Science Fiction und Fantasy im Mai 2025

Wildtal walk - XXII

For All Man­kind (Apple TV) funk­tio­niert für mich ein­fach. Ich habe gera­de das Fina­le der Staf­fel 4 gese­hen (das in einer alter­na­ti­ven Rea­li­tät in einer Mars­ko­lo­nie im Jahr 2012 endet), und bin begeis­tert davon, weil die Serie es schafft, Poli­tik, halb­wegs plau­si­ble Wis­sen­schaft bzw. halb­wegs plau­si­bles Inge­nieur­we­sen und ganz unter­schied­li­che (zwischen-)menschliche Per­spek­ti­ven zu ver­ei­nen. Das Netz sagt, dass aktu­ell eine fünf­te Staf­fel gedreht wird – und ja: die will ich sehen, und bin schon ein biss­chen ungeduldig.

Eben­falls gut gefal­len haben mir die ers­ten paar Fol­gen der Mur­der­bot-Ver­fil­mung (eben­falls auf Apple TV). Nach­teil: die ein­zel­nen Fol­gen sind nur 20 Minu­ten lang, das ist … kurz. Die Mur­der­bot-Dia­ries von Mar­tha Wells, die der Serie zugrun­de lie­gen, hät­te ich jetzt eher in die Kate­go­rie „schwer ver­film­bar“ gepackt – vie­le inne­re Mono­lo­ge des titel­ge­ben­den Andro­iden, eine teil­wei­se nur skiz­zier­te Zukunfts­welt – das wur­de aber durch­aus anseh­bar umge­setzt, mit Voice-Over und Ein­blen­dun­gen der aug­men­tier­ten Sicht von Mur­der­bot. Und Sanc­tua­ry Moon, die star-trek-arti­ge (na ja, noch soa­pi­ge­re) Serie in den Büchern, kommt auch genau so rüber, wie eine sol­che Serie aus­se­hen muss. 

Apro­pos Star Trek – aus der aktu­el­len Black Mir­ror-Staf­fel (Net­flix) habe ich mir bis­her nur den zwei­ten Teil zur USS Cal­lis­ter ange­schaut. Was pas­siert, wenn ein sich selbst für harm­los hal­ten­der Nerd gott­glei­che Fähig­kei­ten in einem vir­tu­el­len Spie­le-Uni­ver­sum („Infi­ni­ty“) erhält, und dann auch nicht davor zurück­schreckt, Klo­ne ech­ter Men­schen dort ein­zu­set­zen – davon erzähl­te der ers­te Teil. Der zwei­te Teil beginnt dort, wo der ers­te ende­te: unse­re Haupt­per­so­nen sind als Klo­ne die Besat­zung der U.S.S. Cal­lis­ter, und statt Aben­teu­er zu erle­ben, und Wel­ten zu sehen, die nie ein Mensch zuvor gese­hen hat, haben sie sich dar­auf ver­legt, Gamer*innen aus­zu­rau­ben, um so an die nöti­gen Cre­dits für Treib­stoff und ähn­li­ches zu kom­men. Das fällt auch in der ech­ten Welt auf – womit eine zwi­schen bei­den Wel­ten wech­seln­de Ver­fol­gungs­jagd bis ins Inners­te von Infi­ni­ty beginnt. 

Weni­ger anfan­gen konn­te ich mit Love, Death, Robots (Net­flix) – die meis­ten der aktu­el­len Geschich­ten drif­te­ten für mich zu sehr ins Hor­ror-Gen­re (oder waren alter­na­tiv plat­te Welt­be­herr­schungs­ver­su­che nicht explo­die­ren­der Kat­zen); und auch der Aus­flug ins Schis­ma­trix-Uni­ver­sum von Bruce Ster­ling mit „Spi­der Rose“ ret­te­te die aktu­el­le Staf­fel nicht.

