Was ich noch nicht so ganz kapiere, ist das US-Wahlsystem. Mutter der Demokratie usw., aber wieso dann drei Stunden Wartezeit in der Vorwahl-Wahlschlange, politischer Streit darüber, wer überhaupt wählen darf, politisch besetzte Wahlkommissionen und noch dazu defekte Wahlmaschinen? Woran liegt’s?
Kurz: Naturrecht mal anders (Update)
Jede Menge Wahlen und Wahlfolgen – Hamburg mit einem Kohlekraftwerk, Hessen mit dem Versuch, das Unwahrscheinliche zu wagen, Bayern mit einer leider unwahrscheinlichen Viererkoalition, Österreich mit einem dramatischen Rechtsruck, Brandenburg mit Statistikproblemen, usw.
Wären die Wahlen anders gelaufen, wenn die Natur im Sinne einer Latourianischen politischen Ökologie hätte mitstimmen dürfen? Wer weiß. Ganz so weit geht Ecuador nicht, aber spannend ist es trotzdem, was dort gerade geschieht. Das Nature-Blog „The Great Beyond“ berichtet, dass in einer Volksabstimmung Natur mit eigenen Rechten in die Verfassung aufgenommen wurde:
Nature or Pachamama [the Andean earth goddess], where life is reproduced and exists, has the right to exist, persist, maintain and regenerate its vital cycles, structure, functions and its processes in evolution. Every person, people, community or nationality, will be able to demand the recognition of rights for nature before the public bodies.
Ich bin gespannt, wie und ob das durchgesetzt wird. Aber allein die Möglichkeit, stellvertretend, jedoch nicht anthropozentrisch für die Natur Rechte einzufordern, die hiermit ermöglicht wird, ist schon mal beachtenswert und öffnet Türen. Oder stellt provisorische Sitze im „Parlament der Dinge“ bereit, um noch einmal Latour (der gerade den Unseld-Preis bekommen hat), heranzuziehen.
Update: (1.10.2008) Bei Telepolis findet sich ein Überblicksartikel, in dem die gesamte neue Verfassung Ecuadors vorgestellt wird. Die oben beschriebenen Rechte werden allerdings nicht erwähnt, dafür kommt „das indigene Gesellschaftsprinzip auf ‚Sumak Kawsay‘ “ vor, „was auf Quechua ‚gutes Leben‘ bedeutet“.
Ideen gesucht: Infostand 2.0 (Update 5)
In den letzten Jahrzehnten gab es für Wahlkämpfe zwei Hauptspielfelder: die Arena der bundesweiten Massenmedien – vom Talkshowauftritt bis zum Bericht über den Parteitag – auf der einen Seite, und die Straße mit Plakaten, Infoständen, dem Verteilen von Flyern und Hausbesuchen auf der anderen Seite. Irgendwo dazwischen dann noch „Hinterzimmerveranstaltungen“ (also die üblichen Podiumsdiskussionen und Referate) und neue Aktivitätsformen wie Vorwahlpartys.
Allmählich entdecken die Parteien (nicht zuletzt angesichts der Kampagnen von Howard Dean 2004 und Barack Obama 2008), dass mit dem Web 2.0 die Möglichkeit eröffnet wurde, einen neuen Raum für Interaktionen zwischen Parteien und Öffentlichkeit zu nutzen. Im Sinn von „Visitenkarten“ oder „Schaufenstern“, ja selbst von „virtuellen Parteizentralen“ (C. Bieber) ist diese Entdeckung schon ein paar Jahre alt und inzwischen recht gut etabliert (R. Kuhlen spricht von der jetzt auch schon zehn Jahre zurückliegenden Bundestagswahl 1998 als „Mondlandung des Internet“). Neu ist die Entdeckung, dass das Internet eben nicht nur die Möglichkeit bietet, Informationen zu senden, Programme und KandidatInnen zu präsentieren, und auch über das Eröffnen von Foren hinausgeht, sondern tatsächlich einen virtuellen Raum darstellt, in dem Menschen sich sowohl aufhalten als auch aktiv sind.
Live-Blogging bei der baden-württembergischen Regionalkonferenz um Grundeinkommen/Grundsicherung
Soweit die Vorbemerkung. Was bedeutet es nun, das „Web 2.0“ für Wahlkämpfe und Parteikommunikation zu nutzen? Naheliegend sind dabei zwei Dinge: zum einen der „user generated content“, also die aktive Beteiligung von Menschen, und zum anderen die soziale Vernetzung über das Internet. Dabei entstehen dann Dinge wie meinespd.net oder my.fdp als große parteipolitische Web 2.0‑Plattformen bzw. Communities, und auf einem kleineren Level parteipolitische Blogs, Podcasts (a la Merkel …) und Wiki-Experimente (pdf).
