Berlin auf Rückwärtskurs

Man sieht sich immer zwei­mal ist ein ganz guter Grund­satz in der Poli­tik. Umso schrä­ger fin­de ich den Ver­such der SPD in Ber­lin, jetzt Grü­nen (und in zwei­ter Linie Lin­ken) die Schuld dafür zu geben, dass eine Fort­füh­rung der rot-grün-roten Koali­ti­on abge­lehnt wird und statt des­sen Frau Gif­fey ihre Par­tei dazu auf­for­dert, mit der CDU zu koalie­ren – als, wohl­gerkt, dann klei­ne­rer Part­ner. Der SPD-Lan­des­vor­stand hat das mehr­heit­lich so akzep­tiert, und auch die CDU ist wohl bereit dazu, mit der SPD Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen aufzunehmen. 

Mich erin­nert das Gan­ze an 2011 – da gab es eine rot-grü­ne Mehr­heit in Ber­lin, der dama­li­ge SPD-Chef Wowe­reit woll­te dann aber doch lie­ber mit der CDU eine Koali­ti­on ein­ge­hen (damals mit der CDU als klei­ne­rer Part­ner, also anders als heu­te). Schuld am Schei­tern der Ver­hand­lun­gen waren damals, laut SPD: die Grü­nen – und die Stadt­au­to­bahn A100. Die dies­mal sicher wie­der eine pro­mi­nen­te Rol­le gespielt hat.

Ich befürch­te, dass die nächs­ten drei Jah­re dann für Ber­lin eine Rol­le rück­wärts sind: Autos, Beton, ein eini­ge Jahr­zehn­te über­hol­tes Ver­ständ­nis von Stadt­ent­wick­lung und Sicher­heit. Wobei: die bei­den Par­tei­en sind vor allem in der Alters­grup­pe 60+ gewählt wor­den. Da passt das dann zusam­men. Bun­des­po­li­tisch sind wei­te­re Bun­des­rats-Veto-Mög­lich­kei­ten für die CDU eben­falls alles ande­re als toll.

Was natür­lich auch noch sein könn­te: die­se Wahl (die ja eine Wie­der­ho­lungs­wahl nach Wahl­feh­lern war) schlägt nach dem Fast-Stim­men­gleich­stand von SPD und Grü­nen mit 18,4 Pro­zent und 18,4 Pro­zent und einer Dif­fe­renz von am Schluss noch 53 Stim­men eine wei­te­re Vol­te, und die SPD-Basis lehnt dann den aus­ge­han­del­ten Koali­ti­ons­ver­trag ab. Oder die Mehr­heit im Abge­ord­ne­ten­haus kommt nicht zustan­de – auch das soll es ja schon gege­ben haben. Jeden­falls: wer ver­han­delt, mit dem Ver­hand­lungs­er­geb­nis nicht zufrie­den ist, und die Schuld dann bei der Gegen­sei­te ablädt, hat schlecht ver­han­delt. Sou­ve­rä­ni­tät sieht anders aus. 

2011 – als Wowe­reit lie­ber mit der CDU koalier­te als mit den Grü­nen – lag die SPD in Ber­lin übri­gens bei 28 Pro­zent, Grü­ne bei knapp 18 Pro­zent. 2016, fünf Jah­re spä­ter, hat­ten bei­de ver­lo­ren – die SPD sank auf 21,6 Pro­zent, Grü­ne auf 15,2 Pro­zent. Das Ergeb­nis war eine rot-grün-rote Regie­rung unter Mül­ler. Auch die CDU ver­lor in der Koali­ti­on mit der SPD deut­lich an Zustim­mung. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass die Ent­schei­dung der SPD, mit rund 18 Pro­zent in eine Koali­ti­on mit der CDU zu gehen, als klei­ne­rer Part­ner, am Ende nicht dazu führt, dass sie bei der nächs­ten Wahl 2026 auf Platz eins ste­hen wird. 

