Vermutlich wird im Rückblick die Ästhetik der 2020er Jahre ganz eindeutig zu erkennen sein – geprägt von KI-generierten Bildern, Filtern und Instagramm. Das Bild oben ist ein „echtes“ Foto – also zumindest so echt, wie das, was das iPhone ausspuckt, wenn einmal ein bisschen an den Filtereinstellungen herumgespielt wurde. Und stand nach dem Frühstück noch auf dem Tisch herum, so dass nur mit leichten Verschiebungen der Gegenstände – Quitte und Apfel, ein Töpfchen mit Zimt und Zucker, ein Herbstblumenstrauß aus dem eigenen Vorgarten und die schnell fleckig werdende Wasserkaraffe – ein stilllebentaugliches Bild entstand.
Photo of the week: Werkbund, Berlin
Ende September war ich kurz in Berlin, vor allem, um an der Konferenz „Mut macht Zukunft“ der grünen Bundestagsfraktion teilzunehmen. Etwas Zeit am Tag davor konnte ich bei schönstem Herbstwetter zum Spazierengehen nutzen – von der East Side Gallery zur Spreeinsel. Neben den letzten Resten des Berlin Marathons und dem „Holzmarkt“ (der mich sehr an bestimmte Ecken in Freiburg erinnerte) habe ich die Zeit genutzt, ins Werkbundarchiv („Museum der Dinge“) zu gehen. Bzw.: ich hatte das vor, richtig viel zu sehen gab es allerdings nicht, weil das Museum nach einem zwangsweisen Umzug gerade umgebaut wird. Ich konnte einen kurzen Blick auf die Frankfurter Küche erhaschen und mir die kleine Ausstellung „Profitopolis oder der Zustand der Stadt“ angucken.
Die war insofern interessant, weil sie die heutige Debatte über Miethöhen, Bodenspekulation und Städteplanung in den Kontext ähnlicher Diskussionen zum einen in den 1920er und 1930er Jahren, zum anderen – wie im Foto oben zu sehen – in den 1970er und 1980er Jahren stellte. Mindestens drei der hier abgebildeten Bücher finden sich auch in unserem häuslichen Bestand, ich bin mit diesen Debatten aufgewachsen. Insofern: interessant zu sehen, wie die Umgestaltung der Stadt vor fünfzig Jahren diskutiert wurde, samt Originalmitschnitten aus damaligen Fernsehsendungen etc. Haben wir was daraus gelernt? Oder sind wir im Pendelausschlag der Geschichte wieder an einem ähnlichen Punkt angekommen?
Randbemerkung zum neuen Auftritt Baden-Württembergs
Seit einigen Tagen ist das neue „Corporate Design“ für das Land Baden-Württemberg live, und ich fremdle noch sehr damit. Ein bisschen was zu den Hintergründen des „CD“ steht beim Designtagebuch. Im Kern wurde der Schritt, der mit der LÄND-Kampagne 2021 gestartet wurde, weiter umgesetzt: Konzentration auf ein knalliges Zitronengelb plus Schwarz (als Zitat der Landesfarben Gold und Schwarz), Reduzierung der grafischen Elemente, vereinfachte Typografie, Knalleffekte. Was mit „LÄND“ und ähnlichen Kampagnen (wie dem sehr schönen THENERDLAEND.COM des Wissenschaftsministeriums) begonnen hat, wird jetzt auf die Landesverwaltung insgesamt ausgerollt.
Bisher verwendeten die Websites und Publikationen des Landes eine Serifenschrift (eine Garamond, glaube ich), ein pastelliges Gelb (von dem ich irgendwann mal gehört habe, dass es von der Wandfarbe der badischen Finanzämter kommt, ob das stimmt, weiß ich nicht) und das Landeswappen mit Zierrat, wie es im Wappengesetz festgelegt ist. Neben den drei Löwen (staufischen Pantern) finden sich da ein Greif für Baden und ein Hirsch für Württemberg sowie klein in der Krone des Wappens Verweise auf unterschiedliche Landesteile. Das Wappen wird so seit 1954 verwendet, der landesweit einheitliche Auftritt seit den 2000ern, wenn mich nicht alles täuscht. Davor finde ich vor allem das Landeswappen in schwarz-weiß mit dem Serifenschriftzug „Baden-Württemberg“.