In diesem Rahmen bewegen sich auch Überlegungen, wie Bündnis 90/Die Grünen, lange Zeit netzpolitische Vorreiter und weiterhin eine Partei mit einer sehr netzaffinen Wählerschaft, besser mit dem Web 2.0 klarkommen können. Es gibt viele Blogs einzelner Leute und Kampagnenblogs zu Klima oder Überwachung, mehr oder weniger alle Abgeordneten haben ihre Websites, auf den Bundes- und Landesverbandsseiten sind häufiger mal Podcasts und interaktive Schnippsel (wie der „Grün-o-mat“) zu finden usw. Ab und zu wird mit diesen oder jenen Elementen des Web‑2.0‑Portfolio experimentiert – diese Experimente (etwa BDK interaktiv oder Wikis für Programmbausteine) verschwinden aber genau so schnell wieder, wie sie gekommen sind. Ein einheitliches Konzept fehlt weitgehend, ist in der sehr auf Autonomie bedachten Struktur der Partei wohl auch schlecht durchsetzbar. Ebenso gibt es bisher nichts in Richtung „mein grün“ für Mitglieder und erst recht nicht für WählerInnen.
2009 stehen nun Europa‑, BaWü-Kommunal- und Bundestagswahl an. Umso drängender wird die Frage, in welche Richtung sich der „green space“ entwickeln soll. Dabei geht es um verschiedene Zielgruppen für die Web‑2.0‑Nutzung der Partei; mir fallen mindestens vier ein:
- Grüne FunktionärInnen bzw. grüne Gliederungen, die einfach und schnell ins Netz wollen (z.B. mit WordPress). Bezogen auf den Kommunalwahlkampf heißt das beispielsweise auch: ungefähr 500 grüne und grün-nahe Listen und etwa zehnmal so viele KandidatInnen könnten im Netz auftauchen. Aber auch außerhalb des Wahlkampfs sollte der virtuelle Infostand nicht eingeklappt werden.
- Grüne Mitglieder und Aktive, die sich mit Gleichgesinnten austauschen und kurzschließen wollen – neben Blogs findet da viel heute in Mailinglisten statt, so ist’s jedenfalls im linken Flügel.
- (Potenzielle) WählerInnen, die mehr wollen, als nur eine Hochglanzwebsite in die Hand gedrückt zu bekommen, wobei das „mehr“ sowohl in Richtung Unterhaltung als auch in Richtung tiefergehende Information/Interaktion gehen kann.
- Bisher politisch schlecht erreichte „Netizens“, die, so die Vermutung einiger, eigentlich viel mit Grün anfangen können müssten, wenn sie doch bloss mal herschauen würden.
Meine Frage an alle ist jetzt schlicht: welche (zielgruppenspezifischen) Bausteine sind notwendig, um – möglichst jenseits der großen Lösung – wirkungsvoll den Infostand 2.0 und mehr im virtuellen „green space“ aufzustellen? Oder anders gesagt: welche Elemente werden (von wem) sehnlichst herbeigewünscht?
Warum blogge ich das? Aus prinzipiellem Interesse, aber auch, weil verschiedene parteiinterne Vernetzungen zu diesem Thema existieren, und ich mit manchen dort vorgeschlagenen „Hype“ und/oder Marketing-Lösungen nicht so viel anfangen kann.
Update: Weil’s so schön passt, hier noch ein Hinweis auf die gerade erschienen Kurzstudie zu Politik im Web 2.0 von newthinking (dabei geht es um die Nutzung der existierenden Web 2.0‑Infrastrukturen durch Parteien und PolitikerInnen).
