Science Fiction und Fantasy im März 2025

Freiburg Hbf: Stadtbahnbrücke

Defi­ni­tiv kei­ne Emp­feh­lung: der Film Super­no­va aus dem Jahr 2000. Mehr Trash geht eigent­lich gar nicht – bis hin zu Din­gens mit neundi­men­sio­na­ler Mate­rie, die sich, nach­dem alle mal Sex hat­ten und fast alle umge­bracht wor­den sind, inner­halb von 50 Jah­ren über 3000 Licht­jah­re aus­brei­tet, und so der Gra­vi­ta­ti­on eines blau­en Rie­sens ent­kommt. Da trös­ten dann auch die Sei­ten­we­ge (wie etwa der zukünf­ti­ge Blick auf die arg gewalt­tä­ti­gen Zei­chen­trick­fil­me aus den 1960er Jah­ren, die Love­sto­ry mit der AI oder diver­se Film­zi­ta­te) nicht.

Defi­ni­tiv eine Emp­feh­lung ist dage­gen The Resi­dence (2025, Net­flix) – Cor­de­lia Cupp ist vor allem dar­an inter­es­siert, sel­te­ne Vögel zu betrach­ten, mit Feld­ste­cher und „Birds of the World“ in der Umhän­ge­ta­sche. Neben­bei ist sie auch noch die welt­bes­te Detek­ti­vin – und reicht in nerdi­ger Exzen­trik an Sher­lock Hol­mes oder Doc­tor Who her­an. In die­ser sehr gegen­wär­tig erzähl­ten Serie klärt sie einen Mord im Wei­ßen Haus auf – mit viel Blick hin­ter die Kulis­sen des White House, Lie­be für Details und ver­schro­be­ne Figu­ren, nur am Ran­de vor­kom­men­der Poli­tik und einer gar nicht mal so unplau­si­bel erschei­nen­den Zukunft, in der ein weit­ge­hend unfä­hi­ger Prä­si­dent es sich selbst mit Aus­tra­li­en ver­scherzt hat. Kylie Mino­gue tritt auch auf. (Ja, das ist im enge­ren Sin­ne alles kei­ne Sci­ence Fic­tion, son­dern viel­leicht Mys­tery Come­dy, hat mich dann aber doch sehr gut unter­hal­ten, gera­de in die­sen Tagen …)

Stich­wort „die­ser Tage“ – Lisa Brideau hat mit Adrift (2023) einen als Thril­ler ver­kauf­ten SF-Roman geschrie­ben, der lei­der sehr gegen­wär­tig wirkt. Der Kli­ma­wan­del hat sich in der nahen Zukunft (2039) fort­ge­setzt, Wald­brän­de und hef­tigs­te Stür­me sind lei­der nor­mal. Die Gren­zen Kana­das wer­den streng kon­trol­liert – auch die See­we­ge zu den USA, um Flücht­lin­ge abzu­hal­ten. Wirt­schaft­lich geht es alles den Bach run­ter, auch wenn die Wis­sen­schaft ein biss­chen wei­ter gekom­men ist. In die­sem Sze­na­rio fin­det sich Ess ohne Gedächt­nis auf einem Boot auf dem Meer wie­der. Ess‘ motor skills – wie etwa das Segeln – sind eben­so intakt wie ihr Gedächt­nis für alles, was neu pas­siert – nur die epi­so­dischen Erin­ne­run­gen an alles bis zum Beginn des Buches sind genau­so kom­plett gelöscht wie ihr Wis­sen über sich selbst. Das Boot ist gut aus­ge­rüs­tet, Pil­len gegen das star­ke Kopf­weh gibt es, und irgend­wann fin­det Ess auch einen Brief an sich selbst, der aber nicht wirk­lich irgend­et­was erklärt. Sie beschließt, ihren eige­nen Rat in den Wind zu schla­gen und her­aus­zu­fin­den, was eigent­lich pas­siert ist. Ach ja: neben­bei häu­fen sich Medi­en­be­rich­te über Geflüch­te­te ohne Gedächt­nis. Hat das etwas mit ihr zu tun? – Adrift hat mir gut gefal­len, auch wenn die hier ent­wor­fe­ne Zukunft rea­lis­tisch düs­ter wirkt – und die Sto­ry­line ab und zu an ein Video­spiel erin­nert, in dem das nächs­te Item gefun­den wer­den muss, um weiterzukommen.

