Zombie-Debatten und formative Schnippsel

Ich bin schon seit gerau­mer Zeit dabei, die Ord­ner, die ich von Umzug zu Umzug mit­ge­schleppt habe, zu digi­ta­li­sie­ren. Ande­re Men­schen wür­den ver­mut­lich eher zu „kann doch weg“ ten­die­ren, ich habe, und wenn ich mir unse­ren Kel­ler anschaue: durch­aus fami­li­är beein­flusst – eher eine Ten­denz zum Auf­he­ben. Also: Ord­ner digi­ta­li­sie­ren, alles mög­li­che kommt in den Dop­pel­sei­ten­ein­zugs­scan­ner (lang lebe DIN A4), und viel Volu­men hat natür­lich die Stu­di­en­zeit eingenommen. 

In den letz­ten Wochen bin ich nun im Gang rück­wärts in der Zeit um 1993 ange­kom­men. 1994 habe ich Abi gemacht, danach Zivil­dienst und dann im Herbst 1995 ange­fan­gen zu stu­die­ren. Par­al­lel war ich zu die­ser Zeit auf Lan­des­ebe­ne in der dama­li­gen Grün-Alter­na­ti­ven Jugend (GAJ) aktiv, es gab auch eine Frei­bur­ger Orts­grup­pe (zusam­men mit den letz­ten Res­ten von JungdemokratInnen/Junge Lin­ke), und Schü­ler­zei­tung, SMV – mit lokal­po­li­ti­schen Bezü­gen, eine Mei­nungs­um­fra­ge zum Bür­ger­ent­scheid „Litz­fürst“ schaff­te es sogar in die Schul­kon­fe­renz – und 1994 grün­de­te sich das Grün-Alter­na­ti­ve Jugend­bünd­nis GAJB, der Vor­läu­fer der heu­ti­gen Grü­nen Jugend. Viel los in die­ser Zeit also. Und vie­les, was ich ver­ges­sen hatte …

1993 habe ich ange­fan­gen, sys­te­ma­tisch Zei­tungs­aus­schnit­te zu sam­meln (und das bis Ende 1995 fort­ge­führt, danach wur­de es dann in Bezug auf die Zei­tungs­aus­schnit­te unsys­te­ma­ti­scher und in Bezug auf alles, was sozio­lo­gisch oder digi­tal­po­li­tisch inter­es­sant war, sys­te­ma­ti­scher – schließ­lich fing dann mein Stu­di­um an, und ich kam mit Biblio­gra­fien und der Idee von Lite­ra­tur­ver­wal­tungs­soft­ware in Kon­takt). Und die­ser Ord­ner Pres­se von 1993 bis 1995 ist in mehr­fa­cher Hin­sicht interessant.

Bio­gra­fisch, weil er einen ganz guten Über­blick gibt, was mich damals, in einer sicher­lich sehr prä­gen­den Zeit, inter­es­siert hat. Und zum ande­ren auch mit Blick auf die Wie­der­gän­ger. Vie­le Debat­ten tau­chen heu­te, drei­ßig Jah­re spä­ter, wie­der auf. Ich will das an ein paar Bei­spie­len verdeutlichen:

1993, gleich der ers­te auf­ge­ho­be­ne Arti­kel, ist aus der Badi­schen Zei­tung und berich­tet über eine „Schü­ler-Demo gegen Frem­den­haß“ mit gut 1000 Teil­neh­men­den („Ent­täu­schung über die gerin­ge Teil­neh­mer­zahl“). Inter­es­sant in dem Zusam­men­hang auch ein Flug­blatt des Frei­bur­ger Kreis­ver­bands der Grü­nen, das ich als Kon­zept­pa­pier zum Auf­kle­ben der Pres­se­schnipp­sel ver­wen­det hat­te. Das dürf­te eben­falls aus dem Jahr 1993 oder 1994 stam­men und trägt den Titel: „Der Feind steht rechts!“ (ein Zitat des Reichs­kanz­lers Wirth, 1922). Sam­mel­un­ter­künf­te für Asyl­su­chen­de eben­so wie die poli­ti­sche Annä­he­rung der CDU an die dama­li­gen „Repu­bli­ka­ner“ wer­den the­ma­ti­siert. Klingt lei­der alles brandaktuell.

