Science Fiction und Fantasy im März 2025

Freiburg Hbf: Stadtbahnbrücke

Defi­ni­tiv kei­ne Emp­feh­lung: der Film Super­no­va aus dem Jahr 2000. Mehr Trash geht eigent­lich gar nicht – bis hin zu Din­gens mit neundi­men­sio­na­ler Mate­rie, die sich, nach­dem alle mal Sex hat­ten und fast alle umge­bracht wor­den sind, inner­halb von 50 Jah­ren über 3000 Licht­jah­re aus­brei­tet, und so der Gra­vi­ta­ti­on eines blau­en Rie­sens ent­kommt. Da trös­ten dann auch die Sei­ten­we­ge (wie etwa der zukünf­ti­ge Blick auf die arg gewalt­tä­ti­gen Zei­chen­trick­fil­me aus den 1960er Jah­ren, die Love­sto­ry mit der AI oder diver­se Film­zi­ta­te) nicht.

Defi­ni­tiv eine Emp­feh­lung ist dage­gen The Resi­dence (2025, Net­flix) – Cor­de­lia Cupp ist vor allem dar­an inter­es­siert, sel­te­ne Vögel zu betrach­ten, mit Feld­ste­cher und „Birds of the World“ in der Umhän­ge­ta­sche. Neben­bei ist sie auch noch die welt­bes­te Detek­ti­vin – und reicht in nerdi­ger Exzen­trik an Sher­lock Hol­mes oder Doc­tor Who her­an. In die­ser sehr gegen­wär­tig erzähl­ten Serie klärt sie einen Mord im Wei­ßen Haus auf – mit viel Blick hin­ter die Kulis­sen des White House, Lie­be für Details und ver­schro­be­ne Figu­ren, nur am Ran­de vor­kom­men­der Poli­tik und einer gar nicht mal so unplau­si­bel erschei­nen­den Zukunft, in der ein weit­ge­hend unfä­hi­ger Prä­si­dent es sich selbst mit Aus­tra­li­en ver­scherzt hat. Kylie Mino­gue tritt auch auf. (Ja, das ist im enge­ren Sin­ne alles kei­ne Sci­ence Fic­tion, son­dern viel­leicht Mys­tery Come­dy, hat mich dann aber doch sehr gut unter­hal­ten, gera­de in die­sen Tagen …)

Stich­wort „die­ser Tage“ – Lisa Brideau hat mit Adrift (2023) einen als Thril­ler ver­kauf­ten SF-Roman geschrie­ben, der lei­der sehr gegen­wär­tig wirkt. Der Kli­ma­wan­del hat sich in der nahen Zukunft (2039) fort­ge­setzt, Wald­brän­de und hef­tigs­te Stür­me sind lei­der nor­mal. Die Gren­zen Kana­das wer­den streng kon­trol­liert – auch die See­we­ge zu den USA, um Flücht­lin­ge abzu­hal­ten. Wirt­schaft­lich geht es alles den Bach run­ter, auch wenn die Wis­sen­schaft ein biss­chen wei­ter gekom­men ist. In die­sem Sze­na­rio fin­det sich Ess ohne Gedächt­nis auf einem Boot auf dem Meer wie­der. Ess‘ motor skills – wie etwa das Segeln – sind eben­so intakt wie ihr Gedächt­nis für alles, was neu pas­siert – nur die epi­so­dischen Erin­ne­run­gen an alles bis zum Beginn des Buches sind genau­so kom­plett gelöscht wie ihr Wis­sen über sich selbst. Das Boot ist gut aus­ge­rüs­tet, Pil­len gegen das star­ke Kopf­weh gibt es, und irgend­wann fin­det Ess auch einen Brief an sich selbst, der aber nicht wirk­lich irgend­et­was erklärt. Sie beschließt, ihren eige­nen Rat in den Wind zu schla­gen und her­aus­zu­fin­den, was eigent­lich pas­siert ist. Ach ja: neben­bei häu­fen sich Medi­en­be­rich­te über Geflüch­te­te ohne Gedächt­nis. Hat das etwas mit ihr zu tun? – Adrift hat mir gut gefal­len, auch wenn die hier ent­wor­fe­ne Zukunft rea­lis­tisch düs­ter wirkt – und die Sto­ry­line ab und zu an ein Video­spiel erin­nert, in dem das nächs­te Item gefun­den wer­den muss, um weiterzukommen.

