SF im Sommer 2022

Almost there

Der Som­mer ist zwar noch nicht zu Ende – hier in Baden-Würt­tem­berg haben die Som­mer­fe­ri­en gera­de erst vor ein paar Tagen ange­fan­gen – aber den­noch haben sich bereits eine gan­ze Rei­he von gele­se­nen und ange­schau­ten Wer­ken der SF ange­sam­melt, auf die ich ger­ne hin­wei­sen möchte.

Audio­vi­su­ell: ich höre ja kei­ne Pod­casts, habe aber fest­ge­stellt, dass es im SF-Fan-Bereich eini­ges gibt (Geek’s Gui­de to the Gala­xy, Retro Rocket, …) – mal sehen, viel­leicht wird da doch noch das eine oder ande­re regel­mä­ßig gehör­te For­mat dar­aus. Wobei ich auch immer wie­der fest­stel­le, dass das typi­sche Pod­cast-For­mat „Zwei Leu­te reden“ nicht unbe­dingt meins ist. Eine Per­son, die mit wenig drum­her­um – und ohne Radio­fea­ture­per­fek­ti­on – etwas erzählt, gefällt mir meist bes­ser. Falls da irgend­wer Emp­feh­lun­gen im SF-Bereich hat, ger­ne her damit.

Noch ein Abo­ser­vice, Apple TV, dann läuft’s noch nicht mal auf dem gro­ßen Bild­schirm. Trotz­dem hat mir die Serie For All Man­kind (2019 ff.) bis dato gut gefal­len; ich bin jetzt etwa bei der Hälf­te der 2. Staf­fel. Die ers­te Staf­fel erin­ner­te da und dort stark an Mary Robi­net­te Kowal Lady-Astro­naut-Rei­he. Wir star­ten in den 1960ern, im Unter­schied zur rea­len Geschich­te set­zen hier die Sowjets den ers­ten Fuß auf den Mond. Dar­aus ent­wi­ckelt sich ein space race, dass viel mäch­ti­ger wird, als es in unse­rer Welt je war, mit Mond­ba­sis und Plä­nen für den Mars. Die­ses Ren­nen um die „Erobe­rung“ des Welt­alls – als har­te, rea­lis­ti­sche SF gezeigt – bie­tet jedoch nur den Hin­ter­grund für die Lebens­ge­schich­ten von fünf, sechs oder sie­ben Personen/Familien mit allen Dys­funk­tio­na­li­tä­ten und Pro­ble­men. Neben einem Hauch Dallas/Denver Clan kommt viel Poli­tik und Zeit­ge­schich­te vor – Eman­zi­pa­ti­on, Ras­sis­mus, eine aus begrün­de­ter Angst nur im ver­bor­ge­nen statt­fin­den­de les­bi­sche Lie­bes­ge­schich­te usw. Die ers­te Staf­fel spielt in den spä­ten 1960ern/frühen 1970ern vor dem Hin­ter­grund des Viet­nam-Kriegs, die zwei­te dann Mitte/Ende der 1980er Jah­re, mit einer ent­spre­chend ange­pass­ten Ästhe­tik und – dank einer guten Mas­ke – rea­lis­tisch geal­ter­ten Figu­ren sowie nach und nach immer mehr Abwei­chun­gen von unse­rer Zeit­li­nie (klar, dass der Fokus auf den Welt­raum auch in ande­re Berei­che ausstrahlt).

Ganz anders die SF-Komö­die Big­Bug (2022) – ein Film von Jean-Pierre Jeu­net, der mit Die fabel­haf­te Welt der Amé­lie bekannt wur­de. Statt in eine ver­klär­te fran­zö­si­sche Ver­gan­gen­heit geht es hier in eine absurd über­dreh­te Zukunft, in der Robo­ter und Andro­ide für die durch­ge­styl­te Klein­fa­mi­lie min­des­tens so wich­tig sind wie flie­gen­de Autos und voll­au­to­ma­ti­sier­te Ein­fa­mi­li­en­häus­chen. Wer eine ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit KI oder ähn­li­chem erwar­tet, ist hier fehl am Platz; wer sich auf bun­te Kos­tü­me, absur­de Cha­rak­te­re und einen immer wil­der wer­den­den Plot ein­las­sen kann, wird sich vergnügen.

