Was es mit den zwei Herzen der Forstwirtschaft auf sich hat

Vor eini­gen Wochen konn­te ich ja schon auf unse­re Wald­be­sit­ze­rin­nen-Stu­die hin­wei­sen. Heu­te ist ein wei­te­rer arbeits­so­zio­lo­gi­scher Text zur Forst­wirt­schaft erschie­nen – dies­mal als „rich­ti­ges“ Buch. 

Unter dem Titel Die zwei Her­zen der Forst­wirt­schaft – Forst­li­che Arbeit zwi­schen Markt­ori­en­tie­rung und Nach­hal­tig­keit haben Katha­ri­na Schneij­der­berg, Tat­ja­na Via­pla­na und ich auf gut 230 Sei­ten die Ergeb­nis­se eines Pro­jekts aus­ge­brei­tet, mit dem wir uns im letz­ten Jahr beschäf­tigt haben. Unter­stützt durch die Hans-Böck­ler-Stif­tung ging es in die­sem Pro­jekt – in Zusam­men­ar­beit mit der IG BAU – um die Ver­än­de­run­gen der forst­li­chen Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on. Dazu haben wir Grup­pen­dis­kus­sio­nen mit Forst­wir­ten, mit Mit­ar­bei­te­rIn­nen der Ver­wal­tung, mit Revier­lei­tern und mit Ange­hö­ri­gen des höhe­ren Diens­tes durch­ge­führt. Im Buch stel­len wir die Ergeb­nis­se die­ser Grup­pen­dis­kus­sio­nen dar, die ziem­lich deut­lich machen, dass „fle­xi­ble Arbeit“ ver­bun­den mit mas­si­ven Ratio­na­li­sie­rungs­pro­zes­sen auch in der Forst­wirt­schaft Ein­zug gehal­ten haben.

Um das gan­ze in einen Kon­text zu brin­gen, gehen wir zudem auf die forst­li­chen Reform­pro­zes­se der letz­ten Jah­re ein, auf vor­lie­gen­de Unter­su­chun­gen zu forst­li­cher Arbeit und zur Ent­wick­lung des Arbeits­mark­tes – und auf das mit dem Begriff „Gute Arbeit“ ver­bun­de­ne Kon­zept des DGB. 

Auch wenn das Buch metho­den­spe­zi­fisch nicht für sich bean­spru­chen kann – und das auch gar nicht unser Ziel war – in einem sta­tis­ti­schen Sin­ne reprä­sen­ta­tiv für die Ent­wick­lung der forst­li­chen Arbeits­welt zu sein, ist es uns glau­be ich ganz gut gelun­gen, zu zei­gen, wie auch in einem Bereich, der viel­leicht erst ein­mal gar nicht unter die­sen Ver­dacht steht, typi­sche post-for­dis­ti­sche Arbeits­ver­hält­nis­se und damit ver­bun­de­ne Orga­ni­sa­ti­ons­for­men Ein­zug gehal­ten haben – par­al­lel zum „new public manage­ment“ in ande­ren Ver­wal­tungs­be­rei­chen und zum „manage­ment by objec­ti­ve“ etc. in der Pri­vat­wirt­schaft. Damit ver­än­dert sich nicht nur die Qua­li­tät der Arbeit deut­lich – auch hin­sicht­lich z.B. der gewerk­schaft­li­cher Orga­ni­sa­ti­on wäre es ange­bracht, neue Wege zu gehen (wir schla­gen u.a. vor, dass die IG BAU dar­über nach­den­ken soll, ob und wie sie auch zur Ver­tre­tung frei­be­ruf­li­che Wald­päd­ago­gIn­nen, Forst­ein­rich­te­rIn­nen und Forst­un­ter­neh­me­rIn­nen wer­den könnte). 