Eben­falls sehr rea­lis­tisch (und nur in einem wei­ter gefass­ten Sin­ne als SF zu bezeich­nen) ist Cory Doc­to­rows neus­ter Band sei­ner Mar­ty-Hench-Serie, die mit Red Team Blues star­te­te. In Picks and Sho­vels (2025) sprin­gen wir in die 1980er Jah­re – Mar­tin Hench stu­diert am MIT, jeden­falls ist das der Plan. Dann kommt er in Berüh­rung mit den ers­ten Heim­com­pu­tern, wird Teil eines Com­pu­ter-Clubs und lernt Visi­calc lie­ben. Eine geschei­ter­te Fir­men­grün­dung spä­ter lan­det Hench als foren­sic accoun­tant in San Fran­cis­co, das sich gera­de neu erfin­det. Zwi­schen Dead Ken­ne­dys und PC-Nerd-Nost­al­gie erfah­ren wir nicht nur viel über Henchs bio­gra­fi­sche Ent­wick­lung und Lokal­ko­lo­rit der Ost- wie der West­küs­te. Ganz neben­bei erzählt Doc­to­row mit­rei­ßend wie immer – so selt­sam das klin­gen mag – über Tech­nik-Mono­po­le, schei­tern­de Revol­ten und die Ursprün­ge frei­er Soft­ware. Viel­leicht funk­tio­niert das Buch nur, wenn man selbst die PC-Revo­lu­ti­on (zumin­dest aus der Fer­ne einer Kind­heit in Deutsch­land) mit­be­kom­men hat – aber eigent­lich müss­te es auch ohne Vor­wis­sen und Nost­al­gie­kern lesens­wert sein. 

Chron­lo­gisch wei­ter zurück geht es in den ande­ren drei Roma­nen, die ich im März gele­sen habe. 

Emi­ly Wilde’s Com­pen­di­um of Lost Tales (2025) ist der drit­te Band von Hea­ther Faw­cetts Cozy-Fan­ta­sy-Rei­he rund um Emi­ly Wil­de, die in Cam­bridge die Welt der Feen­rei­che erforscht. In die­sem drit­ten Band, der mit dem Ende des Jah­res 1910 beginnt, folgt sie ihrem Part­ner Wen­dell Bam­ble­by in des­sen Feen-König­reich, Sil­va Lupi. Sein Ziel: den ver­wais­ten Thron ein­neh­men – ihr Ziel: eine Feld­stu­die über die Poli­tik der Feen­rei­che zu ver­fas­sen. Mit Nadel und Faden, enzy­klo­pä­di­schem Wis­sen über Mär­chen und Sagen und einer gehö­ri­gen Por­ti­on Stur­heit gelingt am Ende nicht nur das – auch dank einer Tür, die nach Irland führt. Es emp­fiehlt sich, die ers­ten bei­den Bän­de gele­sen zu haben, nicht zuletzt des­halb, weil eine gan­ze Rei­he Figu­ren wie­der auf­tau­chen. Dann hält das Com­pen­di­um, was es ver­spricht, und Hea­ther Faw­cett ent­führt eine*n in eine detail­rei­che und in sich bei allen Selt­sam­kei­ten kon­sis­ten­te Anders­welt. Die For­sche­rin Emi­ly Wil­de als Hel­din wider Wil­len eig­net sich dabei wun­der­bar als Identifikationsfigur.

Fast die glei­che Zeit, aber eine anders gear­te­te Abwei­chung von unse­rer Ver­gan­gen­heit fin­det sich in The Cau­tious Traveller’s Gui­de to The Was­te­lands (2024) von Sarah Brooks. Die­ser Roman spielt 1899 und zeich­net aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven (dem im Zug auf­ge­wach­se­nen Wai­sen­kind – dem Natur­for­scher – der ver­meint­li­chen jun­gen Wit­we) die Rei­se mit der trans­si­bi­ri­schen Eisen­bahn von Bei­jing nach Mos­kau nach – nur das Sibi­ri­en die sorg­sam mit einer Mau­er abge­schot­te­ten Was­te­lands sind, in denen jeff­van­der­meer­sche Trans­for­ma­tio­nen von sich gehen, Far­ben zu sehen sind, die nicht für das mensch­li­che Auge gemacht sind, Wesen inein­an­der über­ge­hen und man bes­ser nicht genau hin­sieht, weil die Was­te­lands zurück­schau­en. Nur der spe­zi­ell gesi­cher­te Zug der Com­pa­ny – mit sei­ner ers­ten und sei­ner drit­ten Klas­se, mit Vor­rä­ten für die lan­ge Rei­se, einer exqui­si­ten Küche und Stahl­bal­ken vor allen Fens­tern – schafft die­se Rei­se. Meis­tens jeden­falls. Brooks‘ Rei­se­be­richt ist zugleich die Geschich­te einer Trans­for­ma­ti­on, an des­sen Ende längst nicht mehr klar ist, was innen und außen ist. 