Ber­lin könn­te mir ja egal sein. Aber es ist frus­trie­rend, das alles mit anse­hen zu müs­sen. Und das geht selbst Tei­len der SPD so. Aus grü­ner Sicht kann dar­aus eigent­lich nur der Schluss gezo­gen wer­den, noch kla­rer als bis­her auf Eigen­stän­dig­keit zu set­zen. Und so groß zu wer­den, dass dann auch in grün-schwar­zen Bünd­nis­sen rich­tig was durch­ge­setzt wer­den kann. Auf die SPD ist jeden­falls kein Verlass. 

Zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Schles­wig-Hol­stein hat gewählt, und das Ergeb­nis ist irgend­wie doch über­ra­schend. Mit 43,4 Pro­zent schrappt Dani­el Gün­thers CDU an der abso­lu­ten Mehr­heit (ein Sitz fehlt!). Auf Platz zwei lan­den die schles­wig-hol­stei­ni­schen Grü­nen mit 18,3 Pro­zent und 14 Sit­zen, ein Rekord­ergeb­nis auch das. Ganz vor­ne lie­gen Grü­ne bei den jüngs­ten Wähler*innen – übri­gens in einem Land mit Wahl­al­ter 16. Und erst­mals in Schles­wig-Hol­stein sind unter den Man­dan­ten auch drei grü­ne Direkt­man­da­te (zwei­mal Kiel, ein­mal Lübeck) – herz­li­chen Glückwunsch!

Die SPD – vor eini­gen Wochen im Saar­land noch glän­zen­de Gewin­ne­rin – ver­liert mas­siv und kommt auf 16,0 Pro­zent (12 Sit­ze), die FDP hal­biert sich etwa (6,4 Pro­zent, 5 Sit­ze), und der SSW kommt auf 5,7 Pro­zent und vier Sit­ze. Erfreu­lich: die AfD ver­passt den Wie­der­ein­zug und zeigt, dass Rechts­extre­me auch abge­wählt wer­den können.

Die Koali­ti­ons­bil­dung wird jetzt inter­es­sant. Rech­ne­risch wäre eine Grü­ne-SPD-SSW-FDP-Koali­ti­on mit der bis­he­ri­gen grü­nen Finanz­mi­nis­te­rin Moni­ka Hein­old an und einem Sitz Mehr­heit mög­lich, poli­tisch denk­bar ist das wohl aber nicht. Blei­ben die CDU-plus-x-Vari­an­ten. Laut ARD am belieb­tes­ten wäre eine Fort­set­zung von Jamai­ka – aber das haben, sofern nicht not­wen­dig, Grü­ne wie FDP aus­ge­schlos­sen. Zuge­spitzt: Jamai­ka hat sich durch zu gro­ßen Zuspruch ver­un­mög­licht. Die Vari­an­te CDU-SSW schei­tert wohl inhalt­lich, eben CDU-SPD. Blei­ben CDU-FDP oder CDU-Grü­ne … oder eine CDU-Allein­re­gie­rung als skan­di­na­vi­sche Minderheitsregierung.

Robert Habeck – des­sen „Baby“ das grü­ne Auf­blü­hen in Schles­wig-Hol­stein immer noch ist, und des­sen Beliebt­heit wohl Zug­kraft ent­wi­ckelt hat, auch wenn die grü­nen Kom­pe­tenz­wer­te bei Kli­ma und Umwelt sin­ken – Habeck also warb ges­tern Abend mit Feu­er in jedes ihm hin­ge­hal­te­ne Mikro­fon für Schwarz-Grün, dass sei die Fort­set­zung der lager­über­grei­fen­den Erfolgs­ge­schich­te, Schwarz-Gelb dage­gen ein Rück­fall in die 1980er. Inhalt­lich bin ich da bei ihm, zuver­sicht­lich, dass das am Ende das Ergeb­nis ist, bin ich nicht.

Nun bin ich kein Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, aber wenn ich das rich­tig ver­ste­he, gibt es zwei Denk­schu­len dazu, wel­che Koali­tio­nen wahr­schein­lich sind. Die eine blickt auf inhalt­li­che Schnitt­men­gen (Ergeb­nis wäre hier Schwarz-Gelb), die ande­re kommt mit Blick auf Macht­aspek­te, Minis­ter­pos­ten etc. unter allen inhalt­lich nicht aus­ge­schlos­se­nen auf die kleinst­mög­li­che als wahr­schein­lichs­te Koali­ti­on (und auch das wäre Schwarz-Gelb).

