Die falsche Schublade

Left

Vor eini­gen Tagen sorg­te die Ver­öf­fent­li­chung einer empi­ri­schen Stu­die zum Links­extre­mis­mus – beglei­tet von eini­gen Pres­se­ar­ti­keln – für Furo­re. Mir liegt bis­her nur die Pres­se­mit­tei­lung (hier die recht aus­führ­li­che Lang­fas­sung) der FU Ber­lin zu der Stu­die von Klaus Schroe­der und Moni­ka Deutz-Schroe­der vor; die Stu­die selbst ist als Buch für rund 30 Euro erhält­lich. Ich nut­ze sie als Ein­stieg für eine Debat­te über Idea­le, Zivil­ge­sell­schaft und Parlamente.

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Kurz: Was mündige BürgerInnen wissen – und was nicht

S21-Demo in Freiburg 29

Vor ein paar Tagen bin ich über einen Guar­di­an-Bericht zu einer Umfra­ge* dar­über gestol­pert, was die (in die­sem Fall bri­ti­sche) Öffent­lich­keit an sozia­len Pro­blem­la­gen gra­vie­rend falsch ein­schätzt. Bei­spiels­wei­se wird die Zahl der Teen­ager­schwan­ger­schaf­ten um den Fak­tor 25 über­schätzt, die sin­ken­de Kri­mi­na­li­täts­ra­te fälsch­lich als stei­gend bewer­tet und der miss­bräuch­li­che Bezug von Sozi­al­leis­tun­gen sogar um den Fak­tor 34 über­schätzt (Ergeb­nis der Umfra­ge ist die Annah­me, dass ein Vier­tel der Sozi­al­leis­tun­gen miss­bräuch­lich aus­ge­zahlt wird, tat­säch­lich sind es wohl 0,7 Pro­zent). Und so geht es mun­ter wei­ter – Details sind auf der Sei­te des Umfra­ge­insti­tuts nach­les­bar.

Ob das in Deutsch­land genau so aus­se­hen wür­de, weiß ich nicht – ver­mut­lich spie­len der Bil­dungs­grad der Bevöl­ke­rung eben­so wie die Rele­vanz des Bou­le­vard-Jour­na­lis­mus eine wich­ti­ge Rol­le dafür, wie ver­zerrt das öffent­li­che Bild der sozia­len Wirk­lich­keit ist. Ten­den­zi­ell ver­mu­te ich aber, dass hier­zu­lan­de ähn­li­che Fehl­ein­schät­zun­gen nach­zu­wei­sen wären – der berühm­te „Stamm­tisch“ exis­tiert. Aber es ist nicht nur der Stamm­tisch (zumin­dest fehlt auf der Umfra­ge­sei­te eine Auf­schlüse­lung der Abwei­chun­gen nach Klas­se, Bil­dungs­grad oder ähn­li­chen Varia­blen), son­dern eben doch die öffent­li­che Mei­nung, die dann jour­na­lis­tisch wie­der­ge­käut und wei­ter­ver­brei­tet wird. Res­sen­ti­ments und Vor­ur­tei­le fin­den sich eben auch in „bil­dungs­bür­ger­li­chen“ Talk­shows. Und das lässt mich eini­ger­ma­ßen rat­los zurück.**

Denn, wenn dem so ist, dass ein gro­ßer Teil der öffent­li­chen Rele­vanz­set­zung an den tat­säch­li­chen Fak­ten vor­bei­geht, was ist dann davon zu hal­ten? Wahl­recht hängt nicht am Infor­miert­sein, und das ist aus demo­kra­ti­scher Sicht zunächst ein­mal auch gut so. Aber sowohl Wahl­kampf­schwer­punk­te als auch Wahl­er­geb­nis­se bau­en natür­lich auf der­ar­ti­gen ver­fäl­schen Pro­blem­wahr­neh­mun­gen auf – absicht­lich mani­pu­la­tiv, oder des­we­gen, weil eben auch in Par­la­men­ten und Par­tei­en Fehl­ein­schät­zun­gen der rea­len sozia­len Pro­blem­la­gen exis­tie­ren. Poli­tisch gewich­tig ist, was wich­tig scheint. Abge­ord­ne­te, Medi­en und Bür­ge­rIn­nen tra­gen dann oft gemein­sam dazu bei, gefühl­te Pro­blem­la­gen so zu ver­fes­ti­gen, dass der öffent­li­che Dis­kurs plötz­lich das Han­deln in einem Feld als alter­na­tiv­los erschei­nen lässt. Und schon scheint das Boot voll zu sein. 

