Munter protestierende Menschen – etwa bei einem „Reclaim the street“-Event – scheinen, so verstehe ich jedenfalls diesen Artikel aus juristischer Sicht keine grundgesetzlich gedeckte Willensbekundungs-Versammlung ohne Anmeldung darzustellen, sondern eine – legalerweise einzukesselnde – Ansammlung. Erscheint mir etwas fragwürdig, nicht zuletzt, weil ja durchaus dafür geworben wurde. Und die Freiburger Polizei macht sich auch nicht beliebter. Tipp für die nächste derartige Aktion: eindeutige politische Botschaften mitführen …
Zuviel Polizei am 1. Mai
Traditionellerweise findet am 1. Mai im Quartier „Im Grün“ in Freiburg ein links-alternatives Straßenfest statt. So auch dieses Jahr – gute Stimmung, nette Leute, Musik von Punk bis Salsa. Es gibt leckeres Essen, Kinderbelustigung und Unterhaltung für Erwachsene. Eine schöne Sache also.
Dieses Jahr war eine Sache jedoch anders: das Fest stand unter Polizeibeobachtung:
Im Hintergrund zu sehen: der Videoaufzeichnungswagen der Polizei
Warum? Die diesjährige Love or Hate-Parade der autonomen Szene war für den 1. Mai, Startpunkt Belfortstraße angekündigt, also hier. Diese Demo sollte um 19.00 Uhr beginnen – die mobile Überwachungsstation war allerdings auch schon da, als wir um 17.30 Uhr zum Fest kamen (genauso wie die ungewöhnlich große Zahl an Polizeiautos entlang der Zufahrtsstraßen). Wie die Demo verlaufen ist, weiss ich nicht, weil wir gegen 19.00 Uhr gehen mussten (unsere Tochter wurde sehr quengelig). Die massive Polizeipräsenz, der wir beim Verlassen des Geländes begegnet sind, lässt mich allerdings vermuten, dass – im Sinne der neuen Freiburger Linie – nicht auf Deeskalation, sondern auf Repression gesetzt wurde. Aus meiner Sicht das beste Mittel, um aus einer irgendwo zwischen Demo und witziger Parade angesiedelten Sache einen Krawallherd zu machen … Was auf den Fotos nicht zu sehen ist, ist die Polizeihundertschaft, die uns (wir hatten unsere Fahrräder bei der UB geparkt) dort joggend entgegenkam. Für mich viel zu viel Polizei auf Freiburgs Straßen und jedenfalls nichts, was zu meinem Sicherheitsempfinden beiträgt.
Jede Menge Polizeiautos auf dem Rotteckring – die Demo wird nicht weit kommen
Wie gesagt: ich weiss nicht, wie es ausgegangen ist, und konnte nicht vor Ort bleiben. Im Jahr zuvor gab es völlig unnötige Kessel und ähnliches … Diesmal hat der Freiburger AKJ ein Team aus Jurastudierenden als DemobeobachterInnen hingeschickt. Ich hoffe, dass es was gebracht hat und das es nicht zu Ausschreitungen gekommen ist; ich bin aber sicherlich nicht der einzige, der beim Anblick derart massierter Polizeipräsenz wütend wird. Dass es auch anders geht, hat die Vergangenheit in Freiburg gezeigt – die Vorgänger im Polizeipräsidium haben nicht eskaliert, sondern sind bei einer derartigen Demo erstmal mit einer kleinen Gruppe dazugekommen und haben das Gespräch gesucht. Das hat dann – trotz fehlender Anmeldung und buntem Aktivismus – in den meisten Fällen zu Demos geführt, die zwar mal laut waren, aber ansonsten friedlich blieben. Mir ist immer noch nicht klar, wieso das jetzt anders sein muss und was hinter der an vielfältigen Zwischenfällen beobachtbaren neuen Polizeitaktik steckt.
Warum blogge ich das? Um ein Stück Öffentlichkeit zu schaffen und meinem Unmut über dieses Vorgehen Luft zu machen.
Update: Ein paar Worte zum Demoverlauf und eine große Menge Bilder von der Demo gibt es bei Fudder.
Update 2: Ein etwas ausführlicher Bericht ist jetzt auch da (ebenfalls Fudder).
