Lesarten von Science Fiction: Die dunkle Seite der Macht

Vor­be­mer­kung: ich habe die­sen Text größ­ten­teils bereits im April geschrie­ben – inzwi­schen hat sich das Ver­hält­nis zwi­schen Musk und Trump deut­lich ver­än­dert. Die Aus­sa­gen unten schei­nen mir aber wei­ter­hin Gül­tig­keit zu behalten …

Wie poli­tisch sind Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy? Schrift­stel­le­rin­nen und Schrift­stel­ler haben die­se Fra­ge ganz unter­schied­lich beant­wor­tet. Es gibt Wer­ke, die mit einer poli­ti­schen Agen­da geschrie­ben wur­den. Manch­mal ist das sehr sicht­bar, etwa wenn Dys­to­pien als War­nung geschrie­ben wer­den (Mar­gret Atwoods Handmaid’s Tale, um ein sehr aktu­el­les Bei­spiel zu nen­nen). Oder wenn Uto­pien zei­gen, dass es auch anders gehen kann – eini­ge der Roma­ne von Ursu­la K. Le Guin oder Kim Stan­ley Robin­son etwa; wer möch­te kann hier auch Star Trek ein­rei­hen.1 Dane­ben gibt es Autorin­nen und Autoren, die eine poli­ti­sche Agen­da haben, die aber weni­ger klar zu benen­nen ist – ein huma­nis­ti­scher Grund­ton bei John Scal­zi, eine liber­tä­re Fär­bung bei Robert Hein­lein, kon­ser­va­ti­ve Ein­spreng­sel bei Isaac Asi­mov. Und schließ­lich gibt es Wer­ke, die eigent­lich Mani­fes­te sind – Atlas Shrug­ged von Ayn Rand auf der rech­ten Sei­te, das eine oder ande­re Solar­punk-Buch und vie­le der Wer­ke von Cory Doc­to­row im pro­gres­si­ve­ren Spek­trum fal­len mir hier ein.

Wechselwirkungen zwischen Science Fiction und Gesellschaft

Hin­ter die­ser Fra­ge steckt die Idee, dass es eine Wech­sel­wir­kung zwi­schen SF und unse­rer Gesell­schaft gibt. Dass die Aus­ein­an­der­set­zun­gen und gro­ßen Fra­gen des jewei­li­gen Zeit­geists sich in SF- (und Fantasy-)Werken wie­der­fin­den, ver­wun­dert nicht. Stär­ker als ande­ren Gen­res ist Sci­ence Fic­tion mit der Erwar­tung ver­bun­den, dass umge­kehrt auch das Gen­re Ein­fluss auf die Gesell­schaft nimmt.2

Am offen­sicht­lichs­ten ist das beim Blick auf Tech­no­lo­gien. Arthur C. Clar­ke hat den Satel­li­ten erfun­den, Wil­liam Gib­son den Cyber­space, und John Brun­ner Inter­net­vi­ren – so jeden­falls die popu­lä­re Sicht der Din­ge. Und natür­lich lesen Inge­nieu­rin­nen und Inge­nieu­re Sci­ence Fic­tion und las­sen sich davon beein­flus­sen. Im Detail ist es etwas kom­pli­zier­ter. Dass es hier eine Wech­sel­wir­kung gibt, erscheint jedoch min­des­tens plau­si­bel.3

Wie sieht es nun mit poli­ti­schen Ideen aus? Nimmt Sci­ence Fic­tion einen Ein­fluss auf die Poli­tik, auf das gesell­schaft­li­che Zusammenleben?

Stär­ker noch als beim Blick auf Tech­no­lo­gien rückt nun der Leser oder die Lese­rin ins Blick­feld. Denn wie ein Werk gele­sen wird, was wahr­ge­nom­men und was gefil­tert wird – das hat nicht nur mit der Inten­ti­on des Autors oder der Autorin zu tun, son­dern eben auch damit, wer es aus was für einer Vor­prä­gung her­aus wie liest.

