Acht statt zwölf

Wis­sen­schaft ist Defi­ni­ti­ons­sa­che. Und man­che wis­sen­schaft­li­che Defi­ni­ti­on hat auch einen erheb­li­chen Ein­fluss dar­auf, wie wir alle unse­re Wirk­lich­keit wahr­neh­men. Z.B. weiss doch jedes Kind, dass es neun Pla­ne­ten gibt. In den letz­ten Tagen wur­de inner­halb der inter­na­tio­na­len Astro­no­men­ver­ei­ni­gung dar­über dis­ku­tiert, eine Defi­ni­ti­on über den Pla­ne­ten­sta­tus fest­zu­le­gen, nach der meh­re­re in letz­ter Zeit ent­deck­te Objek­te eben­so wie der Aste­ro­id Ceres Pla­ne­ten­sta­tus erhal­ten hät­ten. Das wären dann zwölf bis ?? Pla­ne­ten gewe­sen. Doch – so berich­tet jeden­falls Spie­gel online – die end­gül­ti­ge Ent­schei­dung fiel anders aus: Plu­to ist ab sofort kein Pla­net mehr: zu klein und zu exentrisch.

Update: in der CNN-Mel­dung zu dem gan­zen gibt es einen schö­nen Satz zum Ver­hält­nis von Defi­ni­ti­on und Rea­li­tät. Da steht nämlich:

It was unclear how Pluto’s demo­ti­on might affect the mis­si­on of NASA’s New Hori­zons space­craft, which ear­lier this year began a 91/2‑year jour­ney to the oddball object to unearth more of its secrets.

Wenn ich das rich­tig inter­pre­tie­re, dann mag die NASA mög­li­cher­wei­se ungern Din­ge anflie­gen, die kei­ne Pla­ne­ten mehr sind? Oder wie sonst ist „affect the mis­si­on“ zu ver­ste­hen? Hat sich Plu­tos Anzie­hungs­kraft, Ent­fer­nung usw. mit der Ent­schei­dung geän­dert, so dass die NASA-Son­de jetzt – nach­dem Plu­to kein ech­ter Pla­net, son­dern nur noch ein „dwarf pla­net“ ist – dran vor­bei­flie­gen wird?

> Mel­dung bei Spie­gel online über die IAU-Ent­schei­dung, Plu­to den Pla­ne­ten­sta­tus abzuerkennen
> Tele­po­lis von ges­tern: zwölf Planeten
> CNN-Mel­dung

Grundeinkommen und Wachstum beim Deutschen Studienpreis

Einer der Haupt­prei­se des dies­jäh­ri­gen Deut­schen Stu­di­en­prei­ses der Kör­ber-Stif­tung ging – unter dem Mot­to EIN SOLI FÜR MEHR KREATIVITÄT. Wie ein Grund­ein­kom­men für alle Wirt­schafts­wachs­tum för­dert – an Tobi­as Lorenz aus Stutt­gart, der die (posi­ti­ven) Effek­te eines Grund­ein­kom­mens theo­re­tisch und mit einer Agen­ten-Simu­la­ti­on unter­sucht. Der Autor ver­bin­det dabei phi­lo­so­phi­sche Argu­men­ta­tio­nen mit wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Über­le­gun­gen – ein inter­es­san­ter Ansatz.

> News­let­ter der Kör­ber-Stif­tung zum Deut­schen Stu­di­en­preis mit Infos zum oben genann­ten Bei­trag und wei­te­ren Links zur Grund­ein­kom­mens­de­bat­te (etwa ab der Mit­te der Web­site, lässt sich lei­der nicht direkt verlinken)
> Über­sicht über den Bei­trag von Tobi­as Lorenz, Link zum PDF-Volltext

Warum ich dann doch nicht gestreikt habe

Wie das so ist: gra­de war der lan­ge Text fer­tig, gra­de woll­te ich auf „Ein­trag spei­chern“ kli­cken, hängt sich mein Rech­ner auf. Also, zwei­ter Ver­such, etwas kürzer: 

