Ich finde es gerade extrem schwierig, ein repräsentatives Herbstfoto für diese Woche auszuwählen. Das Wetter wechselt gerade ständig zwischen „Goldener Oktober“ und „November Rain“, und bietet dabei Angelegenheiten für hübsch-grau-triste ebenso wie für hübsch-orange-leuchtende Fotografien; ersteres wohl ab heute für längere Zeit. Und im Detail hängen dann überall Wassertropfen und verzaubern noch das ödeste Gewächs. Schwierig also. Stattdessen ist hier der Wechsel zu sehen, der eben auch zum Herbst gehört – tausende fallende Blätter, die den letzten Herbstspaziergang auch zu einem akustischen Erlebnis gemacht haben.
Kurz: Wahl in Island

Wahlen anderswo sind immer wieder spannend. Zum Beispiel habe ich gestern Nacht einige Zeit auf der Website des isländischen Rundfunks RÚV verbracht. Schließlich hatte die internationale Presse darüber berichtet, dass hier die Weltsensation anstehen könne: die hier deutlich weiblicher und linksliberaler als in Deutschland aufgestellten Piraten unter Birgitta Jónsdóttir waren in den Umfragen zeitweise stärkste Kraft, Birgitta wurde schon zur nächsten Premierministerin ausgerufen.
Während es direkt nach Schließung der Wahllokale (Mitternacht unserer Zeit) so aussah, also ob die Piraten zwar nicht stärkste Kraft, aber mit 18 Prozent doch starke Zweite werden würden, und die vier Mitte-Links-Parteien (Pírataflokkurinn, also die Piraten [P]; Vinstrihreyfingin — grænt framboð, die links-grüne Bewegung [V], Mitglied in der Nordischen Grünen Linken; Samfylkingin – die sozialdemokratische Allianz [S] und Björt framtíð [A], zu deutsch: Glänzende Zukunft, eine pro-europäische sozialliberale Partei) gemeinsam knapp eine Mehrheit im isländischen Alþingi (All-Thing) von 32 Sitzen. Die übrigen 31 Sitze verteilten sich auf die weiterhin starken Konservativen (Sjálfstæðisflokkur, Unabhängigkeitspartei [D]), die Progressiven (Framsóknarflokkur, Fortschrittspartei [B]) – die bisherige Regierungskoalition – und die neu gegründete zentristisch-liberale (Wikipedia sagt: grün-liberalen) Erneuerungspartei Viðreisn [C]. Im Lauf des Wahlabends kehrte sich dieses Sitzverhältnis allerdings um. Im Ergebnis liegen Links-Grüne vor den Piraten, und V+P+S+A haben zusammen 27 Sitze, während die bisherige Koalition (D+B) auf 29 Sitze kommt. Damit dürfte Viðreisn entscheiden, welche Koalition die nächste Regierung stellt.
Neben starken Piraten (14,5%) und starken Links-Grünen (die kommen aktuell auf 15,9%, immer noch das zweitbeste Ergebnis dieses Bündnisses nach 2009) sowie den extremen Verlusten der Progressiven (von 24,4% auf 11,5%), die sich dadurch erklären, dass im Rahmen der Panama-Papers auch Finanzgeschäfte des bisherige Premiers Sigmundur Davíð Gunnlaugsson ans Licht getreten sind, die letztlich zu den Neuwahlen führten, finde ich an diesem Ergebnis vor allem das Abschneiden der Sozialdemokraten interessant. Ich kenne die Politik der 300.000-Einwohner-Insel nicht genau genug, um etwas zu den Hintergründen zu sagen – jedenfalls ist die sozialdemokratische Allianz, die aus mehreren kleineren linken Parteien entstanden ist, von um die 30 Prozent von 1999 bis 2009 bei der letzten Wahl auf 12,9 Prozent 2013 und jetzt auf nur noch 5,7 Prozent abzusinken. Island steht hier ja nicht alleine – generell scheint das 21. Jahrhundert bisher nicht gerade das Jahrhundert der Sozialdemokratie zu werden.
P.S.: Siehe auch Wikipedia zu den isländischen Parlamentswahlen 2016.
Photo of the week: Orange fire II
Nachdenken über Parteien, Teil III
Die Böll-Stiftung Baden-Württemberg hat ihren „Demokratiedialog“ inzwischen in vorbildhafter Weise dokumentiert. Das nehme ich zum Anlass, um jetzt doch noch meine Eindrücke dazu und ein paar Überlegungen zum Doppelleben der Parteien aufzuschreiben. Zu letzterem hatte ich einen sehr schönen, mäandernden Text geschrieben – den dann der Windows-Editor irgendwo zwischen Zug und Schreibtisch aufgefressen hat. Deswegen hier (siehe Splitter 5) ein zweiter Anlauf, der vielleicht etwas geradliniger geworden ist. Aber zunächst einmal zur Tagung selbst.
Splitter 4: Aufgaben und Funktionen einer (grünen) Partei
Ein Thema, das bei der Böll-Veranstaltung in vielerlei Form immer wieder eine Rolle spielte, war die Frage nach den Aufgaben einer Partei. Die Parteiensoziologin Jasmin Siri antwortete darauf klassisch funktionalistisch: eine Partei als Organisation ist dafür da, Themen und Positionen zu ordnen (und damit Komplexität zu reduzieren), Personal auszuwählen und auszubilden und schließlich Kollektive symbolisch zu repräsentieren. Oder, auf den Punkt gebracht: Parteien sind die Lösung, die demokratische Gesellschaften finden, um das Politische zu organisieren – aber: Organisationen müssen keinen Spaß machen, und Organisationen sind auch nicht nett.