Wie­der gele­sen habe ich Samu­el Delaneys Babel 17 (1966), nach­dem ich zufäl­lig – auf Twit­ter, wo auch sonst – auf eine Rezen­si­on von Jo Walt­on aus dem Jahr 2009 gesto­ßen bin, in der sie her­vor­hebt, wie modern die­ser Roman ist – mit einer weib­li­chen Haupt­per­son, einem gegen die Gewohn­hei­ten der Mili­ta­ry SF rea­lis­tisch gezeich­ne­ten Krieg zwi­schen zwei Mäch­ten, vie­len Ideen über den Zusam­men­hang zwi­schen Spra­che, Erkennt­nis und Pro­gram­mie­rung, lin­gu­is­ti­schen Expe­ri­men­ten, Drei­er-Lie­bes­be­zie­hun­gen als ein stan­dard­mä­ßig not­wen­di­ger Bestand­teil von Raum­schiff­be­sat­zun­gen und der­glei­chen mehr. Für heu­ti­ge Ver­hält­nis­se ein dün­nes, schnell gele­se­nes Buch, das völ­lig zu recht wei­ter erhält­lich ist. Und ein Anlass, über die Pen­del­be­we­gung der Geschich­te und nie enden­de Kämp­fe um gesell­schaft­li­chen Fort­schritt nachzudenken.

Eben­falls lei­der nur ein dün­nes Buch, aber dafür sehr gegen­wär­tig, ist Becky Cham­bers A Pray­er for the Crown-Shy (2022). Der Titel bedarf viel­leicht einer Erläu­te­rung – kro­nen­scheu bezieht sich hier auf die Bäu­me, die neben­ein­an­der wach­sen, sich aber nie berüh­ren. Das Buch ist der zwei­te Band ihrer Monk-and-Robot-Rei­he. Wäh­rend im ers­ten Teil Dex in die Wild­nis gegan­gen ist und dort dem Robo­ter Mos­scap begeg­ne­te – einem Über­bleib­sel einer ver­ges­se­nen indus­tri­el­len Zeit die­ser post­in­dus­tri­el­len Zivi­li­sa­ti­on -, geht es nun den ande­ren Weg: Dex wird zu Mos­scaps Reiseleiter*in/Weggefährt*in/Anthropolog*in auf dem Weg durch Pan­ga. Die­ser Kunst­griff im Sin­ne Gar­fin­kels ermög­licht es Cham­bers, uns zu zei­gen, wie Pan­ga – viel­leicht eine Uto­pie? – funk­tio­niert und wie die Men­schen hier in Gemein­schaf­ten leben. Viel pas­siert in die­sem Buch nicht. Dex und Mos­scap rei­sen durch eini­ge Orte, reden mit­ein­an­der, phi­lo­so­phie­ren. Und trotz­dem oder genau des­we­gen ist die­ses ent­spann­te Buch genau das rich­ti­ge für unse­re sehr gegen­tei­li­ge Zeit.

The­ma­tisch ein biss­chen ähn­lich – aber viel action­rei­cher – ist Osmo Unknown and the Eight­pen­ny Woods (2022) von Catheryn­ne Valen­te, ein sehr schön geschrie­be­nes Jugend­buch. Die Rei­se­grup­pe besteht hier aus dem Teen­ager Osmo Unknown aus einem welt­ab­ge­schie­de­nen Dorf sowie aus einem unhöf­li­chen Dachs und dem men­schen­scheu­en Pan­go­lin-Mäd­chen Never aus dem Wald. Nach einem schreck­li­chen Ereig­nis müs­sen die drei die Unter­welt der Eight­pen­ny Woods fin­den – und am Schluss her­aus­fin­den, was es mit der Hoch­zeit von Wald und Tal auf sich hat. Sti­lis­tisch ähnelt das Buch den Fairy­land-Büchern von Valen­te mit sur­rea­len Ele­men­ten, die in der Logik der Geschich­te aber voll­kom­men not­wen­dig sind. Mit A Pray­er for the Crown-Shy hat die Ent­ste­hungs­ge­schich­te, wäh­rend der Pan­de­mie geschrie­ben wor­den zu sein, gemein­sam – und viel­leicht des­we­gen den uto­pi­schen Unter­ton, die Fra­ge nach dem Glau­ben an eine soli­da­ri­sche Menschheit. 

