Bioläden besser als Supermärkte

In Tei­len Frei­burgs ist heu­te abend meh­re­re Stun­den lang der Strom aus­ge­fal­len – wohl wegen einer defek­ten Tra­fo­sta­ti­on. Genau um die­se Zeit habe ich eine Freun­din dabei beglei­tet, im Stüh­lin­ger – also da, wo der Strom weg war – noch was ein­zu­kau­fen. War ganz schön selt­sam, vor allem des­we­gen, weil der Ede­ka (Roll­trep­pen, künst­li­che Beleuch­tung) ein­fach kom­plett zu war (samt Schild „wegen Strom­aus­fall lei­der gesperrt“ oder so ähn­lich). Im Bio­la­den – die natür­lich auch aus ganz ande­ren Grün­den viel bes­ser als her­kömm­li­che Super­märk­te sind – war’s zwar auch dun­kel, aber der Laden hat­te (trotz skep­ti­scher Nach­fra­ge) geöff­net und ver­kauf­te auch. Scan­ner, Regis­trier­kas­se und Gemü­se­waa­ge waren aller­dings auch dort funktionslos … 

Kurz zuvor hat­te ich noch davon berich­tet, wie schön Pra­xis­theo­rie das „ohne groß drü­ber nach­zu­den­ken“ all­täg­li­cher Hand­lungs­ab­läu­fe erklä­ren kann. Außer, wenn die eben nicht funk­tio­nie­ren. Zum Bei­spiel, wenn in einer Stadt, wo das sonst sehr sel­ten pas­siert, der Strom aus­fällt. Und die all­täg­li­chen Hand­lungs­mus­ter dann eben plötz­lich nicht mehr funk­tio­nie­ren, und statt des­sen all­täg­li­ches Han­deln dann auf ein­mal mit Bewusst­heit, Nach­den­ken und nicht-auto­ma­ti­sier­ten Hand­lungs­voll­zü­gen ver­bun­den ist.

War­um blog­ge ich das? Som­mer­lochan­ek­do­ten­blog­ging. Und weil’s die Pra­xis­theo­rie schön illustriert.

Das magische Dreieck, oder: Milchkaffee

I am a hard bloggin' scientist. Read the Manifesto.

Nach­dem Tina Gün­ther mein Blog net­ter­wei­se zu den sozio­lo­gi­schen zählt, und weil mir das Gra­fik­de­sign von „Hard Blog­gin‘ Sci­en­tist“ gut gefällt, und ich das über­haupt für eine gute Idee hal­te, möch­te ich mein Blog hier doch ver­stärkt dazu nut­zen, mei­nen sozio­lo­gi­schen Schaf­fens­pro­zess zu begleiten. 

Der­zeit schla­ge ich mich mit dem Pro­blem her­um, mir klar dar­über wer­den zu wol­len, wie sich das „magi­sche Drei­eck“ aus Natur, Tech­nik und Gesell­schaft sozi­al­theo­re­tisch fas­sen lässt. Das hat zum einen ziem­lich viel damit zu tun, die – in gro­ßer Zahl vor­lie­gen­den Tex­te zu die­sem The­ma – zu über­bli­cken und zu ver­dau­en, zum ande­ren aber auch viel damit, dar­über nach­zu­den­ken, was ich von den ver­schie­de­nen Argu­men­ten eigent­lich hal­te und wel­che theo­re­ti­sche Posi­ti­on mir sinn­voll erscheint. Vor Jah­ren schon hat mich Johan­nes Moes mal dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es Tech­nik eigent­lich gar nicht gibt. Inzwi­schen kann ich nach­voll­zie­hen, war­um das eine ein­leuch­ten­de Posi­ti­on sein kann. Nur: wie damit umge­hen, dass „die Tech­nik“ genau­so wie „die Natur“ gesell­schaft­li­che Kon­struk­te sind, einer­seits, dass aber, ande­rer­seits, sowohl die Grenz­zie­hung inner­halb des Mate­ri­el­len (was ist noch Natur, was schon Tech­nik?) als auch die zwi­schen dem Mate­ri­el­len und der Gesell­schaft ver­schwim­men (für letz­te­res argu­men­tie­ren bei­spiels­wei­se Bru­no Latour, Don­na Hara­way oder auch Mike Micha­el) und eigent­lich alles nur noch als Hybrid, Cyborg, Co-Agent, ver­teil­tes Netz­werk denk­bar erscheint? Vor allem dann, wenn man gera­de dabei ist, eine tech­nik­so­zio­lo­gi­sche Arbeit über im All­tags­sinn durch­aus dem Gefil­de des Tech­ni­schen zuzu­rech­nen­de Din­ge zu schreiben?

