Ein historisches Ereignis

Chairpersons II

Auch wenn ich ges­tern weder in Stutt­gart sein konn­te noch am Arbeits­platz­rech­ner den Live­stream ver­fol­gen konn­te, habe ich natür­lich mit­ge­zit­tert – und war (wie mei­ne gan­ze Twit­ter­time­line) dann schon gerührt, froh, auf­ge­regt, eupho­risch, glück­lich, gespannt auf alles, was jetzt kommt, als ges­tern Mit­tag das Ergeb­nis der Wahl zum Minis­ter­prä­si­den­ten des Lan­des Baden-Würt­tem­berg ver­kün­det wur­de. Nein, kein zwei­ter Wahl­gang – dafür sogar zwei Stim­men aus der Oppo­si­ti­on (wie selt­sam es ist, dass die­ser Begriff in die­sem Land jetzt CDU und FDP meint). Und Win­fried Kret­sch­mann als ers­ter grü­ner Minis­ter­prä­si­dent in Deutschland. 

Ein gutes Vier­tel­jahr­hun­dert nach der Ver­ei­di­gung des ers­ten grü­nen Minis­ters ist das ein gewal­ti­ger Schritt für uns Grü­ne – aber natür­lich noch viel wich­ti­ger: auch ein ganz ent­schei­de­ner Schritt für Baden-Württemberg. 

Mein klei­ner Bei­trag zum Jubel ges­tern war die­ses Twit­pic, das dann prompt viral wur­de und inzwi­schen knapp 4000 Mal auf­ge­ru­fen wurde. 

Jetzt bin ich wie gesagt sehr gespannt, wie das alles wei­ter­geht. Wer­den wir Grü­nen jetzt zur Volks­par­tei? Oder ist das eine über­hol­te Kate­go­rie? Ist die Regie­rungs­be­tei­li­gung als stärks­te Par­tei ein ein­ma­li­ges Ereig­nis, oder hat sich da tat­säch­lich was ver­scho­ben im Par­tei­en­sys­tem? Bleibt Win­fried Kret­sch­mann habi­tu­ell so, wie er ist? Oder heben Win­fried und sei­ne Regie­rungs­trup­pe jetzt ab? Krie­gen wir das mit der Poli­tik des Gehört­wer­dens hin? Und wie läuft’s mit der Lan­des­par­tei wei­ter, die jetzt u.a. eine neue Vor­sit­zen­de und eine neue Lan­des­ge­schäfts­füh­re­rin braucht, und die auf ihrer nächs­ten Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz dann viel­leicht schon mit den ers­ten ent­täusch­ten Erwar­tun­gen klar­kom­men muss? 

Also Fra­gen über Fra­gen – aber erst ein­mal über­wiegt bei mir immer noch das Gefühl, kaum glau­ben zu kön­nen,* dass es gera­de in Baden-Würt­tem­berg geklappt hat.

* Neben­bei bemerkt: in die­sen Tagen erscheint end­lich die Aus­ga­be 1/2011 der Revue d’Allemagne et des Pays de lan­gue alle­man­de, in der ich einen Text habe, den ich im Herbst 2010 geschrie­ben habe. Letzt­lich geht’s in dem Text um Tech­nik­feind­lich­keit, aber ein biss­chen eben auch um die Grü­nen. Ange­sichts der Umfra­ge­wer­te kurz nach Stutt­gart 21 und der gro­ßen Mobi­li­sie­rung zu den Pro­tes­ten gegen die Lauf­zeit­ver­län­ge­rung (noch weit vor Fuku­shi­ma!) habe ich dort schon die Mut­mas­sung geäu­ßert, dass es zumin­dest mög­lich gewor­den ist, dass wir Grü­ne in Baden-Würt­tem­berg den Minis­ter­prä­si­den­ten stel­len könn­ten. Aber so ganz glau­ben kön­nen, dass das Wirk­lich­keit sein wird, wenn der Text erscheint, habe ich damals noch nicht. Da war viel mehr noch die Idee da, dass allein schon die Ver­schie­bung von „völ­lig undenk­bar, grün zu wäh­len“ zu „jetzt wäh­le ich grün“ in vie­len Köp­fen was bewegt hat, was dann in den nächs­ten Jah­ren zu einem all­mäh­li­chen Wan­del im Par­tei­en­sys­tem füh­ren könn­te. Aber wie viel­leicht bei alle gro­ßen Ereig­nis­sen: Statt all­mäh­li­chem Wan­del gab’s einen Bruch und eine Neuausrichtung.

Kurz: Baden-Württemberg nach der Wahl

Ich woll­te nur kurz auf drei Bei­trä­ge von mir im „Grün­zeug am Mitt­woch“ hin­wei­sen, die sich alle mit der Situa­ti­on nach der Wahl in Baden-Würt­tem­berg beschäftigen.

