Politische Blasen, Umfragen und dergleichen mehr

Object, Stuttgart

Am 8. März 2026 fin­det in Baden-Würt­tem­berg die Land­tags­wahl statt, die Spit­zen­kan­di­da­ten im Kampf um das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten hei­ßen Cem Özd­emir (Grü­ne) und Manu­el Hagel (CDU). Der Bun­des­kanz­ler Merz (CDU) hat in einem öffent­li­chen Gespräch sinn­ge­mäß – und klar ras­sis­tisch – geäu­ßert, dass ihn etwas am Stadt­bild stö­re und mehr „Rück­füh­run­gen“ hier hel­fen würden.

Bei­de Fak­ten haben zunächst ein­mal nicht so viel mit­ein­an­der zu tun, auch wenn sich treff­lich über die Stra­te­gie und die Optio­nen der CDU dis­ku­tie­ren lie­ße. Das will ich aber hier und jetzt nicht machen.

Bei­den Aus­sa­gen gemein­sam ist, dass sie für mich kom­plett selbst­ver­ständ­li­che Wis­sens­ele­men­te sind: Das weiß doch jede*r, dass im nächs­ten März Land­tags­wahl ist. Die Fra­ge, ob/wie die per­sön­li­chen Umfra­ge­wer­te von Cem (viel, viel bes­ser als Hagel) mit den Par­tei­wer­ten (da liegt die CDU deut­lich vor uns Grü­nen) so in Ver­bin­dung gebracht wer­den kön­nen, dass die aktu­ell noch neun Pro­zent Dif­fe­renz zur CDU geschlos­sen wer­den, treibt das „poli­ti­sche Stutt­gart“ um. Und über Merz regen sich seit Tagen „alle“ auf Mast­o­don, in den poli­ti­schen Kom­men­tar­spal­ten und in der Tee­kü­che der Frak­ti­on auf.

Nur: ist halt nicht so. Wer nicht jeden Tag beruf­lich mit Poli­tik zu tun hat, weiß – in Baden-Würt­tem­berg – viel­leicht noch vage, dass dem­nächst Land­tags­wah­len sind und dass Kret­sch­mann nicht mehr antritt. Auch das ist aber nicht sicher. Und wer sich nicht bewusst für Poli­tik inter­es­siert, wird ver­mut­lich erst im Janu­ar, wenn Pla­ka­te hän­gen und Anzei­gen geschal­tet wer­den, davon mit­be­kom­men. Als ehe­ma­li­ger Bun­des­mi­nis­ter und lang­jäh­ri­ger Spit­zen­po­li­ti­ker der Grü­nen ist Cem Özd­emir bekannt genug, dass vie­le trotz­dem etwas zu „d’r Cem“ ein­fällt. Zu sei­nem Gegen­kand­dia­ten, dem CDU-Frak­ti­ons­chef und ehe­ma­li­gen Bank­an­ge­stell­ten aus dem Alb-Donau-Kreis, haben nur weni­ge Men­schen ein Bild. 

Was Grü­ne und CDU genau wol­len, wo die inhalt­li­chen Unter­schie­de lie­gen, wer wen in den letz­ten Mona­ten der 17. Legis­la­tur­pe­ri­ode aus­ma­nö­vriert und blo­ckiert – all das kommt im All­tag kaum vor. Dass im SWR über eine Land­tags­sit­zung berich­tet wird, hat zuneh­mend Sel­ten­heits­wert, und auch die baden-würt­tem­ber­gi­schen Tages­zei­tun­gen grei­fen nur sehr begrenzt das poli­ti­sche Gesche­hen in Stutt­gart auf – egal, ob es um das Poli­zei­ge­setz, die Umset­zung des Wech­sels von G8 auf G9 im Gym­na­si­um oder die Ver­knüp­fung der bei­den Tei­le des Natio­nal­parks geht. Die schlech­te Lage der Kom­mu­nen – davon mag der eine oder die ande­re schon mal gehört haben, erst recht, wenn es lokal dadurch zu Pro­ble­men kommt. Dass zwi­schen Land und Kom­mu­nen jetzt ein Ver­fah­ren aus­ge­han­delt wur­de? Weiß das jemand? Da geht es dar­um, dass 2/3 des Gel­des, dass der Bund für den Aus­bau und die Sanie­rung der Infra­struk­tur, also von Stra­ßen, Schie­nen, Gebäu­den usw., – durch neue Schul­den­auf­nah­men – zur Ver­fü­gung stellt, an die Kom­mu­nen wei­ter­ge­ge­ben wird, und zwar weit­ge­hend bedin­gungs­los. Das sind immer­hin fast neun Mrd. Euro, die da in den nächs­ten Jah­ren an die Kom­mu­nen gehen. Dazu wird es im Land­tag kurz vor der Wahl noch einen Nach­trags­haus­halt geben. Hoch­span­nend, und gleich­zei­tig etwas, was den meis­ten Men­schen ver­mut­lich völ­lig unbe­kannt ist.