Viel­leicht hilft ein Bei­spiel, die ver­schwim­men­den Gren­zen sicht­bar zu machen: gera­de eben war ich einen Milch­kaf­fee trin­ken (um über eben die­se Fra­ge nach­zu­den­ken), und bin danach durch den Regen wie­der in mein Büro gelau­fen. Eine gan­ze Rei­he von „Akteu­ren“ sind an die­ser Sze­na­rie betei­ligt. Kon­stel­la­ti­ons­ana­ly­tisch lässt sich bei­spiels­wei­se nach Men­schen, tech­ni­schen Din­gen, natür­li­chen Din­gen und Zei­chen­sys­te­men (also Dis­kur­sen, Regel­wer­ken etc.) sowie Hybri­den aus den vier Grup­pen unter­schei­den. Wäh­rend klas­sisch-sozio­lo­gisch genau zwei Akteu­re auf­tre­ten: ich und der Ver­käu­fer des Milch­kaf­fees, oder mit Luh­mann all das beschrie­be­ne nur inso­fern wich­tig ist, als es Teil gesell­schaft­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on dar­über ist (Finanz­trans­ak­tio­nen, Kom­mu­ni­ka­tio­nen inner­halb des Wis­sen­schafts­sys­tems, …) und Per­so­nen kei­ne Rol­le spie­len, tau­chen mit der von Latour u.a. inspi­rier­ten Kon­stel­la­ti­ons­ana­ly­se hau­fen­wei­se Akteu­re auf (es sei jetzt mal dahin­ge­stellt, wel­che für eine Ana­ly­se der Situa­ti­on wirk­lich rele­vant sind):

  • Men­schen: Ego, Verkäufer
  • Zei­chen­sys­te­me: Geld; evtl. die Spei­se­kar­te; Wis­sen über das rich­ti­ge Ver­hal­ten in Cafes; die Vor­stel­lung, dass Nach­den­ken im Cafe bes­ser funk­tio­niert; Distink­ti­on (Milch­kaf­fee aus dem Cafe und nicht Plör­re aus dem Automaten)
  • tech­ni­sche Din­ge: ein Tisch, ein Bar­ho­cker, die Kaf­fee­tas­se, die Stra­ße, Kaf­fee, eine Espressomaschine
  • natür­li­che Din­ge: Kaf­fee­boh­nen, Kof­fe­in, Was­ser, Milch (damit auch Kühe), der Regen, ein durch Kof­fe­in ansta­chel­ba­rer Körper
  • Hybri­de: das Cafe, die Stadt, der Milchkaffee
  • Die­ses Netz­werk trägt die sozia­le Prak­ti­ken „einen Kaf­fee trin­ken gehen, um über nach­zu­den­ken“ und „Spa­zier­gang im Regen“

