Es wird Zeit, etwas zu den in den letzten Wochen konsumierten SF- und Fantasy-Medien zu schreiben, bevor alles zu einem Brei verschwimmt …
Nachdem ich mit den ersten Folgen der zweiten Wednesday-Staffel (Netflix) nicht so ganz zufrieden war – und die Dialoge nach wie vor stellenweise arg kunstgedrechselt finde -, muss ich doch sagen, dass es sich gelohnt hat, dranzubleiben: gelungene Plottwists, sich entwickelnde Figuren, die Dynamik zwischen Wednesday, Enid und Agnes – und glaubwürdige Bezüge zum Addams-Kanon. So, und wo bleibt Staffel 3?
Das mit dem harten Cliffhanger am Ende hat auch Silo (Apple TV) hingekriegt. Wenn man über die eine oder andere Unglaubwürdigkeit (Kaffee!) hinwegsieht, finde ich das Setting – 10.000 Menschen in einem autarken unterirdischen Bunker, 150 Jahre in der Zukunft, mit Stratifizierung, Machtdynamiken und engineered Tabus – nach wie vor sehr brauchbar als Hintergrund, vor dem eigentlich alle nur das Beste wollen und damit grandios scheitern. In der 2. Staffel erfahren wir, dass Silo 18 nur eines von 51 ist – und sehen durch Jules Nichols Augen im scheinbar verlassenen Nachbarsilo den postrevolutionären Zusammenbruch. Auch hier bin ich gespannt auf die 3. Staffel, bin mir aber nicht sicher, ob die – in den letzten paar Minuten angedeutete Origin-Story, Washington D.C. – wirklich das ist, was ich sehen möchte.
Zur Unterhaltung zwischendurch ist die animierte Serie Haunted Hotel (Netflix) ganz nett.
Last but not least habe ich begonnen, Lucifer (Netflix) anzuschauen. Die Serie ist ja schon ein paar Jahre alt, aber weiter binge-würdig. Ich weiß, dass Christine Nöstlingers Der kleine Herr Teufel nicht die Romanvorlage ist, trotzdem fiel mir dieses Jugendbuch unweigerlich ein: der gefallene Engel Lucifer nimmt eine Auszeit auf der Erde, und braucht seine Zeit, um mit all den seltsamen menschlichen Bräuchen klarzukommen. Daraus entwickelt sich dann Verständnis und, tja, Menschenfreundlichkeit. Im Film: Lucifer als Nachtclubbetreiber, der mit der Polizistin Chloe und unter Zurhilfenahme esoterischer (und erotischer) Fähigkeiten Kriminalfälle in LA löst. Dabei verschweigt er keineswegs, dass er der Teufel ist – nur hören will‘s niemand. Sehr amüsant.
Gelesen habe ich auch was. Zum Beispiel A Philosophy of Thieves über eine Familie, die in einem postapokalyptischen New Washington der Diebeskunst nachgeht. In der Enklave der Reichen und Mächtigen sorgen trickreiche Klauvorführungen für den richtigen Nervenkitzel bei ansonsten drögen Partys. Doch wer sonst im Dauerstau der Outskirts lebt, für den ist die Verlockung groß, mehr als nur die vertraglich vereinbarten Diebstähle zu begehen … Das Buch von Fran Wilde (2025) ist unterhaltsam, hinter der Oberfläche lauern ein paar tiefergehende Fragen, erst recht, als klar wird, dass die Hauptperson mehr mit den Reichen, die sie bestiehlt, verbindet, als sie es war haben möchte. Ein bisschen irritiert hat mich dagegen die Biotechnologie dieser Zukunft; nicht per se, das wirkte schon plausibel, aber einen Plotpunkt an mysteriöser, lebenskraftentziehender DNA-Fernwirkung aufzuhängen, war dann doch Zuviel des Guten.
Eine ganz andere Biotech-Zukunft zeichnet Zoë Beck in Paradise City (2020). Das großflächig erweiterte Frankfurt am Main ist die Hauptstadt eines durchtechnisierten deutschen Überwachungsstaates. Algorithmen empfehlen aufgrund von Gesundheitsdaten, was zu tun ist. Alles smooth, soweit, Hightechzüge, E‑Bikes zum Ausleihen, niemand muss hungern. Aber was passiert mit denen, die nicht ins Gesundheitsregime passen? Liina recherchiert in der Megacity und im hessischen Hinterland, in der brandenburgischen Wildnis und im überfluteten Rostock – und kommt einem düsteren Geheimnis auf die Spur, in das auch ihre Schulfreundin – inzwischen Gesundheitsministerin – verwickelt ist.
