig­nen möch­te, bevor Sozialdemokrat*innen – oder schlim­mer noch: Kommunist*innen – ihn in die Hän­de bekom­men. Der Unter­ti­tel „Eine Welt­raum-Cla­mot­te“ ist lei­der unbe­dingt ernst zu neh­men, den gut geal­tert ist die­ses Büch­lein nicht, egal wie wild und aben­teur­lich der von social­de­mo­kra­ti­schen „Wil­den“ besie­del­te Mond und die Akteu­re aus ver­schie­de­nen irdi­schen Mäch­ten, die sich dort begeg­nen, auch gezeich­net sein mögen. Ein­zi­ger Licht­blick: der eine oder ande­re Insi­der-Witz zur SF-Geschichte. 

Sehr inter­es­sant fand ich es, zwei Bücher von Chris­to­pher Brown direkt hin­ter­ein­an­der zu lesen. Das eine ist sein SF-Thril­ler Rule of Cap­tu­re (2019), das ande­re das Sach­buch A Natu­ral Histo­ry of Emp­ty Lots (2024), in dem Brown uns in die Über­gangs­zo­nen zwi­schen Stadt und Natur im texa­ni­schen Aus­tin mit­nimmt, über zer­fal­len­de Infra­struk­tur, Wild­nis, die sich in Right-of-Way-Kor­ri­do­ren ansie­delt und Schlan­gen, die sich auf dem Weg zwi­schen Wohn­zim­mer und Schlaf­zim­mer son­nen, schreibt. Es geht hier also um oft über­se­he­ne Orte in der Stadt, die Zwi­schen­räu­me, in denen Men­schen, wenn sie genau hin­schau­en, Füch­sen, Kojo­ten, Wasch­bä­ren etc. begeg­nen, und die nur auf den ers­ten Blick wie brach­lie­gen­de Müll­ab­la­ge­run­gen aus­se­hen. Das alles ver­wo­ben mit bio­gra­fi­schen Bli­cken auf sei­nen Umzug nach Aus­tin, das Plat­zen der Dot-Com-Bla­se und die unter­schied­li­chen Wel­ten, die Brown als Rechts­an­walt dabei so ken­nen­ge­lernt hat. – All das fin­det sich als Hin­ter­grund und Set­ting in Cap­tu­re wie­der. Die­ser Roman spielt in den USA einer nahen Zukunft, gezeich­net von der Kli­ma­ka­ta­stro­phe, einem ver­lo­re­nen Krieg und den damit ver­bun­de­nen inter­nen Flucht­be­we­gun­gen. Im Set­ting des Romans ist es kurz nach einer Wahl, die ange­foch­ten wird – und die dar­über ent­schei­det, ob ein faschis­tisch gezeich­ne­ter Macht­ha­ber Prä­si­dent wird und sich durch­setzt, oder nicht. Der Prot­ago­nist, Don­ny Kimoe, ist ein ver­arm­ter und depres­si­ver Pflicht­ver­tei­di­ger, der ver­sucht, noch irgend­et­was für die angeb­li­chen „Ökoterrorist*innen“ her­aus­zu­ho­len, die er ver­tei­digt – auf recht­li­chem Weg, manch­mal aber auch außer­halb der dafür eigent­lich vor­ge­se­he­nen Wege. Nicht immer mit Erfolg. Nach und nach deckt er dabei auf, wel­che finstren Machen­schaf­ten hin­ter dem neu­en Regime ste­hen, und was die­se für Plä­ne ver­fol­gen. Span­nend und gut geschrie­ben – und lei­der an der einen oder ande­ren Stel­le heu­te aktu­el­ler als es 2019 vor­stell­bar war. 

Der klei­ne Sam­mel­band A Quiet After­noon (2020), her­aus­ge­ge­ben von Lia­ne Tsui und Grace Sey­bold ver­spricht das genaue Gegen­teil, und erfüllt die­ses Ver­spre­chen auch. Hier geht es um „low-fi spe­cu­la­ti­ve fic­tion“, gemeint sind damit Geschich­ten, die in einem Fan­ta­sy- oder SF-Set­ting ste­cken, aber ohne gro­ße Held*innen, welt­be­we­gen­de Ent­de­ckun­gen oder apo­ka­lyp­ti­sche Ver­schwö­run­gen aus­kom­men. In den Geschich­ten in die­ser Antho­lo­gie pas­siert durch­aus etwas, lang­wei­lig sind sie nicht – aber eben im klei­ne­ren Maß­stab, und mit freund­li­che­rem Ant­liz. Ob ich das unter Hope Punk ein­sor­tie­ren wür­de, weiß ich nicht. Aber als Aus­gleich zur Welt­la­ge habe ich A Quiet After­noon ger­ne gelesen.