Last Exit (2022) von Max Glad­stone ist auf den ers­ten Blick eine typi­sche ame­ri­ka­ni­sche Fan­ta­sy-Road-Saga im Stil von Ame­ri­can Gods, auch wenn die Stra­ße hier und dort durch düs­te­re Schre­ckens­wel­ten statt durch Wüs­ten und Can­yons führt. Auf den zwei­ten Blick geht es dar­um, wie Men­schen damit leben kön­nen, zu ent­de­cken, dass aus mathe­ma­tisch-magi­schen Par­al­lel­wel­ten die Apo­ka­lyp­se droht, und beim Ver­such, etwas dage­gen zu unter­neh­men – noch auf der Uni -, zunächst ein­mal schei­tern. Die Geschich­te spielt eini­ge Jah­re spä­ter, als Zel­da Qiang ihre dama­li­gen Freund*innen aus den inzwi­schen eta­blier­ten Lebens­wel­ten reißt, um es ein zwei­tes Mal zu ver­su­chen. Neben­bei ist Last Exit eine Coming-of-Age-Geschich­te, eine Geschich­te über Ver­rat, und eine Geschich­te dar­über, wie es ist, dro­hen­des Unheil lie­ber zu igno­rie­ren. Da lie­ßen sich dann Par­al­le­len zu unse­rer Zeit mul­ti­pler Kri­sen finden.

Etwas rat­los hat mich The City Insi­de (2022) von Samit Basu zurück­ge­las­sen. Das ist eigent­lich ein Roman über Social Media, in ein Indien/Delhi etwas in der Zukunft gelegt. Die auf­ge­bau­te Welt ist ein­drucks­voll – „Rea­li­ty Pro­du­cer“ mana­gen das per­fek­tio­nier­te Leben von „Flow“-Stars, wäh­rend die Luft vor der Tür so heiß und toxisch ist, dass Atem­schutz­mas­ke und Kühl­pack not­wen­dig sind, um kli­ma­ti­sier­te Räu­me zu ver­las­sen. Unter­schied­lichs­te Rea­li­tä­ten, Kas­ten, Klas­sen kreu­zen sich. Die Super­rei­chen spie­len Intri­gen aus, die Regie­rung ist tota­li­tär, im Unter­grund gibt es einen semi-kri­mi­nel­len Wider­stand. Und mit Joey haben wir eine span­nungs­rei­che und leben­di­ge Haupt­per­son. Trotz­dem passt das alles am Schluss nicht zusam­men, das Buch bricht abrupt ab, ohne zu einer Auf­lö­sung zu kom­men, und auch die „dele­ted sce­nes“ – ist es das Kapi­tel 10, oder sind es tat­säch­lich dele­ted sce­nes – hel­fen nicht wirk­lich wei­ter. Das hät­te mehr sein können.

Eben­falls irri­tie­rend, aber doch eher posi­tiv irri­tie­rend, fand ich Dark Fac­to­ry (2022) von Kathe Koja. In einem Satz wür­de ich sagen: eine schwu­le Lie­bes­ge­schich­te in der durch ubi­qui­tä­re vir­tu­el­le Rea­li­tät noch ein­mal ganz anders gewor­de­nen urba­nen DJ- und Club-Sze­ne der Zukunft gekreuzt mit einem Hauch magi­schem Rea­lis­mus. Inter­es­san­te Haupt­per­so­nen. Und ein sehr eige­ner Schreib­stil mit Sze­nen­wech­seln mit­ten im Satz, eini­gen Neo­lo­gis­men, die nicht erklärt wer­den (wie über­haupt hier nichts erklärt wird), ein dem Gegen­stand ange­mes­se­nes Tem­po. Nett: in die­ser Zukunft scheint deut­sche Kul­tur gera­de hip zu sein, zumin­dest bei der Benen­nung von Cafes, Clubs und Blu­men­lä­den in bei­spiels­wei­se London. 

Science Fiction und Fantasy im Frühjahr 2022, Teil II

Miri im Regal

Nach­dem ich vor ein paar Tagen etwas zu den Fil­men und Seri­en geschrie­ben habe, die ich in die­sem Früh­jahr ange­schaut habe, nun zur (digi­tal) gedruck­ten Literatur.

Ich fan­ge „meta“ an – mit zwei Büchern, die sich auf unter­schied­li­chen Enden der Kom­ple­xi­täts­ska­la mit SF als Lite­ra­tur­gen­re aus­ein­an­der­set­zen. Das ist zum einen der im Ori­gi­nal fran­zö­si­sche Comic Die Geschich­te der Sci­ence-Fic­tion (2021) von Xavier Dol­lo und Dji­bril Moris­se­te-Phan. Nett, auch die Idee, Autor*innen und deren erfun­den­de Wel­ten als Teil der Lehr­ge­schich­te auf­tau­chen zu las­sen – aber irgend­wie wur­de mir nicht so ganz klar, an wen sich das rich­tet. Für eine tie­fer­ge­hen­de Aus­ein­an­der­set­zung mit der Geschich­te der SF ist’s dann doch zu ober­fläch­lich, zudem sind sei­ten­lan­ge in Groß­buch­sta­ben ver­fass­te Info­bo­xen eher nicht so pri­ckelnd. Einer gan­zen Rei­he der Buch‑, Film- und Comic­emp­feh­lun­gen, die am Rand des Comics emp­foh­len wer­den, bezie­hen sich auf die fran­zö­si­sche Gen­re­ge­schich­te und sind hier nicht erhält­lich. Wer noch nichts über die Geschich­te der Sci­ence Fic­tion als Gen­re weiß, wird durch die­ses Buch eher ver­wirrt – wer sich schon damit aus­kennt, wird rela­tiv bald unge­dul­dig. Viel­leicht wäre das gan­ze als inter­ak­ti­ve Web­site inter­es­san­ter als als gedruck­tes Buch. 