Gele­sen habe das beein­dru­cken­de neue Werk von Nils Wes­ter­boer, Lyne­ham (2025). Das Buch lässt in einen im wört­li­chen wie über­tra­ge­nen Sin­ne in Abgrün­de schau­en. Das Sze­na­rio wirkt erst ein­mal bekannt: eine Kata­stro­phe macht die Erde lebens­feind­lich („der Welt­raum kommt“ – erst im Lauf des Buchs wird klar, was damit gemeint ist), mit Hil­fe von Sta­sis-Schlaf schaf­fen es eini­ge Über­le­ben­de auf einen fer­nen Pla­ne­ten (hier: den Mond „Perm“ des Gas­pla­ne­ten „Wind­lei­te“, der einen blau­en Stern umkreist). Perm soll­te längst geter­ra­formt sein, ist es aber nicht. Die Ober­flä­che ist brü­chig. In der Tie­fe leben „die Seis­mi­schen“, rie­sen­haf­te Wesen, die mit tek­to­ni­schen Pro­zes­sen inter­agie­ren. Auf der Ober­flä­che hat die Evo­lu­ti­on nicht nur Elek­tro­fres­ser geschaf­fen, son­dern auch sechs­bei­ni­ge – und gut getarn­te – Amphi­bi­en- und Säu­ge­tier­ana­lo­ge. In die­ser feind­li­chen Umwelt spielt sich das Leben weit­ge­hend in dem geschlos­se­nen und kon­trol­lier­ten Habi­tat „Lyne­ham A/Lyneham B“ ab – ein Kon­zept, das die auf Perm leben­den Men­schen von der Erde mit­ge­bracht haben. Inter­es­sant wird Lyne­ham nicht zuletzt durch die Erzähl­wei­se Wes­ter­boers. Die eine Per­spek­ti­ve ist die von Hen­ry, der mit sei­nen Geschwis­tern und sei­nem Vater auf Perm crash­ge­lan­det ist. Noch kein Teen­ager, eine fast noch kind­li­che Sicht­wei­se. Hen­ry war­tet auf sei­ne Mut­ter. Die soll­te nach­kom­men – bzw. war schon da, vor 10.000 Jah­ren (Welt­raum­flü­ge über sehr lan­ge Distan­zen im Sta­sis-Schlaf …). Ihre Per­spek­ti­ve, die einer extrem begab­ten Wis­sen­schaft­le­rin und zugleich distan­zier­ten Ein­zel­gän­ge­rin mit sehr genau­er Beob­ach­tungs­ga­be, macht die ande­re Hälf­te des Buchs aus. Und da schau­en wir dann ein zwei­tes Mal in Abgrün­de, in ihre eige­nen genau­so wie in die Lang­zeit­plä­ne des Unter­neh­mers Ray­ser, für den Perm nur ein Spiel­ball ist. Nach und nach setzt sich das Puz­zle zusam­men. Und neben­bei dis­ku­tiert Wes­ter­boer damit eini­ge gro­ße Fra­gen. Kind­li­che Per­spek­ti­ve, gut geschrie­ben, aber alles ande­re als ein Kin­der­buch. Gro­ße Empfehlung!

Gut unter­hal­ten hat mich die Storm­wrack-Serie von A.M. Dell­a­mo­ni­ca (die unter dem Namen L.X. Beckett mit Game­ch­an­ger und Dealb­rea­k­er auch sehr emp­feh­lens­wer­te Solar­punk-Bücher geschrie­ben hat). Die drei Bän­de von Storm­wrack („The Hid­den Sea Tales“) sind Child of a Hid­den Sea (2014), A Daugh­ter of No Nati­on (2015) und The Natu­re of a Pira­te (2016). Storm­wrack ist der Name einer par­al­le­len (oder mög­li­cher­wei­se auch zeit­lich ver­setz­ten …) Erde, die fast voll­stän­dig von Was­ser bedeckt ist. Es gibt Segel­schif­fe, es gibt Pira­ten, es gibt über 250 Insel­na­tio­nen – und es gibt Magie. Was es nicht gibt, ist Neu­gier und eine sys­te­ma­ti­sche Wis­sen­schaft. Sophie Han­sa, unse­re Hel­din, lan­det eines Tages – beim Ver­such, ihre bio­lo­gi­sche Mut­ter zu fin­den – in einem Hand­ge­men­ge, und kurz dar­auf auf Storm­wrack. Sie, die eigent­lich Tauch­ex­pe­di­tio­nen als Foto­gra­fin beglei­tet und ein gro­ßes Inter­es­se an Wis­sen­schaft hat, wird in die poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen Storm­wracks hin­ein­ge­zo­gen: der über hun­dert Jah­re zurück­lie­gen­de Waf­fen­still­stand zwi­schen skla­ven­hal­ten­den und frei­en Natio­nen ist in Gefahr, und ihr Auf­tau­chen kata­ly­siert die damit ver­bun­de­nen Pro­ble­me noch. Gleich­zei­tig ist jeder der Storm­wrack-Bän­de auch ein biss­chen Detek­tiv­ge­schich­te (CSI und Wis­sen­schaft hel­fen), und love inte­rests (homo- wie hete­ro­se­xu­el­le) tau­chen natür­lich auch auf. Gut gefal­len hat mir an die­ser Rei­he die Tat­sa­che, dass Sophie unse­re Gegen­wart mit sich rum­trägt – Text­nach­rich­ten und digi­ta­le Kame­ras, nerdi­ge Bezü­ge auf Sci­ence-Fic­tion-Seri­en, aber auch Wert­vor­stel­lun­gen. All das bil­det einen her­vor­ra­gen­den Kon­trast zu der Segelschiff-Erde. 

