Politische Unterhaltung

Grü­ne 1 Mio., LINKE 2 Mio, SPD 4 Mio. Was ist das? Genau, Stein­mei­ers per­sön­li­cher „Deutsch­land­plan“. Pas­send dazu gibt’s heu­te drei Urlaubs­le­se­tipps aus dem Bereich poli­ti­scher Science-Fiction.

Kim Stan­ley Robin­son schreibt eher lite­ra­risch ori­en­tier­te Sci­ence-Fic­tion. In der Tri­lo­gie Sci­ence in the Capi­tal (For­ty Signs of Rain (ama­zon), Fif­ty Degrees Below (ama­zon)und Six­ty Days and Coun­ting (ama­zon)) spie­len wie schon in frü­he­ren Wer­ke Umwelt­fra­gen eine gro­ße Rol­le – hier gekop­pelt mit dem Blick auf Ver­qui­ckun­gen zwi­schen Poli­tik und Wis­sen­schaft. Die Tri­lo­gie zeich­net den Auf­stieg des US-Sena­tors Phil Cha­se zum glo­ba­len Öko­prä­si­den­ten nach – geschrie­ben vor dem Obama-Wahlkampf!

Der zwei­te Tipp ist eher netz­po­li­tisch span­nend: Charles Stross wid­met sich in sei­nem Thril­ler Hal­ting Sta­te (ama­zon) einer Welt in naher Zukunft, in dem das orga­ni­sier­te Ver­bre­chen inner­halb von Online-Wel­ten statt­fin­det, und die Com­pu­ter­spie­le auf der Stra­ße – und kop­pelt das mit dem See­len­le­ben von Finanz­jon­gleu­rIn­nen. Ähn­lich, nur noch etwas wil­der und in Süd­afri­ka statt Groß­bri­tan­ni­en ange­sie­delt, Lau­ren Beu­kes Moxy­land (ama­zon).

Zum Schluss noch was deutsch­spra­chi­ges: Ali­en Earth (1, 2, 3 bei ama­zon)- drei dicke Bän­de des Frei­bur­ger Per­ry-Rho­dan-Autors Frank Borsch (hat­te übri­gens für die Grü­nen kom­mu­nal kan­di­diert). Vor dys­to­pi­schem Hin­ter­grund (Deutsch­land treibt Hartz-IV auf die Spit­ze, Gedan­ken­ver­bre­chen wer­den bestraft, die Groß­macht heißt Ver­ei­nig­te Staa­ten von Ame­ri­ka und Ara­bi­en) ent­wi­ckelt Borsch eine packen­de Geschi­che um gen­tech­ni­sche Mutan­ten und geheim­nis­vol­le Außerirdische.

Erst­ver­öf­fent­li­chung: blog.gruene-bw.de>

Freiburg: Keine Stimme der großen Koalition

Visiting the "Dachswanger Mühle" farm - III

Nach­dem sich Kers­tin And­reae ent­schie­den hat, im Wahl­kreis 281 auch um die Erst­stim­men zu kämp­fen, erreicht das The­ma jetzt auch die Badi­sche Zei­tung. Die Aus­gangs­la­ge: bis­her ging das Direkt­man­dat – als eines von ganz weni­gen in Baden-Würt­tem­berg – klar an die SPD, d.h. an Ger­not Erler. Dies­mal wirbt nicht nur der CDU-Kan­di­dat (heu­er: Dani­el San­der) um Erst­stim­men, son­dern eben auch Kers­tin And­reae, die Frei­bur­ger Abge­ord­ne­te der Grü­nen und lan­des­wei­te Spitzenkandidatin. 