    Es lie­ße sich jetzt jedoch genau­so gut fast alles in die Kate­go­rie „Hybri­de“ packen – und da wird dann mein Pro­blem mit dem Drei­eck deut­lich. Mal abge­se­hen davon, dass Men­schen natür­lich ;-) eh hybrid sind (Kör­per, Bewusst­sein, Bril­le, Klei­dung, Geld­beu­tel, …), ist die Milch­kaf­fee­tas­se zwar ein tech­ni­sches Ding, aber auch kul­tu­rell auf­ge­la­den. Dass in der Tas­se Milch­kaf­fee ist, funk­tio­niert nur durch das Zusam­men­wir­ken von Was­ser, Kaf­fee­plan­ta­gen und ‑händ­lern, den Strom­wer­ken, dem Ver­käu­fer hin­ter dem Bar­tre­sen, den zu die­sen Zweck gezüch­te­ten und mani­pu­lier­ten Kühen, … hin­ter dem ein­fa­chen Milch­kaf­fee steckt also auch schon wie­der ein hybri­des Netz­werk. Und dass das mit Natur und Tech­nik so ein­fach nicht ist, machen nicht nur die Kühe deut­lich (klar, Natur – aber ziem­lich tech­ni­sier­te Natur!), son­dern auch der Regen: der fällt wegen Gra­vi­ta­ti­on und Wet­ter­ver­hält­nis­sen, letz­te­re haben – immer­hin haben wir August! – die­se Woche aber auch was mit dem anthro­po­ge­nen Kli­ma­wan­del zu tun.

    Wenn aber, und das ist mein letz­ter Schlen­ker für heu­te, eigent­lich eh alles Hybri­de sind: wie dann hin­ge­hen, und die ein­zel­nen Bestand­tei­le, die da zusam­men­wir­ken, in ihren Wir­kun­gen und Beein­fluss­bar­kei­ten von­ein­an­der tren­nen? Ortho­do­xe Latour-Anhän­ge­rIn­nen wer­den jetzt erklä­ren, dass das halt der gro­ße Feh­ler der Moder­ne ist, der Ver­such, dies zu tren­nen, und ich das halt las­sen soll; um dar­über zu reden – und um ana­ly­ti­sche Aus­sa­gen tref­fen zu kön­nen – muss ich hier aber tren­nen, Netz­wer­ke aus­ein­an­der­neh­men und (nicht zuletzt der dis­zi­pli­nä­ren Anschluss­fä­hig­keit in Rich­tung a. Tech­nik­so­zio­lo­gie und b. Umwelt­so­zio­lo­gie zulie­be) Unter­schei­dun­gen tref­fen. Und da ste­he ich jetzt.

    War­um blog­ge ich das? Um zum Nach­den­ken über die­sen Umstand heu­te nicht noch eine drit­te Tas­se Kaf­fee trin­ken zu müssen.

    Ein Dossier zum Ende der Freiburger Linie, und ein paar Fragen zur Forschungsfreiheit im Sicherheitsstaat (Update 6: offene Briefe zum Fall Andrej H.)

    Ein­drü­cke, wonach eine ver­meint­li­che „Frei­bur­ger Linie“ nicht mehr ein­ge­hal­ten wer­de, poli­zei­li­che Ver­hal­tens­wei­sen sich geän­dert haben oder durch Wech­sel von Füh­rungs­per­so­nen nicht mehr Anwen­dung fin­den, sind sub­jek­ti­ve Eindrücke.

    So steht’s in einer Pres­se­vor­la­ge der Frei­bur­ger Poli­zei. Ich glau­be der­zeit eher den sub­jek­ti­ven Ein­drü­cken, und bin da auch nicht der ein­zi­ge. Mit dem neu­en Poli­zei­chef Amann hat sich ganz klar etwas ver­än­dert. Was, lässt sich zum Bei­spiel einem umfang­rei­chen Dos­sier bei Indy­me­dia ent­neh­men. Da woll­te ich ein­fach mal drauf hinweisen.

    War­um blog­ge ich das?

    Eigent­lich hat­te ich nur „Andrej“ und „Stadt­so­zio­lo­gie“ in Goog­le ein­ge­ge­ben, um her­aus­zu­fin­den, wer denn der im Zusam­men­hang mit den Ermitt­lun­gen gegen die angeb­li­che mili­tan­te Grup­pe ver­haf­te­te Ber­li­ner Sozio­lo­ge ist, der in der Pres­se immer nur als „Andrej H.“ bezeich­net wird. Also aus Neu­gier­de. Die Such­ma­schi­nen­tref­fer erge­ben dann das Bild eines enga­gier­ten, poli­tisch sicher­lich links ste­hen­den Aka­de­mi­kers, der sich am Lehr­stuhl von Prof Häu­ßer­mann an der HU mit Gen­tri­fi­ca­ti­on, Pri­va­ti­sie­run­gen und Hartz IV aus­ein­an­der­setzt (wenn das inzwi­schen aus­reicht, um des Ter­ro­ris­mus ver­däch­tigt zu wer­den, soll­te die Deut­sche Gesell­schaft für Sozio­lo­gie mal lie­ber schnell ihre Mit­glie­der­lis­te vernichten). 