Dann beschäf­ti­gen sich 1993 eini­ge Arti­kel mit dem Jugend­um­welt­fes­ti­val Auf­takt in Mag­de­burg, an dem ich auch teil­ge­nom­men hat­te. Umwelt­the­men neh­men in der Samm­lung einen gro­ßen Raum ein – Pres­se­be­rich­te zu diver­sen Pro­tes­ten (Cas­tor­trans­por­te!) eben­so wie zum 1995 in Frei­burg statt­fin­den­den Jugend­um­welt­kon­gress Jukß mit 1200 Jugend­li­chen aus ganz Deutsch­land. Für eine auto­freie Rem­part­stra­ße wur­de eben­falls demons­triert … auch das ein The­ma, das sich trotz Ver­bes­se­run­gen in der Ver­kehrs­füh­rung noch nicht erle­digt hat. Oder wie hier zu sehen im Sep­tem­ber 1995 eine Demo zu den dama­li­gen Atom­tests Frank­reichs auf dem Muru­roa-Atoll. (Und ja, der jun­ge Mann mit den lan­gen Haa­ren links bin ich … da hat sich in den 30 Jah­ren seit­dem auch ein biss­chen was geändert …). 

Atom­tests ist so ein Wie­der­gän­ger-The­ma, denn gera­de jetzt hat Trump ankün­digt, die ame­ri­ka­ni­schen Atom­bom­ben-Tests wie­der auf­neh­men zu wol­len. Nicht nur in die­ser Hin­sicht gibt es gewis­se Par­al­le­len. Und auch wenn „Kli­ma“ Mit­te der 1990er Jah­re noch nicht das beherr­schen­de The­ma war, so kommt die Kli­ma­kri­se doch vor; 1997 wird es dann zum Kyo­to-Pro­to­koll kom­men, als ers­ter Schritt auf dem Weg hin zu glo­ba­len Redu­zie­rung der Treibhausgasemissionen. 

Dabei deu­tet sich in der Samm­lung der Pres­se­aus­schnit­te auch schon eine Hin­wen­dung zur Wis­sen­schaft an: sind es anfangs eher die akti­vis­ti­schen The­men, kommt – auch durch den Zivil­dienst im Öko-Insti­tut – nach und nach auch der eine oder ande­re Bericht zu Umwelt­bi­lan­zen, Öko­la­bels und ähn­li­chen Fra­gen in den Pressespiegel.

Jugend­po­li­ti­sche Akti­vi­tä­ten im enge­ren Sin­ne spie­len natür­lich eine gro­ße Rol­le. So geht es um die damals anste­hen­de Abschaf­fung des 13. Schul­jahrs (Baden-Würt­tem­berg führt es die­ses Jahr wie­der ein) – die „Regio­na­le Schü­le­rIn­nen-Ver­samm­lung“ mit Alex­an­der Bonde (dann Vor­sit­zen­der des Lan­des­schü­ler­bei­rats, spä­ter MdB und dann Land­wirt­schafts­mi­nis­ter in Baden-Würt­tem­berg, heu­te Gene­ral­se­kre­tär der Deut­schen Bun­des­stif­tung Umwelt) orga­ni­siert dazu eini­ge Aktio­nen. Und Fran­zis­ka Brant­ner (heu­te MdB und grü­ne Bun­des­vor­sit­zen­de) gibt ein ers­tes Inter­view als 15-jäh­ri­ge, in der sie erklärt, was die Jugend­kon­fe­renz der Stadt Frei­burg brin­gen soll, und war­um es wich­tig ist, Jugend­li­chen selbst Gehör zu schen­ken. Die Grün­dung des Grün-Alter­na­ti­ven Jugend­bünd­nis­ses nimmt Raum ein (die FAZ guckt genau, ob es eine Abgren­zung zur dama­li­gen „PDS“ gibt, oder ob hier links­ra­di­ka­le Umtrie­be zu befürch­ten sind), und eben­so fin­den sich Aus­ris­se zu Que­re­len bei den Jusos, einem Emp­fang der Lan­des­re­gie­rung unter Minis­ter­prä­si­dent Teu­fel für Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen und der­glei­chen mehr. 

Aber nicht alles ist Poli­tik. Zwi­schen Fotos von Demos und Rand­no­ti­zen zu Ver­bän­den kom­men zuneh­mend mehr Arti­kel, die sich mit Digi­ta­li­sie­rung beschäf­ti­gen (auch hier half der Zivil­dienst und der Zugang zu diver­sen Zeit­schrif­ten, der damit ver­bun­den war). Erör­te­run­gen über Unzu­läng­lich­keit der Meta­pher der Daten­au­to­bahn, Hacker-Por­träts und ein Inter­view mit Joseph Wei­zen­baum sind nur eini­ge der Fund­stü­cke. Und pas­send zur vor weni­gen Tagen erschie­ne­nen letz­ten Papier­aus­ga­be der wochen­täg­li­chen taz habe ich auch die dama­li­ge Ankün­di­gung der ers­ten „digi­Taz“ auf­ge­ho­ben – samt Erläu­te­rung, was die­ses Inter­net eigent­lich ist, und der ein­gän­gi­gen Adres­se http://www.prz.tu-berlin.de/taz zum Auf­ruf der digi­ta­len Zei­tung. Par­al­lel dazu wird in ande­ren Zei­tungs­aus­ris­sen dar­über spe­ku­liert, ob mit dem bal­di­gen Ende der Zei­tung auf Papier und dem papier­lo­sen Büro zu rech­nen sei. Hat etwas län­ger gedauert …