Und selbst Auf­re­ger­the­men wie die unsäg­li­che Äuße­rung von Kanz­ler Merz gehen an sehr vie­len Men­schen schlicht vor­bei. Klar, da wur­de drü­ber berich­tet – aber wer guckt noch regel­mä­ßig in Nach­rich­ten­sen­dun­gen, auf ent­spre­chen­de Web­sites oder in Zei­tun­gen? Und wer dann nicht zufäl­li­ger­wei­se auf sozia­len Medi­en damit kon­fron­tiert wird, wird das nicht ein­ord­nen kön­nen (genau­so, wie gut gemach­te Kom­men­tie­run­gen im Meme-Style, die auf die­se Äuße­rung anspie­len, halt nur denen ver­ständ­lich sind, die davon schon mal gehört haben). 

Es gibt auch in einer Demo­kra­tie kei­ne Pflicht dazu, sich poli­tisch zu infor­mie­ren. Umso wich­ti­ger, sich immer wie­der klar zu machen, dass vie­le Mitbürger*innen im bes­ten Fall nichts von der poli­ti­schen Arbeit mit­be­kom­men, die in Stutt­gart, Ber­lin oder Brüs­sel läuft, und erst recht nichts von Insi­der­de­bat­ten und zuge­spitz­ten Empö­rungs­wel­len. Und im schlech­te­ren Fall wis­sen sie davon, weil ihnen ein Algo­rith­mus oder ein auf die fal­schen Quel­len zurück­grei­fen­der Chat­bot AfD-Pro­pa­gan­da und Des­in­for­ma­ti­on auf die Bild­schir­me spült. 

Soweit mei­ne etwas ernüch­tern­de sonn­täg­li­che Bestands­auf­nah­me. „Bes­ser kom­mu­ni­zie­ren“ ist da nur ein halb guter Vor­satz, wenn der Reso­nanz­raum, in dem erör­tert wird, was poli­tisch getan wird, immer klei­ner und mar­gi­na­ler wird. Volks- bzw. Arbei­ter­bil­dung, hieß eine Ant­wort, die im 19. Jahr­hun­dert auf eine ähn­li­che Pro­blem­dia­gno­se gefun­den wur­de, glau­be ich – mög­li­cher­wei­se braucht es mehr davon. Im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk, bei Volks­hoch­schu­len und Biblio­the­ken, und an vie­len ande­ren Orten.

Kurz: Geistererscheinungen

Der Spie­gel berich­tet dar­über, dass die DB teil­wei­se ver­spä­te­te Züge aus dem Fahr­plan nimmt und sie leer als „Geis­ter­zü­ge“ fah­ren lässt, um die Ver­spä­tungs­bi­lanz bes­ser aus­se­hen zu lassen.

Und auch in ande­rer Form tau­chen Geis­ter­zü­ge, ‑bus­se und ‑bah­nen auf: näm­lich immer dann, wenn irgend­et­was schief läuft im Abgleich zwi­schen dem, was in der rea­len Welt her­um­fährt, und dem, was in der Daten­bank und dem Infor­ma­ti­ons­sys­tem ver­an­kert ist. Dann steht in der App, dass der Zug pünkt­lich los­ge­fah­ren ist und pünkt­lich die nächs­te Sta­ti­on errei­chen wird. Real war­te ich aber immer noch am Gleis, und es taucht erst mit viel Ver­spä­tung oder gar nicht ein Zug auf. Oder es wer­den vier Bus­se für den Schie­nen­er­satz­ver­kehr in der App gemel­det; real taucht davon einer auf und ver­schwin­det dann wie­der. Und über­haupt: war­um das Info­sys­tem im Zug, das Info­sys­tem am Bahn­hof, das Info­sys­tem in der DB-App und mög­li­cher­wei­se – da will man dann gar nicht zu viel spe­ku­lie­ren – die digi­ta­le Leit­stel­le der DB – unter­schied­li­che Infor­ma­tio­nen haben und ver­brei­ten, ruft bei mir immer wie­der Fra­ge­zei­chen hervor.

Das gibt es auch anders­her­um: der DB Navi­ga­tor kennt auf­grund eines Feh­lers nach Wie­der­in­be­trieb­nah­me einer Stre­cke die dort ver­keh­ren­den Nicht-DB-S-Bah­nen nicht und führt sie nicht auf, erst in den fol­gen­den Tagen wer­den sie nach und nach als „Son­der­ver­kehr“ wie­der auf­ge­nom­men. Real fah­ren sie die gan­ze Zeit ganz regu­lär. Und auch Fern­zü­ge, die nicht zur DB gehö­ren, wur­den zumin­dest frü­her infor­ma­ti­ons­tech­nisch ger­ne aus­ge­blen­det. Inzwi­schen scheint der Navi­ga­tor mir hier bes­ser gewor­den zu sein.

