Neben Kurzgeschichten habe ich im April eine Reihe wirklich eindrucksvoller Romane gelesen. Ich fange mal mit den Kurzgeschichten an:
Das war zum einen der Sammelband Glass and Gardens: Solarpunk Summers (2018), herausgegeben von Sarena Ulibarri. Größtenteils schöne Geschichten, aber so ganz warm werde ich mit dem Genre nicht. Die Mischung zwischen hoffungsvoll und gemütlich einerseits und punk andererseits ist … nicht ganz einfach. Und die eine oder andere Geschichte ist mir dann schlicht zu wenig ambivalent, zu naiv. Aber vielleicht braucht’s das ab und an doch.
Dann habe ich von Naomi Kritzer die Geschichte „The Year Without Sunshine“ (2023) gelesen. Auch irgendwie Solarpunk, oder: was passiert, wenn ganz normale Leute in einem ganz normalen Wohnblock etwas, das sich stark nach Apokalypse anfühlt, überstehen müssen. Mehr will ich nicht verraten, aber sehr schön gemacht. Und anders als erwartbar. (Daraufhin habe ich dann auch Kritzers Sammelband Gift of the Winter King and Other Stories (2011) gelesen und wurde nicht enttäuscht: auch hier viele enttäuschte Erwartungen und Dinge, die anders sind, als sie anfangs scheinen. Wer Kurzgeschichten mag, und Kritzer noch nicht kennt, ist da gut aufgehoben).
Dann wie angekündigt, die Bücher. Emily Wilde’s Map of the Otherlands (2024) von Heather Fawcett ist eine gelungene Fortsetzung des ersten Bands, die größten Teils in den Schweizer Alpen – und teilweise in Feenreichen – spielt. Wild und gefährlich, aber nicht zu düster, mit einem ordentlichen Schuss Romantik – und einem etwas abrupten Ende. Aber der dritte Band ist schon für 2025 vorbereitet.
Beeindruckt hat mich Cahokia Jazz (2023) von Francis Spufford. Das ist auf den ersten Blick pures noir aus den 1920er Jahren, mit zwei heruntergekommenen Polizisten, blutigen Verbrechen, Verstrickungen zwischen Halbwelt und Industriebossen und so weiter. Die Hauptperson, Joe Barrow, ist nicht nur Polizist, sondern auch begnadeter Jazz-Pianist (mit düsterer Kindheit). Ach so, und er wird für takouma gehalten, spricht aber nur wenige Worte Anopa. Denn die Metropole Cahokia existiert in unserer Realität nicht. Sie liegt ungefähr da, wo St. Louis am Mississippi zu finden ist, und wird von takouma – den Abkömmlingen der Native Americans, taklousa – Menschen mit afrikanischer Herkunft – und europäischen takata bewohnt. Anopa ist die lingua franca dieses indigenen Staates, der gerade dabei ist, Teil der Vereinigten Staaten zu werden. Die Mafia, der Klan und diverse andere Akteure haben ein Interesse daran, einen Vorwand zu finden, die Macht in Cahokia zu übernehmen. Dass dort „Sonne“ und „Mond“ faktisch weiterhin die Macht haben, dass Land nicht verkauft, sondern nur verpachtet wird, dass hier Anopa gesprochen wird und nicht Englisch – all das ist diesen Gruppen ein Dorn im Auge. Und so wird aus dem Krimi ein Wettlauf gegen die Zeit. Spuffords Alternativgeschichte ist trotz des 1920er-Noir-Themas deutlich lesbarer und stellenweise auch humorvoller als Chabons The Yiddish Policemen’s Union. Das Setting ist nicht nur Setting, sondern wird zum originären Teil der Geschichte, die nur hier möglich ist.
Auch Ruthanna Emrys Winter Tide (2017) spielt in einer alternativen Version der Vereinigten Staaten. Wir befinden uns in den 1940er Jahren, der zweite Weltkrieg ist vorbei. Neben Bürger*innen japanischer Abstammung waren auch die amphibischen Bewohner*innen von Innsmouth (New England) der Verfolgung und Internierung ausgesetzt; nur die in den Ozean entflohenen „Deep Ones“ haben überlebt – und Aphra, die Hauptperson dieses Romans, sowie ihr Bruder Caleb. Emrys stellt Lovecrafts Cthulhu-Mythos hier vom Kopf auf die Füße. Magie ist real; neben den uns bekannten Menschen „der Lüfte“ leben auch Wasser- und Erdmenschen, und überhaupt ist dieser Teil unserer Geschichte nur ein Bruchteil der kosmischen Geschichte. Für Aphra ist Cthulhu Teil ihrer Religion. Gemeinsam mit einer unwahrscheinlichen Gruppe von Held*innen macht sie sich auf die Suche nach den Überresten ihrer Zivilisation, nach den in Innsmouth geraubten Büchern und Überlieferungen. Emrys erzählt das mit viel Empathie, so dass deutlich wird: der eigentliche Horror sind nicht die „Monster“ Lovecrafts. (Siehe dazu auch diese Nicht-Besprechung durch Ada Palmer und, wo wir bei Kurzgeschichten sind, diese hier – ganz anderes Setting, aber ähnliches Thema).
Zu Walk the Vanished Earth von Erin Swan (2022) habe ich mir „verstörend, surreal, aber irgendwas stimmt mit der Mars-Gravitation nicht“ notiert. Das Buch erstreckt sich von 1873 bis 2073 a la David Mitchells Cloud Atlas über mehrere Generationen einer Familie, beginnt – nicht, dass chronologisch erzählt würde – bei der Bisonjagd in der amerikanischen Prärie und endet mit Spaziergängen auf der Mars-Oberfläche. Die Welt endet mehrfach, es geht um Überleben und das Sich-Durchkämpfen ambivalenter Charaktere in tragischen Situationen, um Mord, aber auch um gefundene und gewollte Gemeinschaften und Wahlfamilien. Sehr phantasievoll, streckenweise sehr düster, und nicht so leicht zu ertragen, aber immer interessant. Manche Handlung folgt eher einer Traumlogik, egal, ob in den 1970ern oder 2027. Insgesamt eines der Bücher, das mich im April beeindruckt hat.
Und auch The Deep Sky von Yume Kitasei (2023) ist durchaus empfehlenswert. Das Motiv des Generationenschiffs und der damit verbundenen Konflikte wird hier mal anders durchgespielt. Nonbinärer Feminismus, virtuelle Welten, eine fragwürdige Eliteausbildung und schwierige Mütter-Töchter-Beziehungen kommen ebenso vor wie Sabotage und ein aufzuklärender Mord. Die Hauptfigur Asuka hat japanisch-amerikanische Wurzeln und fühlt sich zwischen beiden Welten. Nicht nur deshalb geht es auch um Außenseitertum und Fremdheit. Also: ziemlich viel, was in den Phoenix, wie hier das Generationenschiff heißt, gepackt wurde – und ein lesenswertes Buch, das bis zuletzt spannend bleibt.
Angeschaut habe ich mir vor allem Serien – die fünfte Staffel von Star Trek: Discovery macht sich gut, und auch die ersten paar Folgen von Three Body Problem halten, was versprochen wurde (auch wenn vieles anders ist als im Buch). In Fallout habe ich – ohne das Videospiel zu kennen – mal reingeschaut, weiß aber noch nicht, ob das was für mich ist – interessantes Setting, aber dann doch arg blutig und zu viel post-apokalyptische Gewalt und zu wenig Alltag im Fallout-Shelter. Gesehen habe ich außerdem Damsel, eine recht gut gemachte Umdrehung der Rettet-die-Prinzessin-Geschichte.