In einer Klickstrecke stellt Cicero die „500 wichtigsten deutschen Intellektuellen“ vor. Genauere Aussagen zur hinter diesem Ranking stehenden Methode gibt es nicht, wohl aber den Hinweis darauf, dass PolitikerInnen außen vor gelassen wurden, da es sonst ein „Politikerranking“ geworden wäre. Vermutlich wurden irgendwie die Erwähnungen in Leitmedien gezählt.
Das Ergebnis ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen stellt es zwanglos in Frage, wer oder was überhaupt ein Intellektueller oder eine Intellektuelle ist. Bei einer ganzen Reihe der aufgeführten PublizistInnen, JournalistInnen, SchriftstellerInnen und WissenschaftlerInnen scheint mir deren Intellektuelleneigenschaft einem sich selbst verstärkenden Zirkelschluss zu unterliegen: diese Menschen sind im Diskurs wichtig, weil sie gerne in Talkshows eingeladen werden – und sie werden gerne in Talkshows eingeladen, weil sie ja offensichtlich im Diskurs wichtig sind. Neben dem Personal des Talkshowdauerdienstes finden sich in der Liste selbstverständlich auch Menschen, die ich tatsächlich als intellektuelle Stimme im Diskurs wahrnehme. Aber eben längst nicht alle.
Zum anderen zeigt die Liste eines sehr deutlich. Vermutlich gibt sie den deutschen Mediendiskurs zwischen Talkshow und Feuilleton, Konferenzzirkus und Keynotes gut und wahrheitsgetreu wieder. Das mögen nicht alles Intellektuelle sein, aber es sind die, die öffentlich reden und dabei Resonanz finden.
Ich habe jetzt nicht gezählt – dafür wäre Datenjournalismus hilfreich, Cicero -, hatte beim Durchklicken aber das empirisch gesättigte Gefühl, dass der Frauenanteil in der Liste unterhalb von zehn Prozent liegen muss. Für die ersten fünfzig, sechzig Plätze liegt er ziemlich genau bei zehn Prozent.
Das ließe sich jetzt auf andere Diskriminierungsmerkmale ausdehnen. Was Cicero nolens volens liefert, ist ein eindrücklicher, wohl statistisch abgesicherter Beweis für das Meinungskartell älterer Herren in Deutschland. Auch ältere Herren können kluge, progressive Ideen haben – aber wenn die Liste eine Aussage über den deutschen Diskurs trifft, dann wohl doch die, dass eine gewisse Gräue, Müdigkeit und Erstarrheit des „Diskurses“ – und damit der dominierenden medial vermittelten Weltdeutung – nicht unplausibel ist. Und: viele aufgeführte WeltdeuterInnen und Popintellektuelle deuten die Welt seit einigen Jahrzehnten. Nach, so ist es anzunehmen, doch weitgehend ähnlichen Mustern.
Was das für gesellschaftliche Folgen hat, und ob es anders möglich wäre, müsste einmal in einer Talkshow besprochen werden. Oder lieber nicht.
Warum blogge ich das? Weil mich die geballte intellektuelle Kompetenz, die Cicero hier zusammengetragen hat, irritiert hat. Dank an J.W. für den Hinweis auf das Ranking!
2 Anmerkungen:
1. Auf Slide 35 gibt es doch Andeutungen, wie die Methodik war.
2. Ich würde diese Liste stark anzweifeln, da im vorderen Teil einige Namen auftauchen, die ich noch nie gehört habe, obwohl ich bei vielen Diskursen mitmache… Ich hab das Gefühl, ein Journalist, der in einem der 160 ausgewerteten Medien jeden Tag 2 Artikel hat ist ganz schnell ganz weit oben… Und klar bestimmen Politiker den Diskurs mit, das ist ihr Job, so ähnlich wie bei Journalisten. Das wäre ja fast so, wie wenn man bei „die 100 reichsten Deutschen“ die Unternehmer rausstreichen würde, oder bei den 100 bekanntesten Deutschen alle aus dem Show-Biz.
Naja, was da steht, passt zu dem, was ich vermutete, sagt aber nicht so wirklich viel aus, wie methodisch tatsächlich vorgegangen wurde. (Aber danke für den Hinweis, bis zu Folie 34 bin ich beim Klicken nicht gekommen).
Zu 2.: „Referenzen“ verstehe ich so, dass es darum geht, dass andere einen oder eine erwähnen. Wer also selbst den Artikel schreibt, wird nicht gezählt, wohl aber der Artikel des anderen, der sich darauf namentlich bezieht.
Bei der Gelegenheit: Was ich ja schön fände, wäre eine Tabellen- oder Datenbank-Version der Klickstrecke, mit der statistisch rumgespielt werden kann. Schade, dass Cicero die nicht mitliefert … (eigentlich müsste sich diese mit etwas Zeit, der Wikipedia und der Klickstrecke als Grundlage auch selbst erstellen lassen).
Das ist genau die Liste von Ende 2012. Sie enthält auch 2013 verstorbene Zeitgeistgenossen. Vorher gab es die Listen von 2006 und 2007. Eine neuere Liste gibt es nicht.
Die Bilderstrecke ist ein Witz. Von einigen Ranglistenbewohnern gibt es Fotos. Ansonsten ist es eine im Fließtext gesetzte Liste von Rang 500 bis zu Rang 1. Will man die vorne platzierten “Intellektuellen” sehen, muss man über dreißig mal klicken.