Ein oder zwei Arti­kel zum The­ma Sci­ence Fic­tion waren auch in der Gemenge­la­ge vor­han­den. Dass mir vie­le der Din­ge, die ich damals inter­es­sant fand, wei­ter­hin inter­es­sant erschei­nen, wür­de ich ja durch­aus posi­tiv wer­ten – dass vie­le der poli­ti­schen Pro­ble­me, die damals rele­vant waren, heu­te immer noch oder wie­der rele­vant sind, erscheint dann schon besorg­nis­er­re­gen­der. Hier habe ich zuneh­mend das Gefühl, dass der Fort­schritt, wenn es ihn den gibt, sich in Wel­len bewegt. Und allein für die­se Erkennt­nis lohnt es sich doch, das eine oder ande­re auf­zu­he­ben, und sei es platz­spa­rend digital.

Sprachverwirrung

Die 1978 aus­ge­strahl­te BBC-Hör­spiel­se­rie The Hitch Hiker’s Gui­de to the Gala­xy von Dou­glas Adams hat uns nicht nur die Idee eines freund­li­chen, von über­all aus zugreif­ba­ren Lexi­kons in die Welt gesetzt – sehr viel bes­ser als die galak­ti­sche Enzy­klo­pä­die, das sicher­lich eines der Vor­bil­der für die Wiki­pe­dia wur­de, son­dern auch den Babel­fisch. Das ist ein klei­ner gel­ber Fisch, der ins Ohr gestopft wird und über­setzt. Oder, um aus dem Buch zu zitieren:

‚What’s this fish doing in my ear?‘
‚It’s trans­la­ting for you. It’s a Babel fish. Look it up in the book if you like.‘
He tos­sed over The Hitch Hiker’s Gui­de to the Gala­xy […]
‚The Babel fish,‘ said The Hitch Hiker’s Gui­de to the Gala­xy quiet­ly, ‚is small, yel­low and leach-like, and pro­ba­b­ly the oddest thing in the Uni­ver­se. It feeds on brain­wa­ve ener­gy recei­ved not from its own car­ri­er but from tho­se around it. It absorbs all uncon­scious men­tal fre­quen­ci­es from this brain­wa­ve ener­gy to nou­rish its­elf with. It the excre­tes into the mind of its car­ri­er a tele­pa­thic matrix […] The prac­ti­cal upshot of all this is that if you stick a Babel fish in your ear you can instant­ly under­stand any­thing said to you in any form of language. […]

Dank „AI“ sind wir jetzt unge­fähr da. Goog­le Trans­la­te und Goog­le Lens, DeepL etc. etc. machen es mög­lich: Tex­te und inzwi­schen auch gespro­che­ne Spra­che las­sen sich weit­ge­hend belie­big von einer Spra­che in eine ande­re über­set­zen, jeden­falls dann, wenn genü­gend Mate­ri­al zur Ver­fü­gung steht. Das Ergeb­nis ist nicht immer opti­mal, reicht aber für vie­le Zwe­cke aus. 

Dou­glas Adams setzt sei­ne Beschrei­bung des Babel­fischs nicht nur mit einem Beweis der Nicht-Exis­tenz Got­tes fort, son­dern kommt auch zum Schluss, dass der „arme Fisch“ dadurch, dass er alle Kom­mu­ni­ka­ti­ons­bar­rie­ren nie­der­ge­ris­sen hat, mehr Krie­ge ver­ur­sacht hat als jedes ande­re Wesen. (Wer sich das gan­ze in der BBC-Fern­seh­se­rie aus den 80ern mit wun­der­bar hand­ge­zeich­ne­ten Com­pu­ter­ani­ma­tio­nen anschau­en will, fin­det auf You­tube einen sehens­wer­ten Aus­schnitt).