Jetzt wurde das Wappen im Auftritt des Landes in Web und Print radikal auf die drei Löwen – in stilisierter Form – reduziert, dazu kommt in serifenloser Schrift der Name der jeweiligen Behörde. Im Beispiel oben das Verkehrsministerium. Zudem hat jedes Ministerium noch eine sehr reduzierte, fast schon typografische Grafik bekommen, die den jeweiligen Gegenstandsbereich darstellt (hier: Flugzeuge und Elektroautos). Bei der Deutschen Bahn habe ich unlängst ähnliches gesehen, das scheint gerade Mode zu sein.
bisheriges Logo | neues Logo |
Ich fremdle noch mit diesem neuen Auftritt. Zum einen finde ich die Farbgebung sehr grell. Das mag modern wirken (dazu gleich mehr), nimmt aber auch Bezüge zu „Heimeligkeit“ weg, die eben auch zu diesem immerhin seit 1954 bestehenden Bundesland gehören. Ähnliches lässt sich über den Wegfall von Wappen und Serifenschrift sagen. Neben dem etwas altbackenen, aber auch gemütlichen Aspekt, der dadurch ausgestrahlt wurde, hat das Wappen als Hoheitszeichen immer auch „das hier ist ein Staat“ signalisiert, also Bezüge zu einer langen Traditionslinie der Eigenständigkeit – und einer gewisse Amtsautorität – aufgemacht. Das fällt jetzt eher weg.
Jetzt also: drei Löwen und ein Schriftzug. Das könnte auch ein Konzern sein. Mich erinnert es an die Gestaltungssprache der 1970er Jahre. Grafisch reduzierte Formen, starke Kontraste, keine Details, eine serifenlose Schrift (damals gerne die Helevetica) – München 1972, reduzierte Logos etwa der Deutschen Bank, von Beiersdorf oder der DLR. Und auch die Bundesrepublik Deutschland verwendete in den 1970ern einen stilisierten Adler plus serifenloser Schriftzug als „Absender“. Das passt eher zu Lothar Späth als zu Winfried Kretschmann. Oder täusche ich mich da?
(P.S.: Grafisch ganz furchtbar finde ich das neue „reduzierte Wappen“ / „extended Logo“)
Und gleichzeitig fällt mir das Niedersachsen-Pferd ein. Das weiße Pferd auf rotem Wappenschild ist bis heute – bzw. heute wieder – auf dem Webauftritt etc. der Landesregierung Niedersachsens zu finden. 1990 gab es einen Versuch, den Auftritt zu modernisieren. Aus dem Pferdewappen wurde ein stilisiertes Logo – im Netz finde ich leider kein Beispielbild dafür. Das blieb aber nur wenige Jahre in Verwendung. Mit dem Regierungswechsel von der SPD zur CDU wurde wieder das alte Landeswappen im Auftritt des Landes eingeführt.
Mal schauen, ob es dem grellgelb-schwarzen Auftritt Baden-Württembergs anderes ergeht. Oder ob sich durchsetzt, dass Baden-Württemberg das „gelbe“ Land ist. Was auch immer das politisch bedeutet.
Kurz: Die nähere Vergangenheit im Museum
In den letzten Wochen habe ich mir gleich zweimal Ausstellung angesehen, die sich der näheren Vergangenheit – konkret den 1970er und 1980er Jahren – widmen. Mit meinem Jahrgang, 1975, fühlt sich das etwas seltsam an, und gefühlt ist zumindest der Teil, den ich bewusst erlebt habe, also so etwa die zweite Hälfte der 1980er von Kohl über Tschernobyl bis zur deutschen Einheit, doch gerade erst gewesen.
