Coinneach McCabe und Monika Stein – das sind die beiden grünen StadträtInnen, die aktiv den Kontakt zur links-alternativen Szene in Freiburg gehalten haben und dafür gesorgt haben, dass Themen wie die Schattenparker, die diversen Verbote, die Polizeipolitik usw. trotz grünem OB auf der Agenda blieben. Der Rest der Fraktion hat sich dagegen in letzte Zeit v.a. durch ein mehr oder weniger großes Angekommensein im Bürgertum ausgezeichnet. Jetzt haben Coinneach und Monika ihren Austritt aus der Stadtratsfraktion und die Gründung einer Grün-Alternativen Liste angekündigt. Mehr dazu steht in der Badischen Zeitung und – dort im Tonfall sehr überrascht und verwundert – bei Grünes Freiburg. Im Gegensatz zu Johannes kann ich den Schritt der beiden ganz gut nachvollziehen und bin gespannt, was das jetzt alles für Konsequenzen hat (u.a. auch dazu, wie der grüne Stadtverband damit umgeht). Schließlich sind in knapp einem Jahr Gemeinderatswahlen …
Kurz: Kerstin Andreae sorgt für Unruhe (Update 2)
Die grüne Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae, Freiburger Wahlkreisabgeordnete und wirtschaftspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, wäre gerne Spitzenkandidatin der baden-württembergischen Grünen. Darüber wird im Herbst entschieden. Möglicherweise wird dann auch mitentscheidend sein, ob ihr Werbestatement auf einer Anzeige der arbeitgeberfinanzierten Lobbygruppe „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ ein einmaliger Ausrutscher bleibt, um für die Verbindung von Ökologie und Ökonomie zu werben, oder ob sie den Weg von Scheel und Metzger ins wirtschaftsliberale Abseits geht. Diskutiert wird das derzeit hier, hier und auch hier.
Update: (25.6.2008) In einem offenen Brief nimmt Kerstin ausführlich Stellung zu dieser Anzeige.
Update 2: (18.7.2008) Bei der gestrigen Nominierungsversammlung gab es zwar kritische Fragen zu Afghanistan, die oben angesprochene Thematik wurde nicht problematisiert. Gewählt wurde Kerstin schließlich mit etwa 75 % der abgegebenen Stimmen.
Schweden totalüberwacht
In der gedruckten taz, die ich heute in der Straßenbahn gelesen habe, stand noch, dass das neue schwedische Überwachungsgesetz erstmal überraschend in den Ausschuss verwiesen wurde, bei netzpolitik.org und in der Online-Ausgabe der taz ist dann schon zu lesen, dass ebenso überraschend heute morgen doch noch dem Gesetz zugestimmt wurde.
Damit darf der schwedische Auslandsgeheimdienst sämtliche elektronische Kommunikationsmedien überwachen, die Schwedens Grenzen überqueren – nicht nur in Bezug auf Verbindungsdaten, sondern auch inhaltlich. Und bekommt dafür extra einen zweiten Superrechner. Technologisch erinnert mich das sehr an die Zensur-Zentralen Chinas etc. – selbst eMails zwischen schwedischen BürgerInnen werden zur Auslandskommunikation, sobald einer der beiden beteiligten Server im Ausland steht (Google-Mail, Yahoo, Hotmail, Gmx, …).
So weit, so schlecht. Das ganze kann zwar Motivation dafür sein, hierzulande noch etwas überzeugter gegen entsprechende Schäuble-Befugnisse anzugehen. Wenn Schweden jedoch dem Ruf des progressiven Skandinaviens gerecht werden will, bleiben dem Land eigentlich nur zwei Wege. Entweder wird das Gesetz zurückgenommen (freiwillig, oder über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo es wohl Klagen geben soll) – oder das Gesetz wird so ergänzt, dass alle BürgerInnen des Landes Zugriff auf diese Überwachungsdaten bekommen. Dann wären wir bei David Brins „Transparent Society“ (oder auf dem Weg dahin). Ob ich das dann gut fände, weiss ich nicht – es wäre aber zumindest der logisch nächste Schritt in Richtung einer post-privaten Gesellschaft und würde zur bisherigen Positionierung Schwedens in diesem Bereich passen (es gibt dort beispielsweise kein Steuergeheimnis).