Dass am Ende doch Schwarz-Grün her­aus­kommt, ist nicht unmög­lich. Wenn es so sein soll­te, wäre das aus grü­ner Sicht gut, sicher­lich auch gut für das Land – und etwas wirk­lich Neu­es, weil es dann kein aus der Not gebo­re­nes Grün-Schwarz wäre, son­dern ein trotz „bes­se­rer“ Alter­na­ti­ven gewähltes.

Bleibt die bun­des­po­li­ti­sche Bril­le. Dani­el Gün­ther hat gezeigt, dass eine CDU des 21. Jahr­hun­derts gewin­nen kann. Er steht gewis­ser­ma­ßen für das Gegen­teil der Merz-CDU aus den 1990ern. Jede Koali­ti­ons­ent­schei­dung wird auch dar­auf­hin gedeu­tet wer­den, wird, auch wenn es letzt­lich um die A20 oder das Wat­ten­meer geht, als Ent­schei­dung für oder gegen den Kurs der Bun­des-CDU gele­sen werden.

Rele­van­ter dafür, ob Fried­rich Merz sich eta­blie­ren kann, oder ob die CDU nicht zur Ruhe kommt, dürf­te aller­dings die NRW-Wahl am nächs­ten Sonn­tag sein. Dort lie­gen CDU und SPD aktu­ell Kopf an Kopf, eine Abwahl des CDU-MPs Wüst ist denk­bar. Und soll­te es dazu kom­men, dürf­ten die ers­ten fra­gen, ob Merz der rich­ti­ge Spit­zen­mann für die CDU ist. Sehen wir dann – und war­ten jetzt erst ein­mal dar­auf, wie sich das mit den Koali­tio­nen an der Küs­te wei­ter entwickelt.

Kurz: Nach den Wahlen

Mit 20,5 Pro­zent bei einer bun­des­wei­ten Wahl zweit­stärks­te Kraft, in den gro­ßen Städ­ten selbst in Ost­deutsch­land ganz vor­ne, weit, weit vor­ne bei den Jung- und Erstwähler*innen: hier ist das Wort vom Wahl­er­folg mal kein Schön­re­den, son­dern trifft auf das grü­ne Ergeb­nis bei der Euro­pa­wahl zu. Und die Wel­le trägt auch bei den zeit­glei­chen Kom­mu­nal­wah­len hier in Baden-Würt­tem­berg: lan­des­weit Zuwäch­se, selbst in vie­len mit­tel­gro­ßen Städ­ten wie Wein­gar­ten, Emmen­din­gen oder Schwä­bisch Hall stel­len grü­ne die stärks­te Frak­ti­on, in den Hoch­bur­gen wie Hei­del­berg, Tübin­gen und Frei­burg sind Grü­ne im Stadt­rat sogar stär­ker als SPD und CDU zusammen. 

Kurz nach den ers­ten Pro­gno­sen am Wahl­abend hat­te ich auf Twit­ter geschrieben:

Und das gilt auch jetzt, zwei Tage spä­ter. Im Euro­päi­schen Par­la­ment, im Bund, in allen Län­dern, ins­be­son­de­re da, wo wir mit­re­gie­ren, und selbst­ver­ständ­lich auch in den kom­mu­na­len Ver­tre­tun­gen, in denen jetzt Grü­ne gestärkt wor­den sind. Wir müs­sen jetzt liefern.