Am ande­ren Ende der Kom­ple­xi­täts­ska­la liegt Diet­mar Daths Nie­ge­schich­te. Sci­ence Fic­tion als Kunst- und Denk­ma­schi­ne (2019). Auf fast tau­send Sei­ten ent­wi­ckelt Dath – der ja auch selbst Autor im Gen­re ist – eine an Bei­spie­len und bio­gra­fisch-poli­tisch Exkur­sen rei­che Ana­ly­se der Funk­ti­on von Sci­ence Fic­tion, die auch für Genrekenner*innen noch Ent­de­ckun­gen bereit hält. Das ist aller­dings ein Werk, das stu­diert wer­den muss. Ins­be­son­de­re die zugrun­de­lie­gen­de Theo­rie, die im Begriff des alge­bra­ischen „Auf­he­bungs­funk­tors“ und der „Neg­in­duk­ti­on“ mün­det, stellt Grau­brot oder schlim­me­res dar, und muss erst ein­mal durch­dacht wer­den, um die rest­li­chen 900 Sei­ten mit Genuss und Erkennt­nis­ge­winn zu lesen. Deut­lich wird jeden­falls die Ein­bet­tung der SF-Kunst­pro­duk­ti­on in ihre jewei­li­gen gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se – und deut­lich wird auch, dass das in Geschich­ten gepack­te Nach­den­ken dar­über, wie der Lauf der Din­ge wäre, eigent­lich nie unpo­li­tisch ist, und trotz­dem nicht ein­fach nur ein Werk­zeug ist, son­dern einen eige­nen lite­ra­ri­schen Anspruch entwickelt.

Soweit zum Lesen von Tex­ten über Sci­ence Fic­tion – jetzt zur SF selbst.

Von dem nige­ria­nisch-bri­ti­schen Autor Tade Thomp­son habe ich Rose­wa­ter (2016) gele­sen – ein gar nicht so ein­fach auf einen Punkt zu brin­gen­der Roman aus den 2050er/20260er Jah­ren. Er spielt weit­ge­hend in Nige­ria, an einem Ort namens Rose­wa­ter, der durch eine gigan­ti­sche, undurch­dring­li­che Kup­pel gekenn­zeich­net ist, die das Ali­en Worm­wood errich­tet hat. Die Haupt­per­son, Kaa­ro, ist/war Spe­zi­al­agent mit psy­chi­schen Fähig­kei­ten – und soll nun her­aus­fin­den, war­um „Sen­si­ti­ve“ wie er plötz­lich erkran­ken und ster­ben. Neben der durch­aus packen­den (und mei­nes Erach­tens gut ver­film­ba­ren) Hand­lung kann der Roman auch als Aus­ein­an­der­set­zung mit Hybri­di­sie­rung und lokaler/globaler Kul­tur in Nige­ria gele­sen werden.

Auf Up against it (2011) von Lau­ra Mixon bin ich gesto­ßen, weil Cory Doc­to­row über die jetzt erschie­ne­ne Neu­auf­la­ge get­wit­tert hat. Und hey – es ist extrem bedau­er­lich, Mixon und ihr Buch erst jetzt ent­deckt zu haben. Mich erin­ner­te das Set­ting etwas an The Expan­se (der ers­te Band davon ist eben­falls 2011 erschie­nen), ins­be­son­de­re mit Blick auf die Kon­flik­te zwi­schen Erde und Astro­iden-Sied­lung, letz­te­re der Ort der Hand­lung. Zugleich ist Mixon eine wür­di­ge Nach­fol­ge­rung der cyber­pun­ki­gen Spiel­art der Space Ope­ra (ich den­ke da an Bruce Ster­lings Schis­ma­trix [das Mixon die Idee eines Viri­di­an Move­ments von ihm über­nom­men hat, spricht für sich und für sie] oder die Welt­raum-Bücher von Micha­el Swan­wick), und auch der eine oder ande­re Bezug zu Snow Crash von Neal Ste­phen­son lie­ße sich her­stel­len. Die inein­an­der ver­schränk­ten Fokus­punk­te, die Mixon benutzt, sind zum einen der Blick von Geoff, einem Teen­ager, der lie­ber (Nano-)Dinge zusam­men­hackt, als etwas sinn­vol­les zu tun, und der der Admi­nis­tra­to­rin Jane, die das Wohl­erge­hen der gan­zen Kolo­nie vor Augen hat, und gleich­zei­tig in Macht­spie­len gefan­gen ist. Geoffs Bru­der kommt ums Leben – was erst wie ein Unfall aus­sieht, ist ein Mord – und nur der Beginn einer Ent­wick­lung, die ganz Pho­caea in Gefahr brin­gen kann. Mir hat’s sehr gut gefallen.