Ich fin­de das gut. Ers­tens, weil Erler bei der letz­ten Wahl mas­siv um grü­ne Stim­men gewor­ben hat, und noch auf der Wahl­par­ty von Kers­tin ver­spro­chen hat­te, kei­nen­falls für die gro­ße Koali­ti­on zu stim­men. Ein paar Tage spä­ter war er dann Staats­se­kre­tär die­ser Koali­ti­on. Zwei­tens, weil gera­de Frei­burg – selbst inkl. des Umlands – ein Wahl­kreis ist, in dem es über­haupt nicht selbst­ver­ständ­lich ist, dass rot-grü­nes Stim­men­split­ting immer „rote Erst­stim­me“ hei­ßen muss. Und drit­tens, weil es stim­mig ist für einen Wahl­kampf, der dies­mal sehr stark die grü­ne Eigen­stän­dig­keit beto­nen wird und auch die SPD angrei­fen wird.

Blöd­sinn ist es dabei, die Ergeb­nis­se aus 2005 für Pro­gno­sen her­an­zu­zie­hen, wie die Erst­stim­men dies­mal ver­teilt wer­den. Erler hat­te 45 %, die CDU-Kan­di­da­tin 35 %, Kers­tin nur 11 %. Soweit rich­tig – aber damals gab es eine kla­re Erst­stim­men­kam­pa­gne, und damals gab es noch die Hoff­nung, dass rot-grün fort­ge­setzt wird. Das sieht 2009 anders aus, des­we­gen sind die Zweit­stim­men­er­geb­nis­se doch um eini­ges auf­schluss­rei­cher. Und zudem ist San­der nicht unbe­dingt der belieb­tes­te aller CDU-Kandidaten. 

Bleibt das von Erler und der SPD wie­der und wie­der ins Feld geführ­te The­ma „Über­hang­man­da­te“. Die haben ja recht, dass die Gefahr besteht, dass die CDU ein nicht aus­ge­gli­che­nes Über­hang­man­dat bekommt, wenn sie den Wahl­kreis gewinnt. Nur: war­um soll­te der logi­sche Schluss sein, wie­der und wie­der für ein SPD-Direkt­man­dat zu kämp­fen, dass nach­her doch eine Stim­me für die gro­ße Koali­ti­on ist, in der die SPD sich ja so wun­der­bar hei­misch fühlt? Genau­so­gut könn­te Erler ja auch dafür wer­ben, dies­mal grün-rot zu stim­men – auch ein grü­nes Direkt­man­dat ver­hin­dert das CDU-Über­hang­man­dat. Für mich ist es des­we­gen klar: dies­mal heißt’s K wie Kers­tin für die Erststimme.

Noch lus­ti­ger übri­gens die Argu­men­ta­ti­on der CDU: Frei­burg wür­de es gut tun, wenn es mit drei statt mit zwei Abge­ord­ne­ten ver­tre­ten wäre (die CDU hat ja kei­ne Chan­ce auf Lis­ten­plät­ze in Baden-Würt­tem­berg). Wenn’s nur um regio­na­le Lob­by­in­ter­es­sen gin­ge, wür­de das stim­men. Aber der Bun­des­tag macht – auch wenn die CDU das viel­leicht nicht weiss – mehr als die Sum­me regio­na­len Lob­by­is­mus. Inso­fern: die­ses Argu­ment zählt defi­ni­tiv nicht. 

War­um blog­ge ich das? Weil ich den­ke, dass es Grün­de dafür gibt, dar­auf zu hof­fen, dass 2009 die ers­te Wahl wird, in der Grü­ne mit drei, vier oder fünf Direkt­man­da­ten in den Bun­des­tag ein­zie­hen. Und auch wenn ich mit Kers­tin nicht immer einer Mei­nung bin: die bes­se­re Direkt­kan­di­da­tin als San­der oder Erler ist sie auf jeden Fall.

Wie die CDU tickt (Update: Was ist ein Parteiprogramm?)

Ich dach­te bis­her immer, die unde­mo­kra­ti­schen Vor­stel­lun­gen des ehe­ma­li­gen Rek­tors der Frei­bur­ger Uni­ver­si­tät (CDU-Mit­glied und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler), die ich in diver­sen Unigre­mi­en erle­ben durf­te, sei­en vor allem Aus­fluss sei­ner Per­sön­lich­keit gewesen. 

