Vermutlich wird im Rückblick die Ästhetik der 2020er Jahre ganz eindeutig zu erkennen sein – geprägt von KI-generierten Bildern, Filtern und Instagramm. Das Bild oben ist ein „echtes“ Foto – also zumindest so echt, wie das, was das iPhone ausspuckt, wenn einmal ein bisschen an den Filtereinstellungen herumgespielt wurde. Und stand nach dem Frühstück noch auf dem Tisch herum, so dass nur mit leichten Verschiebungen der Gegenstände – Quitte und Apfel, ein Töpfchen mit Zimt und Zucker, ein Herbstblumenstrauß aus dem eigenen Vorgarten und die schnell fleckig werdende Wasserkaraffe – ein stilllebentaugliches Bild entstand.
Mangosorbet mit der Eismaschine
Kann man zu viele Mangos haben? Tendenziell ja, nämlich dann, wenn man – wie wir – ein Crowdfarming-Abo abgeschlossen hat und im Herbst mehrere Kisten Mangos aus Spanien bekommt. Die im Übrigen hervorragend sind, auch mit Crowdfarming bin ich sehr zufrieden. Jedenfalls: was tun, wenn zu viel Mango da ist? Sorbet machen!
Was – zumindest mit Eismaschine – viel einfacher geht, als zu vermuten wäre. Und zwar so:
Zutaten
- 400 g reife Mango (Gewicht nach dem Schälen und Entkernen)
- 80 g Wasser
- 80 g Zucker
- ein bis zwei Teelöffel Zitronensaft
Zubereitung
- Mango würfeln
- Wasser und Zucker zusammen kochen, bis die Mischung klar ist und einmal aufkochen konnte – ergibt Läuterzucker
- Mango, Läuterzucker und Zitronensaft pürieren
- Mangopüree kaltstellen, z.B. über Nacht im Kühlschrank
- Mangopüree in der Eismaschine zu Sorbet schlagen lassen (dauert bei unserer etwa 50–60 Minuten)
Science Fiction und Fantasy im Oktober 2024
Einer der wenigen Podcasts, die ich regelmäßig höre (und bei dem ich jetzt bei den Folgen aus dem Jahr 2011 angekommen bin) ist „The History of Rome“. Das ist tatsächlich genau das, was draufsteht: von der Gründung bis zum Ende wird das römische Reich vor allem anhand seiner Imperatoren und Cäsaren besprochen, streng chronologisch geordnet. Und nebenbei geht’s auch um Alltagskultur, Schlachten (deren Details ich dann sofort wieder vergesse) und geografische Besonderheiten, vor allem aber um Intrigen und ständige Machtwechsel. Spannend finde ich, dass einiges dann gar nicht so anders ist als heute; wahrscheinlich ließe sich mit etwas Abstand – sagen wir, in 10.000 Jahren – sogar argumentieren, dass auch in den heutigen Großmächten noch viel Rom steckt, und z.B. die heutige USA (oder das heutige Russland?) gar nicht so viel anderes als eine Fortsetzung des Römischen Reichs mit anderen Mitteln ist. Jedenfalls, warum ich das hier erwähne: in einer der letzten Folgen ging es um Kaiser Julian, der von 361 bis 363 herrschte (und eher zufällig an die Macht gekommen war).
Im Speculative-Fiction-Kontext interessant ist nun, dass Julian einen Plan hatte: er wollte die von seinen Vorgängern zugunsten des Christentums erlassenen Verbote der heidnischen Religionen rückgängig machen und wohl eine einheitliche platonisch-neoheidnische Staatsreligion nach christlichem Organisationsvorbild einführen. Das gelang ihm allerdings aufgrund seiner kurzen Regierungszeit nicht – und genau das ist natürlich ein hervorragender Ausgangspunkt für Alternativgeschichten.