Eben­falls Space Ope­ra, aber ganz anders gear­tet, sind eini­ge der Kurz­ge­schich­ten und Novel­len von Ali­et­te de Bodard, die ich erst jetzt für mich ent­deckt habe. Wäh­rend ich mit der Urban Fan­ta­sy Of Dra­gons, Feasts and Mur­ders (2020) nicht viel anfan­gen konn­te, viel­leicht auch, weil ich mich in die S/M‑Beziehung zwi­schen den bei­den Haupt­per­so­nen nicht so rich­tig ein­füh­len konn­te, bin ich an ihren Xuya-Uni­ver­se-Geschich­ten hän­gen geblie­ben. Im ein­zel­nen sind das die Novel­len On a Red Sta­ti­on, Drif­ting [2012], The Cita­del of Wee­ping Pearls [2015], The Tea Mas­ter and the Detec­ti­ve [2018] und Seven of Infi­ni­ties [2020] sowie diver­se Kurz­ge­schich­ten. Die gemein­sa­me Welt (zum Teil tau­chen auch Per­so­nen aus der einen Novel­le im Hin­ter­grund der ande­ren auf) ist ein viet­na­me­sisch gepräg­tes Welt­raum­im­pe­ri­um. Wer­te wie die Ach­tung der Fami­lie und eine strik­te Hier­ar­chie zie­hen sich hier eben­so durch wie AIs, die auf Har­mo­nie­leh­ren auf­bau­en, über­licht­schnel­le Schif­fe steu­ern und Raum­sta­tio­nen kon­trol­lie­ren oder Memo­ry­chips, die den Rat der ver­stor­be­nen Älte­ren immer parat hal­ten – kom­bi­niert mit quee­ren Roman­zen, Kri­mi­nal­fäl­len und Sozi­al­stu­di­en. Eine lesens­wer­te und zu recht mehr­fach preis­ge­krön­te Mischung.

Adri­an Tchai­kovs­kys Elder Race (2021) wirkt erst ein­mal wie Fan­ta­sy – es gibt eine Köni­gin und mit­ein­an­der im Krieg lie­gen­de König­rei­che, es gibt Gerüch­te über Magie und dunk­le Dämo­nen, und auf dem Berg in einem Turm lebt ein Zau­be­rer. Rela­tiv bald ist klar, dass der ein Anthro­po­lo­ge ist (des­we­gen auch die Ver­glei­che mit Le Guin in den Buch­be­spre­chun­gen; ganz die­sen Sta­tus erreicht das Buch mei­ner Mei­nung nach aber nicht), dass es hier um eine ver­ges­se­ne Kolo­nie geht, und dass das, was wie Magie aus­sieht, eigent­lich Tech­no­lo­gie ist. Inter­es­sant wird das Buch durch die dop­pel­te Per­spek­ti­ve – mit Lynes­se sind wir in einem Aben­teu­er­ro­man, mit Nyr in einer Lost-Colo­ny-Geschich­te, und das wech­selt von Kapi­tel zu Kapi­tel, bis die Per­spek­ti­ven begin­nen, sich zu schneiden.

Defi­ni­tiv kei­ne Sci­ence Fic­tion ist dage­gen Fran­ce­s­ca Mays Wild and Wicked Things (2022) – Eng­land nach dem ers­ten Welt­krieg, es gibt Magie, die aller­dings nach dem Ein­satz im Krieg ver­bo­ten und ver­pönt ist. Annie Mason kommt nach Crow Island, um das Erbe ihres Vaters anzu­tre­ten und den Kon­takt zu ihrer Freun­din Bea­tri­ce wie­der her­zu­stel­len. Es gibt Gerüch­te dar­über, dass Magie auf Crow Island gelebt wird – ins­be­son­de­re die Par­tys im Delacroix-Haus sind berüch­tigt. Annie fühlt sich zu Emmel­ine Delacroix hin­ge­zo­gen – und gerät immer tie­fer in die Welt der Magie, die ihre Kos­ten hat. Das Buch ist fes­selnd geschrie­ben und bringt das Zeit­ge­fühl die­ser Zwi­schen­kriegs­zeit sehr gut rüber; in gewis­ser Wei­se muss­te ich daher beim Lesen an Vogts Anar­chie Déco den­ken – bei­den Büchern gemein­sam ist die unge­fäh­re Epo­che, eine que­e­re Lie­bes­ge­schich­te und eben eine Alter­na­tiv­welt­ge­schich­te, in der es Magie gibt – aber so rich­tig leben­dig wird all das für mich bei May und nicht bei den Vogts. 