Konkret: in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart läuft noch bis 27. August 2023 die kleine, aber fein gemachte und gut zusammengestellte Ausstellung Atom. Strom. Protest. Die für die politische Kultur Baden-Württembergs sehr prägende Debatte um die zivile Nutzung der Atomkraft wird hier nicht nur mit Bezug auf den erfolgreichen Kampf um ein AKW in Wyhl dargestellt, sondern breiter gefasst. Auch die Pro-Atom-Seite wird ausführlich gewürdigt. Das alles mit vielen Archivalien, relevanten Gegenständen und anhand einiger Lebensläufe. Die Ausstellung im WLB-Neubau ist kostenlos besuchbar. (Das Foto oben zeigt ein Mitmach-Element: historisierte Protestplakate, die allerdings für diese Ausstellung neu entstanden sind.)
Im Badischen Landesmuseum Karlsruhe geht es viel breiter gefasst noch bis Februar um die 1980er Jahre, die „wieder da“ sind. Trotz Eintritt stand hier eine lange Schlange vor der Kasse. Die Ausstellung im Karlsruher Schloss gliedert sich in Politik (natürlich auch Atomproteste, aber auch Frieden und Aufrüstung, Waldsterben und Wiedervereinigung), Pop/Musik und Alltagskultur (von Einrichtungsgegenständen bis zu Interrail und Privatfernsehen); das ganze dann jeweils noch mit dem BRD- und dem DDR-Blick. Die 80er sind im Museum verbunden mit viel Nostalgie und der Möglichkeit, sich zu beteiligen und hier und da auch interaktiv mitzumachen. Zielgruppe: 45 bis 55-Jährige (und deren Kinder). Wiedererkennungseffekt: sehr groß. Inklusive: steht bei uns auch noch irgendwo im Regal …
P.S.: Zu beiden Ausstellungen gibt es sehr gut gemachte Kataloge (bei den Atomprotesten ein Buch, die 80er aus Karlsruhe überzeugen mit einem „Magazin zur Ausstellung“, das im Layout Anleihen an Tempo etc. nimmt, und inhaltlich fast besser – informativer, facettenreicher, vielfältiger – als die Ausstellung selbst ist. Bonus: immer wieder wird auf Freiburg rekurriert – und SF und Cyberpunk finden auch ihren Platz).
P.P.S.: Abraten würde ich dagegen von dem in Karlsruhe zum Verkauf stehenden Band Das waren unsere 80er von Christoph Quarch und Evelin König. Der wirkt zunächst wie ein heiter-nostalgisches Generationenportrait, entpuppt sich auf der Tonspur allerdings als schwer auszuhaltende Besserwisserei zur These der einzig wahren Generation, in der noch alles gut war … Gefühl beim Lesen: würde den Autor (und in zweiter Linie seine Ko-Autorin) gerne laut und deutlich auf blinde Flecken, unzulässige Verallgemeinerungen der eigenen Biografie und ein sehr schräges Verständnis der Gegenwart hinweisen. Nein, trotz viel Natur, wenig komplexen Fernsehprogrammen und Rumhängen in der Clique war früher nicht alles besser, und weder ADHS noch Mobbing sind Erfindungen der Gegenwart.
Auf Monsterjagd
Die meisten werden es kennen, von Partys oder vom Versuch, Kinder auf Bahnfahrten zu beschäftigen: Ein Papier wird mehrfach gefaltet, reihum wird ein Teil einer Person gemalt, ohne den Rest zu kennen, und das Ergebnis sieht dann meist ganz lustig aus.
Das gibt es auch in digital, unter monsterland.net findet sich beispielsweise ein solches Onlinespiel. Damit lässt sich sehr viel Zeit verbringen, insbesondere dann, wenn eine Eingabe per Stift und damit ein echtes Zeichnen möglich ist. Die entstehenden Monster sind teilweise kunstvoll, teilweise überraschend – und teilweise großer Mist. Wie bei der Papiervariante kommt es darauf an, dass die Übergänge zwischen Kopf, Bauch und Füßen hinreichend klar sind, so dass die nächste Person weiß, was sie zu tun hat. Und je nachdem kann die Freude oder die Enttäuschung groß sein, wenn das „eigene“ Monster sich als Schönheit entpuppt oder völlig verhunzt ist, weil die dritte Zeichner*in partout nicht kapiert hat, was die Idee war. Und manchmal entstehen aus unerwarteten Kombinationen überraschende Dinge.