Unter­hal­ten hat mich auch The Blue, Beau­tiful World (2023) von Karen Lord. Hier habe ich aller­dings erst nach dem Lesen gemerkt, dass das der drit­te Band einer län­ge­ren Serie ist. Ließ sich auch so ver­ste­hen, und den Rest als Pre­quel lesen woll­te ich dann doch nicht. Har­ry Potter/Model UN meets tele­pa­thisch begab­te Ali­ens berei­ten die Erde auf den Erst­kon­takt mit der galak­ti­schen Zivi­li­sa­ti­on vor. Durch­aus span­nend, die Cha­rak­te­re – ins­be­son­de­re der jun­ge Kanoa – wach­sen einem an Herz, aber so rich­tig warm gewor­den bin ich nicht. Viel­leicht, wenn ich nicht bei Band drei ange­fan­gen hätte. 

Science Fiction und Fantasy im April (und Mai) 2025

Firenze, day 3 - Giardini di Boboli, Glasshouse - XI

Nicht zuletzt auf­grund des Ent­schlus­ses, erst ein­mal kei­ne wei­te­ren E‑Books bei Ama­zon zu kau­fen, habe ich im April ins­be­son­de­re Bücher gele­sen, die schon län­ger auf mei­nem Kind­le herumlagen.

Bruce Ster­ling hat die 2014er-Aus­ga­be des MIT-Sci­ence-Fic­tion-Review unter dem Titel Twel­ve Tomor­rows her­aus­ge­ge­ben. Dar­in fin­den sich Kurz­ge­schich­ten von gro­ßen Namen aus dem Cyber­punk-Umfeld. Wil­liam Gib­son mit einer Stu­die zu sei­nen Peri­phe­ral-Roma­nen fand ich ohne deren Kon­text nicht gut ver­ständ­lich, War­ren Ellis vage – umso inter­es­san­ter die Zukunfts­vi­sio­nen von Pat Cadi­gan, Lau­ren Beu­kes, Paul Gra­ham Raven und Ster­ling hims­elf. Allen gemein­sam: gut zehn Jah­re alte Near-Future-SF, die – mehr oder weni­ger cyber­pun­kig – sozio­tech­ni­sche Impli­ka­tio­nen erforscht, wirkt heu­te durch­wach­sen. Vie­les ist recht prä­zi­se extra­po­liert. An ande­ren Stel­len hat die Wirk­lich­keit die SF über­holt. Und die Hoff­nung auf spon­ta­ne, tech­no­lo­gisch ver­mit­tel­te Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in den Hin­ter­las­sen­schaf­ten der neo­li­be­ra­len Kata­stro­phe wirkt heu­te fast schon naiv. Statt ara­bi­schem Früh­ling gab’s Coro­na und Trump I und II, statt auto­no­men Netz­wer­ken das Meta-Goog­le-Apple-Ama­zon-Quar­tett. Aber gera­de des­we­gen: durch­aus inter­es­sant zu lesen.