Ach ja, der Titel: der bezieht sich auf ein Leit­mo­tiv, das wir in allen vier Grup­pen­dis­kus­sio­nen wie­der­fin­den konn­ten: näm­lich das Gefühl, dass die Forst­ver­wal­tun­gen, aber auch die ein­zel­nen Beschäf­tig­ten sich zer­ris­sen sehen zwi­schen einem von unse­ren Dis­kus­si­ons­teil­neh­me­rIn­nen oft mit der „guten alten Zeit“ des fami­liä­ren, all­zu­stän­di­gen Forst­hau­ses ver­bun­de­nen „Herz“ einer mul­ti­funk­tio­na­len, an Nach­hal­tig­keit (v.a. im forst­li­chen Sin­ne) ori­en­tier­ten Forst­ar­beit einer­seits und dem „Herz“ einer star­ken Aus­rich­tung auf Markt, Pro­fit, Kenn­zah­len und Betriebs­wirt­schaft andererseits. 

Das Buch „Die zwei Her­zen der Forst­wirt­schaft“ ist für 19 Euro bei amazon.de käuf­lich erwerb­bar; hier gibt es wei­te­re Infor­ma­tio­nen zum Inhalt.

War­um blog­ge ich das? Als Wer­bung für das Buch, weil ich glau­be, dass es auch außer­halb des forst­li­chen Krei­ses inter­es­sant sein könn­te – und weil ich mich freue, dass es mög­lich war, den Pro­jekt­be­richt in Zusam­men­ar­beit mit Nor­bert Kes­sel vom Ver­lag Kes­sel sehr schnell in das Buch­for­mat zu bringen.

Kontrollverlust paradox

Heu­te mor­gen oder so habe ich mich noch dar­über gewun­dert, war­um Micha­el See­mann aka mspro in sei­nem FAZ-Blog „Ctrl-Ver­lust“ jetzt anfängt, gegen all sei­nen Prin­zi­pi­en Fan­boy­hype um die neus­te Ver­si­on des Mobil­te­le­fons der Fa. Apple zu machen. 

Jetzt ist der Arti­kel weg – aber nicht nur das, auch das gan­ze Blog fehlt. Das ist 1. bedau­er­lich, lässt sich 2. in Rich­tung „FAZ und das Netz – wie es wirk­lich war“ dis­ku­tie­ren, und stellt 3. ein extrem lehr­rei­ches Bei­spiel über das Ver­hält­nis von Infra­struk­tur, kapi­ta­lis­ti­scher „Kon­troll­macht“ und digi­ta­ler Arbeit dar.

Um das genau­er aus­zu­füh­ren, wür­de ich jetzt ger­ne noch­mal See­manns Bei­trä­ge im Blog bei der FAZ durch­blät­tern, was aber ja lei­der gera­de nicht geht (s.o.). Des­we­gen nur so viel: Para­dox ist das gan­ze, weil die Netz­in­fra­struk­tur (und sei es der Ser­ver, auf dem die Inhal­te von faz.net lie­gen, und das dar­auf lau­fen­de CMS usw.) eben nicht unkon­trol­liert vor sich hin exis­tie­ren, son­dern in har­te Kon­troll­struk­tu­ren ein­ge­bun­den sind. In Redak­ti­ons­ab­läu­fe, Ver­trags­sys­te­me, Bezah­lun­gen, Anstel­lungs­ver­hält­nis­se, orga­ni­sa­to­ri­sche Hier­ar­chie, und was sich da noch alles fin­den lässt. Klar lässt sich der Inhalt des Blogs irgend­wie rekon­stru­ie­ren – aber, wie Micha­el See­mann selbst schreibt: er weiss nicht, ob er das darf. Er weiss auch nicht, ob die FAZ ihn wei­ter bezahlt, bzw. was die­se Sper­rung finan­zi­ell für ihn letzt­lich bedeu­ten wird. 