Von ande­ren Mis­matchs zwi­schen Daten­ban­ken und rea­ler Welt gar nicht zu reden. Die „Geis­ter­leh­rer“, also Stel­len für Lehrer*innen, die nicht besetzt wur­den, aber auch nicht als frei gemel­det wur­den, sind da hof­fent­lich ein Ein­zel­fall und kein sys­te­ma­ti­scher Miss­stand in einer Welt, in der digi­ta­le Zwil­lin­ge und irgend­wo erfass­te Infor­ma­tio­nen ger­ne ein­mal ein Eigen­le­ben beginnen. 

Photo of the week: Copenhagen (part II)

Dass ich Kopen­ha­gen als eine ent­spann­te und freund­li­che Groß­stadt ken­nen­ge­lernt habe, lag mög­li­cher­wei­se auch dar­an, dass ich zufäl­li­ger­wei­se genau in der Pri­de-Week da war. Mehr dazu, zu Chris­tia­nia, zu Muse­en und zu ein paar Impres­sio­nen unten.

Copenhagen Pride

Copenhagen Pride - XVI

Der Zug der Pri­de-Para­de begann in Fre­de­riks­berg – ein Teil Kopen­ha­gens, der aus his­to­ri­schen Grün­den eine eige­ne Gemein­de ist, etwas bür­ger­li­cher wirkt und sich ansons­ten naht­los in die Stadt ein­fügt. Neben LSBTIQ*-Verbänden waren vie­le gro­ße Orga­ni­sa­tio­nen (gro­ße Fir­men wie Micro­soft, Par­tei­en, die Stadt­ver­wal­tung, die Uni, die Leh­rer­ge­werk­schaft, Diplomat*innen) mit eige­nen Blö­cken bei der Pri­de dabei. Auf­fäl­lig: vie­le Kin­der, vie­le Fami­li­en – und sehr vie­le Las­ten­rä­der, die sich ja auch her­vor­ra­gend zum Trans­port von Musik­an­la­gen etc. eig­nen. Neben Pri­de-Flag­gen in allen Vari­an­ten gab es auch Soli­da­ri­tät mit der Ukrai­ne – und mit Paläs­ti­na. Däni­sche Beson­der­heit: Grön­land tauch­te mit einem eige­nen Block auf. Wie über­haupt das Ver­hält­nis zu den „däni­schen Kolo­nien“ eine gro­ße unge­lös­te Fra­ge ist, die mir sowohl in Chris­tia­nia, wo es ein eige­nes Grön­land-Haus gibt, als auch im Natio­nal­mu­se­um – mit Aus­stel­lung zum Kolo­nia­lis­mus – begeg­ne­te. Oder eben auf der Pri­de. Apro­pos: Wem die zu kom­mer­zi­ell und ange­passt war, der konn­te auch zur „Alter­na­ti­ve Pri­de“ in Ves­ter­bro gehen.

Christiania

Christiania - XIV

Angeb­lich ist der Freistaat/die Frei­stadt Chris­tia­nia inzwi­schen die zweit­stärks­te Tou­ris­ten­at­trak­ti­on Kopen­ha­gens (nach dem Tivo­li, den ich nicht besucht habe). Gleich­zei­tig: ein nach wie vor in Tei­len besetz­tes, weit­läu­fi­ges ehe­ma­li­ges Mili­tär­ge­län­de, und eine poli­tisch trotz Deals und einer gewis­sen Annä­he­rung seit 50 Jah­ren offe­ne Fra­ge. Ich habe Chris­tia­nia zwei­mal besucht, ein­mal „so“ und ein­mal im Rah­men einer geführ­ten Tour durch einen Bewoh­ner – letz­te­res kann ich auf jeden Fall emp­feh­len. Das Bild, das ich aus die­sen bei­den besu­chen (und dem dort gekauf­ten Buch „Post­cards from Chris­tia­nia“) mit­neh­me, ist ein ambivalentes. 