    Da u.a. Spie­gel Online auch auf eine Debat­te bei Indy­me­dia ver­wie­sen, habe ich dann auch dort mal wie­der rein­ge­schaut – und zwar ein paar Soli­da­ri­täts­de­mo­an­kün­di­gun­gen und ‑berich­te gefun­den, aber nicht die gro­ße Debat­te. Dafür dann das oben ange­spro­che­ne Dos­sier zum Ende der Frei­bur­ger Linie, auf das ich hier­mit hin­wei­se. Was ich damit anfan­gen soll, dass die intel­lek­tu­el­le Fähig­keit zum Ver­fas­sen kapi­ta­lis­mus­kri­ti­scher Ana­ly­sen inzwi­schen aus­reicht, um als Mit­glied einer angeb­li­chen ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung iden­ti­fi­ziert zu wer­den, weiss ich dage­gen gra­de noch nicht so genau. Vol­ker Ratz­mann von den Ber­li­ner Grü­nen sagt dazu:

    Das hie­ße, dass zukünf­tig jeder Wis­sen­schaft­ler und jede Wis­sen­schaft­le­rin, die sich im poli­ti­schen Bereich und mit gesell­schaft­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen aus­ein­an­der­setzt, auf­pas­sen muss, dass nie­mand gegen ihren Wil­len ihre Aus­füh­run­gen zur Begrün­dung sei­ner eige­nen und straf­recht­lich rele­van­ten Hand­lun­gen her­an­zieht. Wenn sie dann viel­leicht noch in Semi­na­ren Kon­takt hat­ten, wer­den sie gleich zum Bestand­teil einer kon­stru­ier­ten ter­ro­ris­ti­schen Vereinigung.

    Das Zitat bringt es auf den Punkt. 

    Zusam­men­ge­nom­men zeigt bei­des – die Erkennt­nis­se, wie sehr die badi­sche Dees­ka­la­ti­on an einer Per­son hing, und die Tat­sa­che, dass der Staat mal eben wie­der Metho­den aus den 1970er Jah­ren ins Spiel bringt – wie schwie­rig es ist, Frei­räu­me des Den­kens und Han­delns auf­recht zu erhal­ten. Sich dar­auf zu ver­las­sen, dass sicher geglaub­te Frei­hei­ten bestand haben, könn­te fatal sein.

    Update: Inzwi­schen gibt es laut Word­Press-Sta­tis­tik iro­ni­scher­wei­se Leu­te, die nach „Andrej H.“ und „Sozio­lo­gie“ (u.ä.) suchen – und dann hier bei einem Bericht über eine sol­che Suche lan­den. Dass es tat­säch­lich mög­lich ist, über eine der­ar­ti­ge Suche umfang­rei­che Infos über Andrej H. zu fin­den, ist, neben­bei gesagt, ein Hin­weis dar­auf, dass bestimm­te media­le Anony­mi­sie­rungs­stra­te­gien (wir nen­nen den „Ver­däch­ti­gen“ nicht mit vol­lem Namen, son­dern nur mit Vor­na­men und Initi­al) nicht funk­tio­nie­ren, wenn 1. der Vor­na­me hin­rei­chend sel­ten ist, und 2. wei­te­re Infos („Ber­li­ner Stadt­so­zio­lo­ge“) vor­lie­gen, die die Men­ge mög­li­cher Per­so­nen deut­lich ein­schrän­ken. Anders gesagt: der Ver­such der Anony­mi­sie­rung funk­tio­niert in die­sem Fall über­haupt nicht …

    Update 2: Bei Tele­po­lis gibt’s ein Inter­view mit Prof. Rai­ner Ril­ling (Uni Mar­burg und Rosa-Luxem­burg-Stif­tung) zum Fall Andrej H. und den Kon­se­quen­zen daraus.

