Wahrheit oder Pflicht: Nachbetrachtung zum grünen Mitgliederentscheid

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Eine Beson­der­heit des grü­nen Bun­des­tags­wahl­kampfs 2013 war der Mit­glie­der­ent­scheid (kurz ). Nach dem Beschluss des Wahl­pro­gramms durch die Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz waren alle Mit­glie­der der Par­tei auf­ge­ru­fen, in einer Mischung aus Online-Debat­te und Off­line-Abstim­mung zu ent­schei­den, wel­che der 58 Schlüs­sel­pro­jek­te aus dem Wahl­pro­gramm zen­tral für den Wahl­kampf sein sol­len (sie­he dazu auch Blen­ded Par­ti­ci­pa­ti­on: Grü­ner Mit­glie­der­ent­scheid gestar­tet, Eini­ge Kenn­zah­len zum grü­nen Mit­glie­der­ent­scheid und Nach dem Mit­glie­der­ent­scheid).

Ich schrieb im Mai 2013, dass es drei Kri­te­ri­en sind, an denen sich der Erfolg des Mit­glie­der­ent­scheids bewer­ten lässt: 1. die Mobi­li­sie­rungs­wir­kung, also die Fra­ge, wie vie­le Mit­glie­der an den Debat­ten teil­neh­men, wie hoch die Betei­li­gung am Ent­scheid ist, und wel­ches Echo die gewähl­ten Pro­jek­te ent­fal­ten; 2. die Sicht­bar­keit, ob es also gelingt, den Mit­glie­der­ent­scheid öffent­lich sicht­bar zu machen, und 3. die par­ti­zi­pa­ti­ve Wir­kung, wie weit die Ergeb­nis­se also tat­säch­lich im Wahl­kampf und danach eine Rol­le spielen.

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Zwei Flügel auf der immerwährenden Suche nach der Mitte

Sunflower's end IV

Viel­leicht bin ich ein­fach schon zu lan­ge dabei in die­ser Par­tei, viel­leicht ist das der Grund, war­um ich das der­zeit statt­fin­den­de inner­par­tei­li­che Rin­gen um die Deu­tungs­macht nach der Wahl­nie­der­la­ge nicht beson­ders beein­dru­ckend fin­de. Wir strei­ten über den rich­ti­gen Kurs, das tun wir als Par­tei, das tun wir gemein­sam – und wir tun es nicht zum ers­ten Mal. Und es wird, da bin ich mir sicher, nicht mit dem Durch­marsch des einen oder des ande­ren Flü­gels enden, son­dern mit einer neu­en Selbst­ge­wiss­heit grü­ner Eigenständigkeit.

Eingeständnisse und Eigenständigkeit

Auch der ges­tern statt­ge­fun­de­ne Län­der­rat zum Wahl­aus­gang, an dem ich als Dele­gier­ter für Baden-Würt­tem­berg teil­ge­nom­men habe, ändert nichts an die­ser Bewer­tung. Nein, er bestärkt mich sogar in die­ser Auf­fas­sung. Klar: Es gab die gro­ßen Schau­fens­ter­re­den, in denen nicht nur für den einen oder ande­ren Kurs gewor­ben wur­de, son­dern auch ver­sucht wur­de, die Schuld für die Wahl­nie­der­la­ge mög­lichst auf der ande­ren Sei­te des inner­par­tei­li­chen Spek­trums abzu­la­den. Eini­ge Reden las­sen sich hier rich­tig schön als Mus­ter­bei­spiel dafür her­neh­men, wie ver­sucht wird, nach­träg­lich ein neu­es Nar­ra­tiv über die Tat­sa­chen zu stül­pen, bei dem dann die „ande­re Sei­te“ schlech­ter als vor­her dasteht.

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Das Erwartungsproblem, oder: Wählen als Akt der Informationsvernichtung

Rain drop pattern

Ein gro­ßer Nach­teil an Wah­len ist der Infor­ma­ti­ons­ver­lust, den die Stimm­ab­ga­be mit sich bringt. Der fällt mir z.B. dann ein, wenn der sys­tem­kri­tisch-aktiv­po­li­tik­ver­dros­se­ne Teil der Nicht­wäh­le­rIn­nen damit argu­men­tiert, „der Poli­tik“ (oder schlim­mer noch: „den Poli­ti­kern“) ein Signal sen­den zu wol­len. Der Code, in dem die­se Kom­mu­ni­ka­ti­on statt­fin­det, ist extrem beschränkt: Wahl ja/nein, und falls ja, eben eine von fünf bis sechs rea­lis­ti­schen und diver­sen unrea­lis­ti­schen Optio­nen. Ob ein „Nicht­wahl“: „kei­ne Lust, inter­es­siert mich nicht“, „ist mir egal“, „kei­ne der Par­tei­en“ oder „wir brau­chen drin­gend eine Revo­lu­ti­on“ bedeu­tet, kann seriö­ser­wei­se nie­mand wissen. 