So dürf­te der baye­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent Mar­kus Söder der bekann­tes­te Star-Trek-Fan in der deut­schen Poli­tik sein. Sieht er Star Trek als Uto­pie einer post­ka­pi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft, oder sind es eher die Aben­teu­er im Welt­raum, tak­ti­sche Über­le­gun­gen und Pha­ser-Hand­ge­men­ge, die ihn begeis­tern? Auch wenn er sich mei­nes Wis­sen nicht dazu geäu­ßert hat, scheint er eher Cap­tain Kirk als Cap­tain Picard zum Vor­bild zu haben.4 Gleich­zei­tig lässt sich Söders Poli­tik eine gewis­se Tech­nik­be­geis­te­rung nicht abspre­chen – von der baye­ri­schen Raum­fahrt-Initia­ti­ve „Bava­ria One“ bis zur etwas groß­spu­ri­gen For­de­rung, der ers­te Fusi­ons­re­ak­tor welt­weit müs­se in Deutsch­land – lies: in Bay­ern – ent­ste­hen, fin­det sich da eini­ges. Viel­leicht ist das Star Trek zu verdanken.

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Hoffnung am Ende der Welt

SEC, Glasgow - II

Die Welt drau­ßen ist mal wie­der ziem­lich am Ende. Zeit­ge­nös­si­sche Sci­ence Fic­tion reagiert dar­auf auf drei Arten: sie setzt sich ers­tens direkt damit aus­ein­an­der – da sind wir dann bei „Cli­Fi“, Cli­ma­te Fic­tion und Ver­wand­tem, sei es Kim Stan­ley Robin­son, sei es T.C. Boyle, sei es mit ande­rer Per­spek­ti­ve Neal Ste­phen­son. Oder bei Wer­ken, die ande­re Pro­ble­me, die wir gera­de haben, direkt lite­ra­risch ver­ar­bei­ten. Aus­gren­zung und Inklu­si­on beispielsweise. 

Die zwei­te Reak­ti­on ist Eska­pis­mus. Das muss nichts schlech­tes sein. Sci­ence Fic­tion lan­det dann bei­spiel­wei­se bei der neus­ten Form der Space Ope­ra. Einen sehr guten Über­blick dar­über, was da alles drun­ter passt, gibt Jona­than Stra­han in sei­ner gera­de erschie­ne­nen Antho­lo­gie New Adven­tures in Space Ope­ra. Mit Nor­man Spin­rad spricht er davon, dass es sich bei Space Ope­ra nach wie vor um „straight fan­ta­sy in sci­ence fic­tion drag“ han­delt. Das gilt auch für das, was in den 2020er Jah­ren pas­siert, nach dem Höhe­punkt der „new space ope­ra“. Nur dass die­se Tex­te diver­ser und mul­ti­per­spek­ti­vi­scher sind, und sich kri­ti­scher mit den Poli­ti­ken und Macht­ver­hält­nis­sen in den jeweils ima­gi­nier­ten Wel­ten aus­ein­an­der­set­zen, als dies davor der Fall war. 

Drit­tens, und damit sind wir beim The­ma die­ses Tex­tes, erschei­nen eine Viel­zahl von Geschich­ten und Büchern, die irgend­wo zwi­schen „cozy“, Hope­punk und Solar­punk ein­sor­tiert wer­den kön­nen. Obwohl es Über­schnei­dun­gen gibt, ist Solar­punk doch noch ein­mal etwas ande­res als Cli­ma­te Fic­tion, und ist „cozy“ SF&F nicht iden­tisch mit der 2020er-Fas­sung von Space Ope­ra. Wir kom­men gleich zu Defi­ni­tio­nen – hier sei aller­dings schon ein­mal gesagt, dass die­se Grenz­zie­hun­gen weni­ger hart sind, als sie manch­mal erschei­nen, und teil­wei­se noch im Ent­ste­hen befind­lich sind. Mir geht es vor allem dar­um, einen Blick auf etwas zu wer­fen, was ich als aktu­el­len Trend in Sci­ence Fic­tion (und ein­ge­schränkt: Fan­ta­sy) wahrnehme.

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Gelesene Bücher Herbst/Winter

Die­sen Herbst und Win­ter habe ich eini­ges an Sci­ence Fic­tion und ein wenig Fan­ta­sy gele­sen. Anbei mei­ne Kurzkritiken:

  • Charles Stross, Dead lies dre­a­ming. In die­sem Sei­ten­ast zu Stross’ Laun­dry Series spielt der Autor auf Peter Pan an – nicht auf die Dis­ney-Vari­an­te, son­dern das wohl etwas gru­se­li­ge­re Ori­gi­nal. Dar­aus ergibt sich eine nicht-tra­di­tio­nel­le Fami­li­en­ge­schich­te mit einer magi­schen Tra­gö­die in einem Lon­don, das nicht ganz von die­ser Welt ist, gekreuzt mit einem trans­di­men­sio­na­len Heist in einem Lon­don, das noch weni­ger von die­ser Welt ist. Wer die Laun­dry mag, wird das hier mögen.
  • K.J. Par­ker, Six­teen Ways to Defend a Wal­led City. Ein nicht ganz zuver­läs­si­ger Erzäh­ler berich­tet in leicht schel­mi­scher Ton­la­ge von den Ver­wick­lun­gen und Zufäl­len, die ihn, den Außen­sei­ter, erst zum Chef der Inge­nieur­bri­ga­de gemacht und es dann ermög­licht haben, die füh­rungs­lo­se Stadt – eine Art Rom unter ande­rem Namen – sicher durch eine schein­bar unauf­halt­sa­me Bela­ge­rung zu brin­gen. Den Nach­fol­ge­band (sel­be Stadt, sel­be second world fan­ta­sy, ande­re Haupt­per­son) mit dem Titel How to Rule an Empire and Get Away with it fand ich auch ganz nett, da fehl­te mir aller­dings der Erzäh­ler aus Six­teen Ways …
  • Gard­ner Dozois / Micha­el Swan­wick, The City under the Stars. Ein von Micha­el Swan­wick voll­ende­ter Roman des 2018 ver­stor­be­nen SF-Autors und Her­aus­ge­bers Gard­ner Dozois, Tei­le davon stam­men aus den 1970er Jah­ren, erschie­nen ist The City under the Stars aller­dings erst 2020. Auf den ers­ten Blick wirkt die­ser Roman wie klas­si­sche SF die­ser Zeit, also der 1970er Jah­re. Auf den zwei­ten Blick ent­puppt er sich als tief­grün­di­ge­re Medi­ta­ti­on über die Natur des Men­schen, über Macht und Fortschritt.
  • Chris­to­pher Pao­li­ni, To Sleep in a Sea of Stars. Eine soli­de Block­bus­ter-Space-Ope­ra von Chris­to­pher Pao­li­ni, der durch die Era­gon-Rei­he bekannt gewor­den ist. In die­ser Space Ope­ra gibt es halb­wegs plau­si­ble Fas­ter-Than-Light-Tech­no­lo­gie, eine Hel­din wider Wil­len und inter­es­san­te Außerirdische.
  • Eliza­beth May, Seven Devils. Noch­mal Space Ope­ra, erin­nert ent­fernt an She-Ra, span­nen­de Geschich­te, aber ein lei­der ziem­lich inkon­sis­ten­tes World­buil­ding (Zwei instantan besuch­ba­re Gala­xien? Lebens­mit­tel­knapp­heit als Kriegs­grund? Extrem fort­ge­schrit­te­ne medi­zi­ni­sche Tech­no­lo­gie, aber jucken­de Pro­the­sen und kei­ne Mög­lich­keit, feh­len­de Orga­ne zu erset­zen? Ein unlo­gi­sches Berg­werk?). Wenn dar­über hin­weg­ge­se­hen wird, ganz unterhaltsam.
  • Eliza­beth Bear, On Safa­ri in R’lyeh and Car­co­sa with Gun and Came­ra. Novel­le, die mit dem einen oder ande­ren Love­craft-Motiv spielt – und dem heim­li­chen Wunsch, viel­leicht doch ein Ali­en zu sein. Online bei tor.com.
  • Eliza­beth Bear, Machi­ne. Der zwei­te Band in Bears White-Space-Uni­ver­sum (Band 1 war Ances­tral Nights); die Hel­din, die den ers­ten Band so gera­de eben über­lebt hat, wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, arbei­tet jetzt für die größ­te Kran­ken- und Ret­tungs­sta­ti­on des Uni­ver­sums im Außen­ein­satz, Sei­te an Sei­te mit ganz unter­schied­li­chen Lebens­for­men. Was wie ein Rou­ti­ne­ein­satz für eine Not­fall­ärz­tin beginnt, stellt das neu gewon­ne­ne Selbst­bild von Dr. Jens in Fra­ge. Und nicht nur das. Space Ope­ra mal jen­seits impe­ria­ler Kriege.
  • Andrew Ban­nis­ter, Crea­ti­on Machi­ne. Erin­nert ein biss­chen an Banks Cul­tu­re, ist aber lei­der weit weni­ger packend geschrieben.
  • Kim Stan­ley Robin­son, The Minis­try for the Future. Der letz­te Ein­trag in die­ser Lis­te ist ein biss­chen gemo­gelt, weil ich mit KSRs neu­em Roman erst halb durch bin. Cli­ma­te Fic­tion, weni­ge Jahr­zehn­te nach der Gegen­wart, auf einer Erde, die von der vol­len Wucht des Kli­ma­wan­dels getrof­fen ist. Har­te Kost – die per­sön­li­chen Lebens- und Lei­dens­ge­schich­ten der Protagonist*innen wer­den immer wie­der unter­bro­chen von eher sach­buch­ar­ti­gen Tex­ten über Kli­ma­wan­del, Kli­ma­wan­del­fol­gen und mög­li­che Miti­ga­ti­ons- und Adap­ti­ons­stra­te­gien. Wie in frü­he­ren Roma­nen von KSR spielt der poli­tisch-büro­kra­ti­sche Appa­rat eine gro­ße Rol­le. Da ich SF/Fantasy in den letz­ten Mona­ten eher zur Ablenkung/Unterhaltung gele­sen habe, habe ich The Minis­try for the Future erst ein­mal bei Sei­te gelegt, wer­de ich aber bei Gele­gen­heit sicher wie­der zur Hand neh­men und zu Ende lesen.