Elia­ne Boey schreibt in Club Con­tan­go (2024) so eine Art Cyber­punk – nur das die Prot­ago­nis­tin Con­nie Lam eine allein­er­zie­hen­de, zu Selbst­zwei­fel nei­gen­de Mut­ter ist, die in den halb­welt­li­chen Zwi­schen­räu­men der hyper­ka­pi­ta­lis­ti­schen Aste­ro­iden­stadt Free­port am Ende des 21. Jahr­hun­derts ver­sucht, ihr Kind zu ver­sor­gen und nicht auf die von der Kli­ma­ka­ta­stro­phe gezeich­ne­te Erde depor­tiert zu wer­den. Ihre Ver­gan­gen­heit mit Finanz­spe­ku­la­tio­nen und AI-Pror­gam­men holt sie in mehr­fa­cher Hin­sicht ein, und vor dem Hin­ter­grund von Jazz und ande­ren wie­der in Mode gekom­me­nen Sti­len der Ver­gan­gen­heit spitzt sich die Sache zu. Über allem schwebt die Fra­ge, wer die/der geheim­nis­vol­le Chan­ce ist, die/der immer wie­der eingreift. 

Dann habe ich noch den sehr umfang­rei­chen Fan­ta­sy-Roman Mor­dew (2020) von Alex Phe­by gele­sen. Wenn man so möch­te, eine sehr düs­te­re Coming-of-Age-Geschich­te in einer Welt, die viel­leicht in der Zukunft unse­rer liegt, und in der der jun­ge Nathan Tree­ves am Anfang in einem Slum mit leben­den Schlamm, aus dem immer wie­der Chi­mä­ren her­vor­krie­chen, vege­tiert – dann Teil einer klein­kri­mi­nel­len Ban­de wird – und schließ­lich sei­ne töd­li­chen magi­schen Fähig­kei­ten ent­deckt. Düs­ter, weil die­se gan­ze Welt – detail­liert dar­ge­stellt – von Hoff­nungs­lo­sig­keit gezeich­net ist, und Nathan eigent­lich nicht so recht weiß. wie ihm geschieht – bis zum bit­te­ren Ende. Fan­ta­sie­voll und inter­es­sant, aber eigent­lich will ich nicht noch mehr über die­se Welt wis­sen. Den zwei­ten und drit­ten Band habe ich ent­spre­chend bis­her nicht auf mei­nen Lese­sta­pel gelegt.

Apro­pos Lese­sta­pel: ange­sto­ßen durch die Ankün­di­gung, dass Ama­zon den Down­load von Titeln vom Kind­le sper­ren wird, habe ich mich näher mit Calib­re befasst und über­le­ge jetzt, ob es viel­leicht doch brauch­ba­re E‑Book-Rea­der-Alter­na­ti­ven gibt, die dazu bei­tra­gen, das Ama­zon-Öko­sys­tem zu verlassen. 

Kurz: Dystopische Einflussnahme

Irgend­wie habe ich die Ansa­ge ver­passt, dass wir jetzt ins cyber­punk-dys­to­pi­sche abbie­gen. Etwas zuge­spitzt: die klas­si­schen Mas­sen­me­di­en wur­den durch algo­rith­misch und durch ihre Eigen­tü­mer direkt-mani­pu­la­tiv steu­er­ba­re sozia­le Medi­en ersetzt, und die wer­den jetzt eben­so wie enor­me Wahl­kampf­spen­den, Schat­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen und sogar kom­plet­te Fake-News­si­tes dazu genutzt, die Demo­kra­tie zu desta­bi­li­sie­ren. Dahin­ter ste­cken teil­wei­se staat­li­che Akteu­re – wenn etwa Russ­land nicht nur Le Pen und die AfD (und das BSW?) unter­stützt, son­dern über Tik­Tok etc. es auch fast geschafft hät­te, einen rechts­extre­men Prä­si­den­ten in Rumä­ni­en zu instal­lie­ren. Oder es sind Akteu­re wie der reichs­te Mann der Welt, Elon Musk, der jetzt klar sagt, dass er faschis­ti­sche Par­tei­en toll fin­det, der sein Netz­werk „X“ kom­plett dar­auf aus­ge­rich­tet hat, die­se zu pushen – und der mas­sig Geld in die Hand nimmt, um in den USA Trumps Wie­der­wahl und in Groß­bri­tan­ni­en die rechts­extre­me Reform-UK nach vor­ne zu bringen.