    Update 3: Ril­ling sitzt auch im wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat von Attac, der sich eben­falls dazu äußert (via).

    Update 4: (15.08.2007) Wie die ZEIT berich­tet, gibt es inzwi­schen einen offe­nen Brief einer gan­zen Rei­he Wis­sen­schaft­le­rIn­nen, in dem die Gene­ral­bun­des­an­wäl­tin auf­ge­for­dert wird, die Ermitt­lun­gen gegen Andrej H. ein­zu­stel­len und – mei­ne Para­phra­se – in Zukunft etwas genau­er hin­zu­se­hen, statt sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Arbeit als Ver­dachts­mo­ment zu neh­men. Unter­zeich­net haben den unter­stüt­zens­wer­ten Brief u.a. Hart­mut Häu­ßer­mann, Wil­helm Heit­mey­er, Claus Offe, Hel­muth Wie­sen­thal, Franz Schult­heis, Micha­el Schu­mann, Susan­ne Frank, Wolf­gang Kaschuba, Ralf Fücks (Böll-Stif­tung) und 52 wei­te­re Wis­sen­schaft­le­rIn­nen. Ich bin mir sicher, dass noch eine gan­ze Rei­he mehr die­sen Brief unter­schrei­ben wür­den, wenn dafür im wei­te­ren Kreis Unter­schrif­ten gesam­melt wür­den. Hof­fen wir, dass es was hilft.

    Update 5: Der erwähn­te offe­ne Brief kann doch durch wei­te­re Men­schen unter­stützt wer­den [via] – ich habe gera­de unter­schrie­ben (und gleich mal dem Vor­stand der Deut­schen Gesell­schaft für Sozio­lo­gie eine Mail mit der Fra­ge geschickt, ob die Fach­ge­sell­schaft nicht ihre Mit­glie­der auf die­sen Brief auf­merk­sam machen möchte). 

    Update 6: Der Fall Andrej H. zieht wei­te­re Krei­se – das Blog Kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Tech­nik­for­schung berich­tet von der Tagung der Ame­ri­can Socio­lo­gi­cal Association

    Auf der Jah­res­ta­gung der Ame­ri­can Socio­lo­gy Asso­cia­ti­on (Ver­ei­ni­gung der US-ame­ri­ka­ni­schen Sozio­lo­gen, vgl. http://www.asanet.org/), wo seit Sams­tag rund 4.000 Sozi­al­wis­sen­schaft­ler in New York tagen, wird der Fall in meh­re­ren Ver­an­stal­tun­gen dis­ku­tiert, kur­sie­ren Peti­tio­nen, ins­be­son­de­re Stadt­so­zio­lo­gen zei­gen sich sehr besorgt über die deut­sche Entwicklung.

    Auch ein wei­te­rer offe­ner Brief mit Unter­stüt­zung nam­haf­ter aus­län­di­scher Wis­sen­schaft­le­rIn­nen wird erwähnt – u.a. sind da (neben Elmar Alt­va­ter, Die­ter Rucht und Roland Roth aus Deutsch­land) auch Mike Davis, Saskia Sas­sen, Richard Sen­nett und John Urry zu fin­den, um nur die bekann­tes­ten zu nennen. 

    Prima Klima für Europa?

    Ges­tern abend war ich bei einer ganz inter­es­san­ten Ver­an­stal­tung von Carl-Schurz-Haus und Hein­rich-Böll-Stif­tung BaWü: die zeig­ten im Hör­saal 2004 vor lei­der ver­hält­nis­mä­ßig zur Hör­saal­grö­ße rela­tiv weni­gen Leu­ten zuerst den Al-Gore-Film „An Incon­ve­ni­ent Truth“ (Wiki­pe­dia), und baten danach noch Mar­tin Rocholl (BUND/Friends of the Earth Euro­pe) zu einem Impuls­vor­trag bzw. einer Podiumsdiskussion. 