Twit­ter klärt mich nun dar­über auf, dass ein der­ar­ti­ges Bild von Demo­kra­tie in der CDU ende­misch sein muss. Aus­gangs­punkt: die CDU hat heu­te ihr Wahl­pro­gramm vor­ge­stellt – beschlos­sen vom Par­tei­vor­stand. Ein Par­tei­tag – noch nicht ein­mal ein Akkla­ma­ti­ons­par­tei­tag wie bei der SPD – war nicht not­wen­dig. Nun ist eine Bun­des­tags­wahl nicht ganz unwich­tig, und die Fra­ge, was die Regie­rung machen wird, auch nicht. Inso­fern habe ich fol­gen­des bei Twit­ter geschrie­ben – und es an einen dort akti­ven Christ­de­mo­kra­ten adressiert:

@Stecki Ich bin ja immer noch fas­sungs­los dar­über, dass das Pro­gramm einer Volks­par­tei von deren Vor­stand fest­ge­legt wird – -

Die Reak­ti­on waren nicht wie erwar­tet Recht­fer­ti­gungs­ver­su­che, son­dern gegen­sei­ti­ges Unver­ständ­nis. Auf sei­ner Sei­te: es ist doch völ­lig nor­mal, dass der Par­tei­vor­stand ent­schei­det, schließ­lich sei auch der Bun­des­tag sowas wie der Vor­stand des Lan­des (Gewal­ten­tei­lung, hal­lo?), und auch auf Par­tei­ta­gen sei­en ja schließ­lich nur Dele­gier­te antrags­be­rech­tigt. So sei reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie halt organisiert.

Auf mei­ner Sei­te: ich dach­te bis­her, es sei nor­mal, dass Par­tei­mit­glie­der bestimm­te Rech­te haben (z.B. Antrags­recht auf Par­tei­ta­gen – bei uns sind 20 Unter­schrif­ten dafür not­wen­dig, egal ob dele­giert oder nicht), dass zumin­dest for­mal danach gestrebt wird, Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­se demo­kra­tisch zu orga­ni­sie­ren, dass eine so zen­tra­le Ent­schei­dung wie die über das Regie­rungs­pro­gramm eben nicht vom Vor­stand gewählt wird. 

Klar war mir bewusst, dass das „basis­de­mo­kra­tisch“ im alten Par­tei­slo­gan der Grü­nen was damit zu tun hat­te, dass ande­re Par­tei­en das eben nicht so ernst neh­men. Bewusst habe ich mir dar­über aber bis­her kaum Gedan­ken gemacht. Wenn, war das ein Kampf aus grau­er Vor­zeit. Mir geht’s jetzt also so ähn­lich wie jun­gen Frau­en und Män­nern, die den­ken, dass Femi­nis­mus heu­te – wo doch alle gleich­be­rech­tigt sind – nicht mehr not­wen­dig ist. Und plötz­lich mer­ken, dass das Gegen­teil stimmt.

Noch­mal zurück zum Punkt: die CDU-Mit­glied­schaft – wenn ich jetzt mei­ne Stich­pro­be mit N=1 ver­all­ge­mei­nern darf -, scheint Demo­kra­tie so zu ver­ste­hen, dass ein Vor­stand gewählt wird, der ein Prä­si­di­um wählt, dass eine star­ke Frau oder einen star­ken Mann wählt, der dann sagt, wo’s lang geht. Das Prin­zip, sei­ne poli­ti­schen Rech­te an der Wahl­ur­ne abzu­ge­ben, scheint hier also auch inner­par­tei­lich ver­wirk­licht zu sein. (Bei der SPD ist es anders: da soll ein star­ker Mann vor­ne ste­hen, was aber meis­tens nicht klappt; die Pro­gramm­ar­beit wird dage­gen an einen Arbeits­kreis abge­ge­ben, der tech­no­kra­tisch das rich­ti­ge und fal­sche trennt). Zugleich wird es für nor­mal gehal­ten, dass nur der­je­ni­ge Ein­fluss auf das Pro­gramm hat, der halt die rich­ti­gen infor­mel­len Kon­tak­te hat und auf „Abge­ord­ne­te“ bzw. „Dele­gier­te“ bzw. „Vor­stän­de“ ein­wir­ken kann.