1. Ver­ant­wor­tungs­vol­le Wahl: was die grü­ne Regie­rungs­be­tei­li­gung bedeu­tet, und wem wir sie zu ver­dan­ken haben

2. Memo to self: beim nächs­ten Mal bit­te recht­zei­tig über­le­gen, wie Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen trans­pa­rent gestal­tet wer­den können

3. Die Gren­zen des Mach­ba­ren: über Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen, Erwar­tun­gen, Zeit, Macht und Sachzwänge

Erst wenn die CDU das erste AKW vom Netz nimmt, glaube ich Merkel und Mappus

Das Rieselfeld zeigt Flagge gegen Atomkraft

Wenn es denn tat­säch­lich so wäre, dass die CDU (und die FDP) jetzt in der Atom­po­li­tik umden­ken, wür­de mich das freu­en. Über­zeugt davon bin ich aber kei­nes­wegs, auch wenn Mer­kel lei­se­re Töne anschlägt und Map­pus eine Exper­ten­kom­mis­si­on ein­be­ruft. Zum einen, weil ich das wie Micha­el Spreng als eine vor allem auch dem Wahl­kampf geschul­de­te Insze­nie­rung von Hand­lungs­be­reit­schaft wahr­neh­me, die in einem hal­ben Jahr wie­der ver­ges­sen ist. Wenn Mer­kel ihren Vor­schlag einer Sicher­heits­über­prü­fung aller AKWs in Deutsch­land ernst mei­nen wür­de, dann müss­te es jetzt ein Mora­to­ri­um geben – eine Abschal­tung aller AKWs, dann die Sicher­heits­über­prü­fung, dann die Wie­der­zu­las­sung der AKWs, die als sicher ange­se­hen wer­den. Solan­ge kei­ne Schrit­te in eine sol­che Rich­tung unter­nom­men wer­den, ist es Kri­sen­be­wäl­ti­gungs­rhe­to­rik, sonst nichts. (Von der Rück­nah­me der Lauf­zeit­ver­län­ge­rung rede ich erst gar nicht).
„Erst wenn die CDU das ers­te AKW vom Netz nimmt, glau­be ich Mer­kel und Map­pus“ weiterlesen

Kurz: Fünf Fragen an das grüne Spitzenkleeblatt

Das Spitzenteam IV
Schluss-Insze­nie­rung beim Lan­des­aus­schuss in Mann­heim: von links nach rechts die Lan­des­vor­sit­zen­de Sil­ke Krebs, Bärbl Mie­lich MdL, Spit­zen­kan­di­dat Win­fried Kret­sch­mann MdL, Andre­as Schwarz, Gise­la Splett MdL und Bun­des­vor­sit­zen­der Cem Özdemir

Im Blog der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen schrei­be ich ja wöchent­lich einen Bei­trag unter dem Titel „Grün­zeug am Mitt­woch“. Heu­te ist Fol­ge 100 erschie­nen (wobei das ein klein wenig gemo­gelt ist, weil eini­ge „Dop­pel­num­mern“ dabei sind; tat­säch­lich sind es 93 Blogbeiträge). 

Statt für einen Rück­blick o.ä. habe ich die­se Fol­ge dazu genutzt, die in der Vor­weih­nachts­zeit begon­ne­ne Vor­stel­lungs­run­de zum grü­nen Spit­zen­per­so­nal für die Land­tags­wahl 2011 in Baden.Württemberg abzu­schlie­ßen. Den drei Mit­glie­dern des Spit­zen­teams und dem Spit­zen­kan­di­da­ten habe ich jeweils fünf Fra­gen gestellt: Wie sie zu den Grü­nen gekom­men sind, was ihnen an den Grü­nen wich­tig ist, was sie als ihren grö­ßen poli­ti­schen Erfolg bis­her betrach­ten, wo es in ihrem jewei­li­gen The­men­feld in Baden-Würt­tem­berg brennt – und wel­ches Buch sie zuletzt gele­sen haben. Ins­ge­samt ergibt sich damit, so mei­ne ich, ein ganz auf­schluss­rei­cher Blick auf vier ganz unter­schied­li­che poli­ti­sche Persönlichkeiten. 

Wer sich die recht unter­schied­lich aus­fal­len­den Ant­wor­ten anschau­en will, fin­det die Kurz­in­ter­views mit Andre­as Schwarz, Gise­la Splett, Win­fried Kret­sch­mann und Bärbl Mie­lich im Blog der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grünen.

Kurz: Klare Ansage in der taz

Mal wie­der ein Leser­brief in der taz – inhalt­lich geht’s um die Fra­ge, ob es sinn­voll ist, vor der Wahl zu sagen, was nach der Wahl mög­lich ist, oder nicht. Habe ich hier noch ein biß­chen aus­führ­li­cher dar­ge­stellt; uter den Kom­men­ta­ren ist auch ein schö­ner Leser­brief von Thors­ten Depp­ner, den die taz aber wohl lei­der bis­her nicht abge­druckt hat. Mei­ner wur­de auch mal wie­der deut­lich gekürzt …

Kla­re Ansage
betr.: „Die grü­ne Gefahr“, taz vom 6. 10. 10

Ach­tung: Nicht die eige­nen Pro­jek­tio­nen (aus dem fer­nen Ber­lin) mit dem ver­wech­seln, was in Baden-Würt­tem­berg gera­de pas­siert. Win­fried Kret­sch­mann mag in man­cher Hin­sicht zu kri­ti­sie­ren sein. Dass er klar sagt, dass auch die Grü­nen nicht garan­tie­ren kön­nen, dass Stutt­gart 21 in eini­gen Mona­ten noch umkehr­bar ist, rech­ne ich ihm hoch an. Dass ist doch genau das Gegen­teil der übli­chen him­mel­blau­en Wahl­ver­spre­chen, die nach der Wahl dann klamm­heim­lich und mit ein­ge­zo­ge­nem Schwanz abge­räumt wer­den. Ob Wäh­le­rIn­nen so viel Ehr­lich­keit hono­rie­ren, weiß ich nicht.

Als poli­ti­scher Stil ist es jeden­falls begrü­ßens­wert, klar die eige­nen Zie­le zu benen­nen und gleich­zei­tig dar­auf hin­zu­wei­sen, dass auch die poli­ti­sche Hand­lungs­macht neu gewähl­ter Regie­run­gen ihre Gren­zen hat. Wie übri­gens auch der Volksentscheid.

TILL WESTERMAYER, Freiburg