Kurz: Der langsame Abschied von den US-Plattformen

Wäh­rend die ver­gan­ge­nen Kon­to­aus­zü­ge von Bestel­lun­gen bei Ama­zon (vie­les E‑Books, aber auch ande­res, von Kla­mot­ten und Spie­len bis hin zu Haus­halts­ge­rä­ten) nur so wim­mel­ten, fin­den sich im März nur noch zwei Ama­zon-Buchun­gen – noch nut­ze ich Ama­zon Prime und einen Video­ka­nal*. Dass das so ist, war eine halb­be­wuss­te Ent­schei­dung; ein Unter­bre­chen der ein­ge­üb­ten Prak­ti­ken beim Online-Bestel­len, in zwei­er­lei Hin­sicht: ein­mal, dar­über nach­zu­den­ken, ob ich Was-Auch-Immer wirk­lich haben will, und ein­mal, um es dann eben nicht bei Ama­zon zu bestel­len, son­dern zu gucken, ob das Ding auch anders­wo im Netz zu fin­den ist. Und meis­tens ist das so.

Schwer fällt mir die­ser Abschied von „der“ Online-Han­dels­platt­form vor allem in einem Punkt: bei digi­ta­len Büchern. Hier habe ich noch kei­nen guten Work­flow gefun­den, um eng­lisch­spra­chi­ge Wer­ke anders­wo zu bestel­len und zu lesen. Ein Ver­such, ein SF-Buch über Goog­le Books zu kau­fen, ende­te damit, dass sich das gekauf­te Buch weder auf dem PC noch auf einem der Mobil­ge­rä­te öff­nen lässt, weil irgend­wel­che Kopier­schutz­re­geln es ver­hin­dern. Und eigent­lich wür­de ich ger­ne die bei­den Kind­le-Lese­ge­rä­te, die hier rum­schwir­ren, wei­ter nut­zen. Vor­erst behel­fe ich mir, erst ein­mal kei­ne neu­en Bücher zu kau­fen (es gibt noch sehr viel unge­le­se­ne in diver­sen Sta­peln), bzw. im Zwei­fel auf auch über ande­re Platt­for­men erhält­li­che gedruck­te Fas­sun­gen aus­zu­wei­chen. Auf die Dau­er ist das aber kei­ne Lösung. Wenn also jemand einen erprob­ten Weg kennt, digi­ta­le Bücher ohne Ama­zon zu erwer­ben und zu lesen, neh­me ich hin­wei­se ger­ne ent­ge­gen (und ja, theo­re­tisch lie­ße sich Calib­re als Cli­ent-Ser­ver-Sys­tem auf­set­zen, das mir momen­tan aber noch zu kompliziert …). 

Deut­lich schwie­ri­ger als der Abschied von Ama­zon sieht es bei den ande­ren Platt­for­men aus. Na gut, Twitter/X hat mich raus­ge­wor­fen, seit­dem habe ich kei­ner­lei Lust ver­spürt, dahin noch ein­mal zurück­zu­keh­ren. Bei Meta nut­ze ich Face­book (und Insta­gram für den grü­nen Orts­ver­band, und Whats­app für ein paar weni­ge Kon­tak­te). Micro­soft wird mit Win­dows 11 und Copi­lot, mit Abo-Model­len für MS Office etc. zuneh­mend unat­trak­tiv, noch läuft auf einem mei­ner bei­den pri­va­ten Rech­ner aber Win­dows, und auf dem Dienst­lap­top eh – da habe ich aber kei­nen Ein­fluss drauf. Dito das Dienst­han­dy, das das gan­ze Apple-Öko­sys­tem hin­ter sich her­zieht. Ganz schwie­rig sieht’s bei Pay­pal und bei Goog­le aus, da sehe ich noch kei­ne wirk­lich gute Alter­na­ti­ve für die Art, wie ich deren Pro­duk­te aktu­ell nut­ze. Auch da: ger­ne Tipps in den Kommentaren!