Ist das wirk­lich so? Ich habe mal in die Sat­zung der CDU rein­ge­schaut (Sta­tut der CDU Deutsch­lands) und fest­ge­stellt, dass laut §29 (1) der CDU-Bun­des­sat­zung der Par­tei­tag „über die Grund­li­ni­en der Poli­tik der Christ­lich Demo­kra­ti­schen Uni­on Deutsch­lands und das Par­tei­pro­gramm“ beschließt, die „für die Arbeit der CDU-Frak­tio­nen und die von der CDU geführ­ten Regie­run­gen in Bund und Län­dern ver­bind­lich“ sind. Jetzt mag es sein, dass bei der CDU ein Par­tei­pro­gramm, dass für Regie­run­gen ver­bind­lich ist, etwas ganz ande­res als ein Regie­rungs­pro­gramm ist. Trotz­dem bleibt bei mir der Ein­druck, dass die CDU sich hier über ihre eige­nen Regeln der inner­par­tei­li­chen Demo­kra­tie hin­weg­setzt – und die Mit­glie­der das sogar noch gut finden. 

Übri­gens: dass der Par­tei­tag über das Par­tei­pro­gramm beschließt, steht sogar im Par­tei­en­gesetz. Wäh­rend die SPD sich zumin­dest noch for­mal an die Regeln hält, ist die CDU unter Mer­kel schon einen Schritt wei­ter auf dem Weg zur post­mo­der­nen Füh­rungs­par­tei, die als Mar­ke geführt wird, und in der (viel­leicht) Per­so­nen zäh­len, aber kei­ne Pro­gram­me. Auto­kra­tie a la Ber­lus­co­ni, anyo­ne? Inso­fern ist es auch schon fast egal, was drin steht.

War­um blog­ge ich das? Auch bei uns Grü­nen ist nicht alles Gold, was glänzt, wie ich an ver­schie­de­ner Stel­le in die­sem Blog immer wie­der deut­lich gemacht habe. Trotz­dem gibt es die for­ma­len Regeln und de infor­mel­len Wil­len, Mit­glie­der an der demo­kra­ti­schen Wil­lens­bil­dung zu betei­li­gen. Ja, wir Grü­ne sehen das sogar als Recht an. Ich erle­be nun, dass das in ande­ren Par­tei­en ganz anders gehand­habt wird. Ist einer­seits span­nend, macht aber auch klar, dass jeder halb­wegs an mehr als Reprä­sen­ta­ti­on ori­en­tier­te Mensch die­se nicht wäh­len soll­te. Die CDU müss­te übri­gens, Poin­te zum Schluss, auf den Wahl­zet­teln in Zukunft wohl als _ _ _ geführt wer­den – beson­ders christ­lich ist ihre Poli­tik nicht, wenn ich da Leu­ten, die sich bes­ser damit aus­ken­nen, Glau­ben schen­ken darf. Demo­kra­tisch? Nö. Und Uni­on, also Zusam­men­halt? Selbst das kriegt sie nur bedingt hin.