In Notes from the Bur­ning Age (2021) von Clai­re North – die mir bis­her kein Begriff war, und wohl eini­ge span­nen­de Sachen geschrie­ben hat – geht es um eine etwas fer­ne­re Zukunft. Nach dem gro­ßen Crash wur­de die Welt in einem bewuss­te­ren und öko­lo­gi­sche­ren Maß­stab neu auf­ge­baut – auch auf­grund der Inter­ven­ti­on der Kakuy, Wesen, die die Natur ver­kör­pern, und um die her­um sich die in der Gegen­wart des Buches herr­schen­de Reli­gi­on ent­wi­ckelt hat. Ven ist ein Kind sei­ner Zeit, war Mönch die­ser Reli­gi­on, und zieht jetzt mit einer Mis­si­on durch die Pro­vin­zen des ehe­ma­li­gen Mit­tel­eu­ro­pas. Was bis hier­hin einen Solar­punk- oder Hope­punk-Roman beschrei­ben könn­te, nimmt eine ganz ande­re Wen­dung, denn wir erle­ben durch Vens Augen den Auf­stieg einer patri­ar­cha­len „Bru­der­schaft“, die zurück zur sagen­um­wo­be­nen fos­sil-faschis­ti­schen Moder­ne will. North beschreibt die sich dar­aus erge­ben­den Aus­ein­an­der­set­zung mit viel Lie­be zum all­täg­li­chen Detail. Gleich­zei­tig erin­nert mich (trotz ganz ande­rem World­buil­ding) Notes from the Bur­ning Age ein wenig an Iain M. Banks „Spe­cial Cir­cum­s­tances“ in sei­ner uto­pi­schen Cul­tu­re (oder an die „Sec­tion 31“ – aber mit Gewis­sens­bis­sen – im uto­pi­schen Star-Trek-Mythos). Lesenswert!

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Hoffnung am Ende der Welt

SEC, Glasgow - II

Die Welt drau­ßen ist mal wie­der ziem­lich am Ende. Zeit­ge­nös­si­sche Sci­ence Fic­tion reagiert dar­auf auf drei Arten: sie setzt sich ers­tens direkt damit aus­ein­an­der – da sind wir dann bei „Cli­Fi“, Cli­ma­te Fic­tion und Ver­wand­tem, sei es Kim Stan­ley Robin­son, sei es T.C. Boyle, sei es mit ande­rer Per­spek­ti­ve Neal Ste­phen­son. Oder bei Wer­ken, die ande­re Pro­ble­me, die wir gera­de haben, direkt lite­ra­risch ver­ar­bei­ten. Aus­gren­zung und Inklu­si­on beispielsweise. 

Die zwei­te Reak­ti­on ist Eska­pis­mus. Das muss nichts schlech­tes sein. Sci­ence Fic­tion lan­det dann bei­spiel­wei­se bei der neus­ten Form der Space Ope­ra. Einen sehr guten Über­blick dar­über, was da alles drun­ter passt, gibt Jona­than Stra­han in sei­ner gera­de erschie­ne­nen Antho­lo­gie New Adven­tures in Space Ope­ra. Mit Nor­man Spin­rad spricht er davon, dass es sich bei Space Ope­ra nach wie vor um „straight fan­ta­sy in sci­ence fic­tion drag“ han­delt. Das gilt auch für das, was in den 2020er Jah­ren pas­siert, nach dem Höhe­punkt der „new space ope­ra“. Nur dass die­se Tex­te diver­ser und mul­ti­per­spek­ti­vi­scher sind, und sich kri­ti­scher mit den Poli­ti­ken und Macht­ver­hält­nis­sen in den jeweils ima­gi­nier­ten Wel­ten aus­ein­an­der­set­zen, als dies davor der Fall war. 

Drit­tens, und damit sind wir beim The­ma die­ses Tex­tes, erschei­nen eine Viel­zahl von Geschich­ten und Büchern, die irgend­wo zwi­schen „cozy“, Hope­punk und Solar­punk ein­sor­tiert wer­den kön­nen. Obwohl es Über­schnei­dun­gen gibt, ist Solar­punk doch noch ein­mal etwas ande­res als Cli­ma­te Fic­tion, und ist „cozy“ SF&F nicht iden­tisch mit der 2020er-Fas­sung von Space Ope­ra. Wir kom­men gleich zu Defi­ni­tio­nen – hier sei aller­dings schon ein­mal gesagt, dass die­se Grenz­zie­hun­gen weni­ger hart sind, als sie manch­mal erschei­nen, und teil­wei­se noch im Ent­ste­hen befind­lich sind. Mir geht es vor allem dar­um, einen Blick auf etwas zu wer­fen, was ich als aktu­el­len Trend in Sci­ence Fic­tion (und ein­ge­schränkt: Fan­ta­sy) wahrnehme.