* Ipsos MORI hat 1015 Per­so­nen zwi­schen 16 und 75 Jah­ren online befragt und die Ergeb­nis­se so gewich­tet, dass sie zum sozio­de­mo­gra­phi­schen Pro­fil der Gesamt­be­völ­ke­rung pas­sen. Nicht wirk­lich eine Reprä­sen­ta­tiv­be­fra­gung, aber auch nicht ganz vom Tisch zu wischen …

** Eige­ne Fehl­wahr­neh­mun­gen natür­lich nicht aus­ge­schlos­sen – was die Sache nicht bes­ser macht

Kurz: Diäten nach Tarif

Dessert forkAlle paar Mona­te erhöht das eine oder ande­re Par­la­ment die Diä­ten für die Abge­ord­ne­ten (oder ver­zich­tet, wie gera­de das Kabi­nett, weit­ge­hend auf eine Erhö­hung der Bezü­ge der Bun­des­mi­nis­te­rIn­nen). Gera­de im Kon­text des Spar­pa­kets liegt es natür­lich jetzt nahe, sich die Fra­ge zu stel­len, wie hoch den eigent­lich die Bezü­ge für Abge­ord­ne­te und Minis­te­rIn­nen sein dür­fen, ohne unge­recht zu wer­den. Dar­auf will ich jetzt aber gar nicht ein­ge­hen, son­dern schlicht die Fra­ge stel­len, war­um Par­la­men­te eigent­lich selbst über die Diä­ten der Par­la­men­ta­rie­rIn­nen ent­schei­den. Einer­seits klingt das erst­mal sinn­voll – Haus­halts­ho­heit des Par­la­ments usw. Ande­rer­seits liegt da aber die Asso­zia­ti­on Selbst­be­die­nungs­la­den nahe. 

Kei­ne Ahnung, ob so etwas poli­tisch durch­setz­bar ist: aber wenn wir Abge­ord­ne­te als „Die­ne­rIn­nen“ des Vol­kes betrach­ten, dann sind sie eigent­lich sowas wie Ange­stell­te der öffent­li­chen Hand oder Beam­tIn­nen auf Zeit. Was spricht dage­gen, das dann auch hin­sicht­lich der Diä­ten umzu­set­zen – und fest­zu­le­gen, dass die Abge­ord­ne­ten (fak­tisch ja eher Selbst­stän­di­ge …) und die Minis­te­rIn­nen in Anleh­nung an BAT bzw. heu­te TV‑L/TVöD etc. bezahlt wer­den? Und zwar dyna­mi­siert – also gebun­den an die Ergeb­nis­se der jewei­li­gen Tarif­ver­hand­lun­gen zwi­schen öffent­li­chen Arbeit­ge­bern und den Gewerkschaften?

Damit wür­de die Not­wen­dig­keit ent­fal­len, dass Par­la­men­te fort­lau­fend neu über die Diä­ten ent­schei­den. Gleich­zei­tig wäre ein gro­ßer Anreiz dar, die öffent­li­chen Tarif­ver­hand­lun­gen mit sinn­vol­len Ergeb­nis­sen zu führen. 

P.S.: Ja, ich weiss, dass Abge­ord­ne­te nicht „Dienst nach Vor­schrift“ machen, eher 50–60 Stun­den pro Woche arbei­ten, und erheb­li­che Auf­wen­dun­gen für ihre Büros haben. Des­we­gen steht da oben auch nicht „nach TVöD“, son­dern „in Anleh­nung an ..:“.

P.P.S.: Anja Schillhan­eck hat für Ber­lin und Andrea Lind­l­ohr hat für Baden-Würt­tem­berg dar­auf hin­ge­wie­sen, dass dort die Diä­ten jeweils an die Ent­wick­lung der all­ge­mei­nen Löh­ne und Gehäl­ter gekop­pelt sind. In BaWü scheint dafür der Zeit­raum ein Jahr zuvor her­an­ge­zo­gen zu wer­den – was dazu führt, dass die baden-würt­tem­ber­gi­schen Diä­ten „zum 1. Juli 2010 von der­zeit 5.125 Euro um 1,53 Pro­zent auf 5.047 Euro pro Monat gekürzt wer­den“. Klingt nach einem sinn­vol­len Sys­tem – trotz­dem blei­be ich dabei, dass eine Kopp­lung an die öffent­li­chen Tarif­ver­trä­ge auch eine inter­es­san­te Anreiz­wir­kung hätte.