* Es wäre groß­ar­tig, wenn Star Trek sich ent­schei­den könn­te, über eine ande­re Platt­form als Para­mount+ via Ama­zon Prime ver­füg­bar zu sein.

Photo of the week: Garden in spring – XVII (tapestry)

Garden in spring - XVII (tapestry)

 
Luxus­pro­blem: alles blüht im Gar­ten – hier noch For­sy­thie und Pflau­me, aktu­ell Kir­sche und Bir­ne, wei­ter­hin Schlüs­sel­blüm­chen, in Kür­ze der Bär­lauch, und auch die Johan­nis- und die Sta­chel­bee­ren bie­ten ihre (unschein­ba­ren) Blü­ten Bie­nen und Co. an. Wür­de auch ein schö­nes Tape­ten­mus­ter ergeben … 

Im Hyperloop-Flugtaxi unter schwarz-rot-blauer Flagge

Am Schluss ging’s dann schnel­ler als erwar­tet: heu­te hat die schwarz-rot-blaue Koali­ti­on den Ent­wurf ihres Koali­ti­ons­ver­trags vor­ge­stellt. Auf 144 Sei­ten wird – immer unter Finan­zie­rungs­vor­be­halt – skiz­ziert, was Merz und Co. in den nächs­ten vier Jah­ren vor haben – jeden­falls dann, wenn die Gre­mi­en von CDU und CSU zustim­men und die SPD-Mit­glie­der ihren Dau­men heben.

Beant­wor­tet ist jetzt auch die Fra­ge nach der Auf­tei­lung der Res­sorts auf die koalie­ren­den Par­tei­en. Es kur­sier­ten zwar heu­te früh schon Lis­ten mit Namen (u.a. wur­de Andre­as Jung aus Baden-Würt­tem­berg da schon zum CDU-Umwelt­mi­nis­ter aus­ge­ru­fen). Die Auf­tei­lung der Res­sorts im Ver­trag selbst sieht jetzt aber doch noch ein­mal anders aus. Und Namen gab es in der Pres­se­kon­fe­renz nicht – mal sehen, wann die­se nach­ge­reicht werden. 

Dem­nach wird die CDU neben Bun­des­kanz­ler und Minis­ter im Bun­des­kanz­ler­amt die Res­sorts für Wirt­schaft und Ener­gie (aber ohne Kli­ma­schutz), das Aus­wär­ti­ge Amt, das neu zusam­men­ge­stell­te Minis­te­ri­um für Bil­dung, Fami­lie, Senio­ren und Frau­en, das Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um, das Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um – das heu­te früh noch ein umfas­sen­de­res Infra­struk­tur­mi­nis­te­ri­um war – und das neue Minis­te­ri­um für Digi­ta­li­sie­rung und Staats­mo­der­ni­sie­rung beset­zen. Letz­te­res klingt ein wenig nach DOGE; ich hof­fe, dass die Ankün­di­gung, das Per­so­nal der Bun­des­be­hör­den zu redu­zie­ren, nicht zu ähn­li­chen Kahl­schlä­gen führt wie in den USA.

Die SPD benennt sie­ben Minister*innen: den Finanz­mi­nis­ter (ver­mut­lich Lars Kling­beil) und die Minister*innen für Jus­tiz und Ver­brau­cher­schutz, für Arbeit und Sozia­les, für Ver­tei­di­gung (ich tip­pe drauf, dass das wei­ter Pis­to­ri­us machen wird), für Umwelt, Kli­ma­schutz, Natur­schutz und nuklea­re Sicher­heit, für Wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (das also nicht im AA lan­det) und für Woh­nen, Stadt­ent­wick­lung und Bauwesen.