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Science Fiction und Fantasy im Januar 2024

Alter Friedhof, Freiburg - X

Zwei sehr unter­schied­li­che Bücher haben mich in die­sem Janu­ar sehr beein­druckt. Das ist zum einen The Saint of Bright Doors von Vajra Chandra­se­kera (2023). Fet­ter ist der Sohn eines Pro­phe­ten wird von sei­ner Mut­ter mit dem Ziel erzo­gen, die­sen Pro­phe­ten umzu­brin­gen. Er hat kei­nen Schat­ten, kann Geis­ter sehen und hat auch sonst die eine oder ande­re magi­sche Fähig­keit. In der von Chandra­se­kera ima­gi­nier­ten Welt mit vager süd-asia­ti­scher Anmu­tung ist das kei­ne Unge­wöhn­lich­keit. Gleich­zei­tig gibt es hier Mobil­te­le­fo­ne und Rea­li­ty TV, im Streit mit­ein­an­der lie­gen­de Par­tei­en, und, wie sich nach und nach her­aus­stellt, ein proto­fa­schis­ti­sches Regime, das Men­schen ohne Ankla­ge weg­sperrt. Vor die­sem Hin­ter­grund eman­zi­piert sich Fet­ter in der gro­ßen Stadt von sei­ner Kind­heit, scheint ein Leben jen­seits des Über­sinn­li­chen zu fin­den, um am Ende doch vor der Fra­ge zu ste­hen, wie er sich sei­nem Vater gegen­über ver­hal­ten soll. Die titel­ge­ben­den ver­wun­sche­nen Türen sind – zur War­nung – knall­bunt ange­stri­chen, und ein biss­chen ist das ein Detail, das für das Buch steht: tur­bu­lent, magisch, und doch glaub­wür­dig – und mit gro­ßen Fra­gen, die sich dahin­ter verstecken.

In gewis­ser Wei­se eben­falls ein Buch über Faschis­mus (und eine ande­re Her­an­ge­hens­wei­se an typi­sche SF-Moti­ve) in einem Sci­ence-Fic­tion-Set­ting ist zum ande­ren Some Despe­ra­te Glo­ry von Emi­ly Tesh (2023). Die Haupt­per­son, Val­kyr, ist Teil einer mili­ta­ris­ti­schen Wider­stands­be­we­gung Gaea, in der sich die letz­ten Über­le­ben­den der Erde nach deren Zer­stö­rung zusam­men­ge­fun­den haben, um gegen das feind­li­che, aus vie­len unter­schied­li­chen Spe­zi­es bestehen­de Ali­en-Reich zu kämp­fen, die eine Wun­der­waf­fe besit­zen. Val­kyr ist wie ihre Altersgenoss*innen Teil eines bru­ta­len Trai­nings­re­gimes mit dem Ziel, sie zu einer Eli­te­kämp­fe­rin zu machen. Pri­vat­sphä­re gibt es nicht, und der ein­zi­ge Lebens­zweck ist es, Rache an den Ali­ens zu neh­men. Val­kyr fal­len Unge­reimt­hei­ten auf. Nach und nach kom­men ihr Zwei­fel, die in einer Flucht aus Gaea mün­den. Das umfasst unge­fähr das ers­te Drit­tel des Buchs, und mehr will ich hier nicht ver­ra­ten, nur: es gibt meh­re­re Kipp­punk­te, an denen Tesh die gan­ze Geschich­te auf den Kopf stellt. Ins­ge­samt ist das ein her­vor­ra­gend geschrie­be­nes Buch, das nach und nach die gan­zen Annah­men der typi­schen mili­ta­ris­ti­schen Space Ope­ra aus­ein­an­der­nimmt, über Trau­ma­ta und Pro­ble­me spricht, für die es kei­ne ein­fa­che Lösung gibt. Ich fin­de den Ver­gleich mit Le Guin durch­aus gerechtfertigt.