    Kurz ein paar Stich­wor­te: der Film war – obwohl er von DVD gezeigt wur­de – durch­aus ein­drucks­voll (eine genaue Ana­ly­se der Dra­ma­tur­gie wür­de sich loh­nen!), was inso­fern erstaun­lich ist, als es sich dabei tat­säch­lich in wei­ten Stre­cken um eine Power­Point(das Mac-Äquivalent)-Präsentation han­del­te. Al Gore vor Bildschirm/groß. Gore vor Lein­wand. Lein­wand ohne Gore. Lein­wand mit Publi­kum usw. Dazwi­schen geschnit­ten waren bio­gra­phi­sche Ein­schü­be (die Farm, auf der Gore als Jun­ge auf­wuchs – sein Pro­fes­sor, der als einer der ers­ten CO2-Mes­sun­gen vor­ge­nom­men hat – sei­ne an Lun­gen­krebs gestor­be­ne, rau­chen­de Schwes­ter – Video­se­quen­zen von der Flo­ri­da-Hängt-Wahl­nacht usw.) und Gore im Trans­port­mit­tel A bis F am Lap­top (der Apfel immer schön im Bild). Inhalt­lich steht vie­les aus dem Film schon in sei­nem 1992 erschie­nen Buch „Wege zum Gleich­ge­wicht“. Haupt­aus­sa­ge ist: das Kli­ma ändert sich, es wird schnel­ler wär­mer, als dies jemals in der Geschich­te der Fall war, der Kli­ma­wan­del hängt am CO2-Aus­stoss, und wenn das ant­ark­ti­sche oder grön­län­di­sche Eis schmilzt, dann wird es nicht nur wär­mer, son­dern es gibt auch einen mas­si­ven Anstieg des Mee­res­spie­gels mit ent­spre­chen­den Fol­gen für die dicht­be­sie­del­ten Küs­ten­zo­nen der Welt. Erst ganz am Schluss kom­men dann ein paar Punk­te dar­über, was dage­gen getan wer­den kann – neben ein biß­chen viel typisch ame­ri­ka­ni­schem Dick-Auf­tra­gen der durch­aus rich­ti­gen Bot­schaft wäre das Ver­hält­nis von „es gibt wirk­lich einen Kli­ma­wan­del“ (70–80%) und „was getan wer­den kann“ (20–30%) einer der Kri­tik­punk­te für mich. 

    Noch ein letz­tes Wort zum Film: ein inter­es­san­ter Sub­text war das Ver­hält­nis von Poli­tik und Wis­sen­schaft, das ab und zu mal ange­spro­chen wur­de. Erin­ner­te mich an Kim Stan­ley Robin­sons Roma­ne – der neus­te, der dem­nächst mal als Taschen­buch erschei­nen muss, han­delt von einem Öko-Prä­si­dent im Wei­ßen Haus in den Zei­ten des Kli­ma­wan­dels, der davor auch schon mal die Ant­ark­tis besucht hat. Gores fik­ti­ve Biographie?

    Kurz noch zur „Podi­ums­dis­kus­si­on“ nach dem Film. Die gefiel mir von ihrer Dra­ma­tur­gie her nicht so gut. Der Mode­ra­tor, Wolf­gang Kai­ser von den Grü­nen, sah sei­ne Auf­ga­be vor allem dar­in, Publi­kums­fra­gen ein­zu­sam­meln, sie zuzu­spit­zen und zu beant­wor­ten. Viel­leicht lag es aber auch am Publi­kum, dass mir die­ser Teil der Ver­an­stal­tung nicht so gelun­gen erschien. Da gab es näm­lich eini­ge, die sehr pene­trant nach dem Bevöl­ke­rungs­wachs­tum frag­ten – und auf mich den Ein­druck einer der klei­nen Frei­bur­ger Sek­ten machten.