Chris­tia­nia ist als Gemeinschaft/Dorf mit rund 1000 Bewohner*innen, in einem Dut­zend „Stadt­tei­len“ selbst orga­ni­siert. Es leben dort vie­le Künstler*innen (und auch Lebenskünstler*innen), die Hip­pie-Ideen aus der Anfangs­zeit gibt es auch irgend­wie wei­ter­hin. Wer Bewohner*in wer­den möch­te, muss sich bewer­ben und von der jewei­li­gen Nach­bar­schaft aus­ge­wählt wer­den, in der ein Haus frei gewor­den ist. Der/die Aus­er­wähl­te* zahlt dann eine nied­ri­ge Mie­te sowie eine Abga­be in die Gemein­schafts­kas­se, muss sich um alles wei­te­re selbst küm­mern (ein wich­ti­ger zen­tra­ler Ort der Frei­stadt ist eine Art Bau­markt) und kann sich in die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on ein­brin­gen, die aus „mee­tings, mee­tings, mee­tings“ auf allen Ebe­nen besteht. Ent­schie­den wird im Kon­sens. Aller­dings gibt es wohl auch Spal­tun­gen – in Ver­hand­lun­gen mit dem däni­schen Staat wur­de der Kern­teil von Chris­tia­nia in eine Stif­tung über­führt, die weit­rei­chen­den Gebie­te um die­sen Kern her­um – ich war über­rascht, wie viel Natur (und Alt­las­ten) es hier gibt – sind dage­gen nach wie vor strit­tig, und aus Sicht eini­ger Akteu­re bes­tes Bau­land. Dar­um wird wei­ter poli­tisch gerun­gen, und dazu, ob der Deal mit dem Staat rich­tig war, gibt es wohl wei­ter­hin sehr unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen. Gleich­zei­tig gibt es durch­aus Abhän­gig­kei­ten, so gehen die Kin­der auf Schu­len außer­halb des Gebie­tes (im Gebiet sind dafür eini­ge Kin­der­gär­ten), und inzwi­schen wer­den wohl auch Steu­ern bezahlt und Bau­vor­schrif­ten beach­tet. Gleich­zei­tig zie­hen sich Poli­zei­über­grif­fe wie ein roter Faden durch die Geschichte.

Der öffent­lich und tou­ris­tisch sicht­ba­re Teil von Chris­tia­nia ist vor allem der Ein­gangs­be­reich mit der berüch­tig­ten Pusher­street (und vie­len Clubs, Bars und dem über Chris­tia­nia hin­aus bekann­ten Nemo­land als Konzertveranstalter/Biergarten). Der Kon­sum (und Ver­kauf) von Can­na­bis wird wei­ter­hin gedul­det, Chris­tia­nia ver­sucht aber aktiv, Gangs und har­te Dro­gen drau­ßen­zu­hal­ten. Hier gab es wohl in der Ver­gan­gen­heit sowohl sei­tens des Staa­tes als auch sei­tens der orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät äußerst unschö­ne Zuspit­zun­gen. Oder auch: die Gren­zen der Anar­chie wer­den sichtbar. 

Ein letz­ter, für mich span­nen­der Fakt: ein gro­ßer Teil der Christianit*innen arbei­tet außer­halb, oft in Selbst­stän­dig­keit. Dafür sind – wohl gera­de im tou­ris­ti­schen Teil des Gebiets – vie­le Men­schen beschäf­tigt, die gar nicht in Chris­tia­nia woh­nen (und trotz­dem nur den Ein­heits­lohn der Chris­tia­nia-Selbst­ver­wal­tung bekom­men). Dane­ben gibt es dann noch eine Schat­ten­öko­no­mie – nicht nur Pusher, die Can­na­bis ver­kau­fen, son­dern auch Flaschensammler*innen.

* Neben­be­mer­kung: ich fin­de es immer wie­der span­nend zu sehen, wie sehr inten­tio­na­le Gemein­schaf­ten, Öko­dör­fer, Pro­jek­te etc. – bis hin zum z.B. Miets­häu­ser­syn­di­kat – über Selek­ti­on funk­tio­nie­ren und genau da m.E. eine Ver­all­ge­mei­ner­bar­keit ver­mis­sen las­sen. Bzw.: hier wird Gesell­schaft vs. Gemein­schaft hart sichtbar.