Bun­des­tags­wahl 2025 – und wir gucken die­sen Mani­pu­la­ti­ons­be­stre­bun­gen eher hilf­los zu. Die CDU (Spahn, Lin­ne­mann) fin­den Trumps Wahl­kampf kopie­rens­wert. Musk spricht sich für die AfD aus und wird dar­auf­hin von Lind­ner ange­bet­telt, der sich als Ver­tre­ter einer rechts­li­ber­tä­ren Poli­tik a la Milei pro­fi­lie­ren möch­te. Der öffent­lich-recht­li­che Rund­funk lädt wäh­rend­des­sen wei­ter mun­ter die AfD in Talk­shows ein und ver­wi­ckelt sich in Debat­ten, um „Tün­kram“ (Scholz über Merz) oder die Beschimp­fun­gen durch Merz schlim­mer sind. Das nimmt fast lori­ot-bade­wan­nen­taug­li­ches For­mat an. Nur: eigent­lich ste­hen wir gra­de vor ganz ande­ren Her­aus­for­de­run­gen. Rus­si­scher Info­krieg mit Fehl­in­for­ma­tio­nen, die es bis in Reden der CDU und Kom­men­ta­re der ARD (von Trump kopie­ren …) schaf­fen. Kli­ma­kri­se mit einem Aus­maß an Beschleu­ni­gung, das dann doch lie­ber igno­riert wird. Von Koali­tio­nen und Dul­dun­gen mit/durch BSW ganz zu schwei­gen. Zwar bes­ser als die AfD, aber so rich­tig demo­kra­tisch wirkt die­se Kader­par­tei auch nicht.

Klei­ner Licht­blick: Ver­an­ke­rung der Grund­ele­men­te des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­auf­baus im Grund­ge­setz. Das dürf­te zumin­dest eine direk­te Wie­der­ho­lung des Supre­me-Court-Mas­sa­kers erst ein­mal aus­schlie­ßen. Aber in der Sum­me bleibt Ent­set­zen dar­über, wann wir eigent­lich in die Dys­to­pie abge­bo­gen sind. 

P.S.: Ach ja, und die zuneh­men­de Über­nah­me des Net­zes durch Sprach­ma­schi­nen hät­te ich auch noch erwäh­nen können …

🙁

New York VI (Trump Tower / Emergency Exit)

Noch läuft die Aus­zäh­lung. Aber wenn ich den Pro­gno­sen der New York Times ver­trau­en kann – und die dahin­ter lie­gen­den Zah­len, der mas­si­ve Umschwung nach rechts sehen so aus – dann müss­te ein Wun­der gesche­hen, damit Kama­la Har­ris die­se Wahl noch gewinnt. Ich glau­be nicht an Wunder.

Ich gehe davon aus, dass der nächs­te Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten Donald Trump sein wird – mit einer Mehr­heit im Supre­me Court und im Senat, wahr­schein­lich auch im Reprä­sen­tan­ten­haus. Gleich­zei­tig hat die­ser Trump einen Plan, egal, wie sehr er sich davon rhe­to­risch distan­ziert. Inso­fern ist Trump 2024 nicht Trump 2016, son­dern etwas schlim­me­res. Und sein Vize­prä­si­dent steht nicht für die klas­si­sche repu­bli­ka­ni­sche Par­tei, son­dern für einen neu­en Faschis­mus. Das alles in Zei­ten, in denen die USA als ver­läss­li­cher Part­ner eigent­lich gebraucht wür­den – im Kli­ma­schutz, in der Ver­tei­di­gung der Ukrai­ne, im welt­wei­ten Kampf um Demo­kra­tie. Die­se Leer­stel­le wer­den wir bit­ter zu spü­ren bekommen.

2016 war ein Schock, ein böses und uner­war­te­tes Erwa­chen. 2024 fühlt sich anders an. Ich hat­te dar­an geglaubt, dass Har­ris eine Chan­ce hat, dass der Schwung ihrer Kan­di­da­tur bis hier­her reicht. Statt des­sen hat die Pola­ri­sie­rung zuge­nom­men, die zwi­schen Stadt und Land, zwi­schen Küs­ten und dem Lan­des­in­ne­ren – und fast über­all haben mehr Leu­te, bei höhe­rer Wahl­be­tei­li­gung, Trump gewählt als vor vier bzw. sogar vor acht Jah­ren. Objek­tiv betrach­tet war Biden ein guter Prä­si­dent. Gewür­digt wur­de das nicht. Und ich sehe schon die Legen­den, die gestrickt wer­den – dass die Demo­kra­ten viel­leicht doch lie­ber einen wei­ßen Mann hät­ten auf­stel­len sol­len, dass es bes­ser gewe­sen wäre, sich noch stär­ker auf das eine oder ande­re rech­te Nar­ra­tiv ein­zu­las­sen. Und auch davor habe ich Angst.