Fazit: Wer gegen Geld bloggt, gerät damit in ein Abhän­gig­keits­ver­hält­nis, das gar nicht neu ist, son­dern seit Jahr­zehn­ten recht­lich und sozi­al gere­gelt ist. Da geht’s ums Urhe­ber­recht, um Ver­lags­ver­trä­ge, um die Arbeits­be­din­gun­gen „fes­ter Frei­er“ im Jour­na­lis­mus. Das alles bleibt beim Zei­tungs­blog­gen unsicht­bar, solan­ge die schö­ne neue Medi­en­welt glatt zu funk­tio­nie­ren scheint. Sobald das Orga­ni­sa­ti­ons­ge­fü­ge dann aber doch auf­ge­ru­fen wird, taucht die­ses Abhän­gig­keits­ver­hält­nis auf, und es stellt sich her­aus, dass das alles dann doch noch­mal eine ganz ande­re Qua­li­tät hat als z.B. mein Ver­hält­nis zu mei­nem Hos­ter. Und dass da ein mas­si­ves Maß an Macht und Kon­trol­le drin steckt.

Das soll jetzt nicht hei­ßen, dass ich es furcht­bar fän­de, wenn sich jemand fürs Blog­gen bezah­len lässt. Ich glau­be nur nicht dar­an, dass sich auf die Dau­er eine Tren­nung zwi­schen „Jour­na­lis­tIn­nen“ und „Blog­ge­rIn­nen“ auf­recht erhal­ten lässt, wenn bei­de fak­tisch Ange­stell­te (bzw. abhän­gi­gen Selbst­stän­di­gen) im Ver­hält­nis zu einem Ver­lag sind. War­um dann für die einen bestimm­te Regeln gel­ten sol­len und für die ande­ren nicht, war­um die einen die­se Frei­hei­ten und die ande­ren ande­re bekom­men: all das lässt sich glau­be ich orga­ni­sa­ti­ons­in­tern nicht wirk­lich ver­mit­teln und ver­an­kern. Damit wären wir dann bei einer Kon­ver­genz­the­se: Online­jour­na­lis­tIn­nen (bzw. Men­schen, die im Medi­um Netz pro­fes­sio­nell publi­zie­ren) und bezahl­te Blog­ge­rIn­nen nähern sich zu einem neu­en Berufs­bild an. Und der Kon­flikt FAZ vs. Micha­el See­mann ist ein Schritt auf dem Weg dahin.

Und noch etwas abs­trak­ter: Eigent­lich geht es auch dar­um, wie Arbeits­kraft in einer Form, die weder ech­te Selbst­stän­dig­keit noch ech­te abhän­gi­ge Beschäf­ti­gung ist, und die neben ihrer dis­kur­si­ven Ver­an­ke­rung im neo­li­be­ra­len Main­stream und in der digi­ta­len Bohe­me eben auch eine tech­no­lo­gi­sche Basis hat, denn (poli­tisch und recht­lich) gestal­tet wer­den kann, um hier „gute Arbeit“ zu ermöglichen. 

Wie dem auch sei: dass „Ctrl-Ver­lust“ jetzt erst­mal weg ist, fin­de ich bedau­er­lich, weil ich die dort ver­öf­fent­lich­ten Tex­te über­wie­gend anre­gend fand. Ich drü­cke See­mann auf jeden Fall mal die Dau­men, dass er da irgend­wie sinn­voll raus­kommt. Und war­te dar­auf, dass die FAZ sich erklärt.

War­um blog­ge ich das? Teils aus Soli­da­ri­tät, teils aus abs­trak­ter Neugierde.

Kurz: danah boyd zu Facebook

Ich hat­te ja da und da ein biß­chen was dazu geschrie­ben, wofür Face­book genutzt wird, und war­um es trotz aller Daten­schutz­be­den­ken wei­ter­hin von vie­len ver­wen­det wird. Mit den neus­ten Ent­wick­lun­gen bin ich mir da gar nicht mehr so sicher – dass „How to dele­te my face­book account“ ganz oben unter den Goog­le-Such­an­fra­gen ran­giert, ist ein Zei­chen für eine gewis­se Trendwende. 

Wie dem auch sei: ges­tern und heu­te hat die Netz­wis­sen­schaft­le­rin danah boyd zwei lan­ge Blog­bei­trä­ge zu Face­book – sie hat u.a. dazu geforscht – ver­öf­fent­licht, die auf jeden Fall gele­sen wer­den müssen.