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Science Fiction und Fantasy im August 2025

Night photography III

Ich fan­ge mit einem Buch an, das eigent­lich eher ein Sach­buch ist – Mark McCau­gh­re­ans „Rei­se­füh­rer“ 111 places in space that you must not miss (2023). Der Titel beschreibt eigent­lich auch schon ganz gut, was es mit die­sem Buch auf sich hat, das wohl tat­säch­lich in einer Rei­he erschie­nen ist, die auch jeweils 111 „ber­eis­ba­re“ Zie­le anders­wo zusam­men­bringt. Die 111 Orte im Welt­raum sind in drei Abtei­lun­gen unter­teilt, die sich mit dem Son­nen­sys­tem, der Milch­stras­se und dem Rest des Uni­ver­sums befas­sen. Etwas irri­tiert hat­te mich zuerst, dass die Objek­te, die jeweils mit einer Sei­te Text und einem Foto vor­ge­stellt wer­den, inner­halb die­ser drei Abtei­lun­gen alpha­be­tisch sor­tiert sind. Ich hät­te eine Sor­tie­rung nach Ent­fer­nung zur Erde erwar­tet. McCau­gh­re­an beschreibt mit einer leicht iro­ni­schen Note die unter­schied­li­chen Objek­te, die von Mond und ISS bis zu Deep-Field-Auf­nah­men und der kos­mi­schen Hin­ter­grund­strah­lung rei­chen. Inter­es­san­ter­wei­se hat die­ser Rei­se­füh­rer auf mich eher den Effekt, noch ein­mal deut­lich zu machen, wie groß und lebens­feind­lich das Welt­all ist … das wird nicht nur in den Rei­se­zei­ten sicht­bar, die bei den wei­ter ent­fern­ten Objek­ten ger­ne mal bei „Mil­lio­nen Jah­re mit Licht­ge­schwin­dig­keit“ lie­gen, aber selbst im Son­nen­sys­tem wird deut­lich, dass neben dem Mond, Hub­ble und ISS (und bei einer Rei­se­zeit von min­de­tens 9 Mona­ten: dem Mars) selbst z.B. die Jupi­ter­mon­de wohl für ent­spre­chend lan­ge flie­gen­de Son­den, aber eben nicht für mit Men­schen besetz­te Raum­schif­fe erreich­bar sind. Und dass es, dort ein­mal ange­kom­men, ganz schnell zu Pro­ble­men mit Strah­lung kom­men wür­de. Und auch zum Mars schreibt der Autor „will kill you“. Inso­fern: ein gutes Sach­buch über den Stand unse­res Wis­sens über das Son­nen­sys­tem, die Milch­stra­ße und unse­re loka­len Super­struk­tu­ren, aber auch ein Buch, das komi­sche Dimen­sio­nen ver­deut­lich und klar macht, dass die Prä­mis­sen selbst „har­ter“ SF-Seri­en wie The Expan­se weit jen­seits der Rea­li­tät lie­gen. Von Warp-irgend­was gar nicht zu sprechen.

Und wo ich gera­de bei Sach­bü­chern bin: als Ergän­zung zu mei­ner Rei­se nach Kopen­ha­gen habe ich das Buch The Sto­ry of Scan­di­na­via (2023) des Poli­tik­wis­sen­schaft­lers Stein Rin­gen gele­sen. Rin­gen fängt bei den Wikinger*innen an und endet – nach inten­si­ver Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ent­ste­hung der König­rei­che und spä­ter einer luthe­ria­nisch ein­ge­färb­ten Sozi­al­de­mo­kra­tie – in den 2020er Jah­ren. Ich fand das Buch auf­schluss­reich für ein Ver­ständ­nis, wie Däne­mark, Nor­we­gen und Schwe­den sich ent­wi­ckelt haben, und wie die drei Län­dern in wech­seln­den Kon­stel­la­tio­nen zusam­men und gegen­ein­an­der gewirkt haben. Im Kon­text SF und Fan­ta­sy rele­vant: Rin­gen macht u.a. deut­lich, dass wir uns die Wikinger*innen wohl am ehes­tens als War­lords vor­stel­len müs­sen, die Bru­ta­li­tät zu einem Mar­ken­zei­chen mach­ten, dass dann euro­pa­weit bekannt und gefürch­tet wur­de (und die nicht zuletzt Skla­ven­han­del betrie­ben). Aus den War­lords wur­den dann ab etwa dem 10. Jahr­hun­dert, Köni­ge (u.a. Harald Blau­zahn und Knud der Gro­ße), die aber – so Rin­gen – nichts blei­ben­des hin­ter­lie­ßen. Und die Beschrei­bun­gen der Intri­gen der unter­schied­li­chen hoch­mit­tel­al­ter­li­chen Herrscher*innen erin­ner­te doch stark an „Game of Thro­nes“ – bis hin Bru­der­mor­den und zu Ein­la­dun­gen aller Wich­ti­gen zu Fest­mäh­lern, die im Blut­bad enden. (Eigent­li­cher Kern des Buchs ist die Fra­ge, wie aus die­sem Cha­os Demo­kra­tien und nach dem 2. Welt­krieg der skan­di­na­vi­sche Wohl­fahrts­staat ent­ste­hen konn­ten – auch das durch­aus inter­es­sant; inter­es­sant auch der Blick auf das Han­deln Däne­marks (weit­ge­hend akzep­tier­te Beset­zung, Kol­la­bo­ra­ti­on), des als Natio­nal­staat jun­gen Nor­we­gens (Beset­zung mit Wider­stand und einer flie­hen­den Exil­re­gie­rung) und Schwe­dens (Neu­tra­li­tät und Waf­fen­ver­käu­fe) in der Nazizeit.) 