Update 2: Spreeblick geht ebenfalls auf die newthinking-Studie ein und fragt sich, wer die Web 2.0‑Lücke „schließen wird. Denn im Grunde stellt die Abwesenheit professioneller Politikkommunikation eine Chance dar. Denn wenn sich Menschen vernetzen, entstehen Macht und Einfluss. Auch in Deutschland.“
Update 3: (4.7.2008) Vielleicht noch eine ergänzende Überlegung: möglicherweise sind kleinere, spezialisiertere Web 2.0‑Netzwerke für die Kommunikation und Diskussion politische Botschaften interessanter (oder zumindest ebenso interessant) wie die großen vier oder fünf (Facebook, StudiVZ, XING, …). Mir fallen dabei einerseits thematisch orientierte Plattformen ein, also z.B. utopia.de (siehe auch hier) mit Themenschwerpunkt „nachhaltig leben“ (zu dem Thema gibt’s natürlich auch dutzende kleinere Blogs und Projekte), oder kaioo als „soziales“ social network (mehr bei Henning), aber auch z.B. lokalisierte Communities wie z.B. das BZ-nahe fudder für Freiburg (Stichworte dazu hier) oder stuttgart-blog.net als Vernetzung der lokalen Blog-Szene in Stuttgart. Zu den Aktivitäten lokaler Zeitungen im Netz steht passend heute was bei Spiegel Online. Es gibt sicher noch eine ganze Reihe mehr an lokalen Communities, selbst in Baden-Württemberg. Bisher weniger erfolgreich scheinen mir dagegen Sachen wie meinestadt.de (nur als Beispiel für die Klasse von Plattformen genannt) zu sein, die versuchen, ein globales System für lokale Angebote aufzubauen. Das wächst von unten her IMHO besser.
Update 4: (6.7.2008) In der englischsprachigen Wikipedia gibt es eine lange Liste von „social networking websites“. Scheint mir ganz hilfreich.
Update 5: (7.7.2008) Auch Henning fragt in seinem Blog jetzt: „Was erwartet ihr von der Politik im Web 2.0?“
Gedankenexperiment: zwei grüne Listen
Kurz hatte ich ja schon darauf hingewiesen, dass es hier in Freiburg durch den Austritt von Coinneach McCabe und Monika Stein aus der grünen Fraktion gerade turbulent hergeht. Etwas schief angeguckt wurde ich, weil ich diesen Austritt u.a. damit kommentiert habe, dass das beste Ergebnis wohl zwei grüne Listen wären. Was meine ich damit?
Einen Haken für jeden politischen Mantel?
Derzeit ist das Verständnis der Situation ja folgendes: zwei „Abtrünnige“ treten aus der Fraktion aus, die letztlich auf die Wahlversammlung der grünen Parteimitglieder zurückgeht, und machen eine eigene Gruppe im Gemeinderat auf, mit der Ankündigung, vielleicht auch bei den Wahlen 2009 anzutreten. Der erste Gedanke eines guten Parteimitglieds muss jetzt natürlich sein: das geht nicht, jedenfalls nicht, solange die Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen bleiben, denn dann gäbe es eine konkurrierende Liste und damit ein parteischädigendes Verhalten. Das ganze wäre auch insofern paradox, als ja beispielsweise alle in Freiburg wohnenden grünen Parteimitglieder (so sie generell wahlberechtigt sind) die Kommunalwahlliste aufstellen. Dann könnten auch auf konkurrierenden Listen antretende Parteimitglieder mitentscheiden, wer denn da gegen sie aufgestellt wird. Ist schräg und zurecht durch Satzungen gedeckelt.
Das ganze ließe sich aber auch noch aus einem ganz anderen Blickwinkel anschauen. Bei der letzten Kommunalwahl haben die Freiburger Grünen – als Volkspartei, die sie hier sind – 25,8 Prozent und damit 13 Sitze erhalten (Quelle). Möglicherweise liegt das kommunale WählerInnen-Potenzial für grüne Politik im weiteren Sinne jedoch noch deutlich höher. Eine Volkspartei hat immer das Problem, relativ kompromisshaltige Programme schreiben und umsetzen zu müssen. Je stärker die Ausrichtung in eine Richtung (das muss jetzt nicht mal unbedingt das klassische Schema links-rechts sein, sondern kann auch z.B. heißen Kulturpolitik vs. Umweltschutz) geht, und je eher das über die tatsächliche WählerInnenschaft hinausgehende Potenzial in dieser Richtung „abgeschöpft“ wird, desto größer ist das Risiko von Verlusten am entgegengesetzten Rand des Spektrums der Partei. Entsprechend kommt es zu Wanderungen zu anderen Listen oder ins Lager der NichtwählerInnen.
Die derzeitige Fraktion in Freiburg besteht aus den Grünen und aus der Liste Junges Freiburg, die eigenständig angetreten ist. Auch diese Konstellation ist nicht ohne Schwierigkeiten, zuletzt gab es ja auch hier Ausschlüsse, Übertritte, und so weiter. Trotzdem ist zu vermuten, dass die von zwei getrennten Listen „Junges Freiburg“ einerseits und „Die Grünen“ andererseits erreichte Prozent- und Sitzzahl höher ist als die einer gemeinsamen Liste, die sich von vorneherein auf Kompromisse einigen hätte müssen. Das Wahlsystem setzt dem Prinzip „getrennt antreten, vereint schlagen“ enge Grenzen; auch das Auszählungsverfahren nach d’Hondt begünstigt tendenziell größere Listen.