Bei der CSU wird’s klas­sisch mit Innen auf der einen und Ernäh­rung, Land­wirt­schaft und Hei­mat auf der ande­ren Sei­te. Dazu kommt dann ein „Super­hightech­mi­nis­te­ri­um“ für For­schung, Tech­no­lo­gie und Raum­fahrt, bei dem Star-Trek-Fan Söder ins gro­ße Schwär­men kam. Der Minis­ter oder die Minis­te­rin (ich tip­pe auf Doro Bär) darf dann Quan­ten, KI, Fusi­ons­kraft­wer­ke, Hyper­loops, Flug­ta­xis und was noch alles schö­nes in Bay­ern gibt, finan­zie­ren. Ob die Hoch­schu­len hier oder zwi­schen Bil­dung, Jugend und Senio­ren gelan­det sind, scheint mir noch nicht ganz klar zu sein.

Und inhalt­lich? Bis­her habe ich die 144 Sei­ten nur über­flo­gen. An eini­ges Stel­len gibt es posi­ti­ve Auf­fäl­lig­kei­ten (etwa bei der Zusa­ge für das Deutsch­land­ti­cket), die eine oder ande­re Grau­sam­keit wur­de zurück­ge­stellt – Selbst­be­stim­mungs­ge­setz und Can­na­bis­ge­setz sol­len „ergeb­nis­of­fen eva­lu­iert“ wer­den, eine Abschaf­fung steht nicht mehr im Ver­trag; das Gebäu­de­en­er­gie­ge­setz soll durch ein neu­es Gesetz ersetzt wer­den, das sich strikt an den CO2-Emis­sio­nen ori­en­tiert (da bin ich gespannt). Düs­ter sieht es im Bereich Migra­ti­on aus, da ste­hen in nur leicht abge­schwäch­ter Form alle For­de­run­gen aus dem Uni­ons-Gru­sel­ka­bi­nett im Text. Ähn­lich beim Bür­ger­geld. Die Kli­ma­zie­le für 2045 wer­den bestä­tigt, der Weg dahin sieht aller­dings reich­lich schwam­mig aus und dürf­te auch die eine oder ande­re Hür­de für den wei­te­ren Aus­bau der Elek­tri­fi­zie­rung ent­hal­ten. Und ins­ge­samt bleibt offen, wie die schö­nen Din­ge (Super­la­ser­high­tech­quan­ten­ein­hör­ner! Absen­kung der Mehr­wert­steu­er in der Gas­tro­no­mie! Sen­kung der Strom­prei­se!) über­haupt finan­ziert wer­den sol­len. Ach ja: das Gan­ze steht unter Finan­zie­rungs­vor­be­halt. Pro­gno­se: Das wird noch lustig.

In der B‑Note: Söder char­mier­te kaba­ret­tis­tisch, Merz war stolz wie bol­le, Kling­beil hör­te sich teils wie ein Finanz­mi­nis­ter und teils wie ein kom­men­der Kanz­ler an, und Esken wur­de von den drei Her­ren weit­ge­hend igno­riert, als sie die Pro­gramm­tei­le Sozia­les und Kli­ma vor­stell­te. Mit den gan­zen Durch­ste­che­rei­en im Vor­feld und dem medi­al sehr laut hör­ba­ren Gegrum­mel in den Par­tei­en – ins­be­son­de­re in der CDU – bin ich mal gespannt, wie schnell aus „kei­ne Lie­bes­hei­rat, aber Hekt­ar“ eine offe­ne Feld­schlacht wer­den wird. Soviel zur „Ver­ant­wor­tung für Deutschland“. 

Photo of the week: Eckensee lights, Stuttgart

Eckensee lights, Stuttgart

 
Nach der in gol­de­nes Mor­gen­licht getauch­ten Sze­ne aus Ess­lin­gen mache ich mit Lich­tern aus der Regi­on Stutt­gart wei­ter – hier der Ecken­see mit den sich spie­geln­den Fens­tern der umlie­gen­den Gebäu­de. Dass das alles leicht ver­schwom­men ist, ist, behaup­te ich ein­fach mal, natür­lich Absicht, um einen impres­sio­nis­ti­schen Effekt zu erzie­len, und liegt kei­nes­falls an der Bild­qua­li­tät des iPhone.