An SF gele­sen habe ich die ers­ten bei­den Bän­de der „Kin­dom Tri­lo­gy“ von Betha­ny Jacobs, The­se Bur­ning Stars (2023) und On Vicious Worlds (2024); der drit­te Band wird noch in die­sem Jahr erschei­nen. Die Bücher ver­bin­den Aspek­te aus bei­den Sach­bü­chern: sie spie­len in einem sich über meh­re­re Son­nen­sys­te­me erstre­cken­den Impe­ri­um („The Treb­le“); und stel­len­wei­se wird es sehr blu­tig und bru­tal mit Blick auf Nach­fol­ge­kämp­fe und Rache­ak­te. Ins­be­son­de­re inner­halb und zwi­schen den „First Fami­lies“ und den drei Säu­len des „Kin­dom“ (Priester*innen der poly­the­is­ti­schen Reli­gi­on; Ver­wal­tung und Jus­tiz; und die „bru­tal hand“ mit ihren Killer*innnen). Zusam­men­ge­hal­ten wird „The Treb­le“ von einem ener­gie­rei­chen Mine­ral (Jevi­te bzw. in der syn­the­ti­schen Form Sevi­te), das u.a. Sprün­ge durch „Gates“ erlaubt. Inter­es­san­ter als die diver­sen Kämp­fe (sag­te ich schon, dass es sehr blu­tig und bru­tal wird?) sind die von Jacobs skiz­zier­ten Inter­es­sen­la­gen und orga­ni­sa­to­ri­schen Ver­krus­tun­gen – bei­spiel­wei­se hat die Fami­lie einer der Haupt­per­so­nen das Mono­pol auf die­sen Mine­ral; die in der Ver­ar­bei­tung von Sevi­te beschäf­tig­ten Über­le­ben­den eines Geno­zids – die Jeve­ni – sind mit ihrer Lage nicht zufrie­den usw. Und ziem­lich viel ist anders, als es am Anfang scheint. Gut gefal­len hat mir an die­ser Space Ope­ra auch, dass eini­ge der Trau­ma­ta und sozia­len Ängs­te eini­ger Haupt­per­so­nen klar the­ma­ti­siert wer­den. Egal, wie sehr sie die Held*innen die­ser Geschich­te sind. Ich bin auf den drit­ten Band gespannt – der zwei­te ende­te ziem­lich abrupt mit einer fie­sen Enthüllung.

Auch Space Ope­ra, aber kom­plett anders, ist die online ver­öf­fent­lich­te Novel­le The Epi­pha­ny of Glie­se 581 von Fer­nan­do Bor­ret­ti (2022), die ein biss­chen an Greg Egan erin­nert. Viel spielt hier in dia­mant­ba­sier­ten Com­pu­ter­sub­tra­ten, und Menschen/transhumane Wesen, die sich selbst down­loa­den und per Mate­rie­druck repro­du­zie­ren kön­nen, tun sich ein biss­chen ein­fa­cher damit, ferns­te Son­nen­sys­te­me zu erfor­schen – oder wie hier: auf­zu­klä­ren, wie eine voll­endes trans­hu­ma­ne „Gott­heit“, die den namens­ge­ben­den Stern Glie­se 581 nach eige­nem Bild gestal­tet hat, zu Tode kam. 