Nicht wirk­lich emp­feh­len möch­te ich am Schluss Kame­ron Hur­leys Empire Ascen­dant (2015), den zwei­ten Teil ihrer World­brea­k­er-Geschich­te. Ich muss­te mich eher durch­ar­bei­ten, die Viel­zahl an Per­spek­ti­ven mit jeweils unter­schied­li­chen Kon­ven­tio­nen lässt den Über­blick schnell ver­mis­sen. Wer epi­sche Fan­ta­sy – hier ver­mischt mit Par­al­lel­wel­ten – mag, wird eini­ges an Empire Ascen­dant span­nend fin­den, mir war das zu voll­ge­packt, und teil­wei­se auch zu grau­sam. Band 2 gele­sen habe ich vor allem, weil ich am Schluss von Band 1 wis­sen woll­te, wie es wei­ter­geht.. Teil 3 wer­de ich aber erst mal nicht lesen.

Science Fiction und Fantasy im Frühling 2022, Teil I

All­mäh­lich wird es Zeit, die gan­zen Bücher und Filme/Serien, die ich im Früh­jahr ange­schaut habe, Revue pas­sie­ren zu las­sen. Und aus Grün­den tei­le ich das in zwei Bei­trä­ge – heu­te die Fil­me und Seri­en, die Bücher und Kurz­ge­schich­ten fol­gen spä­ter. Ange­guckt habe ich näm­lich – neben einem Rewatch der „Umbrel­la Aca­de­my“ mit mei­nen Kin­dern – ziem­lich viel. Also, eigent­lich nur einen Film – The Green Knight – und gleich vier­ein­halb Serien.

The Green Knight (2021), eine Adap­ti­on der Arthus-Sage, ist ver­dich­tet, hübsch anzu­schau­en, selt­sam, teil­wei­se poe­tisch, und das Ende ist unbe­frie­di­gend düs­ter. Letzt­lich steckt hier in etwas über zwei Stun­den ähn­lich viel Stoff wie in einer gan­zen Staf­fel einer Fan­ta­sy-Serie, aber im ver­dich­te­ten Fokus auf den jun­gen Sir Gawain (der nicht der titel­ge­ben­de Green Knight ist). Also durch­aus inter­es­sant und anse­hens­wert. Und man­ches erschließt sich erst im Nach­le­sen der Wiki­pe­dia-Beschrei­bung. (Machen das ande­re Men­schen auch so, nach dem Film­gu­cken erst mal nach­zu­gu­cken, was sie da gese­hen haben?)

Blei­ben wir bei Fan­ta­sy: The Wheel of Time (2022) ist eine von Ama­zon Prime groß bewor­be­ne Ver­fil­mung der Bücher (ab 1990 erschie­nen) von Robert Jor­dan, die ich aller­dings nicht gele­sen habe. In gewis­ser Wei­se das übli­che: Aus­er­wähl­te, Trau­ma­ti­sie­rung, ein Quest, der Kampf Hell gegen Dun­kel, ein Magie­sys­tem und eine unter­ge­gan­ge­ne Welt. Mir haben sowohl das Cas­ting der Haupt­per­so­nen als auch die Aus­stat­tung, die Kos­tü­me und der Wel­ten­bau (bei allen Plau­si­bi­li­täts­fra­gen) gut gefal­len. Was wahr­schein­lich auf die Vor­la­ge zurück­zu­füh­ren ist, ist der die Serie durch­zie­hen­de Dua­lis­mus: es gibt eine hel­le und eine dunk­le Sei­te, und es gibt eine Welt der Frau­en und eine Welt der Män­ner, die sich durch den Zugan­g/­Nicht-Zugang zu Magie unter­schei­det. Posi­tiv betrach­tet führt das in der ers­ten Staf­fel zu star­ken weib­li­chen Haupt­per­so­nen, aller­dings schwingt für mich da immer auch mehr als ein Hauch Essen­tia­lis­mus mit. Der zwei­te Punkt, bei dem ich mir nicht so sicher bin, was ich davon hal­ten soll (und wie viel davon aus Jor­dans Büchern kommt) ist der Umgang mit den fan­ta­sy-typi­schen sekun­da­ri­sier­ten eth­ni­schen Zuschrei­bun­gen. Das führt einer­seits zu einer im posi­ti­ven Sin­ne sehr divers aus­ge­stal­te­ten Welt, in der unter­schied­li­che Kul­tu­ren, Haut­far­ben, Her­künf­te vor­kom­men, ande­rer­seits sind das teil­wei­se nur sehr dünn über­tünch­te Kli­schees real exis­tie­ren­der Kul­tu­ren, von tra­vel­lers über pseu­do-ara­bi­sche bis hin zu irgend­wie asia­ti­schen Tra­di­tio­nen. Rich­tig selt­sam wird das, wenn einem auf­fällt, dass die wich­tigs­ten Ant­ago­nis­ten der ers­ten Staf­fel dun­kel­häu­tig sind – und der Haupt­geg­ner, The Dark One, bzw. sein Ava­tar Isha­ma­el, an anti­se­mi­ti­sche Kari­ka­tu­ren erin­nert. Soll das so sein?