Schlösser, Museen und Sehenswürdigkeiten

Nationalmuseum - XVIII (the 70s)
Nationalmuseum - III

Von der Viel­zahl der Muse­en, Schlös­ser und Sehens­wür­dig­kei­ten, die es in Kopen­ha­gen und in der Umge­bung gibt, konn­te ich natur­ge­mäß nur einen Bruch­teil anschau­en. Neben Schloss Kron­borg in Hel­sin­gør und dem Kunst­mu­se­um Loui­sia­na in Hum­le­bæk waren dies das däni­sche Archi­tek­tur­zen­trum, eine Instal­la­ti­on in den Cis­ter­ner­nen, das sehr sehens­wer­te Design­mu­se­um, der Turm der Erlö­ser­kir­che mit Blick auf gro­ße Tei­le der Stadt (und lan­gen Wartezeiten/gebuchten Slots), der bota­ni­sche Gar­ten samt Pal­men­haus. Oben zu sehen sind zwei Arte­fak­te aus dem Natio­nal­mu­se­um, das sich für tage­fül­len­de Besu­che eig­net. In dem Muse­um geht es um die däni­sche Geschich­te von der Vor­ge­schich­te (auf dem einen Foto: die Rekon­struk­ti­on eines Klei­des aus der Bron­ze­zeit) bis zur Gegen­wart (auf dem ande­ren Foto: die musea­li­sier­ten 70er Jah­re). Beson­ders beein­druckt hat mich die thea­ter­haft insze­nier­te „Viking Sorcer­ess“, die nahe­bringt, was sich aus Arte­fak­ten und den Eddas über das Den­ken der Men­schen der Wikin­ger­zeit rekon­stru­ie­ren lässt, und das gut insze­niert. Auch den Abschnitt zur Vor­ge­schich­te fand ich gut auf­ge­baut; der gro­ße Bogen über die Staa­ten­bil­dung bis zum Ende des Abso­lu­tis­mus und der Sozi­al­de­mo­kra­tie war dage­gen etwas viel. Wie schon erwähnt, gab es im Natio­nal­mu­se­um auch eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der däni­schen Kolo­ni­al­ge­schich­te, zu der neben Grön­land auch (klei­ne­re) Kolo­nien in Indi­en und Afri­ka gehör­ten. Stich­wort Sozi­al­de­mo­kra­tie: dazu kann ich das Arbei­ter­mu­se­um emp­feh­len, das im ehe­ma­li­gen Ver­samm­lungs­haus der däni­schen Arbei­ter­be­we­gung unter­ge­bracht ist. Neben der Geschich­te von Gewerk­schaf­ten und sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Par­tei geht es hier auch um die Arbeit und die Lebens­um­stän­de der Arbeiter*innen in gut gemach­ten (teil­wei­se aller­dings nur dänisch beschrif­te­ten) Installationen. 

Typisch Kopenhagen?

Nyhavn - I
Søren Kierkegaards Plads - IV
Rosenborg - IV
Railroad with skyline - II

Science Fiction und Fantasy im August 2025

Night photography III

Ich fan­ge mit einem Buch an, das eigent­lich eher ein Sach­buch ist – Mark McCau­gh­re­ans „Rei­se­füh­rer“ 111 places in space that you must not miss (2023). Der Titel beschreibt eigent­lich auch schon ganz gut, was es mit die­sem Buch auf sich hat, das wohl tat­säch­lich in einer Rei­he erschie­nen ist, die auch jeweils 111 „ber­eis­ba­re“ Zie­le anders­wo zusam­men­bringt. Die 111 Orte im Welt­raum sind in drei Abtei­lun­gen unter­teilt, die sich mit dem Son­nen­sys­tem, der Milch­stras­se und dem Rest des Uni­ver­sums befas­sen. Etwas irri­tiert hat­te mich zuerst, dass die Objek­te, die jeweils mit einer Sei­te Text und einem Foto vor­ge­stellt wer­den, inner­halb die­ser drei Abtei­lun­gen alpha­be­tisch sor­tiert sind. Ich hät­te eine Sor­tie­rung nach Ent­fer­nung zur Erde erwar­tet. McCau­gh­re­an beschreibt mit einer leicht iro­ni­schen Note die unter­schied­li­chen Objek­te, die von Mond und ISS bis zu Deep-Field-Auf­nah­men und der kos­mi­schen Hin­ter­grund­strah­lung rei­chen. Inter­es­san­ter­wei­se hat die­ser Rei­se­füh­rer auf mich eher den Effekt, noch ein­mal deut­lich zu machen, wie groß und lebens­feind­lich das Welt­all ist … das wird nicht nur in den Rei­se­zei­ten sicht­bar, die bei den wei­ter ent­fern­ten Objek­ten ger­ne mal bei „Mil­lio­nen Jah­re mit Licht­ge­schwin­dig­keit“ lie­gen, aber selbst im Son­nen­sys­tem wird deut­lich, dass neben dem Mond, Hub­ble und ISS (und bei einer Rei­se­zeit von min­de­tens 9 Mona­ten: dem Mars) selbst z.B. die Jupi­ter­mon­de wohl für ent­spre­chend lan­ge flie­gen­de Son­den, aber eben nicht für mit Men­schen besetz­te Raum­schif­fe erreich­bar sind. Und dass es, dort ein­mal ange­kom­men, ganz schnell zu Pro­ble­men mit Strah­lung kom­men wür­de. Und auch zum Mars schreibt der Autor „will kill you“. Inso­fern: ein gutes Sach­buch über den Stand unse­res Wis­sens über das Son­nen­sys­tem, die Milch­stra­ße und unse­re loka­len Super­struk­tu­ren, aber auch ein Buch, das komi­sche Dimen­sio­nen ver­deut­lich und klar macht, dass die Prä­mis­sen selbst „har­ter“ SF-Seri­en wie The Expan­se weit jen­seits der Rea­li­tät lie­gen. Von Warp-irgend­was gar nicht zu sprechen.