Was habe ich noch gele­sen: Trans­re­al Cyber­punk (2016) ist ein Buch, in dem gemein­sam von Rudy Rucker und Bruce Ster­ling geschrie­be­ne Kurz­ge­schich­ten – von den 1980er Jah­ren bis heu­te – gesam­melt sind, jeweils mit einem Kom­men­tar der bei­den Autoren ver­se­hen, der eben­falls inter­es­sant ist. Allen Kurz­ge­schich­ten – die über­dreht mit Moti­ven des Cyber­punk und der Tech-Bubble spie­len – ist gemein­sam, das es jeweils ein mehr oder weni­ger kon­flik­tär zuein­an­der ste­hen­des Paar an Haupt­per­so­nen gibt, von denen eine das Alter Ego Ruckers, die ande­re das Alter Ego Ster­lings ist. Das Ergeb­nis ist min­des­tens amüsant.

Mit Ever­y­whe­re (2019) von Ian MacLeod habe ich noch einen zwei­ten Kurz­ge­schich­ten­band gele­sen (Ian MacLeod bit­te weder mit Ian McDo­nald noch mit Ken MacLeod ver­wech­seln!) – die­se Kurz­ge­schich­ten sind sehr natu­ra­lis­tisch geschrie­ben, sind teil­wei­se sehr düs­ter, ohne dass das auf den ers­ten Blick zu sehen ist, und haben alle einen SF/­Fan­ta­sy-Dreh.

Gele­sen habe ich dann noch Seth Dick­in­sons Exor­dia (2024), das gera­de erschie­nen ist. Gar nicht so ein­fach zu sagen, was ich davon hal­ten soll – einer­seits ist das ein extrem packen­des Buch, schließ­lich steht schon wie­der das Schick­sal der Mensch­heit auf der Kip­pe, und neben­bei wird es in die­sem SF-Thril­ler sehr nerdig, wenn es etwa um Prim­zahl­theo­rien, rei­ne Mathe­ma­tik oder Frak­ta­le geht (oder auch um die Geschich­te Kur­di­stans). Ande­rer­seits funk­tio­niert das Buch nur, weil See­len, eine Schöp­fungs­gott­heit und das abso­lut Böse als real ange­nom­men und dar­ge­stellt wer­den – und zum Gegen­stand von außer­ir­di­schen inge­nieur­tech­ni­schen Meis­ter­leis­tun­gen wer­den. Auch wenn das im Augen­blick des Lesens passt, bleibt ein selt­sa­mer Nachgeschmack.

Eben­falls düs­ter, eben­falls mit einer Erde, die vor ihrer Ver­nich­tung steht: Simon Stå­len­hags Bild­band The Laby­rinth (2021). Der war mir zu düs­ter, viel­leicht weil die unbe­schwert-nost­al­gi­schen Zwi­schen­tö­ne aus Tales from the Loop hier fehlten. 

Und jen­seits von SF & Fan­ta­sy habe ich noch Die Erfin­dung des Lächelns von Tom Hil­len­brand (2023) gele­sen – aus dem tat­säch­lich gesche­he­nen Raub der Mona Lisa 1911 zau­bert Hil­len­brand hier ein – wie heißt das so schön – Sit­ten­ge­mäl­de der Zeit vor den bei­den Welt­krie­gen, ein Paris, in dem tech­ni­sche, poli­ti­sche und künst­le­ri­sche Revo­lu­tio­nen auf­ein­an­der sto­ßen, und in dem es plau­si­bel erscheint, dass Picas­so gemein­sam mit Apol­lin­aire hin­ter dem Dieb­stahl der Mona Lisa steckt.

Auf dem Bild­schirm habe ich mir die Fol­gen 3 und 4 des Doc­tor Who Christ­mas Spe­cials ange­schaut, die ich deut­lich über­zeu­gen­der fand als 1 und 2, und außer­dem Zack Sny­ders Rebell Moon – bild­ge­wal­tig, aber ansons­ten eher Patch­work aus schon oft gese­he­nen Stücken.