Leseprotokoll April 2017

New York L (High Line)

Ich habe ja ange­fan­gen, regel­mä­ßig auf­zu­schrei­ben, was ich so gele­sen habe. Das hat auch was mit dem Kind­le zu tun, den es seit ein paar Mona­ten in mei­nem Leben gibt – und der den Sta­pel der gele­se­nen Bücher unsicht­bar gemacht hat. Dass ich jetzt mas­siv E‑Books lese, hät­te ich ers­tens frü­her nicht gedacht und scheint zwei­tens ziem­lich hin­ter dem Trend zu lie­gen. Zumin­dest für Groß­bri­tan­ni­en berich­tet der Guar­di­an dar­über, wie E‑Books ihren Glanz und ihre Ver­füh­rungs­kraft ver­lo­ren haben. Ein biss­chen was ist da schon dran: Bücher als phy­si­ka­li­sche Objek­te haben einen Charme, den der Kind­le nicht erset­zen kann. Aber prak­tisch ist er trotz­dem – nicht nur für das Lesen unter­wegs, son­dern auch des­we­gen, weil er dazu ver­lei­tet, Fort­set­zun­gen zu kau­fen. Oder sich mal im Werk eines Autors oder einer Autorin umzu­se­hen und die eige­ne Biblio­thek zu ergänzen.

Damit zu mei­nen im April gele­se­nen Büchern – acht Stück, davon zwei auf Papier, der Rest digital. 

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In letzter Zeit gelesen

What I read

In Baden-Würt­tem­berg dau­ert es noch bis Ende Juli, bis die Som­mer­fe­ri­en anfan­gen. Anders­wo sind sie da fast schon wie­der vor­bei. Unab­hän­gig davon möch­te ich ein biss­chen was dazu schrei­ben, was ich in den letz­ten Mona­ten so gele­sen habe (Gen­re: Sci­ence Fic­tion & Fan­ta­sy). Viel­leicht ist ja was dabei, was sich als Feri­en­lek­tü­re eignet.

* * *

Anfan­gen möch­te ich mit Ter­ry Prat­chetts Bro­me­li­ad, die bereits 1989/90 erschie­nen ist (dt.: Tru­cker. Wüh­ler. Flü­gel. 1996). Wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, bin ich auf die­ses Werk von Prat­chett, das aber über eini­ge hart­nä­cki­ge Fans ver­fügt, auf­merk­sam gewor­den, weil es in eini­gen der Nach­ru­fe aus Anlass sei­nes Todes eine pro­mi­nen­te Rol­le spiel­te. Die Bro­me­lia­de (die aus den drei ein­zel­nen Bän­den Tru­ckers, Dig­gers und Wings besteht) erzählt die Geschich­te der win­zig klei­nen (G)nome, deren Welt ein Kauf­haus ist. Eines Tages lee­ren sich die Rega­le, die tra­di­tio­nel­len Feind­schaf­ten zwi­schen den Stock­wer­ken kom­men ins Sto­cken, und erst ein Nome aus der sagen­um­wo­be­nen Außen­welt fin­det kurz vor der dro­hen­den Schlie­ßung des Kauf­hau­ses eine Lösung. Aber damit beginnt erst ein Odys­see unge­ahn­ten Aus­ma­ßes. Ein klei­ner spre­chen­der Wür­fel spielt auch eine Rolle. 

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