Face­book and „radi­cal trans­pa­ren­cy“ (a rant)
The batt­le that is under­way is not a batt­le over the future of pri­va­cy and publi­ci­ty. It’s a batt­le over choice and infor­med con­sent. It’s unfol­ding becau­se peo­p­le are being duped, tri­cked, coer­ced, and con­fu­sed into doing things whe­re they don’t under­stand the con­se­quen­ces. Face­book keeps say­ing that it gives users choices, but that is com­ple­te­ly unfair. It gives users the illu­si­on of choice and hides the details away from them „for their own good.“

Face­book is a uti­li­ty; uti­li­ties get regu­la­ted
I hate all of the uti­li­ties in my life. Veno­mous hat­red. And becau­se they’re mono­po­lies, they feel no need to make me app­re­cia­te them. Cuz they know that I’m not going to give up water, power, sewa­ge, or the Inter­net out of spi­te. Nor will most peo­p­le give up Face­book, regard­less of how much they grow to hate them.

Kurz: Waldbesitzerinnen-Studie

Mit einer gewis­sen Nach­lauf­zeit kom­men in den nächs­ten Wochen noch eini­ge forst­so­zi­al­wis­sen­schaft­li­che Pro­jek­te zum Abschluss in Form von Publi­ka­tio­nen. Das freut mich, weil es heißt, dass ich mich end­lich auf was ganz ande­res – mei­ne Diss. näm­lich – kon­zen­trie­ren kann. 

Das ers­te die­ser Forst­pro­jek­te hat­te das The­ma Wald­be­sit­ze­rin­nen; durch­ge­führt habe ich es zusam­men mit Eva-Maria Schlecht (geför­dert durch das Land Rhein­land-Pfalz). In der qua­li­ta­ti­ven Unter­su­chung befragt wur­den Wald­be­sit­ze­rin­nen mit Kleinst- und Klein­pri­vat­wald in der Eifel (N=17). In der Aus­wer­tung sind wir auf einen hin­sicht­lich der Wald­be­wirt­schaf­tung und Nut­zung von einem tra­di­tio­nel­len Rol­len­ver­ständ­nis aus­ge­hen­den Typus gesto­ßen. Hier liegt der Ent­schei­dungs­schwer­punkt hin­sicht­lich des Wald­be­sit­zes der Frau­en bei den „bewirt­schaf­ten­den Män­nern“. Auf der ande­ren Sei­te ste­hen – hin­sicht­lich ihres Wald­be­sit­zes – „eman­zi­piert ori­en­tier­ter“ Wald­be­sit­ze­rin­nen, die es als ihre urei­gens­te Auf­ga­be sehen, Bewirt­schaf­tungs­ent­schei­dun­gen etc. zu treffen. 

Mehr zu die­ser hete­ro­ge­nen und bis­her forst­li­cher­seits wenig ange­spro­che­nen Ziel­grup­pe steht im soeben erschie­ne­nen Arbeits­wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­be­richt Nr. 11, der als Open-Access-Publi­ka­ti­on von der UB Frei­burg gehos­tet wird.

Nach­trag: in klei­ner Auf­la­ge liegt der Bericht inzwi­schen auch gedruckt vor – erhält­lich über das Sekre­ta­ri­at des Insti­tuts für Forst­be­nut­zung und Forst­li­che Arbeits­wis­sen­schaft.

„Girls’ days“, „boys’ days“ und das Genderdilemma

Construction work

Heu­te ist ja Girls’ day, also ein Tag, an dem bun­des­weit Mäd­chen (vor allem) män­ner­do­mi­nier­te Beru­fe ken­nen­ler­nen sol­len. Ob die­ser seit zehn Jah­ren durch­ge­führ­te Tag tat­säch­lich Wir­kung auf die Berufs­wahl zeigt, ist umstrit­ten (in der gedruck­ten taz von heu­te war dazu auch eine schö­ne Comic-Repor­ta­ge). Die Orga­ni­sa­ti­on „Girls’ day“ geht jeden­falls davon aus, dass sich zumin­dest das Geschlech­ter­bild der betei­lig­ten Fir­men ändert – das wäre ja auch schon was.