2024 ist tie­fe Frus­tra­ti­on. Egal, ob es X war oder die Rus­sen, oder schlim­mer noch, ehr­li­che Begeis­te­rung bei einer gro­ßen Zahl Wähler*innen für ein zutiefst reak­tio­nä­res Pro­jekt – das sind alles kei­ne guten Vor­aus­set­zun­gen für die kom­men­den Jahr­zehn­te. Nicht nur in den USA. Wir spü­ren das ja auch hier. Die Wah­len im Osten, die Wah­len in Ita­li­en und den Nie­der­lan­den, in Öster­reich, in Frank­reich. 2025 dann eine Bun­des­tags­wahl, bei der, jede Wet­te, die Merz-Uni­on voll auf Popu­lis­mus-Kurs gehen wird. Muss das sein?

Kurz: Atempause

Erst gewinnt in Groß­bri­tan­ni­en Labour in einem Erd­rutsch­sieg, dann liegt in Frank­reich die „Neue Volks­front“ aus Lin­ken und Grü­nen an ers­ter Stel­le bei den vor­ge­zo­ge­nen Neu­wah­len. Der Vor­marsch der Rech­ten scheint gestoppt, Grund zur Freu­de und Hoffnung.

Bei nähe­rem Hin­se­hen ist bei­des lei­der nicht viel mehr als eine Atem­pau­se. Das bri­ti­sche Wahl­er­geb­nis hat nicht nur mit gro­ßem Unmut über eine zu Pos­sen, Clow­ne­rie und Nicht­funk­tio­nie­ren nei­gen­de Tory-Par­tei zu tun, son­dern ist in Tei­len auch ein Arte­fakt des bri­ti­schen Mehr­heits­wahl­rechts, bei dem die rela­ti­ve Mehr­heit im Wahl­kreis zählt. So lag Labour nur bei 34 Pro­zent, die Tories bei 24 Pro­zent, und dann kommt schon die rechts­extre­me Reform-Par­tei mit 14 Pro­zent (Lib­Dem: 13 Pro­zent, Grü­ne 7 Pro­zent). Auch wenn sich das nicht 1:1 auf das Ergeb­nis in einem pro­por­tio­na­len Wahl­sys­tem umrech­nen lässt, weil dann sicher­lich die eine oder ande­re Wahl­ent­schei­dung anders aus­ge­fal­len wäre: Eine kla­re gesell­schaft­li­che Mehr­heit sieht anders aus, ent­spre­chend insta­bil dürf­te die Stim­mung sein, die jetzt noch Labour trägt. 

Das Mehr­heits­wahl­sys­tem in Frank­reich ist mit sei­nen zwei­ten Wahl­gän­gen etwas anders gela­gert; die­ser zwei­te Wahl­gang und die Brand­mau­er a la fran­cai­se, also die „repu­bli­ka­ni­sche Front“, mit dem Rück­zug dritt­plat­zier­ter Bewerber*innen, hat den Durch­marsch der Le-Pen-Bewe­gung ver­hin­dert. Trotz­dem kom­men RN und Ver­bün­de­te auf 125 Man­da­te (plus 17 der aus der Brand­mau­er aus­bre­chen­den Kon­ser­va­ti­ven), und auf den stärks­ten Stimm­an­teil (32 + 5 Pro­zent im 2. Wahl­gang). Die Nou­veau Front popu­lai­re (die in unse­rem Spek­trum von BSW über Lin­ke und SPD bis zu Grü­nen rei­chen wür­de), kommt zwar mit 178 Man­da­ten auf eine rela­ti­ve Sitz­mehr­heit, hat aber deut­lich weni­ger Stim­men als RN erhal­ten. Auch hier also teil­wei­se Wahl­rechts­ef­fek­te, und ein Ver­hin­dern eines noch stär­ke­ren RN-Ergeb­nis­ses durch das tak­ti­sche Bünd­nis fast aller übri­gen Par­tei­en. Mich erin­nert das an die letz­ten Wah­len in Sach­sen und Sachsen-Anhalt. 

Die Wahl­er­geb­nis­se sind ein Grund zur Freu­de, eine Atem­pau­se. Aber sie dür­fen nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass das Spek­trum von popu­lis­ti­scher bis faschis­ti­scher Rech­ter in Euro­pa wei­ter viel zu stark ist, dass – je nach Land – 20, 30, 40 Pro­zent die­se Par­tei­en wäh­len, und offen­sicht­lich nichts gelernt haben. Kurz­fris­tig hel­fen repu­bli­ka­ni­sche Fron­ten und demo­kra­ti­sche Brand­mau­ern. Auf Dau­er? (Und über Trump und die ihn eher stär­ken­den Eigen­hei­ten des US-Wahl­sys­tems ist damit noch gar nichts gesagt.)