Science Fiction und Fantasy im Frühling 2022, Teil I

All­mäh­lich wird es Zeit, die gan­zen Bücher und Filme/Serien, die ich im Früh­jahr ange­schaut habe, Revue pas­sie­ren zu las­sen. Und aus Grün­den tei­le ich das in zwei Bei­trä­ge – heu­te die Fil­me und Seri­en, die Bücher und Kurz­ge­schich­ten fol­gen spä­ter. Ange­guckt habe ich näm­lich – neben einem Rewatch der „Umbrel­la Aca­de­my“ mit mei­nen Kin­dern – ziem­lich viel. Also, eigent­lich nur einen Film – The Green Knight – und gleich vier­ein­halb Serien.

The Green Knight (2021), eine Adap­ti­on der Arthus-Sage, ist ver­dich­tet, hübsch anzu­schau­en, selt­sam, teil­wei­se poe­tisch, und das Ende ist unbe­frie­di­gend düs­ter. Letzt­lich steckt hier in etwas über zwei Stun­den ähn­lich viel Stoff wie in einer gan­zen Staf­fel einer Fan­ta­sy-Serie, aber im ver­dich­te­ten Fokus auf den jun­gen Sir Gawain (der nicht der titel­ge­ben­de Green Knight ist). Also durch­aus inter­es­sant und anse­hens­wert. Und man­ches erschließt sich erst im Nach­le­sen der Wiki­pe­dia-Beschrei­bung. (Machen das ande­re Men­schen auch so, nach dem Film­gu­cken erst mal nach­zu­gu­cken, was sie da gese­hen haben?)

Blei­ben wir bei Fan­ta­sy: The Wheel of Time (2022) ist eine von Ama­zon Prime groß bewor­be­ne Ver­fil­mung der Bücher (ab 1990 erschie­nen) von Robert Jor­dan, die ich aller­dings nicht gele­sen habe. In gewis­ser Wei­se das übli­che: Aus­er­wähl­te, Trau­ma­ti­sie­rung, ein Quest, der Kampf Hell gegen Dun­kel, ein Magie­sys­tem und eine unter­ge­gan­ge­ne Welt. Mir haben sowohl das Cas­ting der Haupt­per­so­nen als auch die Aus­stat­tung, die Kos­tü­me und der Wel­ten­bau (bei allen Plau­si­bi­li­täts­fra­gen) gut gefal­len. Was wahr­schein­lich auf die Vor­la­ge zurück­zu­füh­ren ist, ist der die Serie durch­zie­hen­de Dua­lis­mus: es gibt eine hel­le und eine dunk­le Sei­te, und es gibt eine Welt der Frau­en und eine Welt der Män­ner, die sich durch den Zugan­g/­Nicht-Zugang zu Magie unter­schei­det. Posi­tiv betrach­tet führt das in der ers­ten Staf­fel zu star­ken weib­li­chen Haupt­per­so­nen, aller­dings schwingt für mich da immer auch mehr als ein Hauch Essen­tia­lis­mus mit. Der zwei­te Punkt, bei dem ich mir nicht so sicher bin, was ich davon hal­ten soll (und wie viel davon aus Jor­dans Büchern kommt) ist der Umgang mit den fan­ta­sy-typi­schen sekun­da­ri­sier­ten eth­ni­schen Zuschrei­bun­gen. Das führt einer­seits zu einer im posi­ti­ven Sin­ne sehr divers aus­ge­stal­te­ten Welt, in der unter­schied­li­che Kul­tu­ren, Haut­far­ben, Her­künf­te vor­kom­men, ande­rer­seits sind das teil­wei­se nur sehr dünn über­tünch­te Kli­schees real exis­tie­ren­der Kul­tu­ren, von tra­vel­lers über pseu­do-ara­bi­sche bis hin zu irgend­wie asia­ti­schen Tra­di­tio­nen. Rich­tig selt­sam wird das, wenn einem auf­fällt, dass die wich­tigs­ten Ant­ago­nis­ten der ers­ten Staf­fel dun­kel­häu­tig sind – und der Haupt­geg­ner, The Dark One, bzw. sein Ava­tar Isha­ma­el, an anti­se­mi­ti­sche Kari­ka­tu­ren erin­nert. Soll das so sein?