Eine letzte Überlegung geht nochmals in eine andere Richtung: so ein bißchen habe ich ja – ohne jetzt verschwörungstheoretisch werden zu wollen – den Verdacht, dass Gesetze wie das in Schweden gerade beschlossene eigentlich nur einen lange existierenden Status quo legalisieren. Ich denke da z.B. an Echelon, aber auch an die ganzen Spionageskandale bei Lidl, Telekom und Co. Es wäre jedenfalls wohl falsch, davon auszugehen, dass elektronische Kommunikation heute überwachungsfrei abläuft, und erst mit Gesetzen wie dem neuen schwedischen Überwachung stattfindet.
Warum blogge ich das? Weil ich es erstaunlich finde, wie schnell und mit letztlich doch wenig allgemeinen Protesten derartige Gesetze verabschiedet werden können.
Wir Kinder der Rebellion: oder Verstetigung eines Lebensstils?
Nina Pauer fragt in der taz nach den Konsequenzen der „unmöglichen Rebellion“ von (Post-)68er-Kindern gegen die Eltern. Im Zentrum steht folgende Frage:
So zumindest stellen wir uns das vor. „Das Gute am Jungsein ist, dass alle gegen dich sind“ könnte das Motto unserer Elterngeneration sein, die sich trotz all dem für uns so spaßig und wild Erscheinenden der 68er ihren Weg in die Eigenständigkeit gegen den Willen ihrer spießigen, Nazi-verstrahlten oder langweiligen Eltern hart erkämpfen mussten. Was aber, wenn niemand je gegen einen war? Uns verfolgt die Unfähigkeit der Ab- oder Auflehnung unser ganzes junges Leben lang. Eine Rebellion gegen unsere Eltern war nicht nötig, aber eben auch nie möglich. Klar könnten wir uns in die so oft besungene Spaßgesellschaft stürzen. Doch allein aus ästhetischen Gründen kennt auch unsere Trash-Affinität klare Grenzen; mehr als ein paar Minuten bildungsferner Sendeformate können wir am Stück nicht ertragen. Klar könnten wir Steine schmeißen und allesamt „antideutsch“ werden. Aber dass die linke Radikalität ausprobiert und gescheitert ist, dass alternativ keine Alternative ist, konnten wir nie ernsthaft anzweifeln.
Pauer kommt zum Fazit, dass weder Weltreligionen (dafür sind „wir“ zu rational) noch Konsumismus noch Spießertum als Rebellionsalternativen in Fragen kommen, endet aber irgendwie ratlos-harmonisch.
Für mich steckt hinter diesem Artikel noch eine anderes Themas, das die von Pauer angesprochenen Fragen erst ermöglicht. Die Frage, wogegen „wir“ den rebellieren sollten, wenn wir uns mit unseren Eltern eigentlich ganz gut verstehen, und deren Lebensstil auch eher vorbildhaft als abzulehnend ansehen, stellt sich erst dann, wenn „Jugendrevolte“ als Normalität angenommen wird. Oder zumindest als stiltypische Normalität.
Wenn der „postmaterialistische“ Lebensstil der 68er- und 78er-Eltern dagegen nicht automatisch als an Jugendprotest gekoppelt verstanden wird, und als permanente Revolution, oder zumindest Rebellion, gedacht wird, sondern als umkämpfte Neuerfindung eines bis dato nicht wirklich existenten Lebensstilfeldes, die Konstitution eines Milieus? (Laut SINUS übrigens das einzige, das alle Altersgruppen umfasst). Dann gibt es auch nicht unbedingt die Notwendigkeit zur Generationsrevolte, zur Abarbeitung an der Elterngeneration, sondern vielmehr zur Verstetigung eines mehrere Generationen übergreifenden Projektes eines – letztlich – „richtigen Lebens“. Und dann erscheint es plötzlich als ganz normal, dass „Wir Kinder der Rebellion“, wie die taz den Artikel von Pauer betitelt hat, eigentlich nur im Langfristprojekt glücklich werden können, den Wertehorizont und die Lebensexperimente unserer Eltern zum dauerhaften Alltag fortzuführen.