Warum ich heute nicht gestreikt habe

Ver­mut­lich haben es gar nicht so vie­le Men­schen mit­be­kom­men: im Rah­men der „Tarif­be­we­gung“ von ver.di – also dem Ver­such, die 38,5‑Stunden-Woche im öffent­li­chen Dienst zu ret­ten und die Län­der zurück in einen ein­heit­li­chen Tarif­ver­trag zu bewe­gen – wur­de heu­te auch die Uni­ver­si­tät Frei­burg bestreikt. Ich wuss­te das auch nicht, bis vor ein paar Tagen eine Mail aus dem Reko­rat kam, die ver­se­hent­lich an alle Mit­ar­bei­te­rIn­nen der Uni geschickt wur­de, und in der Vor­ge­setz­te gebe­ten wur­den, dem Rek­to­rat mit­zu­tei­len, wer denn alles streikt. Aha: die Uni streikt also auch, und nicht nur die Müll­ab­fuhr (die aus irgend­wel­chen Grün­den bei uns der­zeit trotz­dem funk­tio­niert). Ges­tern dann also die Fra­ge: mit­strei­ken oder nicht? Nach län­ge­rem Suchen fand ich den Auf­ruf des Per­so­nals­rats zum Streik. Ist also offi­zi­ell, das mit dem Streik. So rich­tig viel stand da aller­dings auch nicht: ein paar sinn­vol­le Grün­de, die nüch­ter­ne Uhr­zeit 8.30 Uhr (früh!) und die Tat­sa­che, dass nach dem Ende der Kund­ge­bun­gen um 11 Uhr mit Bus­sen nach Straß­burg gefah­ren wer­den soll, um dort wei­ter­zu­strei­ken (war­um auch immer, ver­mut­lich wegen der EU-Dienst­leis­tungs­richt­li­nie, stand da jeden­falls nicht). 

Ange­sichts der Uhr­zeit dann doch noch­mal die Fra­ge: extra früh auf­ste­hen, um zu strei­ken? Denn so rich­tig viel Sinn ergibt das mit einem Streik als Akti­ons­form für mich – und ver­mut­lich für vie­le ande­re wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rIn­nen auf den übli­chen BAT-2a/2‑­Dritt­mit­tel­stel­len – nicht. Ers­tens merkt es, wenn nicht gera­de ein Semi­nar aus­fällt, nie­mand; und zwei­tens ist mei­ne Arbeit glück­li­cher­wei­se so fle­xi­bel und auto­nom, dass ich selbst dafür ver­ant­wort­lich bin, recht­zei­tig zu diver­sen Dead­lines diver­se For­schungs­be­rich­te abzu­lie­fern. Nicht zu arbei­ten, heißt dann: das spä­ter nach­ho­len zu müs­sen, und letzt­lich fak­tisch mehr unbe­zahl­te Über­stun­den zu machen. Bei Leu­ten, die auf einer hal­ben Stel­le pro­mo­vie­ren, sieht die Situa­ti­on noch kras­ser aus. Da ist es fast eher eine Form von Selbstständigkeit.

Für einen Streik sprach für mich vor allem, dass ich eigent­lich genau zu der Betrof­fe­nen­grup­pe gehö­re: mein eines Dritt­mit­tel­pro­jekt ist aus­ge­lau­fen, mit dem neu­en Pro­jekt gab es einen neu­en Ver­trag, und der sah dann plötz­lich 20,5 Stun­den wöchent­li­che Arbeits­zeit und diver­se Klau­seln vor, die ver­mut­lich auf „Weg­fall von Urlaubs- und Weih­nachts­geld“ hinauslaufen. 

Ich bin dann also tat­säch­lich früh auf­ge­stan­den, zur Uni gegan­gen und habe etwa 100 Men­schen gefun­den, die vor dem Hin­ter­ein­gang des KG II stan­den und sich eine lang­wei­li­ge Rede anhör­ten. Die meis­ten davon mit roter Kap­pe und ver.di-Streik-Plastikumhang. Außer­dem gab es zwei Trans­pa­ren­te, und zwei oder drei Leu­te von Links­ruck, die auf umfunk­tio­nier­ten Links­ruck-Stan­dard­de­mo­stan­dar­ten Wer­bung für die WASG mach­ten. Nie­mand dabei, den ich ken­ne, und 100 Leu­te sind auch etwas wenig für die Uni mit ein paar tau­send Beschäf­tig­ten. Und phan­ta­sie­vol­le Aktio­nen (Stu­di­pro­tes­te set­zen da an Hoch­schu­len die Maß­stä­be) sehen anders aus. 

Also war­te ich erst­mal ab, gucke mich unschlüs­sig um und ent­schlie­ße mich dann, qua­si als Gegen­pro­be mal im Insti­tut vor­bei­zu­schau­en. Dort läuft alles sei­nen gewohn­ten Gang, von einem Streik scheint hier nie­mand etwas mit­ge­kriegt zu haben. Die Faul­heit oder Feig­heit sieg­te dann, und statt zu strei­ken, bin ich mit mei­nem Pro­jekt ein gan­zes Stück weitergekommen.

Irgend­wann spä­ter am Tag war ich dann mal in der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek – halb befürch­tend, dass die­se zu ist (das wäre jeden­falls mein Ziel gewe­sen, wenn ich einen Uni­streik orga­ni­siert hät­te) – aber da lief alles sei­nen gewohn­ten Gang.