Auch in B.L. Blanchards The Mother (2023) hat Frankfurt einen Auftritt, hier als Frankfurt Free City in einem heutigen Heiligen Römischen Reich (HRE). Der Roman wird als Nachfolgeband zu The Peacekeeper vermarktet, hat damit aber nur das Worldbuilding gemeinsam. In einer Alternativgeschichte zu unserer Gegenwart fand der britische Kolonialismus nicht statt. In der Neuen Welt führt das zu einem dichten Netz an First-Nation-Staaten; in Europa sind das bis Rom reichende HRE und Frankreich die großen Mächte. England ist dagegen als eine Art Karikatur einer Golfmonarchie gezeichnet, nur: verarmt und isoliert, unter dichtem Kohlestaub und seit Jahrhunderten in einem Krieg mit Frankreich. In diesem England sind Frauen nur als Mütter männlicher Erben etwas wert, und ansonsten eng kontrolliert, so dürfen sie beispielsweise nur mit Erlaubnis von Vater oder Ehemann ein Mobiltelefon nutzen. Marie, die Hauptperson, wurde an einen Duke verheiratet – und fingiert einen Sturz von den Klippen, um dem fürstlichen Gefängnis zu entkommen. Ihr Weg führt in die Familiengeschichte und über London auf den Kontinent, nach Brugge, in die Flüchtlingsquartiere von Frankfurt und Strasbourg. Kann sie dem langen Arm der Monarchie entkommen? – Nach dem ersten Schock darüber, dass das Setting in der Alten Welt eben ein ganz anderes ist, als The Peacekeeper erwarten ließ, eine packende Geschichte, die im Spiegel des Was-wäre-wenn auch einiges über heute zu sagen hat.
Ohne das vorher geplant zu haben, war Mother die zweite Alternativgeschichte, die ich in den letzten Wochen gelesen habe. Die andere heißt Pagans, geschrieben von James Alistair Henry und ist ebenfalls 2025 erschienen. In diesem 21. Jahrhundert ist das Christentum eine kleine, unbedeutende Sekte geblieben. Die Zentren der Welt liegen in Asien und Afrika. Großbritannien, wie wir es kennen, existiert nicht. Stattdessen gibt es eine nordische schottische Republik, angelsächsische Königreiche, unter einem Hochkönig vereint, und keltische Ureinwohner*innen in walisischen Reservaten. Dazu Mobiltelefone, Drohnen, ein multikulturelles London, das genauso gerne von afrikanischen Tourist*innen besucht wird wie die wilden Wälder und Hügel. In diesem Setting versucht ein ungleiches Paar einen Kriminalfall zu lösen: die aus der angelsächsischen Elite stammende Aedith, die schräg dafür angeschaut wird, dass sie so etwas banalem wie Lohnarbeit bei der Polizei nachgeht, und der ihr zugeteilte Inspektor(-Schamane) Drustan aus dem keltischen Westen – denn es geht darum, einen Mord an einem Kelten aufzuklären. Freiheitsbewegungen, Alltagsrassismus, Modetrends, eine piktische Hackerin und Verschwörungen, die bis zum Königshof reichen runden den Roman ab. Hat mir gut gefallen, hätte jetzt gerne weitere Romane in diesem Setting.
Von John Scalzi habe ich The Shattering Peace (2025) gelesen, gut gemachte Space Opera in seinem Old-Man‘s‑War-Universum. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir schräge Aliens, eine unwahrscheinliche Heldin und die multiversalen Geopolitiken zwischen der Conclave der Aliens, der isolierten Erde und der Colonial Union der einstmals von der Erde kolonialisierten Planeten.
Zuletzt ein Buch, das ich als introvertiert bezeichnen würde (und bei dem ich gar nicht so sicher bin, ob eine Einordnung ins Genre eigentlich stimmt) – Charlie Jane Anders Lessons in Magic and Disaster (2052). Eigentlich ist das Buch vor allem eine sehr genaue Beobachtung familiärer – hier: queerer – Dynamiken, eine Mutter-(trans) Tochter-Geschichte, in der es auch um soziale Bewegungen und den rechten Backlash geht, um die Innensicht des akademischen Betriebs und um das Trauma, das ein Krebstod bei den Angehörigen auslösen kann, die sich Vorwürfe machen, sich nicht früh genug gekümmert zu haben. Eine zweite Ebene des Buchs ist das akademische Interesse der Heldin: die englische Novelle des 18. Jahrhunderts, bei der zwischen den Zeilen – in Novelle und begeleitendem Briefwechsel – gelesen sichtbar wird, was damals nicht offen gesagt werden konnte. Im Nachwort geht Anders darauf ein, welche Zitate und Autor*innen erfunden sind und welche nicht; auch das: durchaus lehrreich. Soweit realistische Literatur at it‘s best – wäre da nicht die dritte Ebene, ein Hauch von Magie, eine zarte Form der Hexerei an liminalen Orten.