Update: Nach­dem nun auf Twit­ter und hier in den Kom­men­ta­ren dar­auf hin­ge­wie­sen wur­de: ver­mut­lich ist mit „Par­tei­pro­gramm“ in der Sat­zung der CDU das Grund­satz­pro­gramm gemeint, zuletzt beschlos­sen 2007 in Leip­zig, wenn ich rich­tig infor­miert bin. Zumin­dest der Wiki­pe­dia-Ein­trag zu die­sem Begriff stützt die­se The­se. Das ist inso­fern inter­es­sant, als nähe­res zum Wahl­pro­gramm weder in der Sat­zung der CDU noch im Par­tei­en­gesetz auf­taucht. In sei­ner kon­kre­ten poli­ti­schen Rele­vanz scheint mir letz­te­res – also das Wahl­pro­gramm, ins­be­son­de­re das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm – gene­rell jedoch weit­aus ein­fluss­rei­cher zu sein als das Grund­satz­pro­gramm. Und auch der Wiki­pe­dia-Ein­trag zum The­ma „Wahl­pro­gramm“ stützt die Auf­fas­sung, dass es eigent­lich üblich ist, dass ein sol­ches von einem Par­tei­tag beschlos­sen wird. (Neben­bei: lus­tig ist ja auch, dass SPD und CDU jeweils von Regie­rungs­pro­gram­men spre­chen – bis vor kur­zem waren damit die aus­ge­han­del­ten Koali­ti­ons­ver­trä­ge gemeint). 

Noch ein Nach­trag: Sehr schön auf den Punkt bringt die Süd­deut­sche das neue For­mat „Kon­gress“ – also Wahl­par­tei­tag ohne Anträ­ge, Reden, Abstim­mun­gen – mit dem Begriff der „Jubel­per­ser“.

Wie grün ist Netzpolitik? (Update 10)

Grüne gegen NetzsperrenHeu­te – na, eigent­lich schon ges­tern – fand im Bun­des­tag die „Zensursula“-Abstimmung statt, also die Abstim­mung dar­über, ob das Gesetz zur Bekämp­fung der Kin­der­por­no­gra­phie in Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­zen ange­nom­men wird. Die Abstim­mung fiel mit einer fast ein­heit­li­chen Zustim­mung der Koali­ti­ons­frak­tio­nen erwar­tungs­ge­mäß aus; auf Antrag der Grü­nen wur­de nament­lich abge­stimmt, so dass im Detail doku­men­tiert ist, wer wie abge­stimmt hat.

Dabei sind eine Rei­he von Über­ra­schun­gen zu ver­zeich­nen. Posi­tiv: eine Gegen­stim­me in der CDU, sie gehört Jochen Bor­chert, dem Vater der WAZ-Online-Che­fin, Katha­ri­na Bor­chert. Posi­tiv: drei Nein-Stim­men und drei Ent­hal­tun­gen in der SPD, drei­mal so vie­le wie ursprüng­lich erwar­tet. Na gut – bei sons­ti­ger har­ter Frak­ti­ons­ein­heit­lich­keit ist es viel­leicht über­trie­ben, das posi­tiv zu nennen.

Wie dem auch sei. Es gab auch nega­ti­ve Über­ra­schun­gen. Und die lei­der nicht bei FDP oder LINKE, die bei­de ein­heit­lich – in Frak­ti­ons­dis­zi­plin – gegen das Gesetz gestimmt haben, son­dern bei Bünd­nis 90/Die Grünen. 

Arbeitsplätze!

Kei­ne Ja-Stim­me, ganz so schlimm ist es nicht, aber doch 15 Ent­hal­tun­gen, also ein knap­pes Drit­tel der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on. Das hat in den Stun­den nach der Abstim­mung in der Netz­com­mu­ni­ty ziem­lich für Auf­re­gung gesorgt – und aus mei­ner Sicht etwas zu unrecht die eigent­li­chen The­men bei­sei­te gescho­ben (dazu: Tho­mas Knü­wer kom­men­tiert im Han­dels­blatt poin­tiert, wie hier „das Netz“ media­le Macht­ver­hält­nis­se zuun­guns­ten der „Exper­ten“ der Volks­par­tei­en ver­scho­ben hat; und beim METRONAUT wird klar gemacht, dass trotz ver­lo­re­ner Abstim­mung der Kampf um die Bür­ger­rech­te im Netz jetzt erst rich­tig losgeht).