Nach der Wahl ist nach der Wahl

Nach der OB-Wahl III

Die Hoff­nung, dass der zwei­te Wahl­gang alles noch ein­mal dre­hen könn­te, zer­schlug sich ziem­lich schnell – mit den ers­ten paar aus­ge­zähl­ten Wahl­be­zir­ken war klar, dass Mar­tin Horn noch ein­mal deut­lich zuge­legt hat und zum neu­en Ober­bür­ger­meis­ter von Frei­burg gewählt wor­den ist. Die­ter Salo­mon und Moni­ka Stein blie­ben jeweils mit leich­ten Ver­lus­ten auf dem Ergeb­nis des ers­ten Wahl­gangs. Dass es schwie­rig sein könn­te, ein Plus an Stim­men zu errei­chen, hat­te ich erwar­tet – dass fast exakt die Stim­men­zahl aus dem ers­ten Wahl­gang für Die­ter Salo­mon übrig blieb, wun­dert mich doch etwas, da ich von vie­len Stein-Wähler*innen gehört habe, dass sie ihre Stim­me dies­mal an Salo­mon geben woll­ten. Hin­ter den schein­bar gleich­blei­ben­den Stim­men­zah­len dürf­te also eine gewis­se Dyna­mik aus Wäh­ler­wan­de­rung und Mobi­li­sie­rungs­ef­fek­ten ste­cken. Unterm Strich zählt jedoch die Stim­men­zahl, und die ist – lei­der – eindeutig.

Wahl- berech- tigte Wäh­ler* innen Stein, Moni­ka Krö­ber, Manfred Horn, Mar­tin Dr. Salo­mon, Dieter Beh­rin­ger, Anton Werm­ter, Stephan Sons­ti­ge
1. 170.793 87.118
51,0%
22.726
26,2%
1.240
1,4%
30.066
34,7%
27.095
31,3%
3.244
3,7%
2.252
2,6%
70
0,1%
2. 170.419 88.190
51,7%
21.235
24,1%
38.899
44,2%
27.009
30,7%
796
0,9%
47
0,1%

 
Mich ärgern zwei Mythen, die jetzt über die­se Wahl erzählt wer­den. Der eine Mythos ist der von der grü­nen Spal­tung in Frei­burg. Moni­ka Stein sitzt für die GAF – Grü­ne Alter­na­ti­ve Frei­burg – im Gemein­de­rat. Das ist eine Abspal­tung der Grü­nen, die­se Spal­tung ist aller­dings schon etwa zehn Jah­re her. Zudem trat Moni­ka als Kan­di­da­tin eines lin­ken Bünd­nis­ses an, bestehend aus der Links­par­tei-nahen Lin­ken Lis­te, den Unab­hän­gi­gen Frau­en, Jun­ges Frei­burg und PARTEI sowie diver­sen Einzelunterstützer*innen. Der Auf­ruf aus der Fer­ne, dass Grü­ne und Grü­ne zusam­men­hal­ten müss­ten, dass so eine Spal­tung doch blöd sei, oder dass es ver­wun­de­re, dass sei­tens von Moni­ka kein Wahl­auf­ruf für Die­ter erfolg­te, ver­kennt die loka­le Situa­ti­on. Bei­lei­be nicht alle Wähler*innen von Moni­ka „ticken“ grün, und auch inhalt­lich gibt es kla­re Unter­schie­de zwi­schen ihrem Pro­gramm und dem der Gemein­de­rats­frak­ti­on von Bünd­nis 90/Die Grü­nen bzw. dem des noch amtie­ren­den Oberbürgermeisters. 

Das zwei­te ist die Geschich­te davon, dass damit das Ende der grü­nen Ära in Baden-Würt­tem­berg her­ein­bre­chen wür­de. Ich möch­te hier dar­an erin­nern, dass Horst Frank, grü­ner OB von Kon­stanz, von 1996 bis 2012 regier­te und danach ein CDU-Bür­ger­meis­ter gewählt wur­de. Inso­fern ist es zwar ärger­lich, aber kei­ne „Sen­sa­ti­on“ (O‑Ton SPD), dass ein amtie­ren­der grü­ner Ober­bür­ger­meis­ter nach 16 Jah­ren abge­wählt wird. Natür­lich ist es mit den aktu­el­len Streits in der Koali­ti­on im Land­tag und der kla­ren grün-schwar­zen Unter­stüt­zung in Frei­burg eine schö­ne Geschich­te, die­se Abwahl zu einem lan­des­po­li­ti­schen Mene­te­kel zu machen, gar von einem Erd­be­ben zu spre­chen – das alles trifft es nicht. Die Erde hat vor ein paar Tagen in Müll­heim bei Frei­burg gebebt; die Ober­bür­ger­meis­ter­wahl wur­de dage­gen nicht landes‑, son­dern stadt­po­li­tisch oder viel­leicht sogar per­so­nen­spe­zi­fisch entschieden.

