In den letzten Wochen war ich recht häufig in Stuttgart, in Berlin dagegen zuletzt vor zwei Monaten beim Hochschultag der grünen Bundestagsfraktion. Da ist auch dieses Foto entstanden. Ein paar mehr aus dem Regierungsviertel samt Sicherheitskordon gibt es in diesem Flickr-Set.
Ein historisches Ereignis
Auch wenn ich gestern weder in Stuttgart sein konnte noch am Arbeitsplatzrechner den Livestream verfolgen konnte, habe ich natürlich mitgezittert – und war (wie meine ganze Twittertimeline) dann schon gerührt, froh, aufgeregt, euphorisch, glücklich, gespannt auf alles, was jetzt kommt, als gestern Mittag das Ergebnis der Wahl zum Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg verkündet wurde. Nein, kein zweiter Wahlgang – dafür sogar zwei Stimmen aus der Opposition (wie seltsam es ist, dass dieser Begriff in diesem Land jetzt CDU und FDP meint). Und Winfried Kretschmann als erster grüner Ministerpräsident in Deutschland.
Ein gutes Vierteljahrhundert nach der Vereidigung des ersten grünen Ministers ist das ein gewaltiger Schritt für uns Grüne – aber natürlich noch viel wichtiger: auch ein ganz entscheidener Schritt für Baden-Württemberg.
Mein kleiner Beitrag zum Jubel gestern war dieses Twitpic, das dann prompt viral wurde und inzwischen knapp 4000 Mal aufgerufen wurde.
Jetzt bin ich wie gesagt sehr gespannt, wie das alles weitergeht. Werden wir Grünen jetzt zur Volkspartei? Oder ist das eine überholte Kategorie? Ist die Regierungsbeteiligung als stärkste Partei ein einmaliges Ereignis, oder hat sich da tatsächlich was verschoben im Parteiensystem? Bleibt Winfried Kretschmann habituell so, wie er ist? Oder heben Winfried und seine Regierungstruppe jetzt ab? Kriegen wir das mit der Politik des Gehörtwerdens hin? Und wie läuft’s mit der Landespartei weiter, die jetzt u.a. eine neue Vorsitzende und eine neue Landesgeschäftsführerin braucht, und die auf ihrer nächsten Landesdelegiertenkonferenz dann vielleicht schon mit den ersten enttäuschten Erwartungen klarkommen muss?
Also Fragen über Fragen – aber erst einmal überwiegt bei mir immer noch das Gefühl, kaum glauben zu können,* dass es gerade in Baden-Württemberg geklappt hat.
* Nebenbei bemerkt: in diesen Tagen erscheint endlich die Ausgabe 1/2011 der Revue d’Allemagne et des Pays de langue allemande, in der ich einen Text habe, den ich im Herbst 2010 geschrieben habe. Letztlich geht’s in dem Text um Technikfeindlichkeit, aber ein bisschen eben auch um die Grünen. Angesichts der Umfragewerte kurz nach Stuttgart 21 und der großen Mobilisierung zu den Protesten gegen die Laufzeitverlängerung (noch weit vor Fukushima!) habe ich dort schon die Mutmassung geäußert, dass es zumindest möglich geworden ist, dass wir Grüne in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen könnten. Aber so ganz glauben können, dass das Wirklichkeit sein wird, wenn der Text erscheint, habe ich damals noch nicht. Da war viel mehr noch die Idee da, dass allein schon die Verschiebung von „völlig undenkbar, grün zu wählen“ zu „jetzt wähle ich grün“ in vielen Köpfen was bewegt hat, was dann in den nächsten Jahren zu einem allmählichen Wandel im Parteiensystem führen könnte. Aber wie vielleicht bei alle großen Ereignissen: Statt allmählichem Wandel gab’s einen Bruch und eine Neuausrichtung.