Trotz­dem auch hier noch ein paar Wor­te zum grü­nen Abstim­mungs­er­geb­nis. War es uner­war­tet? Ja, inso­fern in den letz­ten Tagen Grü­ne in der Öffent­lich­keit, eben gera­de auch im Kon­trast zur SPD, immer als netz­po­li­tisch zugäng­li­che und ver­nünf­tig­te Par­tei prä­sen­tiert wor­den sind. Das ist auf gruene.de der Fall, es war auf Twit­ter etc. der Fall, und es war auch in den eta­blier­ten Mas­sen­me­di­en so. Nicht zuletzt im Zusam­men­hang mit dem Antre­ten der PIRATENPARTEI bei den Euro­pa­wah­len war eines der Argu­men­te für poten­zi­el­le Pira­ten-Wäh­le­rIn­nen, dass GRÜNE für eine ver­läss­li­che und ver­nünf­ti­ge Netz­po­li­tik ste­hen, und auch sonst kei­nen Unsinn betrei­ben (und ja, ich gebe zu: ich habe durch­aus auch in die­se Rich­tung argumentiert). 

Ich zumin­dest hat­te nicht mit einer geschlos­se­nen Ableh­nung gerech­net. Das hat etwas damit zu tun, dass Mei­nungs­frei­heit auch in Hin­sicht auf die ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten bei Grü­nen etwas grö­ßer geschrie­ben wird als in ande­ren Frak­tio­nen, es hat aber auch etwas damit zu tun, dass es ja durch­aus im Vor­feld von ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten eher schwie­ri­ge Wort­mel­dun­gen gab. Ekin Deli­göz – als kin­der­po­li­ti­sche Spre­che­rin natür­lich aus einer spe­zi­fi­schen Per­spek­ti­ve argu­men­tie­ren – muss jetzt als Bei­spiel dafür die­nen. Oder auch der Pro­gramm­par­tei­tag: dort wur­de die Kri­tik an Inter­net­sper­ren und dem untaug­li­chen Umgang mit Kin­der­por­no­gra­phie ins Wahl­pro­gramm geschrie­ben. Die Debat­te war aber durch­aus unein­heit­lich, auch Applaus gab es für bei­de Sei­ten. Mit 15 Ent­hal­tun­gen hat­te ich nicht gerech­net, mit unge­fähr fünf aber schon. 

Lei­der lie­gen die per­sön­li­chen Erklä­run­gen der Abge­ord­ne­ten noch nicht vor – da wür­de mich schon inter­es­sie­ren, wie das begrün­det wird.

Was bedeu­tet das jetzt? Ins­ge­samt haben Grü­ne als Frak­ti­on sich rich­tig ver­hal­ten. Dass das Bild weni­ger ein­heit­lich ist, als in ande­ren Frak­tio­nen, muss erst ein­mal hin­ge­nom­men wer­den. In der Sache waren die Abstim­mungs­al­ter­na­ti­ven Nein/Enthaltung unwich­tig – es war klar, dass die Mehr­heit der Koali­ti­on stand. Ärger­lich ist die gro­ße Zahl an Ent­hal­tun­gen trotzdem. 

Mei­ne Schluss­fol­ge­rung: Grü­ne sind sehr offen, was die Nut­zung neu­er Medi­en angeht – auch eini­ge der Ent­hal­tungs­stim­men sind z.B. aktiv bei Face­book unter­wegs, per­sön­lich und nicht nur im Sin­ne eines Pres­se­mit­tei­lungs­ver­tei­lers. Dazu zählt auch die Nut­zung neu­er Medi­en als Wahl­kampf­in­stru­ment. Und prin­zi­pi­ell und ins­ge­samt wür­de ich auch wei­ter­hin sagen, dass es eine gro­ße Offen­heit für netz­po­li­ti­sche For­de­run­gen gibt. Die Zahl derer, die sich damit aktiv aus­ein­an­der­setzt, ist in der Par­tei aller­dings rela­tiv klein. Es sind abso­lut wie pro­zen­tu­al viel­leicht mehr Köp­fe als in der SPD, wo der Weg­gang – mal schau­en, ob’s noch zum Par­tei­wech­sel kommt – von Tauss schwar­ze Löcher reißt. Aber die gro­ße Mehr­heit der Par­tei mag ger­ne im Netz kom­mu­ni­zie­ren, ist pri­ni­zi­pi­ell auch dafür, den jun­gen bzw. jung­ge­blie­be­nen Leu­ten hier ihre poli­ti­sche Spiel­wie­se zu las­sen, hat aber den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Und nimmt sich im Zwei­fel die Frei­heit, sich nicht in sein Abstim­mungs­ver­hal­ten rein­re­den zu lassen.