Als geschlech­ter­ste­reo­ty­pen bre­chen­de Inter­ven­ti­on fin­de ich das Kon­zept gar nicht so schlecht. Jetzt kommt u.a. von Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Schrö­der die For­de­rung, par­al­lel auch einen „Boys’ day“ durch­zu­füh­ren (sie­he auch das grü­ne Män­ner­ma­ni­fest). Also Jun­gen in eher „weib­li­che“ Berufs­fel­der hin­ein­schnup­pern zu las­sen. Auch das klingt für sich genom­men erst ein­mal nach einer sinn­vol­len Intervention.

Trotz­dem bin ich mir unsi­cher, ob ich das Kon­zept inge­samt gut fin­de. Das hat etwas mit der unkla­ren Wir­kung zu tun, vor allem aber mit der dunk­len Sei­te vie­ler gen­der-bezo­ge­ner Maß­nah­men, näm­lich dem Rei­fi­zie­rungs­ef­fekt („Ver­ding­li­chung“). Kurz gesagt: gera­de dadurch, dass es Ange­bot spe­zi­ell für Frau­en bzw. spe­zi­ell für Män­ner gibt, gera­de dadurch, dass beson­ders auf das Geschlecht geach­tet wird, wird des­sen sozia­le Rele­vanz gestärkt. Selbst ein „Girls’ day“ kann da mög­li­cher­wei­se den para­do­xen Effekt haben, die Vor­stel­lung zu stär­ken, dass die dort besuch­ten Berufs­fel­der „Män­ner­ar­beit“ dar­stel­len – schließ­lich wird ein gro­ßer Auf­wand betrie­ben, um ein­mal im Jahr die Aus­nah­me „auch Mäd­chen kön­nen das“ sicht­bar zu machen. 

Zudem wird, gera­de wenn es „Girls’ days“ und „Boys’ days“ gibt, auf einer Meta­ebe­ne die Bot­schaft ver­mit­telt „Mäd­chen und Jun­gen sind unter­schied­lich und müs­sen – als Grup­pen – unter­schied­lich behan­delt wer­den“. Oder: „alle Mäd­chen inter­es­sie­ren sich ‚eigent­lich‘ nicht für Tech­nik, alle Jun­gen inter­es­sie­ren sich ‚eigent­lich‘ nicht für Human­dienst­leis­tun­gen – des­we­gen muss hier beson­de­rer Wer­be­auf­wand betrie­ben wer­den, um die­se ‚unty­pi­schen‘ Beru­fe schmack­haft zu machen“. Das mag als sta­tis­ti­sche Tat­sa­chen­be­schrei­bung stim­men (also: vie­le Mäd­chen …, vie­le Jun­gen), trifft aber eben auch die Mäd­chen, die sich auch ohne „Girls’ day“ für Tech­nik inter­es­sie­ren und die Jun­gen, die sich auch ohne „Boys’ day“ für z.B. das Erzie­hungs­we­sen begeistern.

Damit sind wir bei einem gene­rel­le­rem Dilem­ma gen­der­po­li­ti­scher Maß­nah­men: indem die Inter­es­sen von Frau­en bzw. von Män­nern als Grup­pen­in­ter­es­sen behan­delt wer­den, wer­den indi­vi­du­el­le Unter­schie­de der Kate­go­rie Geschlecht zuge­schrie­ben. Das ist des­we­gen ein Dilem­ma, weil ja bei­des stimmt: es ist ver­mut­lich so, dass eine Mehr­heit der Mäd­chen sich nach x Jah­ren Sozia­li­sa­ti­on und Schu­le weni­ger für Tech­nik inter­es­siert als die meis­ten Jun­gen. Es ist auch rich­tig, dass die hier ange­leg­te berufs­spe­zi­fi­sche Geschlech­ter­tren­nung sowohl indi­vi­du­ell (weil sie es allen, die eine dem „Geschlechts­ty­pi­schen“ zuwi­der­lau­fen­de Nei­gung haben, schwer macht) als auch gesell­schaft­lich (weil „Talen­te ver­geu­det wer­den“) ein Pro­blem dar­stellt. Nur tra­gen Maß­nah­men, die die­ses Pro­blem lösen wol­len, indem sie grup­pen­spe­zi­fi­sche Zuwei­sun­gen als grup­pen­spe­zi­fi­sche Eigen­schaf­ten the­ma­ti­sie­ren, immer auch dazu bei, die­se Zuwei­sun­gen zu stärken.