Und es sind ja nicht nur die Nicht­wäh­le­rIn­nen, die mei­nen, so mit „der Poli­tik“ kom­mu­ni­zie­ren zu kön­nen. „Ich wähl euch nicht mehr“, heißt es dann am Infostand. 

Ob eine Stim­me ein „dies­mal wäh­le ich doch noch ein­mal das klei­ne­re Übel“ bedeu­tet oder „ich fie­be­re mit euch, damit es end­lich klappt“ – das ist in der Sitz­ver­tei­lung des Bun­des­tags nicht mehr zu erken­nen. Auch der Blick auf Wäh­ler­wan­de­run­gen und auf die sozio­de­mo­gra­phi­sche Auf­glie­de­rung des Wahl­er­geb­nis­ses hilft hier nur begrenzt wei­ter. Im Erst­stim­men­er­geb­nis ist nicht zu erken­nen, ob X vie­le Stim­men bekom­men hat, weil sie so eine char­man­te Per­sön­lich­keit hat, oder aus tak­ti­schen Erwä­gun­gen. Der „Wäh­ler­wil­le“ spie­gelt sich selbst­ver­ständ­lich in den Zweit­stimm­ergeb­nis­sen wie­der – aber geht eben auch dort nicht über die Infor­ma­ti­on „Par­tei A hat xyz Pro­zent der Stim­men erhal­ten“ hinaus. 

Eine Stim­me für Grün kann eine für die Ener­gie­wen­de sein oder für Bür­ger­rech­te, kann eine aus der bür­ger­li­chen Mit­te sein, bei der wir trotz Angst vor dem Schat­ten­wurf der Steu­er­plä­ne gewählt wor­den sind, oder eine, mit der sich die heim­li­che Hoff­nung auf Rot-Grün-Rot und einen radi­ka­len Wech­sel ver­bin­det. Eine Stim­me, die im Ver­gleich zu Umfra­ge­er­geb­nis­sen oder vor­he­ri­gen Wah­len fehlt, kann durch die Kam­pa­gne der letz­ten Tage abge­schreckt wor­den sein oder das Resul­tat kon­kre­ten poli­ti­schen Han­delns in den letz­ten Jahren. 

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Kurz nach Bayern

Das Ergeb­nis der Bay­ern­wahl ist mit 8,x% 8,6% und einem in abso­lu­ten Zah­len etwa gleich­blei­ben­den nur leicht gestie­ge­nen Anteil grü­ner Wäh­le­rIn­nen ent­täu­schend. Natür­lich wäre es jetzt span­nend, über mög­li­che Ursa­chen zu spe­ku­lie­ren. Aber wir ste­hen eine Woche vor der ent­schei­den­den Bun­des­tags­wahl. Da ist eine – womög­lich nach Flü­geln auf­ge­stell­te – öffent­li­che Stra­te­gie­de­bat­te alles ande­re als hilf­reich. Die wird es nach der Wahl geben, etwa am 27.9. beim Län­der­rat. Bis dahin wer­de ich zumin­dest mich mit Äuße­run­gen zurück­hal­ten, und hof­fe, dass ich damit nicht allein ste­he (nur soviel: ich sehe Feh­ler gar nicht so sehr bei uns).

Statt des­sen hal­te ich es für wich­tig, über zwei ande­re Punk­te zu spre­chen. Bei­de kann ich nicht bele­gen, beim einen möch­te ich das nach­her noch versuchen.