Im Wikipedia-Artikel habe ich dazu John M. Fords Roman The Dragon Waiting (1983, neu aufgelegt 2020) gefunden und gelesen. Dieser Roman spielt im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit in einer europäischen Welt, in der das Christentum eine randständige Religion ist, Byzanz die große Metropole und das byzantinische Reich die beherrschende Weltmacht ist, und in der nicht nur diverse Kulte und Religionen, sondern auch Magie und Vampirismus vorkommen. Allerdings: dafür, dass die Geschichte hier einen ganz anderen Verlauf genommen hat, ist dann doch einiges sehr ähnlich – die Medici in Florenz tauchen ebenso auf die die diversen französischen und britischen König*innen dieser Zeit. Der titelgebende Drache bezieht sich auf ein Medaillon, das einen roten und einen weißen Drachen im Kampf miteinander zeigt, und das Wales – mit Henry Tudor – Kampf gegen England – mit Richard III. – meint. Trotzdem: ein interessantes Buch. Dafür sorgen insbesondere die Biografien und Beziehungen in der für den Quest zusammengewürfelten Truppe aus dem Zauberer Hywel, der florentinischen Ärztin Cynthia, dem exilierter byzantinischer Thronwärter Dimi und dem bayrischen Vampir und Fachritter-Ingenieur Gregor, die vermutlich für Menschen mit tieferer Kenntnis der britischen Geschichte noch spannenderen Abweichungen dazu – und Fords großartige und dichte Erzählkunst. Ich habe eine Rezension von Jo Walton gefunden, die dem Buch deutlich besser gerecht wird als meine Kurzzusammenfassung. (Schöne Beschreibung daraus: die ersten drei Kapitel lesen sich wie drei ganz unterschiedliche Romananfänge – genau so ging’s mir beim Lesen).
Das Buch hat mich dann dazu gebracht, einmal zu schauen, was Ford sonst so geschrieben hat. Dadurch bin ich auf Aspects (2022) gestoßen. Und auf die Tatsache, dass John. M. Ford tragischerweise 2006 gestorben ist, mit nur 49 Jahren. Aspects ist unvollendet, und hinterlässt das melancholisch-nostalgische Gefühl, dass die Welt hier etwas verpasst hat, was sie unter anderen Umständen hätte haben können. Denn eigentlich ist Aspects – bzw. die ersten knapp 500 Seiten eines größeren Romans, dem der Schluss fehlt – nur der erste Roman einer größer angelegten Serie in einer hervorragend gebauten Parallelwelt, die in etwa dem späten 18. oder 19. Jahrhundert unserer Welt ähnelt. Auch dieses Buch ist hervorragend geschrieben, und Ford schafft es, diese sekundäre Welt lebendig werden zu lassen. Nicht, indem er Dinge erklärt, sondern weil immer wieder wie selbstverständlich Bezüge zu historischen Ereignissen dieser Welt eingestreut sind, lokale Dialekte und Soziolekte eine Rolle spielen oder Begriffsschöpfungen auftauchen, die erschließbar sind, aber auf subtile Unterschiede hindeuten (und nie aufgesetzt wirken, sondern Teil dieser Welt sind). Das Buch ist großartig und dicht geschrieben, der Autor guckt genau hin.
Aspects spielt in Lystourel, der florierenden Hauptstadt der Republik Lescoray – die ein bisschen an London erinnert – und beginnt im Monat der Schafhirten, kurz vor der Herbstequinoxe. Die Republik erstreckt sich von kargen Bergen im Norden bis hin zu sonnigen Gefilden im Süden. Und es ist eine Republik – mit einem zweigeteilten Parlament, einer Kammer aus Lords (und Ladys) und einer Kammer aus „commoners“. Neben den vererbten Sitzen der Coronage (was ich frei als „Kronlehen“ übersetzen würde, auch wenn der König schon lange abgeschafft ist), den Corons, sitzen religiöse und magische Lords und Ladys im Oberhaus. Die Religion Lescorays verehrt die Göttin in ihren verschiedenen Aspekten (daher der Titel des Buchs), und ja: auch hier gibt es Magie, mit einem interessanten System, das sicherstellt, das einiges dann doch besser dem Ingenieurwesen überlassen wird. Hauptpersonen des Buchs sind zwei Corons, Lord Varic (der lieber in der Stadt Lystourel lebt als in seinem Kronlehen im wüsten Norden), und Lady Longlight aus einem provinziellen Lehen ganz am Rand des Reichs. Entsprechend geht es viel um Politik und politische Intrigen. Das Buch beginnt mit einem Duel und endet – abrupt abbrechend – mit einem Kapitel, in dem Varic darüber sinniert, ob es hilft, das Duellieren per Gesetz zu verbieten, und warum das nicht so ist. Dazwischen finden wir parlamentarische Vorgänge, reich beschriebene Speisen und Kleidungsstile, eine ganz genau hinschauende Beobachtungsgabe, die auch auf kleinste Gesten achtet, das Haus Strange, das aus der mondänen Alltagswelt gefallen zu sein scheint, immer wieder die Eisenbahn und andere moderne Errungenschaften, komplizierte Liebesgeschichten, Exkurse in die Geschichte und Mythenwelt Lescorays, hingebungsvoll beschriebene Gesellschaftsspiele und einen Banditenüberfall. Und das alles in einer Welt, die ein bisschen wie unser 18. oder 19. Jahrhundert ist, in der es aber normal zu sein scheint, wenn ein Kind zwei Mütter hat, Menschen stumm sind oder im Rollstuhl sitzen, und in der etwa der Great Captain der Polizei selbstverständlich eine Frau ist. Und das alles, ohne anachronistisch zu wirken – in Lystourel ist es halt einfach so. Genauso, wie es dort Straßenkinder, Kleinkriminelle und Spionage gibt und eben überhaupt nicht alles gut ist. Ford macht hier einen Kosmos auf, in dem ich gerne länger verweilt wäre.