Science Fiction und Fantasy im März 2025

Freiburg Hbf: Stadtbahnbrücke

Defi­ni­tiv kei­ne Emp­feh­lung: der Film Super­no­va aus dem Jahr 2000. Mehr Trash geht eigent­lich gar nicht – bis hin zu Din­gens mit neundi­men­sio­na­ler Mate­rie, die sich, nach­dem alle mal Sex hat­ten und fast alle umge­bracht wor­den sind, inner­halb von 50 Jah­ren über 3000 Licht­jah­re aus­brei­tet, und so der Gra­vi­ta­ti­on eines blau­en Rie­sens ent­kommt. Da trös­ten dann auch die Sei­ten­we­ge (wie etwa der zukünf­ti­ge Blick auf die arg gewalt­tä­ti­gen Zei­chen­trick­fil­me aus den 1960er Jah­ren, die Love­sto­ry mit der AI oder diver­se Film­zi­ta­te) nicht.

Defi­ni­tiv eine Emp­feh­lung ist dage­gen The Resi­dence (2025, Net­flix) – Cor­de­lia Cupp ist vor allem dar­an inter­es­siert, sel­te­ne Vögel zu betrach­ten, mit Feld­ste­cher und „Birds of the World“ in der Umhän­ge­ta­sche. Neben­bei ist sie auch noch die welt­bes­te Detek­ti­vin – und reicht in nerdi­ger Exzen­trik an Sher­lock Hol­mes oder Doc­tor Who her­an. In die­ser sehr gegen­wär­tig erzähl­ten Serie klärt sie einen Mord im Wei­ßen Haus auf – mit viel Blick hin­ter die Kulis­sen des White House, Lie­be für Details und ver­schro­be­ne Figu­ren, nur am Ran­de vor­kom­men­der Poli­tik und einer gar nicht mal so unplau­si­bel erschei­nen­den Zukunft, in der ein weit­ge­hend unfä­hi­ger Prä­si­dent es sich selbst mit Aus­tra­li­en ver­scherzt hat. Kylie Mino­gue tritt auch auf. (Ja, das ist im enge­ren Sin­ne alles kei­ne Sci­ence Fic­tion, son­dern viel­leicht Mys­tery Come­dy, hat mich dann aber doch sehr gut unter­hal­ten, gera­de in die­sen Tagen …)

Stich­wort „die­ser Tage“ – Lisa Brideau hat mit Adrift (2023) einen als Thril­ler ver­kauf­ten SF-Roman geschrie­ben, der lei­der sehr gegen­wär­tig wirkt. Der Kli­ma­wan­del hat sich in der nahen Zukunft (2039) fort­ge­setzt, Wald­brän­de und hef­tigs­te Stür­me sind lei­der nor­mal. Die Gren­zen Kana­das wer­den streng kon­trol­liert – auch die See­we­ge zu den USA, um Flücht­lin­ge abzu­hal­ten. Wirt­schaft­lich geht es alles den Bach run­ter, auch wenn die Wis­sen­schaft ein biss­chen wei­ter gekom­men ist. In die­sem Sze­na­rio fin­det sich Ess ohne Gedächt­nis auf einem Boot auf dem Meer wie­der. Ess‘ motor skills – wie etwa das Segeln – sind eben­so intakt wie ihr Gedächt­nis für alles, was neu pas­siert – nur die epi­so­dischen Erin­ne­run­gen an alles bis zum Beginn des Buches sind genau­so kom­plett gelöscht wie ihr Wis­sen über sich selbst. Das Boot ist gut aus­ge­rüs­tet, Pil­len gegen das star­ke Kopf­weh gibt es, und irgend­wann fin­det Ess auch einen Brief an sich selbst, der aber nicht wirk­lich irgend­et­was erklärt. Sie beschließt, ihren eige­nen Rat in den Wind zu schla­gen und her­aus­zu­fin­den, was eigent­lich pas­siert ist. Ach ja: neben­bei häu­fen sich Medi­en­be­rich­te über Geflüch­te­te ohne Gedächt­nis. Hat das etwas mit ihr zu tun? – Adrift hat mir gut gefal­len, auch wenn die hier ent­wor­fe­ne Zukunft rea­lis­tisch düs­ter wirkt – und die Sto­ry­line ab und zu an ein Video­spiel erin­nert, in dem das nächs­te Item gefun­den wer­den muss, um weiterzukommen.