Jetzt schon las­sen sich aus mei­ner Sicht drei Leh­ren aus die­ser Wahl ziehen.

Ers­tens: den Ober­bür­ger­meis­ter zu stel­len und im Gemein­de­rat stark ver­tre­ten zu sein, ist kein Selbst­läu­fer und heißt nicht, dass Erfol­ge auto­ma­tisch hono­riert wer­den. Man­cher­seits gab es den Ein­druck, dass da nichts Neu­es mehr kommt, dass zwar viel für Frei­burg erreicht wur­de, aber die Visio­nen für die nächs­ten acht Jah­re fehl­ten. Das hat eine inhalt­li­che Kom­po­nen­te – wer grün wählt, will auch kla­re grü­ne Erfol­ge sehen; zumin­dest gilt dies für einen rele­van­ten Anteil der grü­nen Wäh­ler­schaft. Das Kom­mu­na­le ist sehr kon­kret; noch stär­ker als auf Lan­des- und Bun­des­ebe­ne zählt hier das sicht­ba­re Ergeb­nis poli­ti­schen Han­dels, wie es im All­tag ankommt oder nicht ankommt. Ein­mal errun­ge­ne Erfol­ge wer­den dabei schnell ver­ges­sen und als selbst­ver­ständ­lich ange­se­hen. Nur gut zu ver­wal­ten reicht nicht aus. Oder, etwas zuge­spit­zer gesagt: so wich­tig eine Erwei­te­rung des grü­nen Wäh­ler­kli­en­tels in die Brei­te der Bevöl­ke­rung ist – der grü­ne Kern und des­sen Inter­es­sen soll­ten nicht ver­ges­sen wer­den. Sonst wird, wie im Vau­ban und in den Innen­stadt­ge­bie­ten von Frei­burg, im Zwei­fel auch mal links(grün) gewählt.

Neben der inhalt­li­chen geht es hier aber auch um eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Kom­po­nen­te. In die­se Lücke hat Mar­tin Horn sehr genau gezielt, in dem das Bild eines arro­gan­ten Ober­bür­ger­meis­ters in Umlauf gege­ben wur­de, dem Bür­ger­be­tei­li­gung und bür­ger­na­he Kom­mu­ni­ka­ti­on ent­ge­gen­ge­stellt wur­de. Kom­mu­ni­ka­tiv auch jen­seits der Ver­bän­de und Bür­ger­ver­ei­ne prä­sent zu sein, die erreich­ten Erfol­ge immer wie­der auch „zu ver­kau­fen“, und neue Visio­nen mit Bürger*innen zusam­men zu erar­bei­ten – das ist sicher­lich ein Pro­blem, das weit vor dem Wahl­ter­min vor­han­den war und sich jetzt voll­ends aus­ge­wirkt hat. (Über die Kam­pa­gne, ins­be­son­de­re zum ers­ten Wahl­gang, schrei­be ich jetzt lie­ber nichts). 

Zwei­tens: Die Stadt stand und steht gut da der Ober­bür­ger­meis­ter war erfolg­reich. Also wur­den mög­li­che, noch dazu stadt­frem­de, Gegen­kan­di­da­ten lan­ge Zeit nicht beson­ders ernst genom­men. Dass ein ame­ri­ka­ni­sier­ter Wahl­kampf mit viel Prä­senz (der der Sug­ges­ti­on von Prä­senz), viel Hän­de­schüt­teln und Sor­gen anhö­ren, mit einem popu­lis­tisch ange­hauch­ten Auf­tre­ten ohne viel Inhal­te, aber mit ein­präg­sa­men Slo­gans auch in Frei­burg zün­den könn­te, wur­de nicht gese­hen – und als es gese­hen wur­de, war es zu spät. Da hat­te Mar­tin Horn längst über­all in der Stadt ein Samen­korn des Küm­merns ein­ge­sät, jedem alles ver­spro­chen – auf die Umset­zung bin ich gespannt – und den Wahl­kampf in die Hän­de eines umtrie­bi­gen Gras­wur­zel­netz­werks gelegt, das mit viel­fäl­ti­gen Aktio­nen Sicht­bar­keit in der Stadt erzeug­te und weit über den Par­tei­ap­pa­rat der SPD wirk­te. Im zwei­ten Wahl­gang kam dazu dann noch der Band­wag­gon-Effekt dazu, also ein Auf­sprin­gen auf den sieg­rei­chen Zug.