Die zwei­te Ver­fil­mung einer Buch­rei­he mit Klas­si­ker­sta­tus, die ich mir ange­schaut habe, ist die ers­te Staf­fel von Foun­da­ti­on (2021) nach den Büchern von Isaac Asi­mov. Nomi­nell Sci­ence Fic­tion, in der Jahr­tau­sen­de umspan­nen­den, teil­wei­se mythisch auf­ge­la­de­nen Fas­sung von Sci­ence Fic­tion taucht dann aber doch das eine oder ande­re Fan­ta­sy-Ele­ment auf. Es ist eine Wei­le her, dass ich Asi­movs Foun­da­ti­on gele­sen habe, und ich war mir nicht so sicher, wie die dem Buch zugrun­de­lie­gen­de Psy­cho­his­to­rik als mathe­ma­tisch-sto­chas­tisch basier­ter Blick in die Zukunft in Bil­der umsetz­bar ist. Das ist der Ver­fil­mung gut gelun­gen, wie über­haupt eini­ges an Wow-Effek­ten und span­nen­den ästhe­ti­schen Ent­schei­dun­gen in der ers­ten Staf­fel steckt. Und die Moder­ni­sie­run­gen, die Apple TV bei der Ver­fil­mung vor­ge­nom­men hat – etwa die Ein­fü­gung der einen oder ande­ren weib­li­chen Haupt­per­son in das weit­ge­hend rein männ­li­che Per­so­nal der 1951er Buch­fas­sung – fin­de ich ziel­füh­rend und sinn­voll. Anschaubar.

Und noch eine Buch­ver­fil­mung – The Expan­se ist mit sechs­ten Staf­fel (2021/22) zu Ende gegan­gen, und es ist klar, dass trotz des einen oder ande­ren offe­nen Hand­lungs­fa­dens und Vor­ah­nung wohl – zunächst – kei­ne Fort­set­zung geplant ist. Was scha­de ist, aber immer­hin kommt die Serie in der sechs­ten Staf­fel in gelun­ge­ner Wei­se zu einem Ende. Über alle sechs Staf­fel hin­weg über­zeug­te mich die Mischung aus gro­ßer sola­rer Geo­po­li­tik zwi­schen Erde, Mars und dem „Belt“, dem Aste­ro­iden­gür­tel – und jetzt der Welt hin­ter dem Ring -, über­wie­gend rea­lis­ti­scher Sci­ence-Fic­tion (mit einem zum Glück nur in klei­nen Men­gen bei­gemisch­tem Anteil Hor­ror) und den per­sön­li­chen Ent­wick­lun­gen und Span­nun­gen in der Besat­zung der Rocinan­te. Viel­leicht geht’s ja doch noch weiter.

Dann noch­mal Sci­ence Fic­tion – die zwei­te Staf­fel von Picard (2022) spielt zwar nomi­nell im Star-Trek-Uni­ver­sum, ist aber eigent­lich eine ganz ande­re Geschich­te – über den inner space von Picard und die Trau­ma­ta, die er in sei­ner Kind­heit erlebt hat, über die Ein­sam­keit der Borg – und über die 2020er Jah­re auf der Erde. Dass dafür ein ganz gro­ßer Zeit­rei­se-Bogen gespannt wer­den muss, und nicht immer alles logisch auf­ein­an­der auf­baut: geschenkt. 