Kurz: Fundsache Vorratsdatenspeicherung
„Bei der Vorratsdatenspeicherung setzen wir uns dafür ein, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts präzise einzuhalten.“
„Kurz: Fundsache Vorratsdatenspeicherung“ weiterlesen
Kurz: S21, der Volksentscheid und die Quoren
Ich bin ja froh, dass die Koalitionsverhandlungen nicht am Thema S21 geplatzt sind – das wäre für Baden-Württemberg miserabel gewesen. Aus grüner Perspektive ist der Kompromis, der jetzt erreicht wurde – Kostendeckel, Volksabstimmung (nur über S21) – schon ein bisschen krötenartig. Aber manchmal müssen Kompromisse wohl so sein.
Interessant an der Sache finde ich einen Punkt – nämlich den unterschiedlichen Umgang mit den Abstimmungsquoren seiten der Grünen und der SPD. Natürlich war auch uns Grünen vor der Wahl bekannt, dass die Landesverfassung demokratiefeindliche Quoren festschreibt. Ich glaube aber, wir sind einfach davon ausgegangen, dass es „natürlich“ im Falle eines Falles (klare Mehrheit, aber Quorum verfehlt) darum gehen wir, dass eine Landesregierung die Meinung der Bevölkerung respektiert.*
Hier aber – und das ist nun aus meiner Sicht das interessante, wenn es nicht einfach Taktik war – spalten sich Grüne und SPD. Während es für mich, und ich glaube, da spreche ich für viele Grüne, zum guten politischen Stil gehört, dass ein deutliches Abstimmungsergebnis auch akzeptiert wird, wenn die formalen Kriterien eines Volksabstimmungserfolgs nicht erfüllt sind, wenn also kein Drittel der Stimmberechtigten zugestimmt hat, scheint das bei der SPD anders zu sein. Dort gilt – den Berichten und einigen Medienechos zufolge – es schon fast als verfassungsfeindlich, wenn eine formal nicht erfolgreicher Volksabstimmung trotzdem politisch Berücksichtigung findet. Common sense vs. Gesetzestreue, Zutrauen zu den BürgerInnen vs. Angst vor direkter Demokratie – oder was steckt dahinter?
* Was ja übrigens im umgekehrten Fall – klare Mehrheit gegen S21-Ausstieg, aber Quorum verfehlt – auch nie zur Frage stand.
P.S.: Was ich mit unterschiedlichen Demokratieverständnissen meine, illustriert sehr schön dieser Satz von Nils Schmid im Interview mit SpOn (auf die Frage nach dem Quorum, und was passieren würde, wenn ein Volksentscheid daran scheitert):
Schmid: Ich bin überzeugt, dass die Bevölkerung auch dies akzeptieren würde. Die Hürden sind hier nun einmal so hoch wie in kaum einem anderen Bundesland. Aber wir müssen uns da an unsere Verfassung halten.
Argh! Sind alle SozialdemokratInnen so drauf?
P.P.S.: Ich muss jetzt doch noch die Vierfeldertafel zur Illustration reinbasteln:
| Mehrheit für S21-Ausstieg | ||
| Ja | Nein | |
| Quorum erreicht | S21-Ausstieg | S21-Bau |
| Quorum nicht erreicht | SPD: S21-Bau Grüne: warum eigentlich? |
S21-Bau |
Kurz zur Karfreitagsdebatte
An einigen Stellen im Netz (z.B. hier) wird – aus aktuellem Anlass – wieder darüber diskutiert, ob das Tanzverbot für die Osterfeiertage noch zeitgemäß ist, und ob diejenigen, die sich für eine Abschaffung einsetzen (z.B. hier), das dürfen oder nicht, ohne gleich den ganzen Feiertag aufzugeben.
Als Atheist mache ich es mir da vielleicht zu einfach, aber ich nehme Ostern nicht als christliches Fest wahr. Sondern als säkularisierte (staatliche) Frühlingsfeiertage. Wie die begangen werden, sollte jedem und jeder selbst überlassen sein. Oder anders gesagt: zur Religionsfreiheit gehört für mich auch, dass die AnhängerInnen der dominierenden Religion es tolerieren müssten, dass andere Menschen an einem christlichen Trauertag (wie dem Karfreitag) fröhlich sind. Oder nochmal anders gesagt: was ich an der Debatte nicht einsehen mag, ist die implizite Logik, dass die Angehörigen der dominanten Religion in einem Staat ohne Staatsreligion über das Handeln anderer bestimmen.