Ich neh­me an, dass mit einem sol­chen – cha­ris­ma­ti­schen – Wahl­kampf in Zukunft stär­ker zu rech­nen sein wird. Was das für Poli­tik bedeu­tet, wäre zu diskutieren.

Drit­tens: Sech­zehn Jah­re sind eine ganz schön lan­ge Zeit, egal, wer Ober­bür­ger­meis­ter oder Kanz­le­rin ist. Demo­kra­tie lebt vom Wech­sel. Viel­leicht muss dar­über nach­ge­dacht wer­den, ob die bis­he­ri­ge, in Baden-Würt­tem­berg acht Jah­re wäh­ren­de Bür­ger­meis­ter­wahl­pe­ri­ode nicht zu lang ist. (Ober-)Bürgermeister*in zu sein, ist kein Lebens­zeit­job mehr, son­dern wird stär­ker als frü­her zum poli­ti­schen Amt auf Zeit. Hier könn­te ich mir vor­stel­len, dass eine Ver­kür­zung der Wahl­pe­ri­ode auf fünf Jah­re ange­mes­se­ner wäre. Und auch der zwei­te Wahl­gang, der ja in Baden-Würt­tem­berg kei­ne Stich­wahl dar­stellt, son­dern eine eigen­stän­di­ge Wahl, bei der dann die rela­ti­ve Mehr­heit reicht, soll­te noch ein­mal genau­er betrach­tet wer­den. Ist es sinn­voll, wenn ein Ober­bür­ger­meis­ter von der Mehr­heit der Stadt­be­völ­ke­rung nicht gewählt wird? Wäre es nicht bes­ser, wenn der zwei­te Wahl­gang als ech­te Stich­wahl aus­ge­stal­tet wäre? 

Zusam­men­ge­fasst: Das Wahl­sys­tem hat eini­ge Eigen­hei­ten, die durch­aus auf den Prüf­stand gestellt wer­den könn­ten. Wahl­kampf wird ame­ri­ka­ni­scher und per­sön­li­cher, eine Mobi­li­sie­rung schon weit im Vor­feld der Wahl gewinnt an Bedeu­tung. Erfolg­rei­ches poli­ti­sches Han­deln muss auch kom­mu­ni­ziert und dis­ku­tiert wer­den, und zwar nicht erst bei der Wahl, son­dern kon­ti­nu­ier­lich. Und: sich auf den Erfol­gen der Ver­gan­gen­heit aus­zu­ru­hen, reicht nicht aus.

Ich habe ja geschrie­ben, dass ich die Ein­schät­zung für falsch hal­te, dass die Wahl in Frei­burg eine lan­des­po­li­ti­sche Wahl war. Rich­tig ist aller­dings, dass wir uns – gera­de in der grün-schwar­zen Koali­ti­on – ver­stärkt über­le­gen soll­ten, wie es um Ange­bo­te an den grü­nen Kern unse­rer Wäh­ler­schaft bestellt ist, und wie es gelingt, Erfol­ge auch sicht­bar zu machen. 

Kurz: Nach der Wahl ist vor der Wahl

Vor­ne­weg: Ich glau­be nicht, dass die OB-Wahl in Frei­burg schon ent­schie­den ist. Die­ter Salo­mon hat als Amts­in­ha­ber deut­lich schlech­ter abge­schnit­ten als erwar­tet – ich hät­te mit ca. 40 bis 45 Pro­zent gerech­net. Tat­säch­lich liegt er im ers­ten Wahl­gang bei einer Wahl­be­tei­li­gung von 51 Pro­zent mit 31,3 Pro­zent und einem Rück­stand von 3,4 Pro­zent­punk­ten nur auf Platz 2 hin­ter dem Schwie­ger­sohn­kan­di­da­ten der SPD. Aber gewon­nen oder ver­lo­ren ist die­se Wahl den­noch erst in zwei Wochen.