Jetzt ganz hypothetisch gesprochen: was würde passieren, wenn die Freiburger Grünen feststellen, dass ein bestmögliches Angebot für relevante und politisch nahestehende WählerInnen-Zielgruppen darin bestehen würde, nicht mit einer Liste anzutreten, sondern mit zwei Listen, die beide von der Partei Bündnis 90/Die Grünen unterstützt und – vielleicht proportional zu einem Abstimmungsergebnis – mit Geldern für den Wahlkampf versehen werden? Einmal abgesehen davon, dass das ein solches Vorgehen möglicherweise rechtlich problematisch ist (Darf eine Partei überhaupt zwei Listen ins Rennen schicken? Wer stellt dann wen auf?) könnte ich mir vorstellen, dass unter der Rahmenbedingung „Volkspartei mit großem WählerInnen-Potenzial“ ein Antreten mit zwei Listen zu einem besseren Gesamtergebnis führt als eine Liste. Beide Listen müssten dann natürlich programmatisch klar von einander abgegrenzt sein und jeweils ein eigenes Profil haben – vielleicht einen Kern von gemeinsamen Forderungen, und dann jeweils eine differenzierende Akzentsetzung. Damit würden zielgruppenspezifische Produkte auf den Wahlmarkt geworfen, die – so die jeweiligen Versprechen dann auch gehalten werden – insgesamt zu einer größeren Akzeptanz führen könnten als eine gemeinsame Liste.
Um es klar zu sagen: bei einem Potenzial im einstelligen Bereich bietet sich so ein Vorgehen genauso wenig an wie z.B. bei Bürgermeisterwahlen, wo ja letztlich nur eine Person gewählt werden kann. Aber wenn es darum geht, mehr als ein Viertel der Bevölkerung mit angemessener Politik zu versorgen, könnten zwei profilierte Listen eine interessante Lösung sein.
Soweit das Gedankenexperiment – die rechtlichen Möglichkeiten und die politischen Realitäten sehen vermutlich anders aus. Und auch die kleine Lösung, also eine gemeinsame Liste, aber eine klare Identifikation von einzelnen Gruppen auf dieser Liste, um die in Baden-Württemberg vorgesehene Möglichkeit des Kumulierens mit Leben zu füllen, erscheint mir leider recht unwahrscheinlich.
Trotzdem ist es vielleicht gar nicht so falsch, eben gerade auch angesichts der relativ verfahrenen aktuellen Situation darüber nachzudenken, ob mit innovativen Strategien nicht doch letztlich mehr daraus werden kann als eine große Schlammschlacht kurz vor der Wahl. Querzudenken (beliebte grüne Fähigkeit, außer, sie wird eingesetzt) kann hier vielleicht mehr gewinnen als der Rückgriff auf scheinbar bewährte Handlungsrollen.
Warum blogge ich das? Weil kurze schnippische Kommentare leicht missverstanden werden.
Kurz: u‑asta bleibt beliebt
Auch wenn’s bei mir inzwischen eher mit nostalgischen Gefühlen einhergeht, finde ich die vorbildlicherweise bereits jetzt veröffentlichten vorläufigen Wahlergebnisse zu den Freiburger AStA-Wahlen doch immer noch interessant genug, um mal einen Blick drauf zu werfen. Dank buf a und buf b – der seit einigen Jahren praktizierten Antidemokratiemaßnahmenumgehungsstrategie der zwei Listen – ist auch dieses Jahr wieder eine gute absolute Mehrheit für buf – und damit für den u‑asta – herausgekommen (10 Sitze statt vorher 10 Sitze) (siehe auch hier). Andere Gruppen bleiben marginal – Julis verlieren ihren Sitz, Jusos gewinnen einen dazu, der RCDS hat zwei Sitze. Auch alternative Institutionen mit fluktuierender Mitgliedschaft können, wie diese Ergebnisse beweisen, jahrzehntelange Stabilität produzieren. Interessant vielleicht noch: die auf buf b angetreten zwei VertreterInnen von Linke.SDS wurden wohl nicht gewählt, hier sind auch Verluste im Vergleich zur grün unterstützten buf a zu sehen.