1. Gefan­gen­schaft im Nar­ra­tiv, oder: Was tun, wenn der poli­ti­sche Geg­ner wis­sent­lich die Unwahr­heit sagt (oder zumin­dest sehr schrä­ge Inter­pre­ta­tio­nen lie­fern), Medi­en das dank­bar auf­grei­fen (manch­mal auch anders­her­um), und alle Rich­tig­stel­lun­gen, Fak­ten­checks und sons­ti­gen Äuße­run­gen ver­puf­fen? (Und juris­ti­sche Schrit­te wg. legi­ti­mer Zuspit­zung im Wahl­kampf dane­ben gehen). Ich emp­fin­de das als eine extrem unfai­re Form des Wahl­kampfs – auch als Bestand­teil einer Ent­po­li­ti­sie­rung von Poli­tik, wenn’s nur noch um die gute Sto­ry und die Geschich­te geht, und kaum noch dar­um, was wel­che Par­tei eigent­lich will. Viel­leicht war das schon immer so. Zu einer kla­ren, demo­kra­ti­schen Ent­schei­dung zwi­schen inhalt­li­chen Alter­na­ti­ven trägt es jedoch nicht bei, wenn statt des­sen über hege­mo­nia­le Deu­tun­gen und Bil­der abge­stimmt wird, ganz egal, ob sie zutref­fen oder nicht.

2. Das Irr­lich­tern der Demo­gra­fie: Auch hier die Mög­lich­keit, dass es nur gefühlt so ist, und nicht signi­fi­kant anders aus­sieht als vor zehn oder zwan­zig Jah­ren – aber zumin­dest in mei­ner Wahr­neh­mung lie­gen Mei­nungs­um­fra­gen vor der Wahl erschre­ckend oft weit weg von den Pro­gno­sen und end­gül­ti­gen Ergeb­nis­sen. Im Lauf des Som­mers schwank­ten die grü­nen Umfra­ge­er­geb­nis­se in Bay­ern zwi­schen 10 und 15 Pro­zent – selbst mit einem Feh­ler von 2 bis 3 Pro­zent­punk­ten sind rund 8,5 Pro­zent dann doch erstaun­lich wenig. Und ähn­li­ches fällt mir zumin­dest auch vor ande­ren Wah­len immer wie­der auf. Wor­an liegt’s? (Viel­leicht kommt ich nach­her dazu, das mal für eini­ge Wah­len der letz­ten Zeit auszurechnen …). 

P.S.: Empi­risch bestä­tigt sich letz­te­res nicht.

P.P.S.: Inter­es­sant sind die mas­si­ven regio­na­len Dif­fe­ren­zen in Bay­ern. In Nie­der­bay­ern, Schwa­ben und der Ober­pfalz wur­de das mit­tel­präch­ti­ge Ergeb­nis gehal­ten, in Fran­ken gab es teils kräf­ti­ge Zuge­win­ne (+3 Pro­zent­punk­te in ein­zel­nen Stimm­krei­sen) – und in Ober­bay­ern (inkl. Mün­chen) durch­gän­gig Ver­lus­te von 2 bis 4 Pro­zent­punk­ten, teils noch deut­lich mehr (sie­he Visua­li­sie­rung beim Lan­des­wahl­lei­ter). Weil Ober­bay­ern etwa ein Drit­tel des Lan­des umfasst, schlägt das deut­lich auf das bay­ri­sche Gesamt­ergeb­nis durch. Als Erklä­rung wer­den das schwa­che Abschnei­den der CSU 2008 in Ober­bay­ern (See­ho­ferBeck­stein als Fran­ke, und jetzt See­ho­fer als Ober­bay­er), der Tod von Sepp Daxen­ber­ger sowie Ude als ehe­ma­li­ger Mün­che­ner OB als Minis­ter­prä­si­den­ten­kan­di­dat der SPD genannt.

Plakat, verkanntes Medium der Bundestagswahl 2013

Bundestagswahl 2013, I

Wahl­jahr für Wahl­jahr stel­len Wahl­kämp­fe­rIn­nen vor Ort sich wie­der die Fra­ge, ob das mit dem Pla­ka­tie­ren den wirk­lich sein muss. Bringt das über­haupt was? 

Der Kon­sens ist wohl der, dass es nichts bringt, nicht pla­ka­tie­ren aber scha­det. Es geht nicht dar­um, eine tief­grei­fen­de Bot­schaft zu ver­mit­teln, es geht nicht dar­um, Unent­schlos­se­ne über ein beson­ders gut gestal­te­tes Pla­kat zur Wahl zu bewe­gen (das erklärt auch die FDP), son­dern es geht schlicht dar­um, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass a. Wah­len anste­hen, und b. die bevor­zug­te Par­tei zur Wahl steht. 

Und wenn es gut läuft (das hat dann was mit guter Gestal­tung zu tun), dann gibt es zusätz­lich zu den Pla­ka­ten im Stra­ßen­raum noch den einen oder ande­ren Medi­en­be­richt über das eine oder ande­re Pla­kat. Manch­mal reicht es dann schon, das in Stück­zahl 1 zu produzieren.

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