Eben­falls sehr rea­lis­tisch (und nur in einem wei­ter gefass­ten Sin­ne als SF zu bezeich­nen) ist Cory Doc­to­rows neus­ter Band sei­ner Mar­ty-Hench-Serie, die mit Red Team Blues star­te­te. In Picks and Sho­vels (2025) sprin­gen wir in die 1980er Jah­re – Mar­tin Hench stu­diert am MIT, jeden­falls ist das der Plan. Dann kommt er in Berüh­rung mit den ers­ten Heim­com­pu­tern, wird Teil eines Com­pu­ter-Clubs und lernt Visi­calc lie­ben. Eine geschei­ter­te Fir­men­grün­dung spä­ter lan­det Hench als foren­sic accoun­tant in San Fran­cis­co, das sich gera­de neu erfin­det. Zwi­schen Dead Ken­ne­dys und PC-Nerd-Nost­al­gie erfah­ren wir nicht nur viel über Henchs bio­gra­fi­sche Ent­wick­lung und Lokal­ko­lo­rit der Ost- wie der West­küs­te. Ganz neben­bei erzählt Doc­to­row mit­rei­ßend wie immer – so selt­sam das klin­gen mag – über Tech­nik-Mono­po­le, schei­tern­de Revol­ten und die Ursprün­ge frei­er Soft­ware. Viel­leicht funk­tio­niert das Buch nur, wenn man selbst die PC-Revo­lu­ti­on (zumin­dest aus der Fer­ne einer Kind­heit in Deutsch­land) mit­be­kom­men hat – aber eigent­lich müss­te es auch ohne Vor­wis­sen und Nost­al­gie­kern lesens­wert sein. 

Chron­lo­gisch wei­ter zurück geht es in den ande­ren drei Roma­nen, die ich im März gele­sen habe. 

Emi­ly Wilde’s Com­pen­di­um of Lost Tales (2025) ist der drit­te Band von Hea­ther Faw­cetts Cozy-Fan­ta­sy-Rei­he rund um Emi­ly Wil­de, die in Cam­bridge die Welt der Feen­rei­che erforscht. In die­sem drit­ten Band, der mit dem Ende des Jah­res 1910 beginnt, folgt sie ihrem Part­ner Wen­dell Bam­ble­by in des­sen Feen-König­reich, Sil­va Lupi. Sein Ziel: den ver­wais­ten Thron ein­neh­men – ihr Ziel: eine Feld­stu­die über die Poli­tik der Feen­rei­che zu ver­fas­sen. Mit Nadel und Faden, enzy­klo­pä­di­schem Wis­sen über Mär­chen und Sagen und einer gehö­ri­gen Por­ti­on Stur­heit gelingt am Ende nicht nur das – auch dank einer Tür, die nach Irland führt. Es emp­fiehlt sich, die ers­ten bei­den Bän­de gele­sen zu haben, nicht zuletzt des­halb, weil eine gan­ze Rei­he Figu­ren wie­der auf­tau­chen. Dann hält das Com­pen­di­um, was es ver­spricht, und Hea­ther Faw­cett ent­führt eine*n in eine detail­rei­che und in sich bei allen Selt­sam­kei­ten kon­sis­ten­te Anders­welt. Die For­sche­rin Emi­ly Wil­de als Hel­din wider Wil­len eig­net sich dabei wun­der­bar als Identifikationsfigur.

Fast die glei­che Zeit, aber eine anders gear­te­te Abwei­chung von unse­rer Ver­gan­gen­heit fin­det sich in The Cau­tious Traveller’s Gui­de to The Was­te­lands (2024) von Sarah Brooks. Die­ser Roman spielt 1899 und zeich­net aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven (dem im Zug auf­ge­wach­se­nen Wai­sen­kind – dem Natur­for­scher – der ver­meint­li­chen jun­gen Wit­we) die Rei­se mit der trans­si­bi­ri­schen Eisen­bahn von Bei­jing nach Mos­kau nach – nur das Sibi­ri­en die sorg­sam mit einer Mau­er abge­schot­te­ten Was­te­lands sind, in denen jeff­van­der­meer­sche Trans­for­ma­tio­nen von sich gehen, Far­ben zu sehen sind, die nicht für das mensch­li­che Auge gemacht sind, Wesen inein­an­der über­ge­hen und man bes­ser nicht genau hin­sieht, weil die Was­te­lands zurück­schau­en. Nur der spe­zi­ell gesi­cher­te Zug der Com­pa­ny – mit sei­ner ers­ten und sei­ner drit­ten Klas­se, mit Vor­rä­ten für die lan­ge Rei­se, einer exqui­si­ten Küche und Stahl­bal­ken vor allen Fens­tern – schafft die­se Rei­se. Meis­tens jeden­falls. Brooks‘ Rei­se­be­richt ist zugleich die Geschich­te einer Trans­for­ma­ti­on, an des­sen Ende längst nicht mehr klar ist, was innen und außen ist. 