Und last but not least: Net­flix hat sei­ner Hor­ror/­Sci­ence-Fic­tion-Antho­lo­gie Love, Death & Robots (2022) eine drit­te Staf­fel gegönnt. Ich habe noch nicht alle Fol­gen ange­schaut, fin­de aber das Kon­zept, Kurz­ge­schich­ten knapp (10–20 Minu­ten je Fol­ge) zu ver­fil­men, zumeist als 3D-Ani­ma­ti­on, durch­aus über­zeu­gend. „The Swarm“ basie­rend auf einer schon etli­che Jah­re alten Kurz­ge­schich­te von Bruce Ster­ling ist nah am Text, wirk­te mir optisch aber zu sehr nach Com­pu­ter­spiel (und außer­dem habe ich mir den Schwarm ganz anders vor­ge­stellt). John Scal­zis drei Robo­ter sind dage­gen ein extrem pas­sen­der Kom­men­tar zur aktu­el­len Lage in den USA. Beson­ders emp­feh­lens­wert fin­de ich die Ver­fil­mung von Micha­el Swan­wicks „The Very Pul­se of the Machi­ne“, allein schon wegen der an Moe­bi­us erin­nern­den gra­fi­schen Umsetzung.

Science Fiction/Fantasy im Vorfrühling 2022

On blue

Ist es in die­sen Zei­ten ange­bracht, Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur zu kon­su­mie­ren und Fil­me und Seri­en anzu­schau­en? Oder viel­leicht sogar not­wen­dig, als Aus­zeit von der mehr­fa­chen Kri­se, die sich rund um uns her­um entfaltet? 

Wie dem auch sei: ich habe in den letz­ten Wochen eini­ges gele­sen und ange­schaut, das sich zur Ablen­kung eignet. 

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Herbstlektüre 2021

Es folgt – wie immer in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den – ein Update dazu, was ich in den letz­ten Wochen/Monaten so gele­sen bzw. ange­schaut habe, also im Bereich Sci­ence Fic­tion und Fantasy. 

Wenn ich mit dem Audio­vi­su­el­len anfan­ge, dann hat mir die Ani­ma­ti­ons­se­rie Insi­de Job (Net­flix) recht gut gefal­len. Dys­funk­tio­na­les Team ver­sucht, in einer der für die Ver­de­ckung von Ver­schwö­run­gen aller Art zustän­di­gen gehei­men Fir­men genau das zu tun, und hat damit mehr oder weni­ger Erfolg. Der eine oder ande­re Scherz mag vor­her­seh­bar sein, ins­ge­samt scheint mir die­se Art von apo­ka­lyp­ti­schem Humor ganz gut ins Jahr 2021 zu passen.

Nur teil­wei­se begeis­tert bin ich dage­gen von Jona­than Stran­ge & Mr Nor­rell (Prime), der Seri­en­ver­fil­mung des Buchs von Susan­na Clar­ke. An und für sich ist die Serie gut gemacht – es geht um die Wie­der­kehr (oder auch nicht) der Magie im frü­hen 19. Jahr­hun­dert in Eng­land, mit peri­oden­ty­pi­schen Kos­tü­men, Aus­stat­tun­gen usw. Aber irgend­wie passt die Serie nicht zu mei­ner (atmo­sphä­ri­schen) Erin­ne­rung an das Buch. 

Ach ja. Dune. Die Neu­ver­fil­mung habe ich mir auch ange­schaut (im Stream, nicht auf der gro­ßen Lein­wand), und … hm. Die Ver­fil­mung ist sehr nah an dem Buch von Frank Her­bert, umfasst aber nur den ers­ten Teil des ers­ten Buchs der Serie. Und eigent­lich ist damit auch schon das größ­te Pro­blem ange­spro­chen: 2 1/2 Stun­den lang geht es um Expo­si­ti­on, die Vor­ge­schich­te wird ange­deu­tet, die ein­zel­nen Akteu­re wer­den vor­ge­stellt, und in der zwei­ten Hälf­te des Films in die bekann­te kri­sen­haf­te Aus­gangs­si­tua­ti­on in der Wüs­te gebracht, auf der der Rest von Dune auf­baut. Sehr schö­ne Bil­der, ins­be­son­de­re die Archi­tek­tur – auch die der bru­ta­lis­ti­schen Beton-Raum­schif­fe – hat mir gut gefal­len. Die Schauspieler:innen machen ihre Sache gut. In der Sum­me, abge­se­hen von ein paar Moder­ni­sie­run­gen, aber letzt­lich gar kei­ne so gro­ße Dif­fe­renz zwi­schen Lynch und Villeneuve. 

Zu den Büchern. 

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