Und auch T. King­fi­shers What Moves The Dead (2022), noch stär­ker als der Traveller’s Gui­de eher Hor­ror als Fan­ta­sy, spielt in einem 19. Jahr­hun­dert, das da und dort unse­rem gleicht, dann aber doch wie­der ganz anders ist. So ist die erzäh­len­de Haupt­per­son – die einem düs­te­ren Geheim­nis auf die Spur kom­men muss – ein*e nonbinäre*r „sworn sol­dier“ ist, was mit der Tra­di­ti­on des klei­nen Lan­des Gal­la­cia begrün­det wird. Die Novel­le nimmt Moti­ve von Poes The Fall of the House of Usher auf, spielt mit die­sen und fügt eine Men­ge Pilz­kun­de und Natur­ge­schich­te hin­zu. Und Zom­bie-Hasen. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich die­se Art Buch mag, der Ton­fall der Erzähler*in war jeden­falls stim­mig und mach­te neu­gie­rig auf den Folgeband. 

Noch wei­ter zurück geht es dann in dem rund 700 Sei­ten umfas­sen­den neus­ten Werk von Ada Pal­mer. Inven­ting the Renais­sance: Myths of a Gol­den Age (2025) ist ein Sach­buch, oder viel­leicht auch ein sehr lan­ger Blog­post. Pal­mer schreibt hier (meis­tens) nicht als SF-Autorin, son­dern als Geschichts­pro­fes­so­rin und Exper­tin für die ita­lie­ni­sche Renais­sance. Der Fokus liegt dabei auf Flo­renz. Machia­vel­li tritt in die­sem Buch eben­so auf wie die Medi­cis – und in bei­den Fäl­len, wie auch in vie­len ande­ren in das Werk gefloch­te­nen Bio­gra­fien, legt Pal­mer sich bewusst nicht fest, wie deren Han­deln mora­lisch zu bewer­ten ist. Eigent­lich geht es Pal­mer um Ideen­ge­schich­te – wie ent­stand über­haupt das Pro­jekt Renais­sance, was hat es mit dem Huma­nis­mus auf sich, und wie weit las­sen sich „moder­ne“ Vor­stel­lun­gen im Flo­renz des 15. und 16. Jahr­hun­derts fin­den. Oder ist es über­haupt eine dum­me Idee, in die­ser fremd-ver­trau­ten Kul­tur nach Split­tern und Vor­for­men der Moder­ne zu suchen? Neben­bei wird deut­lich, wie sehr selbst die „Repu­blik“ Flo­renz nicht pro­to-demo­kra­tisch orga­ni­siert war, son­dern anhand von Patro­na­ge-Bezie­hun­gen und der Gunst mäch­ti­ger Per­so­nen – womit sich dann der Kreis zu die­sen Tagen schließt. 

Winterlektüre 2021/2022

Ice on leafs II

Drau­ßen wird es all­mäh­lich früh­lings­haft – Zeit, mei­ne Sci­ence-Fic­tion- und Fan­ta­sy-Lek­tü­re die­ses Win­ters mal zusam­men­zu­fas­sen. Wie auch bei den letz­ten Malen begin­ne ich mit Funk und Fernsehen.

Neben „Don’t look up“ – gera­de in der Über­zeich­nung und dem Ver­zicht auf ein Hap­py End aus mei­ner Sicht eine gelun­ge­ne fil­mi­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit den Mecha­nis­men der media­len und gesell­schaft­li­chen Kri­sen­blind­heit – und dem groß­ar­ti­gen Dis­ney-Film „Encan­to“ waren das vor allem die aktu­el­len SF-Seri­en. „Foun­da­ti­on“ ist nicht dabei, weil ich bis­her zu gei­zig war, auch noch ein Apple-TV-Abo abzu­schlie­ßen. Wie über­haupt die Mul­ti­pli­ka­ti­on der Strea­ming­diens­te zu einer ähn­li­chen Situa­ti­on führt wie bei den Tages­zei­tungs­abos: Ich bin ger­ne bereit, für ein oder zwei Diens­te zehn, zwan­zig Euro im Monat als „Flat­rate“ aus­zu­ge­ben – aber eben nicht für eine Viel­zahl. Ins­be­son­de­re bei der vier­ten Staf­fel von „Star Trek: Dis­co­very“ nerv­te mich das anfangs; die­se soll­te anfangs in Euro­pa ja gar nicht gezeigt wer­den, um dann irgend­wann als Schmuck­stück eines Star-Trek-Kanals von Para­mount zu die­nen. Dann sicker­te durch, dass Plu­to TV sie zei­gen soll (Inter­net-Live-TV, kei­ne Ahnung, wer so was braucht …), und schließ­lich gab es dann doch die Mög­lich­keit, die Staf­fel zu kau­fen und anzu­gu­cken. Nichts mit Strea­ming-Flat­rate, aber immerhin.