Im direkten Vergleich der beiden Bücher würde ich sagen, dass ihm hier gelingt, was er in The Dragon Waiting versucht hat – eine alternative Geschichte zu schreiben, in einer Welt, die in vielen Punkten unserer ähnelt, in anderen aber gravierend davon abweicht – und damit eine Folie zu schaffen, vor der die genaue Beobachtung menschlicher und politischer Beziehungen möglich ist.
Ebenfalls hervorragend fand ich Sourdough (2017) von Robin Sloan (zu dessen anderen Büchern ich im September etwas geschrieben hatte). Die Programmiererin Lois lebt in San Francisco und arbeitet für ein aufstrebendes und hippes Robotik-Unternehmen. Aus einer Laune heraus lässt sie sich darauf ein, bei einem Lieferservice, der mit handgeschriebenen Zetteln für seine Spezialitäten wirbt, scharfe Suppe und Sauerteigbrot zu bestellen. Sie freundet sich mit den Inhabern dieses Lieferservice an, und bekommt zum Abschied den namensgebenden Sauerteig geschenkt. Der ist ein bisschen besonders und verbindet San Francisco mit der imaginären Kultur der immer auf Wanderschaft befindlichen Mazg. Lois lernt notgedrungen Backen – und gerät in eine unwahrscheinliche, aber charmant erzählte Parabel über Start-ups, Hybris und die Welt der Hefen und Bakterien. Schnell gelesen, und genau das richtige für finstere Zeiten.
In gewisser Weise ebenfalls um Hefen und Bakterien geht es in Alien Clay (2024) von Adrian Tchaikovsky. Und auch an Greg Egans Morphotrophic fühlt ich mich erinnert, weil beide eine ähnliche Prämisse teilen: eine fremde Welt, in der die Grenzen zwischen Organismen fließend sind. Bei Egan sind es Zellkolonien, die zwischen Organismen wechseln, bei Tchaikovsky eher größere, symbiotische Einheiten. Er entwirft eine Biologie, in der alles mit allem vernetzt ist, und in der Spezialfunktionen (wie z.B. Sehen oder Verdauen) von darauf spezialisierten Lebewesen/Organellen durchgeführt werden, die munter zwischen Organismen wechseln. Und natürlich gibt es hier auch keine Grenze zwischen Tieren und Pflanzen. Die Welt, die so funktioniert, heißt Kiln und umkreist einen Stern, der nur wenige Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Es gibt hier eine Strafkolonie – wie das mit einem Versatz über Lichtjahre hinweg funktionieren soll, wird sogar halbwegs plausibel gemacht. Ziel: Suche nach der untergegangenen Zivilisation, von der nur noch Ruinen zu finden sind. Die Ideologie des irdischen Regimes setzt auf wissenschaftliche Orthodoxie – der Mensch ist die Krone der Schöpfung im Universum, das Endziel der Evolution. Die Strafkolonie kennt zwei Klassen – den Kommandanten und die Wissenschaftler*innen, und die in billigst gedruckten Raumschiffen hergeflogene Unterklasse aus Arbeiter*innen und in Ungnade gefallenen Wissenschaftler*innen, die es auf der Erde gewagt haben, gegen das Regime aufzubegehren. Einer davon ist der Erzähler des Buchs. Tchaikovsky bringt beides sehr packend zusammen: das gnadenlose Regime und die Rebellion dagegen, und die Suche nach einer biologischen Wahrheit, die es nicht geben darf.
