Der Frühling ist mit dieser Woche endgültig vorbei, die Tage werden wieder kürzer, und es wird Zeit, mal zu gucken, was ich im Mai und Juni gelesen habe.
- Ich fange mit zwei „Angeguckt“-Dingen an: zum einen die Netflix-Serie Shadow and Bone, die mir sehr gut gefallen hat. Die Buchvorlage kenne ich nicht, insofern kann ich nichts zur Umsetzung sagen, aber diese in einem Second-World-19.-Jahrhundert mit Russland- und Südostasien-Äquivalenten spielende Geschichte – Magie, ein bisschen Coming of Age, Heists und Großmächte. Leider bisher nur eine Staffel, würde gerne wissen, wie es weitergeht.
- Ebenfalls angeschaut (und noch längst nicht fertig): die Prequel Star Trek: Enterprise. 20 Jahre alt, was den Effekten teilweise anzusehen ist, aber interessanter, als ich das gedacht habe – bisher ist die Serie an mir vorbeigegangen. Schön zu sehen, wie einiges von dem, was Star Trek ausmacht, hier noch nicht oder nur in ersten Kernen und Keimen existiert.
- Dann zu den Büchern: von K. Parker habe ich die Engineer-Trilogie gelesen, und zwar alle drei Bände, obwohl ich hin- und hergerissen war, wie ich das finden soll. Ein detailliert ausgemaltes Spätmittelalter/Frühe-Neuzeit-Setting, bis hin zu Zitaten aus fiktiven Büchern, interessante Konflikte, das übergreifende Thema „Soziotechnik“ – aber doch alles sehr militärisch ausgerichtet, und en passant mit Genozid und Massenmord angereichert. Hm.
- Noch ein Klassiker: ich habe endlich mal Octavia Butlers Xenogenesis-Reihe (gesammelt als Lilith’s Brood erschienen) gelesen: nach dem Ende eines schrecklichen Krieges werden die übriggebliebenen Menschen von biotechnisch extrem fortschrittlichen und extrem fremdartigen Außerirdischen in Empfang genommen, die ein großes Interesse daran haben, das eine oder andere faszinierende Element aus dem menschlichen Genmaterial zu übernehmen – rein biologisch. Beeindruckend, auch wenn dem Text an der einen oder anderen Stelle anzumerken ist, dass der erste Band aus dem Jahr 1987 stammt. Im Subtext geht es um Sexualität und Begehren, Hybridisierung und Unterdrückung. Aufgestoßen ist mir der teilweise harte Biologismus – die Oankali können Gene „lesen“ und verändern, und tun das auch reichlich. Sie lesen aber auch Charaktereigenschaften und Prädispositionen aus dem Genmaterial der Menschen, denen sie begegnen.
- Von Charlie J. Anders habe ich Victories greater than death gelesen. Nett, aber mir zu sehr auf die Zielgruppe young adult hin optimiert. Die Heldin ist (wer kennt das Gefühl nicht …) eigentlich eine Außerirdische – irgendwann in ihren Teenagerjahren wird sie auf das große Raumschiff geholt, das sich mitten in einem galaktischen Krieg zwischen der leicht verkleideten Föderation und einer Abspaltung davon befindet. Aus Gründen kommen noch eine Handvoll weitere Außenseiter-Teenager mit an Bord, neben Weltrettung geht’s auch um deren gegenseitigen Gefühle, Verletzungen und so weiter.
- Everina Maxwell hat mit Winter’s orbit sowas wie empathische Space Opera geschrieben. Das Sternenreich der Iskat wird durch lose Verträge mit den Vasallenplaneten verbunden; so richtig gleichberechtigt sind die verschiedenen Planeten jedoch nicht. Aus galaktischem Blick ist Iskat nur eine Nische, alle paar Jahre wird mal geschaut, ob Artefakte brav abgegeben und ein paar grundlegende demokratische Rechte eingehalten werden. Diese Revision steht kurz bevor. Ein Mittel, um die Planeten aneinander zu binden, sind Zweckehen. Dummerweise ist Prinz Taam vor kurzem bei einem Unfall gestorben, sein Partner Jainan muss nun schnell den Playboy-Prinzen Kiem heiraten, um dieses System der Heiratsverträge aufrecht zu halten. Auf einer Textebene geht es um die langsam wachsende Beziehung zwischen den beiden (mit fast schon slapstickhaft-tragischen Missverständnissen) in der arrangierten Ehe, auf der anderen um den Tod von Prinz Taam, der sich als Kriminalfall mit intergalakatischer Relevanz herausstellt und nur der letzte Tropfen in einem Fass der Intrigen darstellt. Sehr empfehlenswert, hat mir gut gefallen.
- Und nochmal sowas wie Feel-Good-Space-Opera – Becky Chambers hat mit The Galaxy, and the Ground within den vierten und letzten Teil ihrer sehr schönen Wayfarers-Serie vorgelegt. Eine Reihe von ganz unterschiedlichen Wesen stranden in einer Art Motel am Wurmloch; nach und nach lernen wir diese und deren Geschichten und Hintergründe kennen. Erst ein Notfall bringt diese Fremden zusammen. Die große Weltraumpolitik schwingt nur im Hintergrund mit, fast schon ein Kammerspiel. Aber gerade der Blick auf den Alltag (in einer Krisensituation) macht die Stärke dieses Buchs aus. Die Hauptpersonen lernen sich kennen, wir lernen sie kennen und verstehen. Falls sich Bücher mit Computerspielen vergleichen lassen: auch wenn die Geschichte nichts damit zu tun hat, war mein imaginiertes Look and Feel bei diesem Buch das von Stardew Valley. Ein guter Abschluss für die Wayfarer.