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Leseprotokoll Juli 2017

Mein Juli war recht lese­reich, zumin­dest was den Bereich Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy angeht. Und natür­lich bewahr­hei­te­te sich dabei ein­mal mehr, dass Sci­ence Fic­tion vor allem von der Gegen­wart handelt. 

Wie bei­spiels­wei­se in Ste­phen Gas­kells Antho­lo­gie Tales from the Edge: Escala­ti­on (die ich auch gekauft habe, weil eine Geschich­te dar­in von Alai­star Rey­nolds stammt). Der gemein­sa­me Hin­ter­grund für die hier ver­sam­mel­ten, schnell gele­se­nen Sto­rys ist ein Pla­ne­ten und Son­nen­sys­te­me ver­schlin­gen­der „Maelstrom“. Ein sol­ches Ereig­nis löst Eva­ku­ie­run­gen und Flucht­be­we­gun­gen aus, und auch reli­giö­se Kul­te blü­hen auf. Wer kann es sich leis­ten, einen Platz auf einem der Eva­ku­ie­rungs­raum­schif­fe zu bekom­men? Wer erschwin­delt sich einen? Was ist der Preis dafür – und wie geht es danach weiter?

Auch in Tomorrow’s Kin von Nan­cy Kress bil­det ein kata­stro­pha­les Ereig­nis den Hin­ter­grund einer Geschich­te, in der es – in die­sem Fall – um Ver­trau­en, Poli­tik und Wis­sen­schaft im Spät­ka­pi­ta­lis­mus geht. Tech­no­lo­gisch über­le­ge­ne Cou­si­nen der Mensch­heit lan­den vor New York, um vor einer dro­hen­den Begeg­nung der Erde mit einer inter­pla­ne­ta­ren Spo­ren­wol­ke zu war­nen. Sie rufen dazu auf, in einer gemein­sa­men wis­sen­schaft­li­chen Anstren­gung ein Gegen­mit­tel zu ent­wi­ckeln. Die Prot­ago­nis­tin ist eine mäßig erfolg­rei­che Wis­sen­schaft­le­rin, die durch einen Zufall zum Teil des Teams wird, das hier zusam­men­kommt. Aber ist es rich­tig, den außer­ir­di­schen Cou­si­nen zu ver­trau­en? Gibt es die­se Spo­ren­wol­ke wirk­lich – und war­um exis­tiert nicht längst ein Gegen­mit­tel? Der Hand­lungs­bo­gen die­ses ers­ten Ban­des erstreckt sich über meh­re­re Jah­re, schlägt dabei eini­ge Vol­ten und hat mich bis zum Schluss nicht kalt gelassen.

Dass es in Charles Stross’ Deli­ri­um Brief, dem neus­ten Band der Laun­dry-Serie (Hor­ror meets bri­ti­sche Büro­kra­tie), eben­falls um Kata­stro­pha­les geht, ist nicht ver­wun­der­lich. Nach­dem die Exis­tenz der Laun­dry im letz­ten Band öffent­lich bekannt wur­de, geht es jetzt dar­um, mit den poli­ti­schen Fol­gen umzu­ge­hen – Regie­rungs­kom­mis­sio­nen, Talk­shows, rol­len­de Köp­fe und ein Pro­zess, der im Out­sour­cing die­ser Behör­de mün­den wird. Hier liegt dann auch der wah­re Hor­ror … (neben­bei bemerkt: die Laun­dry wür­de sich her­vor­ra­gend für eine Seri­en­ver­fil­mung eignen).