Und auch T. King­fi­shers What Moves The Dead (2022), noch stär­ker als der Traveller’s Gui­de eher Hor­ror als Fan­ta­sy, spielt in einem 19. Jahr­hun­dert, das da und dort unse­rem gleicht, dann aber doch wie­der ganz anders ist. So ist die erzäh­len­de Haupt­per­son – die einem düs­te­ren Geheim­nis auf die Spur kom­men muss – ein*e nonbinäre*r „sworn sol­dier“ ist, was mit der Tra­di­ti­on des klei­nen Lan­des Gal­la­cia begrün­det wird. Die Novel­le nimmt Moti­ve von Poes The Fall of the House of Usher auf, spielt mit die­sen und fügt eine Men­ge Pilz­kun­de und Natur­ge­schich­te hin­zu. Und Zom­bie-Hasen. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich die­se Art Buch mag, der Ton­fall der Erzähler*in war jeden­falls stim­mig und mach­te neu­gie­rig auf den Folgeband. 

Noch wei­ter zurück geht es dann in dem rund 700 Sei­ten umfas­sen­den neus­ten Werk von Ada Pal­mer. Inven­ting the Renais­sance: Myths of a Gol­den Age (2025) ist ein Sach­buch, oder viel­leicht auch ein sehr lan­ger Blog­post. Pal­mer schreibt hier (meis­tens) nicht als SF-Autorin, son­dern als Geschichts­pro­fes­so­rin und Exper­tin für die ita­lie­ni­sche Renais­sance. Der Fokus liegt dabei auf Flo­renz. Machia­vel­li tritt in die­sem Buch eben­so auf wie die Medi­cis – und in bei­den Fäl­len, wie auch in vie­len ande­ren in das Werk gefloch­te­nen Bio­gra­fien, legt Pal­mer sich bewusst nicht fest, wie deren Han­deln mora­lisch zu bewer­ten ist. Eigent­lich geht es Pal­mer um Ideen­ge­schich­te – wie ent­stand über­haupt das Pro­jekt Renais­sance, was hat es mit dem Huma­nis­mus auf sich, und wie weit las­sen sich „moder­ne“ Vor­stel­lun­gen im Flo­renz des 15. und 16. Jahr­hun­derts fin­den. Oder ist es über­haupt eine dum­me Idee, in die­ser fremd-ver­trau­ten Kul­tur nach Split­tern und Vor­for­men der Moder­ne zu suchen? Neben­bei wird deut­lich, wie sehr selbst die „Repu­blik“ Flo­renz nicht pro­to-demo­kra­tisch orga­ni­siert war, son­dern anhand von Patro­na­ge-Bezie­hun­gen und der Gunst mäch­ti­ger Per­so­nen – womit sich dann der Kreis zu die­sen Tagen schließt. 

Hoffnung am Ende der Welt

SEC, Glasgow - II

Die Welt drau­ßen ist mal wie­der ziem­lich am Ende. Zeit­ge­nös­si­sche Sci­ence Fic­tion reagiert dar­auf auf drei Arten: sie setzt sich ers­tens direkt damit aus­ein­an­der – da sind wir dann bei „Cli­Fi“, Cli­ma­te Fic­tion und Ver­wand­tem, sei es Kim Stan­ley Robin­son, sei es T.C. Boyle, sei es mit ande­rer Per­spek­ti­ve Neal Ste­phen­son. Oder bei Wer­ken, die ande­re Pro­ble­me, die wir gera­de haben, direkt lite­ra­risch ver­ar­bei­ten. Aus­gren­zung und Inklu­si­on beispielsweise. 