Gele­sen habe ich und sehr emp­feh­len kann ich dann noch das gera­de erschie­ne­ne Auto­ma­tic Nood­le (2025) von Anna­lee Newitz. Wäh­rend ich mit ihren Ter­ra­for­mern nicht so viel anfan­gen konn­te, hat mir die­se eher cozy Geschich­te gut gefal­len: im Kern geht es um vier sehr unter­schied­li­che Robo­ter (und einen Men­schen), die übrig blei­ben, als eine Möch­te­gern-Fast­food-Ket­te ihr Geschäft auf­gibt. Das gan­ze spielt in San Fran­cis­co, in einem Kali­for­ni­en, das sich gera­de in einem blu­ti­gen Krieg von Ame­ri­ka abge­spal­tet hat, und das – anders als die Rest-USA – unter bestimm­ten Bedin­gun­gen men­schen­ähn­li­che Robo­ter mit Rech­ten aus­stat­tet – was ande­re nicht davon abhält, Vor­ur­tei­le zu äußern. Mit viel Lie­be zum Detail erzählt Nee­witz, wie aus dem Fast­food-Shop ein auf Biang-Biang-Nudeln spe­zia­li­sier­tes Restau­rant wird (da erin­ner­te mich das eine oder ande­re an Sourdough) – und wie dabei die ganz unter­schied­li­chen Robo­ter-Per­sön­lich­kei­ten mit ihren Stär­ken (und Schwä­chen und Trau­ma­ta) zusam­men­fin­den. (Lesens­wer­tes Inter­view mit Newitz dazu.)

In gewis­ser Wei­se gut dazu gepasst hat der Film Chap­pie (2015, lief auf Net­flix), den ich eher zufäl­lig aus­ge­wählt habe. Hier geht es um auto­no­me Poli­zei­ro­bo­ter in Johan­nis­burg und was pas­siert, als eine*r davon ein Bewusst­sein bekommt und bei einer von „Die Ant­wo­ord“ gespiel­ten Gangs­ter­fa­mi­lie auf­wächst. Regis­seur Neill Blom­kamp legt an man­chen Stel­len zu dick auf, der Film kann sich manch­mal nicht ent­schei­den, ob er jetzt Thril­ler, Hip-Hop-Gangs­ter­ko­mö­die oder Robo­ter-Reflek­ti­on sein möch­te – unter­halt­sam war’s trotz­dem. Ins­be­son­de­re mit dem zum Zeit­punkt die­ses Films noch nicht abseh­ba­ren AI-Hype im Hinterkopf.

Wei­ter­ge­guckt habe ich außer­dem Foun­da­ti­on und Star Trek: Stran­ge New Worlds – wobei ich hier von Fol­ge 6 („The Seh­lat Who Ate Its Tail“) ins­ge­samt eher begeis­tert war, und mit den Fol­gen 7 („What Is Star­fleet?“) und 8 („Four-and-a-Half Vul­cans“) nicht so viel anfan­gen konnte. 

Begon­nen und dann gleich bin­ge­ge­watcht habe ich die ers­te Staf­fel von Silo (Apple TV, 2023), der Ver­fil­mung der Bücher Wool, Shift und Dust von Hugh How­ey. Die Serie spielt (zumin­dest in der ers­ten Staf­fel) fast aus­schließ­lich in einer rie­si­gen Unter­grund­stadt, dem titel­ge­ben­den Silo, das von selt­sa­men Regeln (Trep­pen­stei­gen zwi­schen den 144 Stock­wer­ken!, kei­ne Mikro­sko­pe!) beherrscht wird. Drau­ßen ist böse – jeden­falls ist das die mit gro­ßem Auf­wand auf­recht erhal­te­ne herr­schen­de Mei­nung. Und Arte­fak­te aus der Zeit davor sind eben­falls ver­bo­ten. Durch einen geschick­ten Kniff ver­bin­det die Serie die Gescheh­nis­se im unters­ten Level – hier küm­mern sich Mechaniker*innen dar­um, dass alles läuft – der Mit­tel­schicht und der Eli­te des Silos in den obe­ren Leveln. Die Haupt­per­so­nen und deren Che­mie unter­ein­an­der ist dann auch Grund genug, über das eine oder ande­re Plot­ho­le hin­weg zu sehen (wie kommt eine seit vie­len Jahr­zehn­ten von der Außen­welt abge­schnit­te­ne Stadt mit 10.000 Men­schen an so Din­ge wie Kaf­fee oder Lötzinn?). 

Kurz: The Mad Twenties

„May you live in inte­res­t­ing times“ – der sprich­wört­li­che Fluch trifft voll und ganz zu. Nicht nur das: ich habe die vage Hoff­nung, dass es im Jahr 2050 Historiker*innen geben wird, die gan­ze Sym­po­si­en mit Dis­kus­sio­nen dazu fül­len wer­den, wie es zu den „mad twen­ties“ kom­men konn­te, ob die­se eigent­lich bereits mit der Trump-Wahl 2016 begon­nen haben, und ob die Pan­de­mie, die Chat­bots oder der unre­gu­lier­te Gebrauch sozia­ler Medi­en haupt­ur­säch­lich dafür war, dass sich die zor­ni­ge Ver­ken­nung der Rea­li­tät in jeg­li­cher Hin­sicht so aus­brei­ten konnte.