Ein wei­te­rer Band einer Serie ist Luna: Wolf Moon von Ian McDo­nald. „Game of Thro­nes“ auf dem Mond wür­de für eini­ge der Ent­wick­lun­gen, die sich aus dem Regime­wech­sel am Ende des ers­ten Ban­des (Luna: New Moon) erge­ben, durch­aus auch pas­sen. Wie Mond und Erde sich näher­kom­men, und wie die Intri­gen der luna­ren Fami­li­en­kon­zer­ne sich wei­ter­spin­nen, ist lesens­wert – ins­be­son­de­re, weil McDo­nald es hier, wie auch in vie­len sei­ner frü­he­ren Bücher, schafft, eine ganz eige­ne, syn­kre­ti­sche Kul­tur leben­dig wer­den zu las­sen, in der er Ele­men­te, die er z.B. afri­ka­ni­schen, bra­si­lia­ni­schen, aus­tra­li­schen und asia­ti­schen Lebens­wel­ten ent­nom­men hat, mit ganz neu­en Erfin­dun­gen, wie sie nur in der Nied­rig-Gra­vi­ta­ti­ons-Gesell­schaft des Mon­des ent­ste­hen kön­nen, zusam­men­bringt, und zu einem über­zeu­gen­den Gan­zen zusam­men­wach­sen lässt. Sei­ne Mond­zu­kunft ist im Gro­ßen alles ande­re als eine Uto­pie (wie gesagt, gewis­se Grund­struk­tu­ren erin­nern an „Game of Thro­nes“) – die eine oder ande­re uto­pi­sche Nische fin­det sich aller­dings doch.

Last but not least: Ada Pal­mer war mir bis­her kein Begriff. Durch Zufall bin ich auf ihre bei­den Bän­de Too Like The Light­ning und Seven Sur­ren­ders gesto­ßen und bin hin- und her­ge­ris­sen, was ich davon hal­ten soll. Die His­to­ri­ke­rin Pal­mer ent­wirft eine post­na­tio­na­le Zukunft, eini­ge hun­dert Jah­re nach unse­rer Gegen­wart. Dass der Natio­nal­staat hier an Bedeu­tung ver­lo­ren hat und teil­wei­se durch ande­re Instan­zen ersetzt wur­de, erin­nert an Mal­ka Olders Info­mo­cra­cy. Jede und jeder kann wäh­len, wel­cher der hier sie­ben welt­um­span­nen­den Ein­hei­ten er oder sie zuge­hö­rig ist. Da und dort schim­mern noch ein­zel­ne regio­na­le Bünd­nis­se (die EU), glo­ba­le Kon­zer­ne (Mitsu­bi­shi-Green­peace) oder ande­re Vor­bil­der (die olym­pi­schen Spie­le und deren Ver­mark­tung, das römi­sche Reich, die sci­en­ti­fic com­mu­ni­ty) als Ker­ne die­ser Post­na­tio­nen durch. Die Zukunft ist ratio­nell – Geschlecht ist tabui­siert und zugleich flui­de, Fami­li­en sind durch Wahl­ver­wand­schaf­ten und kom­mu­na­le Lebens­for­men ersetzt, Reli­gi­on ist nach schreck­li­chen Reli­gi­ons­krie­gen höchst­pri­vat, und Pro­ble­me wie der Ver­kehr (com­pu­ter­ge­steu­er­te sub­or­bi­ta­le Taxis) oder der Umgang mit Verbrecher*innen (für­sorg­li­che Ver­skla­vung) haben klu­ge Lösun­gen gefun­den. Com­pu­ter und Mensch-Com­pu­ter-Hybri­de sor­gen für opti­ma­le Steue­rung. Doch hin­ter die­ser hei­len Ober­flä­che taucht eine Par­al­lel­welt der Rei­chen und Mäch­ti­gen auf, die in barock anmu­ten­der Aus­schwei­fung durch Sexua­li­tät, Reli­giö­si­tät, phi­lo­so­phi­sche Lek­tü­re und ande­re Tabu­brü­che zusam­men­ge­hal­ten wird. Dazu kom­men fast schon mys­ti­sche Bege­ben­hei­ten. Der (eigen­wil­li­ge und sicher­lich nicht beson­ders zuver­läs­si­ge) Erzäh­ler büßt für ein bru­ta­les Ver­bre­chen, und ist doch zugleich der­je­ni­ge, der nach und nach die Puz­zle­stei­ne der zunächst nach Kri­mi aus­se­hen­den Geschich­te zusam­men­setzt. Span­nend ist Pal­mers Serie (ein drit­ter Band erscheint dem­nächst) auch durch die­se Geschich­te – vor allem aber wirft der Roman Fra­gen dazu auf, was das kon­se­quen­te Wei­ter­den­ken heu­ti­ger Ent­wick­lun­gen bedeu­ten wür­de. Die Ant­wor­ten fas­zi­nie­ren, sto­ßen aber zugleich ab.