Ver.di beklagt sich dar­über, dass der Bereich „Bil­dung, Wis­sen­schaft und For­schung“ so schlecht orga­ni­siert ist, und for­dert zu Soli­da­ri­tät auf. Mich wun­dert das nicht wirk­lich – abge­se­hen von den Per­so­nal­rats­wah­len und Per­so­nal­ver­samm­lun­gen ist von den Gewerk­schaf­ten ver.di und GEW an der Uni wenig zu sehen. Und über­zeu­gen­de Kon­zep­te dafür, wie Leu­te auf rela­tiv eigen­stän­di­gen Wis­sen­schaft­le­rIn­nen-Stel­len ange­spro­chen wer­den sol­len, sind mir bis­her auch nicht aufgefallen. 

> ver.di zum Streik
> zum Wei­ter­le­sen: Mar­cus Ham­mer­schmitt: Rück­kehr des Streiks?

Condition Venus?

Im Spie­gel-Online heu­te fin­det sich eine klei­ne Mel­dung, dass ver­mut­lich noch in die­sem Jahr­hun­dert der glo­ba­le Erwär­mungs­pro­zess eine kri­ti­sche Schwel­le über­schrei­ten und dann beschleu­nigt statt­fin­den wird [Spie­gel Online]. Das Sci­ence-Fic­tion-Buch dazu gibt es schon län­ger: Nor­man Spin­rads Green­house Sum­mer. Mei­ne Bespre­chung dazu:

Spin­rad, Nor­man (2000): Green­house Sum­mer. New York: Tor. 

Nach diver­sen nicht so tol­len Sachen end­lich mal wie­der ein gelun­ge­nes Buch von Spin­rad – ich hab’s mir auf­grund des Pro­be­ka­pi­tels auf sei­ner Home­page gekauft. Kurz die Geschich­te: Moni­que Cal­houn ist Citi­zen-Share­hol­der des nach­ka­pi­ta­lis­ti­schen Syn­di­kats Bread & Cir­cu­ses (Public Rela­ti­ons etc.) und bekommt den Auf­trag, die ViP-Betreu­ung der aktu­el­len UN-Kli­ma­kon­fe­renz in Paris zu über­neh­men. Dort ange­kom­men, erfährt sie, dass ihr Auf­trag etwas wei­ter reicht – und dass Bread & Cir­cu­ses und die UN nicht ihre ein­zi­gen Auf­trag­ge­ber sind. 

Der Treib­haus­ef­fekt und sei­ne Effek­te in der nicht all­zu fer­nen Zukunft bil­det nicht nur das hin­rei­ßend geschil­der­te Hin­ter­grund­sze­na­rio, vor­dem der Roman spielt, son­dern auch einen Haupt­strang des Buchs: Ist Con­di­ti­on Venus – also der expo­nen­tia­le, nicht mehr umkehr­ba­re Tem­pe­ra­tur­aus­stieg, der alles Leben aus­lö­schen wird, unaus­weich­bar? Auch dar­auf muss Moni­que Cal­houn eine Ant­wort fin­den. Sie selbst ist dabei hin- und her­ge­ris­sen zwi­schen Blau und Grün, zwi­schen den Ver­lie­rern – den unter­ge­gan­ge­nen oder völ­lig aus­ge­dürr­ten Lands of the Lost im Süden – und den Gewin­nern – das gol­de­ne Sibi­ri­en, Paris, das mehr und mehr dem eben­falls unter­ge­gan­ge­ne New Orleans ähnelt, … 

Die von Spin­rad geschil­der­te Zukunft baut kon­se­quent auf der Prä­mis­se auf, dass Kapi­ta­lis­mus (eben­so wie der Natio­nal­staat) hier ein zwar noch ein­fluß­rei­ches, aber ver­al­te­tes Relikt ist – und dass statt des­sen Syn­di­ka­te mit citi­zen-share­hol­ders das Geschick bestim­men. »Never be a citi­zen of any­thing in which you would want not to hold shares.« (120). Von kapi­ta­lis­ti­schen Groß­kon­zer­nen unter­schei­den die­se sich ins­be­son­de­re dadurch, dass sie eine Moral ken­nen. Aber neben den Syn­dics – B&C, aber auch die »Bad Boys« und ein syn­di­ka­lis­ti­scher Mos­sad-Nach­fol­ger – spie­len die alten kapi­ta­lis­ti­schen unmo­ra­li­schen Kon­zer­ne wei­ter­hin eine wich­ti­ge Rol­le – vor allem die Kli­ma­tech­nik-Fir­men, die mit Orbi­tal­spie­geln und Wol­ken­ge­ne­ra­to­ren, gen­tech­nisch ver­än­der­ten Pflan­zen und ande­rem ihren Pro­fit aus der Kli­ma­ka­ta­stro­phe zie­hen (»The Big Blue machi­ne is … a machi­ne. A mecha­nism for gene­ra­ting pro­fit with no human respon­si­bli­ty in the cir­cuit, indi­vi­du­al or coll­ec­ti­ve.«, 235).

Und auch für die Freun­de von Cyborgs gibt es eine Über­ra­schung in die­sem Buch.

[orig. 1999]