Update 3: Nochmal fudder – diesmal mit der Bewertung der DemobeobachterInnen vom akj.
Update 4: Inzwischen habe ich auch einen Bericht aus linksautonomer Sicht bei Indymedia gefunden.
Update 5: Nochmal ausführlicher und mit Pressezitaten Indymedia.
Update 6: GrünesFreiburg diskutiert – u.a. im Zusammenhang mit der Love and Hate Parade – die Verdienste Dieter Salomons.
„Freiburger Kessel“ – die Grüne Jugend meldet sich zu Wort
Sehr viel sympathischer als die unten kommentierte Pressemitteilung der Jungen Union ist mir die der Grünen Jugend Freiburg. Leider scheint die Website gerade nicht zu funktionieren, deswegen dokumentiere die Pressemitteilung (und lasse sie ansonsten mal unkommentiert):
Grüne Jugend verurteilt Polizeieinsatz und kritisiert OB Dieter Salomon
Die Grüne Jugend Freiburg verurteilt aufs Schärfste das unverhältnismäßige und rechtswidrige Vorgehen der Polizei gegen friedliche DemonstrantInnen am vergangenen Samstag.
Entgegen anderweitiger Stellungnahmen stand diese Demonstration in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der schweren Verletzung eines Polizeibeamten in der Nacht zum Freitag. Während die Grüne Jugend diesen Angriff aufs Deutlichste verurteilt, kann er nicht zur Rechtfertigung eines Polizeieinsatzes herangezogen werden, der eine friedliche Versammlung zwei Tage später einkesselt und damit das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verletzt.
„Dass sich der grüne OB Dieter Salomon trotz lautstarkem Protest in Presse, Öffentlichkeit und Partei anscheinend blind auf die Versicherungen der Polizei verlässt und sich kritiklos hinter das Vorgehen der Polizei stellt, ist völlig unverständlich“, so Julian Karwath von der Grünen Jugend. Die Grüne Jugend kritisiert außerdem die Art und Weise, wie am Dienstag das Gelände der „Straßenpunks“ am Eselswinkel geräumt wurde. Es ist nicht verständlich, dass die Stadtverwaltung hier nicht auf die vollziehende Gewalt einwirkt, um so eine Entspannung der Lage zu fördern.
Die Grüne Jugend fordert die Stadtverwaltung dazu auf, von dieser provozierenden Strategie abstand zu nehmen und sich konsequent für den Erhalt der liberalen und offenen Atmosphäre Freiburgs einzusetzen.
Wer jedoch, wie der JU-Vorsitzende Daniel Sander und die CDU-Fraktionsvorsitzende Feierling-Rombach, die alternative Szene in Freiburg pauschal für den Übergriff Einzelner verantwortlich macht, schadet nicht nur der gesamten Stadt. „Hier offenbart sich ein von Vorurteilen und Verallgemeinerungen geprägtes Gesellschaftsbild, das einer ernsthaften politischen Diskussion nicht würdig ist“ so Henrike Hepprich von der Grünen Jugend. „Im Gegenteil rufen wir alle FreiburgerInnen dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Freiburg eine offene und tolerante Stadt bleibt.“
Daher ruft die Grüne Jugend alle FreiburgerInnen zur friedlichen Teilnahme an der für Samstag um 14 Uhr angekündigten Demonstration auf.
Update zur Debatte um den „Freiburger Kessel“
Zeitgleich mit den Geschehnissen rund um DIY-Festival und „Freiburger Kessel“ fand in Freiburg auch die Mitgliederversammlung von fzs und ABS statt (also der Studierendenvertretungen und des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren). Nebenbei bemerkt: da hätte der u‑asta auch ein bißchen mehr Außenwerbung für machen können. Jedenfalls führte die Zeitgleichheit von fzs/ABS-MV und DIY-Festival dazu, dass auch ein paar Berliner Delegierte aus den dortigen ASten da waren und hautnahe Erfahrungen mit der neuen Freiburger Polizeitaktik machen konnten. Der eindrückliche Bericht darüber ist hier nachzulesen: http://www.astafu.de/aktuelles/archiv/a_2006/presse_08-03
Paradigmenwechsel bei der Freiburger Polizei?