Die zwei­te Reak­ti­on ist Eska­pis­mus. Das muss nichts schlech­tes sein. Sci­ence Fic­tion lan­det dann bei­spiel­wei­se bei der neus­ten Form der Space Ope­ra. Einen sehr guten Über­blick dar­über, was da alles drun­ter passt, gibt Jona­than Stra­han in sei­ner gera­de erschie­ne­nen Antho­lo­gie New Adven­tures in Space Ope­ra. Mit Nor­man Spin­rad spricht er davon, dass es sich bei Space Ope­ra nach wie vor um „straight fan­ta­sy in sci­ence fic­tion drag“ han­delt. Das gilt auch für das, was in den 2020er Jah­ren pas­siert, nach dem Höhe­punkt der „new space ope­ra“. Nur dass die­se Tex­te diver­ser und mul­ti­per­spek­ti­vi­scher sind, und sich kri­ti­scher mit den Poli­ti­ken und Macht­ver­hält­nis­sen in den jeweils ima­gi­nier­ten Wel­ten aus­ein­an­der­set­zen, als dies davor der Fall war. 

Drit­tens, und damit sind wir beim The­ma die­ses Tex­tes, erschei­nen eine Viel­zahl von Geschich­ten und Büchern, die irgend­wo zwi­schen „cozy“, Hope­punk und Solar­punk ein­sor­tiert wer­den kön­nen. Obwohl es Über­schnei­dun­gen gibt, ist Solar­punk doch noch ein­mal etwas ande­res als Cli­ma­te Fic­tion, und ist „cozy“ SF&F nicht iden­tisch mit der 2020er-Fas­sung von Space Ope­ra. Wir kom­men gleich zu Defi­ni­tio­nen – hier sei aller­dings schon ein­mal gesagt, dass die­se Grenz­zie­hun­gen weni­ger hart sind, als sie manch­mal erschei­nen, und teil­wei­se noch im Ent­ste­hen befind­lich sind. Mir geht es vor allem dar­um, einen Blick auf etwas zu wer­fen, was ich als aktu­el­len Trend in Sci­ence Fic­tion (und ein­ge­schränkt: Fan­ta­sy) wahrnehme.

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Lesetagebuch Science Fiction und Fantasy – Mai 2023

Clouds, Freiburg-Rieselfeld

Ein schnel­ler Rück­blick auf mei­ne Sci­ence-Fic­tion- und Fan­ta­sy-Lek­tü­re bzw. mei­nen dies­be­züg­li­chen Medi­en­kon­sum im Mai 2023. 

Auf dem Bild­schirm habe ich ein paar Seri­en ange­schaut – die drit­te Staf­fel von Picard (Prime) hat mir weit­ge­hend gut gefal­len, auch die Tat­sa­che, dass es einen umfas­sen­den Hand­lungs­bo­gen und trotz­dem in sich abge­schlos­se­ne Epi­so­den gab. Das eine oder ande­re war aller­dings ein biss­chen viel Fan­ser­vice. Mal schau­en, wie das am Schluss ange­teaser­te Spin-off des Spin-offs rund um Cap­tain Seven of Nine wer­den wird …

Die zwei­te Staf­fel von Car­ni­val Row (Prime) – die Serie spielt in einer zu Beginn der Indus­tria­li­sie­rung ste­hen­den Gesell­schaft, in der Men­schen und Fey zusam­men­le­ben – war bild­ge­wal­tig, mit der einer guten Mischung aus per­sön­li­chen Ent­wick­lungs­ge­schich­ten, poli­ti­schen Intri­gen und den gro­ßen The­men. Aller­dings war sie für mei­nen Geschmack etwas zu blu­tig und zu voll ent­täusch­ter Hoff­nun­gen; aber wie schon in der ers­ten Staf­fel: dafür mit einem durch­aus über­zeu­gen­den Ende. Eine Fort­set­zung soll es lei­der nicht geben, obwohl der Schluss dazu eigent­lich einlädt.

Unter­halt­sam, für eine mit Gothik und Außen­sei­ter­tum spie­len­de Serie teil­wei­se ein biss­chen zu über­zu­ckert emp­fand ich die Seri­en­ver­fil­mung Wed­nes­day (Net­flix), die ich mir jetzt auch mal ange­schaut habe. Und die durch­aus anschau­bar ist.

Nicht auf dem Bild­schirm, son­dern im Kino ange­guckt haben wir Guar­di­ans of the Gala­xy Vol. 3. Hübsch anzu­se­hen, mit einer ziem­lich herz­zer­rei­ßen­den Back­story für den Wasch­bä­ren Rocket, aber in der Sum­me nicht so ganz logisch. Naja, also: Unterhaltungskino.