Die­ter selbst hat im Nach­wahl­in­ter­view die The­se ver­tre­ten, dass vie­le Wähler*innen ihm im ers­ten Wahl­gang einen Denk­zet­tel, einen „Schuss vor den Bug“ ver­pas­sen woll­ten. Wenn die­se The­se stimmt, dann kommt es jetzt dar­auf an, die­sen Wähler*innen ein „ich habe ver­stan­den“ zu signa­li­sie­ren. Für die­ses Bild spre­chen aus mei­ner Sicht die Ergeb­nis­se in den grü­nen Hoch­bur­gen in Frei­burg – hier liegt die links­li­be­ra­le Moni­ka Stein (GAF) der­zeit klar vor­ne, stadt­weit ist sie mit beacht­li­chen 26 Pro­zent auf Platz 3 gelan­det. Ich ken­ne eini­ge Unterstützer*innen von Moni­ka Stein, die sich eher vor­stel­len kön­nen, für Die­ter Salo­mon zu stim­men als für einen inhalt­lich unde­fi­nier­ten SPD-Kan­di­da­ten. Das ist das eine Reser­voir, aus dem – wenn Moni­ka nicht noch ein­mal antritt – Stim­men an Die­ter flie­ßen könn­ten. Das zwei­te ist die bür­ger­li­che Mit­te, die sich mög­li­cher­wei­se zum Bei­spiel auf­grund einer feh­len­den Wahl­emp­feh­lung der CDU zurück­ge­hal­ten hat – mög­li­cher­wei­se sind auch hier eini­ge gar nicht erst zur Wahl gegan­gen. Und drit­tens könn­te es sein, dass Men­schen Mar­tin Horn gewählt haben – nicht weil sie ihn zum Ober­bür­ger­meis­ter machen woll­ten, son­dern tat­säch­lich, um ein Zei­chen zu set­zen. Sprich: für den zwei­ten Wahl­gang, der in Baden-Würt­tem­berg kei­ne Stich­wahl ist, son­dern auch noch wei­te­re Über­ra­schun­gen mit sich brin­gen könn­te, müss­te Die­ter ers­tens sei­ne bis­he­ri­gen Wähler*innen hal­ten, zwei­tens kla­re vor allem sozi­al­po­li­ti­sche (und viel­leicht auch radi­ka­ler öko­lo­gi­sche) Signa­le in Rich­tung der links­li­be­ra­len, viel­fach durch­aus grün-affi­nen Wäh­ler­schaft von Moni­ka Stein sen­den und drit­tens die CDU und die Frei­en Wäh­ler zu einer kla­ren Wahl­emp­feh­lung brin­gen. Oder, noch etwas prä­gnan­ter: gleich­zei­tig Stim­men der Lin­ken und der CDU-Anhänger*innen erhalten.

Ob die­se Qua­dra­tur des Krei­ses gelingt, wer­den wir in den nächs­ten Tagen sehen. Ein­fach wird das nicht, ver­lo­ren ist die Wahl aber eben auch noch nicht. Und ich kann mir ehr­lich gesagt noch immer nicht vor­stel­len, dass die Mehr­heit der Freiburger*innen einen weit­ge­hend inhalts­lo­sen Mar­tin Horn als Ober­bür­ger­meis­ter haben will – ich mag da vor­ein­ge­nom­men sein, aber ich bin ehr­lich gesagt erschro­cken, als er in sei­nem Nach­wahls­tate­ment blu­migst von „gemein­sam schaf­fen wir das“ (Horn zum OB zu machen) schwa­fel­te und jede inhalt­li­che Posi­tio­nie­rung oder Kon­kre­ti­sie­rung ver­mied. Ein Ober­bür­ger­meis­ter regiert eine Stadt nicht allein, ganz so mon­ar­chisch ist selbst Baden-Würt­tem­berg nicht geprägt. Aber einen star­ken Ein­fluss dar­auf, wie sich eine Stadt posi­tio­niert, hat er (oder sie) eben doch. Das darf ger­ne „Füh­rung“ genannt wer­den – und die kann ich mir von Horn in sei­ner wol­kig-freund­li­chen Belie­big­keit bis­her nicht vorstellen.