Bis vor kurzem hat sich die Polizei in Freiburger dadurch ausgezeichnet, dass sie mit studentischen Demonstrationen, linksalternativen Protesten usw. meistens gut klargekommen ist. Statt Gewaltbereitschaft und Härte zu demonstrieren, wurde deeskaliert und versucht, sich z.B. auch bei unangemeldeten Demos mit den Demonstrierenden zu einigen. Das hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass auch große und wütende Demos etc. letztlich friedlich und ohne Randale über die Bühne gegangen sind. Inzwischen scheint das anders zu sein – die aktuellen Vorfälle rund um das DIY-Festival der KTS sind wohl nur die Spitze des Eisbergs. Mir ist vollkommen unklar, warum eine gute funktionierende Strategie zu Gunsten eines in letzter Zeit häufig eher unverhältnismässig zu nennenden Vorgehen aufgegeben wird und wer dafür verantwortlich ist (ich hoffe, einige grüne GemeinderätInnen nehmen sich der Sache mal an). Freiburg würde es jedenfalls gut zu Gesicht stehen, sich hier auf seine gerne gerühmten liberalen und toleranten Traditionen zu besinnen. Dazu gehört auch, unbequeme Meinungsäußerungen zu dulden – statt mit Kesseln und Kabelbindern dagegen vorzugehen.
Disclaimer: ich war weder bei der Demo noch sonstwie beim DIY-Festival, sondern kenne nur Berichte darüber. Das dabei zu Tage tretende Bild scheint mir aber ziemlich eindeutig zu sein – und passt zu ähnlichen Vorfällen in letzter Zeit.
> Artikel und Debatte bei „fudder“
> Pressemitteilungen und Infos der KTS
> Artikel in der taz von heute
Update: OB Dieter Salomon stellt sich hinter den Polizeieinsatz „und hat die Schnauze voll“ – auch eine Art der Vergangenheitsbewältigung.
Update 2: Ich sehe grade in der „fudder“-Diskussion einen (auf der BZ-Seite leider nur AbonnentInnen zugänglichen) Kommentar (BZ von heute), der durchaus lesenswert ist.
Freiburgs neue Linie? Polizeieinsätze am Wochenende
Die grüne Fraktionschefin im Gemeinderat, Maria Viethen, hat Recht. Seit geraumer Zeit fährt die Polizei eine härtere und nicht mehr die Freiburger Linie. Man muss kein Sympathisant jener Mittelklasse-Anarchisten sein, die aus ganz Europa eintrudelten, weil es hier ein bisschen Politik und viel Party geben sollte, um an der Verhältnismäßigkeit der jüngsten Polizeineinsätze zu zweifeln: Großaufgebote, um am Freitag ein illegales Camp zu räumen und am Samstag eine angekündigte, aber nicht angemeldete Demonstration aufzulösen. Vor allem in der Innenstadt zur besten Einkaufszeit gingen die Polizisten recht ruppig zur Sache. Wer dabei war, konnte keine Gefahr erkennen, die von den Spontis ausgegangen wäre. Die Aktion selbst beschwor die Gefahr der Eskalation herauf. Und genau da liegt der Unterschied: In Freiburg betrieb die Polizei seit Jahren erfolgreich Deeskalation. Die neue Marschrichtung lässt Raum für Spekulationen: Ist das die Handschrift von Heiner Amann, der seit gut zwei Jahren Chef der Polizeidirektion ist? Will Stuttgart dem grünen Freiburg die liberalen Flausen austreiben? Welche Rolle spielt der Chef der städtischen Polizeibehörde Walter Rubsamen und welche sein Dezernent Otto Neideck (CDU)? Und wo steht der Oberbürgermeister? Die Polizei mag am Wochenende für Ordnung gesorgt haben, nicht aber für Ruhe: Nicht nur grüne Stadträte verlangen eine Erklärung.
Uwe Mauch
Update 3: Noch ein paar Links:
> Fotos und Kommentare zu den Vorfällen aus dem DIY-Camp (Indymedia)
> Infos (1, 2, 3) von stattweb
> Website des DIY-Festivals
> Photos von dem Polizeikessel