Zu den Büchern: Ziem­lich viel Zeit ver­bracht habe ich mit At the Feet of the Sun (2022), dem zwei­ten Teil der Serie rund um Clio­pher Mdang und den Kai­ser­hof der Autorin Vic­to­ria God­dard (zum ers­ten Teil hat­te ich hier etwas geschrie­ben). Auch At the Feet of the Sun ist lang­sam erzählt und braucht sei­ne Zeit. Wäh­rend der ers­te Teil der Auf­stieg Clipher Mdangs am kai­ser­li­chen Hof als roten Faden hat­te, geht es hier um die – hm – platonische/asexuelle Lie­bes­be­zie­hung zwi­schen Mdang und dem Kai­ser, und um deren gemein­sa­me Rei­sen durch mehr oder weni­ger mythi­sche Wel­ten. Gleich­zei­tig erfah­ren wir eini­ges dar­über, wer der im ers­ten Band schein­bar unnah­ba­re Kai­ser tat­säch­lich ist, und wie Mdangs Kar­rie­re auch hät­te ver­lau­fen kön­nen. Ein gro­ßes Buch, um sich dar­in zu ver­lie­ren – geer­det durch all­täg­li­che Details und Ange­wohn­hei­ten, die zei­gen, dass auch die Held*innen gro­ßer Sagen letzt­lich nur Men­schen sind. 

Nicht zu Ende gele­sen habe ich dage­gen A Woman of the Sword (2023) von Anna Smith Spark. Nicht unbe­dingt, weil es ein schlech­tes Buch ist – die Prä­mis­se ist, dass hier epi­sche Fan­ta­sy durch die Augen ganz nor­ma­ler Men­schen dar­ge­stellt wird. Die Haupt­per­son war Sol­da­tin einer Armee, die im Auf­trag eines Herr­schers Län­der befreit und das Impe­ri­um wie­der her­ge­stellt hat. Danach hat sie sich auf einer Farm nie­der­ge­las­sen; die Bezie­hung zu ihren bei­den Kin­dern ist schwie­rig, sie fühlt sich über­for­dert von allem. Und dann kommt der Krieg zurück, mit Dra­chen und Magie. Brand­schat­zung und Flucht wer­den recht rea­lis­tisch geschil­dert – und das war dann der Punkt, wo ich das Buch zur Sei­te gelegt habe. Mir war es für die­se Zei­ten – ver­bun­den mit dem sehr nahen Blick auf den All­tag mit klei­nen Kin­dern – schlicht zu düster.

Meru (2023) von S.B. Divya spielt in einer Zukunft, in der im offe­nen Welt­all leben­de Cyborg-Kon­struk­te (Alloys) die Macht über­nom­men haben. Die Erde ist eine Art Reser­vat für nicht modi­fi­zier­te Men­schen. Ambi­tio­nen sind eine Krank­heit, die heil­bar ist. Die jun­ge Haupt­fi­gur will trotz­dem mit eini­gen Freund*innen Gro­ßes errei­chen. Die Chan­ce, das umzu­set­zen, ergibt sich, als der Pla­net Meru ent­deckt wird und sich her­aus­stellt, dass ihre Sichel­zel­len­an­ämie hier von Vor­teil sein könn­te. Zusam­men mit einer Kon­strukt-Raum­schiff-Per­son soll sie zei­gen, dass Men­schen auf einem Pla­ne­ten jen­seits der Erde über­le­ben kön­nen – ohne Ter­ra­forming, und ohne Ein­grif­fe in die Umwelt. Erst nach und nach stellt sich her­aus, dass sie nur als Spiel­ball in poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Cyborg-Kon­struk­te gese­hen wird. Aus die­sem Set­ting ent­wi­ckelt Divya eine span­nend zu lesen­de Geschich­te, die sich auch gro­ßen Fra­gen stellt. 