War­um Hoff­nung? Weil dies impli­ziert, dass es im Jahr 2050, in 25 Jah­ren, noch Historiker*innen geben wird, ihre Zeit mit im bes­ten Sin­ne aka­de­mi­schen Debat­ten zu ver­brin­gen. Und, wich­ti­ger noch, weil der Rück­blick auf die­se ver­rück­te Deka­de nur dann mög­lich ist, wenn der kol­lek­ti­ve Absturz in eine Fan­ta­sie­welt über­wun­den wurde.

Im bes­ten Fall wird es in 25 Jah­ren hoch­strit­tig sein, ob in den „Mad Twen­ties“ nicht bereits der Keim für eine bes­se­re Welt­ord­nung ange­legt war: die geo­po­li­ti­schen Rea­li­tä­ten, die ein für alle mal klar gemacht haben, dass ein Ver­las­sen auf ande­re nicht funk­tio­niert; das begin­nen­de expo­nen­ti­el­le Wachs­tum von Green Tech und erneu­er­ba­rer Ener­gie, noch ein­mal ver­stärkt durch die Abschot­tung der USA; das Plat­zen der KI-Bla­se und die ers­ten zag­haf­ten Ver­su­che, mit Mit­teln der Moni­pol­kon­trol­le gegen seman­ti­sche Viren vorzugehen.

Im mitt­le­ren Fall wird es auch in 25 Jah­ren noch Auf­räum­ar­bei­ten geben; die letz­ten Wehen zer­stör­ter Insti­tu­tio­nen und nie­der­lie­gen­der Öko­no­mien. Dann wer­den Wahr­heits­kom­mis­sio­nen ein­ge­setzt, die auf­ar­bei­ten, wer Wider­stand geleis­tet hat und wer als Räd­chen des gro­ßen ame­ri­ka­ni­schen Reichs an den Unta­ten mit­ge­wirkt hat.

Der schlimms­te Fall wäre jedoch, dass es eben auch 2050 kei­nen Rück­blick auf die wahn­haf­ten 2020er geben wird, weil deren Rea­li­täts­ver­lust sich fest­ge­setzt hat und zur dau­er­haf­ten Metho­de gewor­den ist. Dann wür­de die Welt in das Gen­re des (Post-)apokalyptischen gerutscht sein. Kei­ne schö­ne Vor­stel­lung – und Anlass, trotz aller Ver­rückt­hei­ten sich jetzt nicht ins Pri­va­te zurück zu ziehen.

Weltuntergangsstimmung

Viel­leicht gehört zum pro­fes­sio­nel­len Poli­tik­ma­chen ein gewis­ser Zweck­op­ti­mis­mus. Zugleich ver­ste­he ich, dass die in den letz­ten Jah­ren neu auf­flam­men­den Krie­ge, die demo­kra­tie­feind­li­che Situa­ti­on in Russ­land, den USA und Chi­na, und nicht zuletzt die sich wei­ter zuspit­zen­de Kli­ma­kri­se (von Arten­ster­ben und Pan­de­mien gar nicht zu reden) den Ein­druck her­vor­ru­fen kön­nen, dass das Ende der Mensch­heit, zumin­dest das Ende einer Geschich­te von Fort­schritt, Befrei­ung und der pro­gres­si­ven Aus­wei­tung demo­kra­ti­scher Rech­te nun nahe sei. Hier­zu­lan­de trägt der rechts­las­ti­ge Zeit­geist genau­so wie der tief durch­ge­drück­te Rück­wärts­gang der Merz-CDU zu die­sem Ein­druck bei.

Trotz­dem hat es mich erschreckt, wie vie­le Men­schen – in mei­ner in die­ser Hin­sicht ver­mut­lich über­haupt nicht aus­sa­ge­kräf­ti­gen Mast­o­don-Bla­se – davon über­zeugt sind, dass wir kurz vor einem glo­ba­len Zusam­men­bruch ste­hen. Ent­we­der, weil die genann­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Ent­wick­lun­gen, kom­bi­niert mit Fol­gen der Kli­ma­kri­se wie Dür­re, unbe­wohn­bar wer­den­den Land­stri­chen usw. zu bür­ger­kriegs­ar­ti­gen Zustän­den füh­ren wer­den. Oder, auch die­se Hal­tung fand ich in mei­nem Feed, weil als ein­zi­ger Weg, die Kli­ma­kri­se (und den rech­ten Back­lash usw.) noch zu stop­pen gese­hen wird, auf einen Umsturz zu hof­fen. Der dann mög­li­cher­wei­se zu bür­ger­kriegs­ar­ti­gen Zustän­den führt.