Warum sollte das auch nicht gelingen – auch die Söhne und Töchter des konservativen Bürgertums haben ja scheinbar keinerlei Probleme damit, in der großen Mehrzahl in die elterlichen Fußstapfen zu treten.
Warum blogge ich das? Weil der taz-Artikel Fragen anspricht, denen näher nachzugehen ich recht spannend finde – und weil ich mich im „wir“ des Artikels wiederfinde.
Grüne Frauenquote bleibt auch an der Spitze
Angeblich diskutieren „die Grünen“ über die Abschaffung der Doppelspitze. Schreibt jedenfalls die WELT. Und manche greifen das gerne auf.
Aus meiner Sicht ist die Debatte doppelter Blödsinn. Erstens diskutiert die Partei gar nicht über die Abschaffung der Doppelspitze. Ein paar substantiell realpolitische, jungmännliche Nachwuchshoffnungen (Al-Wazir, Palmer) überlegen sich, wie sie die Partei gerne hätten. Daraus wird dann die angebliche Debatte. Mir ist allerdings nicht bekannt, dass diese Gruppe ernsthaft vor hat, für den Bundesparteitag (BDK) im Herbst einen entsprechenden Satzungsänderungsantrag zu stellen. Der würde auf einer BDK auch keine 2/3‑Mehrheit erhalten.
Der zweite Grund, warum diese angebliche Debatte Blödsinn ist, besteht darin, dass in der Palmer-Al-Wazir-Variante aus der genderpolitischen Doppelspitze (Quote etc.) eine flügelpolitische Doppelspitze wird. Und gegen die kann dann ja auch wunderbar argumentiert werden, Stichwort: Überwindung des Lagerdenkens, usw. Sagt zumindest das eine Lager. Nur: dass die Doppelspitze faktisch gerne auch zur Strömungsintegration verwendet wird, ist nirgendwo festgeschrieben – und muss auch nicht so sein. (Nebenbei bemerkt: andere Parteien, z.B. die LINKE, scheinen sogar eigene Delegierte auf Parteitagen für Strömungen zu haben – ganz so ist das bei uns nicht, auch wenn gerne mal in Flügelnetzwerken geklüngelt wird).
Warum dann dieser mediale Versuchsballon? Ich vermute, dass dahinter eine ganze Reihe von Zielen stecken: neben der bereits erwähnten Umdeutung der Doppelspitze, die dann nicht mehr als Gleichberechtigungsinstrument begriffen wird – also der Erlangung von diskursiver Hegemonie – geht es vermutlich vor allem um die Vorbereitung des Parteitags. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass hinter diesen Äußerungen letztlich z.B. der Versuch steht, eine Doppel-Kandidatur Katrin Göring-Eckart / Cem Özdemir vorzubereiten. Und zusammen mit der Umdeutung von der Gender- zur Flügelquote könnte gleichzeitig versucht werden, eine linke Kandidatur für den männlichen Vorsitzenden (bzw. die zweite weibliche Vorsitzende) zu verhindern. Bei der aktuellen Kandidatenlage wäre der m.E. ein gewisser Erfolg zuzusprechen. Und schließlich geht es über den Parteitag hinaus auch darum, einen informellen Führungsanspruch (die „Joschka-Nachfolge“) zu etablieren: die Parteisoll gefälligst so tun, als wären Palmer und Al-Wazir, die beide gerade nicht kandidieren können, das eigentliche Führungszentrum der Partei.
Das wird sich die Partei nicht gefallen lassen, und wenn die Medien ein realistisch Bild der Politik von Bündnis 90/Die Grünen behalten wollen, sollten sie sich auch nicht darauf einlassen.
Warum blogge ich das? Weil ich – ganz unabhängig von der Person Claudia Roth – es ärgerlich finde, wie hier versucht wird, über Bande die emanzipatorischen Grundstrukturen der Grünen zu erschüttern.