Blei­ben wir bei Kon­struk­ten: Mar­tha Wells Mur­der­bot Dia­ries (2017–2021) ist aus der Per­spek­ti­ve eines Kon­strukts erzählt. Ein als Waffe/Sicherheitssystem ein­ge­setz­ter Cyborg („SecU­nit“) hat das Kon­troll­mo­dul über­lis­tet und agiert jetzt frei, muss dies aller­dings geheim­hal­ten. Der „Mur­der­bot“ – so die Eigen­be­zeich­nung – ist men­schen­scheu, redet nicht ger­ne über Gefüh­le, will nicht berührt wer­den und schaut am liebs­ten, auch zur inne­ren Beru­hi­gung, his­to­ri­sche und SF-End­los­se­ri­en. Gleich­zei­tig nimmt die­se SecU­nit ihre Auf­ga­be ernst: ihre Klient*innen zu beschüt­zen. Das kann dann auch mal blu­tig wer­den. Die Klient*innen sind zu Beginn der Serie Wissenschaftler*innen, die einen Pla­ne­ten erkun­den; spä­ter wer­den sie Freund*innen des Cyborg. Die Serie beginnt im Cor­po­ra­te Rim – neo­li­be­ra­le, nur auf Pro­fit aus­ge­rich­te­te Pla­ne­ten und Raum­sta­tio­nen, die von unter­schied­li­chen Kon­zer­nen beherrscht wer­den. Men­schen und Bots sind hier Leib­ei­ge­ne. Nach und nach ler­nen wir, dass es außer­halb des Cor­po­ra­te Rim ande­re Gesell­schaf­ten gibt, die eben­falls detail­liert beschrie­ben wer­den – etwa die eher an Solar­punk erin­nern­de, uto­pisch dar­ge­stell­te Pre­ser­va­ti­on. Der sar­kas­ti­sche Ton­fall der erzäh­len­den SecU­nit (samt Neben­be­mer­kun­gen) trägt eben­so wie der schnel­le Plot dazu bei, dass es sich dann doch emp­fiehlt, gleich die gan­ze Serie zu kau­fen; lei­der ein recht teu­res Ver­gnü­gen. Ein wei­te­rer Band ist für Ende des Jah­res angekündigt.

Noch­mal Space Ope­ra, dies­mal als, hm, Komö­die: John Scal­zis The Android’s Dream (2006) hat wenig mit Phil­ip K. Dick zu tun, son­dern han­delt v.a. von unfä­hi­gen Diplomat*innen, den Com­pu­tern der Wet­ter­be­ob­ach­tung, Ali­ens, die unbe­dingt ein tief­blau­es Schaf haben wol­len, einer am unte­ren Ende der galak­ti­schen Hack­ord­nung ste­hen­den Erde und den Veteran*innen eines unnö­ti­gen Krie­ges. Schnell und teil­wei­se sehr lus­tig, teil­wei­se auch bit­ter, weil es da und dort eben nicht nur Slap­stick, son­dern gute Sati­re ist. Eher Red­shirts als Old Mans‘ War, und irgend­wie typisch Scalzi.

Charles Stross Sea­sons of Skulls (2023) ist typisch Laundry/New Manage­ment, lässt sich eben­so schlecht beschrei­ben und war mir ein biss­chen zu viel more of the same. Wer die Mischung aus Hor­ror, Pas­ti­ches zu Klas­si­kern der Welt­li­te­ra­tur (hier: Rich­tung Jane Aus­ten, wür­de ich sagen), genau­er Beob­ach­tung von Büro­kra­tie und Manage­ment und Groß­bri­tan­ni­en mag, wird hier fündig. 

Schließ­lich habe ich noch Cory Doc­to­rows Red Team Blues (2023) gele­sen, das eher ein Thriller/Krimi als Sci­ence Fic­tion ist, schnell und aktio­nen­reich, mit schar­fem Blick auf die IT-Kul­tur der ame­ri­ka­ni­schen West­küs­te, halb-lega­le Cryp­to-Geschäf­te und ähn­li­ches mehr, ver­bun­den mit einer durch­aus sym­pa­thi­schen Hauptperson.

So ’ne Art Jahresrückblick, Teil II: Zwölf mal Science Fiction & Fantasy

Auch dank des E‑Books (ja, beim Pen­deln und für den Sofort­zu­griff auf inter­es­sant aus­se­hen­de Bücher super­prak­tisch) lese ich doch ziem­lich viel, vor allem Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy. Im Juli hat­te ich schon mal auf ein paar inter­es­san­te Bücher hin­ge­wie­sen, und im Okto­ber auf L.X. Becketts Game­ch­an­ger als beson­ders gut gemach­tes Bei­spiel für das Sub­gen­re der Aug­men­ted-Rea­li­ty-Roma­ne. Wenn ich aus den vie­len Büchern, die ich 2019 gele­sen habe, zehn her­aus­pi­cken möch­te, die beson­ders ein­drucks­voll waren, dann sind das die fol­gen­den. Dabei habe ich mal Ste­ven Brusts Vlad Tal­tos, Lar­ry Nivens Ring­world und Isaac Asi­movs Foun­da­ti­on weg­ge­las­sen, die ich (neu) für mich ent­deckt habe – nächs­tes Buch der Serie kau­fen inklusive.

