Futuristisches französisches Design – seltsam geschwungene Linien und Farben – sind vielleicht der richtige Kommentar zu der Konferenz, an der ich gerade zeitweise teilgenommen habe. Das Design liefert der TGV, der mich von Zürich, der unbekannten Metropole in den Bergen, zurück zur deutschen Grenze bringt. Der diesjährige Kongress der Schweizer STS-Community (STS steht je nach Kontext für Science, Technology, Society oder für Science & Technology Studies) stand unter dem Motto „ScienceFutures“: wissenschaftliche Zukunftsbilder, Zukunftsforschung, literarische und künstlerische Verarbeitungen etc.
Die angesprochenen Design-Eigenheiten sind in diesem verrauschten Handy-Foto eher zu erahnen denn zu sehen
Da ich nur an zwei der dreieinhalb Kongresstage teilnehmen konnte, kann ich zum eigentlich Kongressprogramm gar nichts richtig ausführliches sagen. Es war jedenfalls bunt gemischt; so richtig fremd fühlt man sich als Soziologe erst, wenn die Debatte zwischen Designern, Literaturwissenschaftlerinnen und „hard scientists turned historians of their discipline“ stattfindet. Aber ich schweife ab, und auch das eindrucksvolle Innere der ETH Zürich soll hier nicht Thema sein. Mich hatten vor allem die Science-Fiction-orientierten Panels angezogen (u.a. gab es einen schönen Vortrag über das Wissenschaftsbild in Greg Egans Distress und Kim Stanley Robinsons Antarctica). Selbst habe ich auch was vorgetragen; unter dem Titel „From Ecotopia to everyday life: the making of sustainability“ habe ich angeschaut, wie ein praxistheoretische, auf Akteurs-Netzwerke gestützter Ansatz auf Diskursfragmente – hier das für den „Neuen-Lebensstil-Diskurs“ der 1970er Jahre typische Buch „Ecotopia“ von Ernest Callenbach – angewendet werden kann. Und wie immer zuviel reingepackt; dazu, danach zu fragen, ob die heutigen „multiple sustainabilities“ eigentlich eine ähnlich aussagekräftige Utopisierung erfahren, bin ich gar nicht mehr gekommen (BTW: www.utopia.de ist in dem Kontext auch interessant, gerade weil’s keine Utopie sucht, darstellt, ist).
Ziemlich typisch für die STS-Community sind Grenzüberschreitungen der verschiedensten Art; Disziplingrenzen werden genauso überwunden, durchbrochen oder übersetzt wie die Grenzziehungen zwischen Kunst und Wissenschaft, sei es als Gegenstand der Forschung, sei es als Thematisierungsform. Das finde ich sympathisch, wenn auch manchmal etwas anstrengend. Siehe oben die Bemerkung zur soziologischen Fremdheitserfahrung. Das letzte Panel auf diesem Kongress (glücklicherweise dorthin verschoben, sonst hätte ich nicht teilnehmen können) stellte eine aus meiner Sicht besonders innovative Form dar, etalierte wissenschaftliche Routinen und Praktiken fragwürdig werden zu lassen und einen Reflektionsraum zu schaffen. Michael Guggenheim, Rainer Egloff und Sha LaBare haben unter dem Titel „The Science Fiction of STS“ an die Stelle der üblichen Präsentationen reflexive Narrative aus den Genres Science Fiction bzw. Fantasy gesetzt, um so die Zukünfte der STS auszuloten. Dies war auf jeden Fall unterhaltsam. Ob das Reflektionsziel erreicht wurde, – da bin ich mir nicht so sicher. Guggenheim trat in der Rolle des seiner Allgegenwart müden „Actualiser“ auf: aus dem follow the actors wird ein eliminate contingency, eliminate history, wenn die STS-Forschung einem selbstbewussten Computer übertragen wird. Egloff bezog sich in seiner verschachtelten Erzählung darauf und diskutierte in Form eines Briefes aus dem wissenschaftlichen Untergrund die Grenzen und Notwendigkeiten linksintellektuellen Engagements. Eine etwas andere Perspektive nahm LaBare ein, der in die Rolle eines Drachens – bei LeGuin können Drachen nur wahr lügen – schlüpfte und über Lernen und Vergessen und die Vorzüge der Ignoranz berichtete.
Typischer Blick von der ETH auf die Stadt. Und unter den komischen Kegeln liegt die Vorfahrt Leopoldstraße im dritten Tiefgeschoss, oder so.
Wie gesagt, als Experiment auf jeden Fall spannend. Was allerdings nicht so gut funktionierte, war Kommunikation innerhalb dieses narrativen Rahmens. Erst traute sich niemand, fragen zu stellen (wiss. Konferenzen funktionieren bekanntlich nach dem Muster Vortrag-Fragen-Vortrag-Fragen-Vortrag-Fragen-Dank), und als es dann doch noch zu einer Debatte kam, war dies vor allem eine darüber, was solche Grenzüberschreitungen bewirken. Einen Diskutanten erinnerte das alles – positiv oder negativ gemeint, blieb unklar – sehr an die 1970er Jahre. Die Zukunft der STS, die Frage, ob eine Konferenz zur Wahrheitsfindung beiträgt, und das kritische Engagement von Intellektuellen wurden dagegen in der Diskussion nicht thematisiert (wohl aber in der anschließenden Kaffeepause).
Züri at night – viel besser als die meisten anderen Großstädte im näheren Umfeld meines Wohnorts.
Mein persönliches Fazit: sich bewusst zu sein, dass auch wissenschaftliche Texte Narrationen sind ist ebenso fruchtbar wie das Spiel mit den Grenzen des Genres. Für eine Integration derartiger Formen in die alltäglichen Praktiken wissenschaftlichen Austausches scheint mir dagegen mehr notwendig zu sein als einfach nur der Austausch des Vortragsformat mit dem Erzählungsformat. Hier ist noch Brückenbauarbeit zu leisten. Dann könnte daraus auch methodologisch etwas spannendes werden.
Warum blogge ich das? Um ein paar Gedanken zum interessantesten Element dieser Konferenz loszuwerden, und weil ich mich an der Grenze zwischen STS und Soziologie stehend in der STS immer nur halb heimisch fühle.
P.S.: Bilder folgen, sobald die Telekom in der Lage ist, mir nicht nur die DSL-Hardware, nach einer Erinnerung dann auch eine DSL-Leitungsfreischaltung, sondern auch eine Anschlusskennung zuzuschicken.
Update: Der Telekom ist’s gelungen. Also bitte: Bilder.