    Auf dem Podi­um saßen jeden­falls Mar­tin Rocholl und Lio­ba Gram­mel­s­pa­cher, grü­ne Gemein­de­rä­tin aus Frei­burg. Wäh­rend Rocholl einen durch­aus inter­es­san­ten Impuls­vor­trag hal­ten durf­te (Stand der Kli­ma­po­li­tik in Euro­pa, was kann getan wer­den), war mir die Funk­ti­on von Gram­mel­s­pa­cher nicht so ganz klar – sie durf­te sich zwei­mal kurz zu Wort mel­den und etwas dar­über erzäh­len, was in Frei­burg für die Kli­ma­po­li­tik getan wird, und dass das ehr­gei­zi­ge Kli­ma­ziel der Stadt wohl nicht erreicht wird. Nach dem Vor­trag gab es dann noch eini­ge Fra­gen vor­wie­gend an Rocholl, etwa zur Bio­mas­se­nut­zung oder zur Toprun­ner-Stra­te­gie bei Haus­halts­ge­rä­ten. Das war für jemand, der in der Dis­kus­si­on drin­ne ist, nur mäßig span­nend. Gut gefal­len hat mir dage­gen ein Punkt, den Rocholl in sei­nem Kurz­vor­trag und in sei­nen Ant­wor­ten wie­der­holt auf­mach­te: Effi­zi­enz reicht nicht aus, es muss auch zu einem Wan­del der Lebens­sti­le kom­men (erreich­bar etwa durch die Öko­steu­er) – der Wan­del wird aber gra­vie­ren­de sozia­le Kon­se­quen­zen haben, eben­so ist eine vom Wachs­tum abhän­gi­ge Sozi­al­po­li­tik in Zukunft kaum noch mög­lich. Rocholl stell­te dann fest, dass es für die­se sich aus der öko­lo­gi­schen Fra­ge erge­ben­den loka­len und glo­ba­len sozia­len Fra­gen eigent­lich noch kei­ne Ant­wor­ten gibt, auch nicht bei den Grü­nen; dass es aber höchs­te Zeit wäre, sich damit zu beschäf­ti­gen. Hier war es schön, mal jemand zu erle­ben, der als Umwelt­lob­by­ist (mit Wur­zeln in der Jugend­um­welt­be­we­gung der 1990er, wenn ich das rich­tig ein­schät­ze) an die­se Fra­gen etwas radi­ka­ler ran­ge­hen konn­te als die DurchschnittspolitikerIn.

    War­um blog­ge ich das? Den Film und eini­ge der The­sen Rocholls fand ich ein­drucks­voll; ansons­ten vor allem des­halb, weil mir das The­ma 1. all­ge­mein wich­tig ist, 2. wir am Mon­tag eine Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung zum Regio­na­len Kli­ma­schutz haben, die ich noch vor­be­rei­ten muss, und 3. mei­ne Diss. durch­aus auch was mit eini­gen die­ser Fra­gen zu tun hat.

    Freiburg steigt um

    Wie das Frei­bur­ger Inter­net­ma­ga­zin fud­der berich­tet, will die Stadt Frei­burg zwei­tau­send Arbeits­plät­ze in der Ver­wal­tung von MS Office auf Open Office – einem oder viel­mehr: dem Open-Source-Office-Paket – umstel­len. Das Betriebs­sys­tem wird wohl wei­ter­hin Win­dows blei­ben, jeden­falls steht in der Notiz nichts von einem kom­plet­ten Umstieg auf Linux. Auch wenn als Grund recht pro­fan Spar­sam­keit und Haus­halts­lö­cher genannt wer­den, ist das sicher­lich ein guter Schritt. Ich selbst bin noch nicht so weit, vor allem, weil ich mit der Inter­ope­ra­bi­li­tät zwi­schen MS- und Open-Doku­men­ten bis­her nicht wirk­lich zufrie­den bin, und z.B. an mei­nem Uni­ar­beits­platz und bei allen Kol­le­gIn­nen Micro­soft Word instal­liert ist.

    War­um blog­ge ich das? All­mäh­lich scheint sich Open-Source-Soft­ware zu einer ech­ten Alter­na­ti­ve zu ent­wi­ckeln – das ist gut so, und wenn mal was posi­ti­ves aus Frei­burg in mei­nem Blog steht, freut mich das auch.