Die zwei­te Ver­fil­mung einer Buch­rei­he mit Klas­si­ker­sta­tus, die ich mir ange­schaut habe, ist die ers­te Staf­fel von Foun­da­ti­on (2021) nach den Büchern von Isaac Asi­mov. Nomi­nell Sci­ence Fic­tion, in der Jahr­tau­sen­de umspan­nen­den, teil­wei­se mythisch auf­ge­la­de­nen Fas­sung von Sci­ence Fic­tion taucht dann aber doch das eine oder ande­re Fan­ta­sy-Ele­ment auf. Es ist eine Wei­le her, dass ich Asi­movs Foun­da­ti­on gele­sen habe, und ich war mir nicht so sicher, wie die dem Buch zugrun­de­lie­gen­de Psy­cho­his­to­rik als mathe­ma­tisch-sto­chas­tisch basier­ter Blick in die Zukunft in Bil­der umsetz­bar ist. Das ist der Ver­fil­mung gut gelun­gen, wie über­haupt eini­ges an Wow-Effek­ten und span­nen­den ästhe­ti­schen Ent­schei­dun­gen in der ers­ten Staf­fel steckt. Und die Moder­ni­sie­run­gen, die Apple TV bei der Ver­fil­mung vor­ge­nom­men hat – etwa die Ein­fü­gung der einen oder ande­ren weib­li­chen Haupt­per­son in das weit­ge­hend rein männ­li­che Per­so­nal der 1951er Buch­fas­sung – fin­de ich ziel­füh­rend und sinn­voll. Anschaubar.

Und noch eine Buch­ver­fil­mung – The Expan­se ist mit sechs­ten Staf­fel (2021/22) zu Ende gegan­gen, und es ist klar, dass trotz des einen oder ande­ren offe­nen Hand­lungs­fa­dens und Vor­ah­nung wohl – zunächst – kei­ne Fort­set­zung geplant ist. Was scha­de ist, aber immer­hin kommt die Serie in der sechs­ten Staf­fel in gelun­ge­ner Wei­se zu einem Ende. Über alle sechs Staf­fel hin­weg über­zeug­te mich die Mischung aus gro­ßer sola­rer Geo­po­li­tik zwi­schen Erde, Mars und dem „Belt“, dem Aste­ro­iden­gür­tel – und jetzt der Welt hin­ter dem Ring -, über­wie­gend rea­lis­ti­scher Sci­ence-Fic­tion (mit einem zum Glück nur in klei­nen Men­gen bei­gemisch­tem Anteil Hor­ror) und den per­sön­li­chen Ent­wick­lun­gen und Span­nun­gen in der Besat­zung der Rocinan­te. Viel­leicht geht’s ja doch noch weiter.

Dann noch­mal Sci­ence Fic­tion – die zwei­te Staf­fel von Picard (2022) spielt zwar nomi­nell im Star-Trek-Uni­ver­sum, ist aber eigent­lich eine ganz ande­re Geschich­te – über den inner space von Picard und die Trau­ma­ta, die er in sei­ner Kind­heit erlebt hat, über die Ein­sam­keit der Borg – und über die 2020er Jah­re auf der Erde. Dass dafür ein ganz gro­ßer Zeit­rei­se-Bogen gespannt wer­den muss, und nicht immer alles logisch auf­ein­an­der auf­baut: geschenkt. 

Und last but not least: Net­flix hat sei­ner Hor­ror/­Sci­ence-Fic­tion-Antho­lo­gie Love, Death & Robots (2022) eine drit­te Staf­fel gegönnt. Ich habe noch nicht alle Fol­gen ange­schaut, fin­de aber das Kon­zept, Kurz­ge­schich­ten knapp (10–20 Minu­ten je Fol­ge) zu ver­fil­men, zumeist als 3D-Ani­ma­ti­on, durch­aus über­zeu­gend. „The Swarm“ basie­rend auf einer schon etli­che Jah­re alten Kurz­ge­schich­te von Bruce Ster­ling ist nah am Text, wirk­te mir optisch aber zu sehr nach Com­pu­ter­spiel (und außer­dem habe ich mir den Schwarm ganz anders vor­ge­stellt). John Scal­zis drei Robo­ter sind dage­gen ein extrem pas­sen­der Kom­men­tar zur aktu­el­len Lage in den USA. Beson­ders emp­feh­lens­wert fin­de ich die Ver­fil­mung von Micha­el Swan­wicks „The Very Pul­se of the Machi­ne“, allein schon wegen der an Moe­bi­us erin­nern­den gra­fi­schen Umsetzung.