Soweit die Bücher. Angeguckt habe ich Der Junge und der Reiher (Netflix, 2023) von Hayao Miyazaki, bin damit aber nicht so richtig warm geworden. Zeichenstil und Querverweise sind hervorragend, aber die (wohl teilweise autobiografische, magisch-realistisch gespiegelte, teilweise auf „How Do You Live“ anspielende) Geschichte war für mich nicht gut nachvollziehbar, das Handeln der Protagonist:innen wenig plausibel.
Dann habe ich Mars Express angeschaut, einen französischen SF-Noir-Animationsfilm (2023). Ein Verbrechen soll aufgeklärt werden, die Polizistin, die ermittelt, ist dem Alkohol verfallen, es gibt Roboter und böse Großkonzerne. Also alles sehr cyberpunk-typisch, das Ende philosophischer als zunächst vermutet. Der Zeichenstil erinnerte mich an Moebius‘ klare Linien. Bisher habe ich den Film nur als Kaufangebot gesehen.
Gesehen habe ich zudem einige Folgen der bei Apple-TV laufenden Serie Strange Planet. Das sind warme, humorvolle Zeichentrick-Episoden über menschliche Probleme in einem Setting, in dem alles ein bisschen anders ist, weil das ganze eben auf einem seltsamen Planeten spielt, auf dem blauhäutige Wesen Strümpfe tragen, Tauben drei Augen haben und Begriffe so heißen, wie sie auch heißen könnten. Oder, wie es die Wikipedia beschreibt: „It follows a planet of blue beings without gender or race who have human traditions and behaviors but discuss them in highly technical terminology.“
Photo of the week: Freiburg Hbf, morning sun, morning fog
Ein Vorteil daran, früh aufzustehen, zum Beispiel, um zu verreisen, ist die Gelegenheit, dann wunderbare herbstlich vernebelte Sonnenaufgangsstimmungen wie hier am Freiburger Hauptbahnhof einfangen zu können. Mit der Uhrenumstellung heute eher nicht mehr, aber auch Sonnenuntergänge können hübsch sein.
Photo of the week: Werkbund, Berlin
Ende September war ich kurz in Berlin, vor allem, um an der Konferenz „Mut macht Zukunft“ der grünen Bundestagsfraktion teilzunehmen. Etwas Zeit am Tag davor konnte ich bei schönstem Herbstwetter zum Spazierengehen nutzen – von der East Side Gallery zur Spreeinsel. Neben den letzten Resten des Berlin Marathons und dem „Holzmarkt“ (der mich sehr an bestimmte Ecken in Freiburg erinnerte) habe ich die Zeit genutzt, ins Werkbundarchiv („Museum der Dinge“) zu gehen. Bzw.: ich hatte das vor, richtig viel zu sehen gab es allerdings nicht, weil das Museum nach einem zwangsweisen Umzug gerade umgebaut wird. Ich konnte einen kurzen Blick auf die Frankfurter Küche erhaschen und mir die kleine Ausstellung „Profitopolis oder der Zustand der Stadt“ angucken.
Die war insofern interessant, weil sie die heutige Debatte über Miethöhen, Bodenspekulation und Städteplanung in den Kontext ähnlicher Diskussionen zum einen in den 1920er und 1930er Jahren, zum anderen – wie im Foto oben zu sehen – in den 1970er und 1980er Jahren stellte. Mindestens drei der hier abgebildeten Bücher finden sich auch in unserem häuslichen Bestand, ich bin mit diesen Debatten aufgewachsen. Insofern: interessant zu sehen, wie die Umgestaltung der Stadt vor fünfzig Jahren diskutiert wurde, samt Originalmitschnitten aus damaligen Fernsehsendungen etc. Haben wir was daraus gelernt? Oder sind wir im Pendelausschlag der Geschichte wieder an einem ähnlichen Punkt angekommen?