Eben­falls sehr rea­lis­tisch (und nur in einem wei­ter gefass­ten Sin­ne als SF zu bezeich­nen) ist Cory Doc­to­rows neus­ter Band sei­ner Mar­ty-Hench-Serie, die mit Red Team Blues star­te­te. In Picks and Sho­vels (2025) sprin­gen wir in die 1980er Jah­re – Mar­tin Hench stu­diert am MIT, jeden­falls ist das der Plan. Dann kommt er in Berüh­rung mit den ers­ten Heim­com­pu­tern, wird Teil eines Com­pu­ter-Clubs und lernt Visi­calc lie­ben. Eine geschei­ter­te Fir­men­grün­dung spä­ter lan­det Hench als foren­sic accoun­tant in San Fran­cis­co, das sich gera­de neu erfin­det. Zwi­schen Dead Ken­ne­dys und PC-Nerd-Nost­al­gie erfah­ren wir nicht nur viel über Henchs bio­gra­fi­sche Ent­wick­lung und Lokal­ko­lo­rit der Ost- wie der West­küs­te. Ganz neben­bei erzählt Doc­to­row mit­rei­ßend wie immer – so selt­sam das klin­gen mag – über Tech­nik-Mono­po­le, schei­tern­de Revol­ten und die Ursprün­ge frei­er Soft­ware. Viel­leicht funk­tio­niert das Buch nur, wenn man selbst die PC-Revo­lu­ti­on (zumin­dest aus der Fer­ne einer Kind­heit in Deutsch­land) mit­be­kom­men hat – aber eigent­lich müss­te es auch ohne Vor­wis­sen und Nost­al­gie­kern lesens­wert sein. 

Chron­lo­gisch wei­ter zurück geht es in den ande­ren drei Roma­nen, die ich im März gele­sen habe. 

Emi­ly Wilde’s Com­pen­di­um of Lost Tales (2025) ist der drit­te Band von Hea­ther Faw­cetts Cozy-Fan­ta­sy-Rei­he rund um Emi­ly Wil­de, die in Cam­bridge die Welt der Feen­rei­che erforscht. In die­sem drit­ten Band, der mit dem Ende des Jah­res 1910 beginnt, folgt sie ihrem Part­ner Wen­dell Bam­ble­by in des­sen Feen-König­reich, Sil­va Lupi. Sein Ziel: den ver­wais­ten Thron ein­neh­men – ihr Ziel: eine Feld­stu­die über die Poli­tik der Feen­rei­che zu ver­fas­sen. Mit Nadel und Faden, enzy­klo­pä­di­schem Wis­sen über Mär­chen und Sagen und einer gehö­ri­gen Por­ti­on Stur­heit gelingt am Ende nicht nur das – auch dank einer Tür, die nach Irland führt. Es emp­fiehlt sich, die ers­ten bei­den Bän­de gele­sen zu haben, nicht zuletzt des­halb, weil eine gan­ze Rei­he Figu­ren wie­der auf­tau­chen. Dann hält das Com­pen­di­um, was es ver­spricht, und Hea­ther Faw­cett ent­führt eine*n in eine detail­rei­che und in sich bei allen Selt­sam­kei­ten kon­sis­ten­te Anders­welt. Die For­sche­rin Emi­ly Wil­de als Hel­din wider Wil­len eig­net sich dabei wun­der­bar als Identifikationsfigur.