Und wo geht’s jetzt raus? Ver­mut­lich bleibt einem und einer prag­ma­tisch gese­hen zunächst ein­mal gar nichts ande­res übrig, als in Kauf zu neh­men, dass Maß­nah­men etwa aus dem Bereich des Gen­der Main­strea­mings ganz häu­fig den Neben­ef­fekt einer Rei­fi­zie­rung von Geschlechts­zu­schrei­bun­gen und damit eine Ver­tie­fung der Wahr­neh­mung „Män­ner und Frau­en sind unter­schied­lich“ mit sich brin­gen, und dass sie in vie­len Fäl­len trotz­dem sinn­voll sind. Es ist aber ganz gut, sich zumin­dest klar dar­über zu wer­den, dass die­se Maß­nah­men auch sol­che Kon­se­quen­zen haben können.

Eigent­lich müss­te es aber einen Schritt wei­ter gehen, das heißt hin zu einer poli­ti­schen The­ma­ti­sie­rung indi­vi­du­el­ler Unter­schie­de, die nicht an gesell­schaft­li­che Grup­pen gebun­den wird. Prak­tisch könn­te das am Bei­spiel „Girls’ day“ hei­ßen, dass es zwei­mal im Jahr einen „Berufs­er­kun­dungs­tag“ für alle Kin­der eines bestimm­ten Alters gibt – und dass die­se an einem die­ser zwei Tage an einer Akti­on in einem Berufs­feld teil­neh­men sol­len, das sie per­sön­lich inter­es­siert. Der zwei­te Berufs­er­kun­dungs­tag muss dann aller­dings in einem Berufs­feld statt­fin­den, das von dem jewei­li­gen Kind (bzw. eigent­lich: dem oder der Jugend­li­chen) als unin­ter­es­sant, fremd, weit weg bezeich­net wird. 

War­um blog­ge ich das? Weil ich mir selbst unsi­cher bin, wie es poli­tisch und wis­sen­schaft­lich am bes­ten wäre, mit dem Rei­fi­zie­rungs­ef­fekt umzu­ge­hen. Die­ser ist dann ein Pro­blem, wenn die Annah­me geteilt wird, dass an das wahr­ge­nom­me­ne Geschlecht gebun­de­ne sozia­le Erwar­tun­gen tat­säch­lich für einen gro­ßen Teil des geschlechts­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens zustän­dig sind („doing gen­der“). Die­se Annah­me erscheint mir sehr plau­si­bel. Ich kann jetzt wis­sen­schaft­lich beschrei­ben, wie die­se Kopp­lun­gen übli­cher­wei­se aus­se­hen, und kann z.B. sta­tis­tisch zwi­schen Män­nern und Frau­en als Grup­pen unter­schei­den. Gleich­zei­tig ist jede die­ser Beschrei­bun­gen zunächst ein­mal ein Bei­trag dazu, die Kopp­lung zwi­schen Geschlecht und sozia­ler Erwar­tung zu fes­ti­gen. Und umso mehr es nicht nur um Beschrei­bung und Ana­ly­se, son­dern auch um Inter­ven­ti­on geht – nicht nur wie hier bei der Berufs­wahl, son­dern auch z.B. bei Maß­nah­men wie der Teil­zeit­ar­beit als „Lösung“ für das Ver­ein­bar­keits­pro­blem „der Frau“ – des­to pro­ble­ma­tisch wird es, dass eine Ori­en­tie­rung an Geschlech­ter­ka­te­go­rien die­se stärkt. Alter­na­ti­ven dazu bie­tet die que­er theo­ry an – da scheint es mir bis­her aber an einer ska­lier­ba­ren poli­ti­schen Umsetz­bar­keit zu hapern.