Das nicht ganz neue Argu­ment, dass es erst die Revo­lu­ti­on geben müs­se, bevor die Welt geret­tet wer­den kön­ne (bzw.: dass es erst die Revo­lu­ti­on geben müs­se, um die Welt zu ret­ten), erschließt sich mir wei­ter­hin nicht. Auch nicht im Kli­ma-Män­tel­chen, bzw. erst recht nicht in die­sem. Etwas zynisch gesagt: bis ein sol­ches Vor­ha­ben erfolg­reich ist, ist es zu spät. Vom CO2-Aus­stoss bren­nen­der Bar­ri­ka­den nicht zu reden.

Die Hoff­nung, dass es anders geht, dass es mög­lich sein kann, im Rah­men des­sen, was das poli­ti­sche Sys­tem dafür bereit­hält, die Wei­chen für eine bes­se­re Zukunft zu stel­len, ist eine zar­te Pflan­ze. Reicht es, dar­auf zu set­zen, das über kurz oder (bit­te nicht all­zu) lang doch Ver­nunft sich durch­setzt? Reicht es, dem Markt zuzu­trau­en, dass er nicht so ideo­lo­gie­ge­tränkt sein kann, die kla­ren öko­no­mi­schen Vor­tei­le erneu­er­ba­rer Ener­gien und elek­tri­scher Antrie­be außen vor zu las­sen? Ist Ver­trau­en in Kli­maur­tei­le der Höchst­ge­rich­te gerecht­fer­tigt (und wenn ja, wie lan­ge noch)? 

Das sind in einer Lage, die sich sehr nach Abwehr­kampf gegen das Zurück anfühlt, schwie­ri­ge Fra­gen, zuge­ge­ben. Und aus zum Bei­spiel dem Wachs­tum der erneu­er­ba­ren Strom­erzeu­gung nicht nur hier, son­dern auch in Dik­ta­tu­ren mit einem nüch­ter­nen Eigen­in­ter­es­se Hoff­nung zu sau­gen, mag zu wenig sein. 

Mehr­hei­ten kön­nen sich ändern, der Zeit­geist schwingt, über die letz­ten Jahr­zehn­te gese­hen, wild im Wind. No future gab es 1980 schon ein­mal, gesell­schaft­li­che Auf­brü­che 1968 und 1986 genau­so wie in den 2000er Jah­ren und zuletzt 2018. Und an gesell­schaft­li­chen Mehr­hei­ten lässt sich arbei­ten, Bünd­nis­se las­sen sich schmie­den, das Mei­nungs­kli­ma lässt sich ver­schie­ben. Das und der müh­se­li­ge poli­ti­sche All­tag mit sei­nem Streit um Stell­platz­schlüs­sel, Netz­um­la­gen und Neben­sät­ze in Kli­ma­schutz­ge­set­zen bewirkt etwas. Lang­sa­mer, manch­mal ver­geb­lich. Aber eben doch.

Was wäre die Alter­na­ti­ve? Die, die von einer Kli­mare­vo­lu­ti­on träu­men, konn­ten mir bis­her nicht sagen, wie der Weg dazu aus­se­hen soll. Wo sind die Poli­zei­trupps, die sich auf die Sei­te der Letz­ten Gene­ra­ti­on schla­gen? Wo sind die wüten­den Bürger*innen, die vor Bör­sen und Kon­zern­zen­tra­len auf­tau­chen? Und ja, auch die öffent­li­chen Gali­ons­fi­gu­ren, auf die sich Auf­merk­sam­keit fokus­siert, sehe ich aktu­ell kaum.

Oder geht es uns zu gut? Aber in den Kri­sen­ge­bie­ten sieht es nicht anders aus – wenn da jemand Mas­sen hin­ter sich ver­sam­melt, dann sind es grosso modo rech­te Populist*innen.

Was also tun? Ich bin über­zeugt davon, dass der ein­zi­ge erfolgs­ver­spre­chen­de Weg der ist, wei­ter in Gemein­de­rä­ten und Par­la­men­ten zu arbei­ten, wei­ter auf Stra­ßen und im Netz zu ver­su­chen, guten Argu­men­ten Nach­druck zu ver­lei­hen, wei­ter das Rich­ti­ge im eige­nen All­tag zu tun – und zu ver­su­chen, die Hoff­nung nicht auf­zu­ge­ben, dass das Mög­lich­keits­fens­ter, das sich beim nächs­ten Schwin­gen des Zeit­geist­pen­dels ergibt, dann auch tat­säch­lich genutzt wird.