Fast die glei­che Zeit, aber eine anders gear­te­te Abwei­chung von unse­rer Ver­gan­gen­heit fin­det sich in The Cau­tious Traveller’s Gui­de to The Was­te­lands (2024) von Sarah Brooks. Die­ser Roman spielt 1899 und zeich­net aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven (dem im Zug auf­ge­wach­se­nen Wai­sen­kind – dem Natur­for­scher – der ver­meint­li­chen jun­gen Wit­we) die Rei­se mit der trans­si­bi­ri­schen Eisen­bahn von Bei­jing nach Mos­kau nach – nur das Sibi­ri­en die sorg­sam mit einer Mau­er abge­schot­te­ten Was­te­lands sind, in denen jeff­van­der­meer­sche Trans­for­ma­tio­nen von sich gehen, Far­ben zu sehen sind, die nicht für das mensch­li­che Auge gemacht sind, Wesen inein­an­der über­ge­hen und man bes­ser nicht genau hin­sieht, weil die Was­te­lands zurück­schau­en. Nur der spe­zi­ell gesi­cher­te Zug der Com­pa­ny – mit sei­ner ers­ten und sei­ner drit­ten Klas­se, mit Vor­rä­ten für die lan­ge Rei­se, einer exqui­si­ten Küche und Stahl­bal­ken vor allen Fens­tern – schafft die­se Rei­se. Meis­tens jeden­falls. Brooks‘ Rei­se­be­richt ist zugleich die Geschich­te einer Trans­for­ma­ti­on, an des­sen Ende längst nicht mehr klar ist, was innen und außen ist. 

Und auch T. King­fi­shers What Moves The Dead (2022), noch stär­ker als der Traveller’s Gui­de eher Hor­ror als Fan­ta­sy, spielt in einem 19. Jahr­hun­dert, das da und dort unse­rem gleicht, dann aber doch wie­der ganz anders ist. So ist die erzäh­len­de Haupt­per­son – die einem düs­te­ren Geheim­nis auf die Spur kom­men muss – ein*e nonbinäre*r „sworn sol­dier“ ist, was mit der Tra­di­ti­on des klei­nen Lan­des Gal­la­cia begrün­det wird. Die Novel­le nimmt Moti­ve von Poes The Fall of the House of Usher auf, spielt mit die­sen und fügt eine Men­ge Pilz­kun­de und Natur­ge­schich­te hin­zu. Und Zom­bie-Hasen. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich die­se Art Buch mag, der Ton­fall der Erzähler*in war jeden­falls stim­mig und mach­te neu­gie­rig auf den Folgeband. 

Noch wei­ter zurück geht es dann in dem rund 700 Sei­ten umfas­sen­den neus­ten Werk von Ada Pal­mer. Inven­ting the Renais­sance: Myths of a Gol­den Age (2025) ist ein Sach­buch, oder viel­leicht auch ein sehr lan­ger Blog­post. Pal­mer schreibt hier (meis­tens) nicht als SF-Autorin, son­dern als Geschichts­pro­fes­so­rin und Exper­tin für die ita­lie­ni­sche Renais­sance. Der Fokus liegt dabei auf Flo­renz. Machia­vel­li tritt in die­sem Buch eben­so auf wie die Medi­cis – und in bei­den Fäl­len, wie auch in vie­len ande­ren in das Werk gefloch­te­nen Bio­gra­fien, legt Pal­mer sich bewusst nicht fest, wie deren Han­deln mora­lisch zu bewer­ten ist. Eigent­lich geht es Pal­mer um Ideen­ge­schich­te – wie ent­stand über­haupt das Pro­jekt Renais­sance, was hat es mit dem Huma­nis­mus auf sich, und wie weit las­sen sich „moder­ne“ Vor­stel­lun­gen im Flo­renz des 15. und 16. Jahr­hun­derts fin­den. Oder ist es über­haupt eine dum­me Idee, in die­ser fremd-ver­trau­ten Kul­tur nach Split­tern und Vor­for­men der Moder­ne zu suchen? Neben­bei wird deut­lich, wie sehr selbst die „Repu­blik“ Flo­renz nicht pro­to-demo­kra­tisch orga­ni­siert war, son­dern anhand von Patro­na­ge-Bezie­hun­gen und der Gunst mäch­ti­ger Per­so­nen – womit sich dann der Kreis zu die­sen Tagen schließt.