  • Arka­dy Mar­ti­ne, A Memo­ry Cal­led Empire – Space Ope­ra trifft auf diplo­ma­ti­sche Ver­wick­lun­gen zwi­schen einem präch­ti­gen Impe­ri­um und der neu­en Bot­schaf­te­rin einer klei­nen unab­hän­gi­gen Raumstation
  • Cory Doc­to­row, Radi­cal­i­zed – vier Kurzgeschichten/Novellen über die Über­wa­chungs­ge­sell­schaft, in der wir leben
  • Karl Schroe­der, Ste­al­ing Worlds – Aug­men­ted Rea­li­ty trifft auf Bru­no Latour, die Block­chain und eine jun­ge Frau auf der Flucht
  • L.X. Beckett, Game­ch­an­ger – sie­he oben
  • Mary Robi­net­te Kowal, The Cal­cu­la­ting Stars und The Fated Sky – Alter­na­tiv­ge­schich­te zum US-Raum­fahrt­pro­gramm, dies­mal sind Astro­nau­tin­nen dabei
  • Anna­lee Newitz, The Future of Ano­ther Time­line – eine femi­nis­ti­sche Zeit­rei­se zwi­schen Riot Grrrls und Urzeit, oder: ein Kom­men­tar zur Debat­ten­kul­tur im Netz
  • Amal El-Mohtar / Max Glad­stone, This is How You Lose the Time War – eine unwahr­schein­li­che Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen zwei Zeit­rei­sen­den, in Briefen
  • Zen Chao, The True Queen – Nach­fol­ge­band zu Sorce­rer to the Crown, vik­to­ria­nisch-post­ko­lo­nia­le Fantasy
  • Pao­lo Baci­g­alu­pi / Tobi­as S. Buckell, The Tan­gled Lands – zwei mei­ner Lieb­lings-SF-Autoren haben sich zusam­men­ge­tan, um Fan­ta­sy zu schrei­ben: hier gibt es Magie, und Magie hat eine furcht­ba­re Nebenwirkung
  • Sue Bur­ke, Semio­sis: A novel of first cont­act – Gene­ra­tio­nen­raum­schiff trifft auf intel­li­gen­te Pflanzen
  • K. Eason, How Rory Thor­ne Des­troy­ed the Mul­ti­ver­se – das belieb­te Space-Ope­ra-Sujet der impe­ria­len Prin­zes­sin, die heim­lich eine Art Out­cast-Nin­ja ist, mal anders
  • Nne­di Oko­ra­for, LaGuar­dia – Comic über Außer­ir­di­sche, Nige­ria und die USA

Leseempfehlungen für den Sommer

Dass ich in den letz­ten Tagen kaum dazu gekom­men bin, mich um die­ses Blog zu küm­mern, hat auch etwas damit zu tun, dass ich eini­ge SF-Neu­erschei­nun­gen ver­schlun­gen habe. Die Art Bücher, bei denen am Ende Trau­rig­keit ein­setzt, weil das Buch zu Ende ist, und die Geschich­te doch eigent­lich noch wei­ter gehen könn­te. Falls also noch jemand was zum Lesen für den Som­mer sucht, ist hier viel­leicht etwas dabei.

Beson­ders emp­feh­len möch­te ich Semio­sis von Sue Bur­ke. Auf den ers­ten Blick ist das eine die­ser Geschich­ten von einem Gene­ra­tio­nen­raum­schiff, das auf einem Pla­ne­ten lan­det, um eine neue Kolo­nie zu grün­den. (Dass es von die­ser Sor­te Geschich­ten in den letz­ten Jah­ren eini­ge gab, mag mir nur so vor­kom­men. Viel­leicht hat es aber auch was mit dem Wunsch, die­sem Pla­ne­ten zu ent­kom­men, zu tun). Inter­es­sant wird die­ses Buch des­we­gen, weil wir – über meh­re­re Gene­ra­tio­nen hin­weg – der idea­lis­tisch gepräg­ten Kolo­nie dabei zuschau­en, wie sie zum einen ihre ganz eige­nen Regeln ent­wi­ckelt, für jede Gene­ra­ti­on immer wie­der neu. Zum ande­ren wird nach und nach klar, dass intel­li­gen­tes Leben in Pflan­zen­form durch­aus aggres­siv sein kann. Aber eben auch lern­fä­hig. Und nach und nach wach­sen einem die ganz unter­schied­li­chen Per­sön­lich­kei­ten ans Herz. 