Und wo ich gera­de bei Sach­bü­chern bin: als Ergän­zung zu mei­ner Rei­se nach Kopen­ha­gen habe ich das Buch The Sto­ry of Scan­di­na­via (2023) des Poli­tik­wis­sen­schaft­lers Stein Rin­gen gele­sen. Rin­gen fängt bei den Wikinger*innen an und endet – nach inten­si­ver Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ent­ste­hung der König­rei­che und spä­ter einer luthe­ria­nisch ein­ge­färb­ten Sozi­al­de­mo­kra­tie – in den 2020er Jah­ren. Ich fand das Buch auf­schluss­reich für ein Ver­ständ­nis, wie Däne­mark, Nor­we­gen und Schwe­den sich ent­wi­ckelt haben, und wie die drei Län­dern in wech­seln­den Kon­stel­la­tio­nen zusam­men und gegen­ein­an­der gewirkt haben. Im Kon­text SF und Fan­ta­sy rele­vant: Rin­gen macht u.a. deut­lich, dass wir uns die Wikinger*innen wohl am ehes­tens als War­lords vor­stel­len müs­sen, die Bru­ta­li­tät zu einem Mar­ken­zei­chen mach­ten, dass dann euro­pa­weit bekannt und gefürch­tet wur­de (und die nicht zuletzt Skla­ven­han­del betrie­ben). Aus den War­lords wur­den dann ab etwa dem 10. Jahr­hun­dert, Köni­ge (u.a. Harald Blau­zahn und Knud der Gro­ße), die aber – so Rin­gen – nichts blei­ben­des hin­ter­lie­ßen. Und die Beschrei­bun­gen der Intri­gen der unter­schied­li­chen hoch­mit­tel­al­ter­li­chen Herrscher*innen erin­ner­te doch stark an „Game of Thro­nes“ – bis hin Bru­der­mor­den und zu Ein­la­dun­gen aller Wich­ti­gen zu Fest­mäh­lern, die im Blut­bad enden. (Eigent­li­cher Kern des Buchs ist die Fra­ge, wie aus die­sem Cha­os Demo­kra­tien und nach dem 2. Welt­krieg der skan­di­na­vi­sche Wohl­fahrts­staat ent­ste­hen konn­ten – auch das durch­aus inter­es­sant; inter­es­sant auch der Blick auf das Han­deln Däne­marks (weit­ge­hend akzep­tier­te Beset­zung, Kol­la­bo­ra­ti­on), des als Natio­nal­staat jun­gen Nor­we­gens (Beset­zung mit Wider­stand und einer flie­hen­den Exil­re­gie­rung) und Schwe­dens (Neu­tra­li­tät und Waf­fen­ver­käu­fe) in der Nazizeit.) 

An SF gele­sen habe ich die ers­ten bei­den Bän­de der „Kin­dom Tri­lo­gy“ von Betha­ny Jacobs, The­se Bur­ning Stars (2023) und On Vicious Worlds (2024); der drit­te Band wird noch in die­sem Jahr erschei­nen. Die Bücher ver­bin­den Aspek­te aus bei­den Sach­bü­chern: sie spie­len in einem sich über meh­re­re Son­nen­sys­te­me erstre­cken­den Impe­ri­um („The Treb­le“); und stel­len­wei­se wird es sehr blu­tig und bru­tal mit Blick auf Nach­fol­ge­kämp­fe und Rache­ak­te. Ins­be­son­de­re inner­halb und zwi­schen den „First Fami­lies“ und den drei Säu­len des „Kin­dom“ (Priester*innen der poly­the­is­ti­schen Reli­gi­on; Ver­wal­tung und Jus­tiz; und die „bru­tal hand“ mit ihren Killer*innnen). Zusam­men­ge­hal­ten wird „The Treb­le“ von einem ener­gie­rei­chen Mine­ral (Jevi­te bzw. in der syn­the­ti­schen Form Sevi­te), das u.a. Sprün­ge durch „Gates“ erlaubt. Inter­es­san­ter als die diver­sen Kämp­fe (sag­te ich schon, dass es sehr blu­tig und bru­tal wird?) sind die von Jacobs skiz­zier­ten Inter­es­sen­la­gen und orga­ni­sa­to­ri­schen Ver­krus­tun­gen – bei­spiel­wei­se hat die Fami­lie einer der Haupt­per­so­nen das Mono­pol auf die­sen Mine­ral; die in der Ver­ar­bei­tung von Sevi­te beschäf­tig­ten Über­le­ben­den eines Geno­zids – die Jeve­ni – sind mit ihrer Lage nicht zufrie­den usw. Und ziem­lich viel ist anders, als es am Anfang scheint. Gut gefal­len hat mir an die­ser Space Ope­ra auch, dass eini­ge der Trau­ma­ta und sozia­len Ängs­te eini­ger Haupt­per­so­nen klar the­ma­ti­siert wer­den. Egal, wie sehr sie die Held*innen die­ser Geschich­te sind. Ich bin auf den drit­ten Band gespannt – der zwei­te ende­te ziem­lich abrupt mit einer fie­sen Enthüllung.

