Das WZB hat eine Studie zu Studiengebühren vorgestellt und kommt zu dem Schluss, dass, wenn die geäußerte Studierneigung in zwei Jahrgängen der nach Bundesländern aufgeteilten HIS-Befragung zur Studierbereitschaft als Indikator für die tatsächliche Studienaufnahme genommen wird, und wenn die Einführung von Studiengebühren in einigen Ländern und der Verzicht darauf in anderen als Quasiexperiment betrachtet wird, es deutliche Hinweise darauf gibt, dass die Gebühren in Höhe von 500 Euro nicht abschrecken. Genau auf diese Umstände bezieht sich die Studie des WZB.
Andere Einrichtungen, z.B. die HIS, äußern sich kritisch dazu, z.B. bei Spiegel Online. Eine ausführliche Kritik dieser Studie ist auf den Nachdenkseiten zu finden.
Soweit die Vorgeschichte. Die WZB-Studie baut auf der Rational-Choice-Theorie auf, deren Grundannahmen ich nur bedingt für plausibel halte, und sie arbeitet mit schließender Statistik und Regressionen – als eher qualitativ arbeitender Sozialwissenschaftler nicht mein Fachgebiet. Ich finde es deswegen schwierig, zu einem abschließenden Urteil zu kommen, habe aber den Eindruck, dass es einige methodische Entscheidungen gibt, die bei anderer Entscheidung zu einem anderen Ergebnis geführt haben könnten. Kurz: komplex.
Das alles habe ich gestern in einem kurzen Tweet zusammengefasst. Diesem hier:
WZB-Studiengebührenstudie ist komplex; profunde Kritik muss das z.K. nehmen; finde (vs @ciffi taz/heute) fehlende Eilreaktion des ABS ok.
„ABS“ ist das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren, und „@ciffi“ bezieht sich auf Christian Füller, der in der taz von gestern die Studie als Beleg dafür heran gezogen hat, dass Studiengebühren gut sind (und das Fehlen einer Äußerung des ABS als Beleg dafür, dass dieses keine Argumente habe).
Beim heutigen Lesen der taz musste ich dann laut lachen. Der Füller’sche Kampagnenjournalismus hat sich nämlich heute schon wieder eine Drittelseite taz erobert. Unter der Überschrift „Gebührenstudie wird verschwiegen und runtergeredet“ heißt es da u.a.
„[…] Die Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft der Grünen twitterten in bester Margot-Honecker-Sprache, die Studie sei ‚komplex‘. Wenn es in der DDR hieß, irgendwo gebe es eine komplizierte Lage, dann wusste jeder Bescheid: Was nicht sein darf, das kann auch nicht sein.“
Also: weil ich das oben getwittert habe, weil ich Sprecher der grünen BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitil bin, weil meine Ko-Sprecherin Anja Schillhaneck es retweetet hat, und weil es so wunderbar in das Füller’sche Weltbild passt, landen wir so wie oben zitiert in der taz.*
Mal nachgefragt, was das „komplex“ heißt, hat der Christian Füller bei uns nämlich nicht.
Schade, dass das immer nur dann klappt, wenn’s die Einmannkampagne befüllen hilft. Eine taz, wie ich sie mir – auch als Genosse – wünschen würde, würde das Thema Studiengebühren nicht immer nur durch den einen Journalisten aufgreifen, der da seine ganz eigene Agenda verfolgt. Und würde eine noch so gut ins Konzept passende Studie wie die des WZB von mir aus würdigen, aber eben doch bitte auch kritisch abklopfen. Das allerdings wäre dann möglicherweise etwas zu komplex.
Warum blogge ich das? Als Beitrag zur angewandten Medienwirkungsforschung. Und weil ich mir eine fundierte Auseinandersetzung mit der WZB-Studie wünsche, diese selbst aber nicht leisten kann.
* Je nach Vokabular ist „komplex“ und „kompliziert“ übrigens nicht identisch. Und wie die Beschwichtigungssprachregeln in der DDR lauteten, weiß ich auch erst seit heute.
Disclaimer: Nur zur Sicherheit – dieser Blogbeitrag in meinem privaten Blog ist weder eine amtliche Stellungnahme der BAG WHT noch eine Meinungsäußerung meines Arbeitgebers.
Nachtrag: 1. Christian Füller besteht darauf, dass er versucht habe, meine Ko-Sprecherin Anja Schillhaneck zu kontaktieren – warum das der richtige Weg ist, um einen Tweet von mir zu recherchieren, sei dahingestellt.
2. Nicht vorenthalten möchte ich euch diese differenzierte Analyse der WZB-Studie durch Oliver Iost.
3. Auch der heute bekanntgegebene Abschlussbericht des Monitoring-Beirats BaWü kommt zu ähnlich vielschichtigen und heterogenen Resultaten, was die Effekte der Studiengebühren in Baden-Württemberg anbelangt.