Ein biss­chen ähn­lich hin­sicht­lich des Ein­füh­lens in wirk­lich frem­de Intel­li­gen­zen ist Child­ren of Ruin von Adri­an Tchai­kovs­ky, eine Art Par­al­lel­quel zu sei­nen Child­ren of Time. Die damals noch sehr fremd­ar­ti­gen intel­li­gen­ten Spin­nen sind uns jetzt nah – aber was pas­siert, wenn Tin­ten­fi­sche ganz getrennt und ver­teilt begin­nen, zu den­ken, und unter­be­wusst Raum­fahrt zu betreiben?

Genug der Gene­ra­tio­nen­raum­schif­fe und frem­den Lebens­for­men. Ein ande­rer Trend sind Deep-Tech-Dys­to­pien, irgend­wie das Cyber­punk der 2020er Jah­re. Neben Cory Doc­to­rows Wal­ka­way (und sei­ner Novel­len-Samm­lung Radi­cal­i­zed) passt auch das gera­de erschie­ne­ne Ste­al­ing Worlds von Karl Schroe­der gut zu die­sem Trend. Nach Trump und Kli­ma­kri­se sind die USA ein ver­trau­ens­lo­ses Land am Abgrund. Dafür gibt es über­all Sen­so­ren und Über­wa­chungs­tech­nik. Das scheint gutes zu haben, wenn es etwa um eine glo­ba­le Block­chain zur Über­wa­chung von Umwelt­pro­ble­men geht, führt aber auch dazu, dass es gar nicht so ein­fach ist, unter­zu­tau­chen. Aug­men­ted Rea­li­ty a la Goog­le Glass ist weit ver­brei­tet, und letzt­lich ist es eben­so ein Spiel, den Über­wa­chungs­ka­me­ras aus­zu­wei­chen, wie es ein Spiel ist, zer­fal­le­ne Häu­ser wie­der auf­zu­bau­en. Oder steckt mehr dahinter?

(Etwas weni­ger Deep-Tech, aber auch near future in einer sehr glo­ba­len und diver­sen Welt: Eliza­beth Bears Novel­le In the House of Arya­man, a Lonely Signal Burns, eine Art Detektivgeschichte.)

Schon etwas älter und nicht so glaub­wür­dig, aber nichts­des­to­trotz span­nend zu lesen, ist ein ande­res Unter­gangs­sze­na­rio für die USA. In Robert Charles Wil­sons Juli­an Com­stock. A Sto­ry of the 22nd Cen­tu­ry lan­den wir in einem Land, das sich mehr nach 19. Jahr­hun­dert als nach Zukunft anfühlt, mit Feu­dal­her­ren und einer strik­ten Klas­sen­ge­sell­schaft, einer gera­de eben begin­nen­den Wie­der­ent­de­ckung der Indus­tria­li­sie­rung (im Post-Öl-Zeit­al­ter), einer alles domi­nie­ren­den Kir­che und radi­ka­len Intel­lek­tu­el­len und Bohe­mi­ans … Wie gesagt, beson­ders glaub­wür­dig fin­de ich den völ­li­gen tech­no­lo­gi­schen Ver­fall nicht, aber inter­es­sant ist das allemal.

Ach ja, indus­tri­el­le Fan­ta­sy: Micha­el Swan­wick beschreibt in The Iron Dragon’s Mother Faery nach der Indus­tri­al Revo­lu­ti­on, aus der Sicht einer Dra­chen­pi­lo­tin, die nach ihrem ers­ten Flug uneh­ren­haft ent­las­sen wer­den soll – und auf der Flucht ganz unter­schied­li­chen Geschich­ten und Gestal­ten begegnet. 

Last but not least habe ich Kame­ron Hur­ley für mich ent­deckt. Ihre Light Bri­ga­de spinnt aus­ge­hend von Bea­men-als-Waf­fe eine Nicht-ganz-Mili­ta­ry-SF; viel­leicht ist’s auch ein Kom­men­tar zu Hein­leins Star­ship Tro­o­pers. Fas­zi­nie­ren­der fand ich The Stars Are Legi­on, eine sehr eige­ne Geschich­te über bio­tech­no­lo­gi­sche Raum­schiff­wel­ten, Gebär­fä­hig­keit und Machtspiele.