Auch Space Ope­ra, aber kom­plett anders, ist die online ver­öf­fent­lich­te Novel­le The Epi­pha­ny of Glie­se 581 von Fer­nan­do Bor­ret­ti (2022), die ein biss­chen an Greg Egan erin­nert. Viel spielt hier in dia­mant­ba­sier­ten Com­pu­ter­sub­tra­ten, und Menschen/transhumane Wesen, die sich selbst down­loa­den und per Mate­rie­druck repro­du­zie­ren kön­nen, tun sich ein biss­chen ein­fa­cher damit, ferns­te Son­nen­sys­te­me zu erfor­schen – oder wie hier: auf­zu­klä­ren, wie eine voll­endes trans­hu­ma­ne „Gott­heit“, die den namens­ge­ben­den Stern Glie­se 581 nach eige­nem Bild gestal­tet hat, zu Tode kam. 

Gele­sen habe ich und sehr emp­feh­len kann ich dann noch das gera­de erschie­ne­ne Auto­ma­tic Nood­le (2025) von Anna­lee Newitz. Wäh­rend ich mit ihren Ter­ra­for­mern nicht so viel anfan­gen konn­te, hat mir die­se eher cozy Geschich­te gut gefal­len: im Kern geht es um vier sehr unter­schied­li­che Robo­ter (und einen Men­schen), die übrig blei­ben, als eine Möch­te­gern-Fast­food-Ket­te ihr Geschäft auf­gibt. Das gan­ze spielt in San Fran­cis­co, in einem Kali­for­ni­en, das sich gera­de in einem blu­ti­gen Krieg von Ame­ri­ka abge­spal­tet hat, und das – anders als die Rest-USA – unter bestimm­ten Bedin­gun­gen men­schen­ähn­li­che Robo­ter mit Rech­ten aus­stat­tet – was ande­re nicht davon abhält, Vor­ur­tei­le zu äußern. Mit viel Lie­be zum Detail erzählt Nee­witz, wie aus dem Fast­food-Shop ein auf Biang-Biang-Nudeln spe­zia­li­sier­tes Restau­rant wird (da erin­ner­te mich das eine oder ande­re an Sourdough) – und wie dabei die ganz unter­schied­li­chen Robo­ter-Per­sön­lich­kei­ten mit ihren Stär­ken (und Schwä­chen und Trau­ma­ta) zusam­men­fin­den. (Lesens­wer­tes Inter­view mit Newitz dazu.)

In gewis­ser Wei­se gut dazu gepasst hat der Film Chap­pie (2015, lief auf Net­flix), den ich eher zufäl­lig aus­ge­wählt habe. Hier geht es um auto­no­me Poli­zei­ro­bo­ter in Johan­nis­burg und was pas­siert, als eine*r davon ein Bewusst­sein bekommt und bei einer von „Die Ant­wo­ord“ gespiel­ten Gangs­ter­fa­mi­lie auf­wächst. Regis­seur Neill Blom­kamp legt an man­chen Stel­len zu dick auf, der Film kann sich manch­mal nicht ent­schei­den, ob er jetzt Thril­ler, Hip-Hop-Gangs­ter­ko­mö­die oder Robo­ter-Reflek­ti­on sein möch­te – unter­halt­sam war’s trotz­dem. Ins­be­son­de­re mit dem zum Zeit­punkt die­ses Films noch nicht abseh­ba­ren AI-Hype im Hinterkopf.

Wei­ter­ge­guckt habe ich außer­dem Foun­da­ti­on und Star Trek: Stran­ge New Worlds – wobei ich hier von Fol­ge 6 („The Seh­lat Who Ate Its Tail“) ins­ge­samt eher begeis­tert war, und mit den Fol­gen 7 („What Is Star­fleet?“) und 8 („Four-and-a-Half Vul­cans“) nicht so viel anfan­gen konnte. 

Begon­nen und dann gleich bin­ge­ge­watcht habe ich die ers­te Staf­fel von Silo (Apple TV, 2023), der Ver­fil­mung der Bücher Wool, Shift und Dust von Hugh How­ey. Die Serie spielt (zumin­dest in der ers­ten Staf­fel) fast aus­schließ­lich in einer rie­si­gen Unter­grund­stadt, dem titel­ge­ben­den Silo, das von selt­sa­men Regeln (Trep­pen­stei­gen zwi­schen den 144 Stock­wer­ken!, kei­ne Mikro­sko­pe!) beherrscht wird. Drau­ßen ist böse – jeden­falls ist das die mit gro­ßem Auf­wand auf­recht erhal­te­ne herr­schen­de Mei­nung. Und Arte­fak­te aus der Zeit davor sind eben­falls ver­bo­ten. Durch einen geschick­ten Kniff ver­bin­det die Serie die Gescheh­nis­se im unters­ten Level – hier küm­mern sich Mechaniker*innen dar­um, dass alles läuft – der Mit­tel­schicht und der Eli­te des Silos in den obe­ren Leveln. Die Haupt­per­so­nen und deren Che­mie unter­ein­an­der ist dann auch Grund genug, über das eine oder ande­re Plot­ho­le hin­weg zu sehen (wie kommt eine seit vie­len Jahr­zehn­ten von der Außen­welt abge­schnit­te­ne Stadt mit 10.000 Men­schen an so Din­ge wie Kaf­fee oder Lötzinn?). 

Kurz: The Mad Twenties

„May you live in inte­res­t­ing times“ – der sprich­wört­li­che Fluch trifft voll und ganz zu. Nicht nur das: ich habe die vage Hoff­nung, dass es im Jahr 2050 Historiker*innen geben wird, die gan­ze Sym­po­si­en mit Dis­kus­sio­nen dazu fül­len wer­den, wie es zu den „mad twen­ties“ kom­men konn­te, ob die­se eigent­lich bereits mit der Trump-Wahl 2016 begon­nen haben, und ob die Pan­de­mie, die Chat­bots oder der unre­gu­lier­te Gebrauch sozia­ler Medi­en haupt­ur­säch­lich dafür war, dass sich die zor­ni­ge Ver­ken­nung der Rea­li­tät in jeg­li­cher Hin­sicht so aus­brei­ten konnte.

War­um Hoff­nung? Weil dies impli­ziert, dass es im Jahr 2050, in 25 Jah­ren, noch Historiker*innen geben wird, ihre Zeit mit im bes­ten Sin­ne aka­de­mi­schen Debat­ten zu ver­brin­gen. Und, wich­ti­ger noch, weil der Rück­blick auf die­se ver­rück­te Deka­de nur dann mög­lich ist, wenn der kol­lek­ti­ve Absturz in eine Fan­ta­sie­welt über­wun­den wurde.

Im bes­ten Fall wird es in 25 Jah­ren hoch­strit­tig sein, ob in den „Mad Twen­ties“ nicht bereits der Keim für eine bes­se­re Welt­ord­nung ange­legt war: die geo­po­li­ti­schen Rea­li­tä­ten, die ein für alle mal klar gemacht haben, dass ein Ver­las­sen auf ande­re nicht funk­tio­niert; das begin­nen­de expo­nen­ti­el­le Wachs­tum von Green Tech und erneu­er­ba­rer Ener­gie, noch ein­mal ver­stärkt durch die Abschot­tung der USA; das Plat­zen der KI-Bla­se und die ers­ten zag­haf­ten Ver­su­che, mit Mit­teln der Moni­pol­kon­trol­le gegen seman­ti­sche Viren vorzugehen.

Im mitt­le­ren Fall wird es auch in 25 Jah­ren noch Auf­räum­ar­bei­ten geben; die letz­ten Wehen zer­stör­ter Insti­tu­tio­nen und nie­der­lie­gen­der Öko­no­mien. Dann wer­den Wahr­heits­kom­mis­sio­nen ein­ge­setzt, die auf­ar­bei­ten, wer Wider­stand geleis­tet hat und wer als Räd­chen des gro­ßen ame­ri­ka­ni­schen Reichs an den Unta­ten mit­ge­wirkt hat.

Der schlimms­te Fall wäre jedoch, dass es eben auch 2050 kei­nen Rück­blick auf die wahn­haf­ten 2020er geben wird, weil deren Rea­li­täts­ver­lust sich fest­ge­setzt hat und zur dau­er­haf­ten Metho­de gewor­den ist. Dann wür­de die Welt in das Gen­re des (Post-)apokalyptischen gerutscht sein. Kei­ne schö­ne Vor­stel­lung – und Anlass, trotz aller Ver­rückt­hei­ten sich jetzt nicht ins Pri­va­te zurück zu ziehen.