Es geht also dar­um, aus der netz­af­fi­nen Par­tei auch eine netz­po­li­tisch kom­pe­ten­te Par­tei zu machen. Aller­dings wäre es völ­lig falsch, dar­un­ter nur „Kom­mu­ni­ka­ti­ons“- oder Ver­mitt­lungs­pro­ble­me inner­halb der Par­tei zu ver­ste­hen. Viel­mehr brau­chen wir eine ech­te inner­par­tei­li­che Dis­kus­si­on dar­über, wie weit der grü­ne Ein­satz für eine zukünf­ti­ge Gesell­schaft geht, in der infor­ma­tio­nel­le Infra­struk­tu­ren mehr Ein­fluss auf Wert­schöp­fung und Pro­duk­ti­vi­tät haben als Auto­bah­nen, um’s mal pathe­tisch zu for­mu­lie­ren. Es geht nicht (nur) um Auf­klä­rung, son­dern um Über­zeu­gung – und mög­li­cher­wei­se bei dem einen oder ande­ren Punkt auch dar­um, inner­par­tei­li­che Eini­gun­gen zu fin­den, die nicht 100%ig dem „Netz­kon­sens“ entsprechen.

Par­tei­en machen sowas nicht im Wahl­kampf. Das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm steht, und es steht für netz­po­li­tisch sinn­vol­le Zie­le.

Wer möch­te, dass Bünd­nis 90/Die Grü­nen beim nächs­ten Ernst­fall bes­ser abschnei­den, muss den­noch jetzt die Wei­chen dafür stel­len, dass in der im Sep­tem­ber neu­ge­wähl­ten Frak­ti­on eben­so wie in der Par­tei – viel­leicht auch: mal wie­der – ernst­haft inhalt­lich über das Netz gestrit­ten wird. Und muss das so orga­ni­sie­ren, das dort nicht nur die übli­chen Ver­däch­ti­gen aus Netz- und Bür­ger­rechts­po­li­tik auf­tau­chen, und viel­leicht noch die, die jetzt ger­ne schö­ne bun­te Wahl­kampf­sei­ten haben wol­len – son­dern auch die „Mit­te der Par­tei“, die sich „eigent­lich“ nur für ganz ande­re Din­ge inter­es­siert: für Umwelt­po­li­tik, für Gleich­be­rech­ti­gung, für Bil­dung, für Kin­der­po­li­tik. Die müs­sen wir mit­neh­men. Anders gesagt: orga­ni­sa­tio­nel­les Ler­nen orga­ni­sie­ren, statt sich von Pira­ten entern zu lassen!

War­um blo­cke ich das? Eigent­lich woll­te ich war­ten, bis klar war, war­um die 15 so abge­stimmt haben, wie sie abge­stimmt haben; aber nach­dem ich in den letz­ten Tagen doch ziem­lich auf die SPD ein­ge­hau­en habe, fand ich’s ein Gebot poli­ti­scher Ehr­lich­keit, jetzt auch hier zu sagen, was Sache ist. Aber nota bene: für Netz­z­ensur hat kein ein­zi­ger Grü­ner, kei­ne ein­zi­ge Grü­ne gestimmt, das waren ande­re! Und für sowas – kurz nach der Abstim­mung kam die ers­te CDU-Ankün­di­gung, über eine Aus­wei­tung nach­zu­den­ken – erst recht nicht.

Update: (19.6.2009, mit­tags) Das vor­läu­fi­ge Ple­nar­pro­to­koll (pdf) der gest­ri­gen Sit­zung (BT-Druck­sa­che 16/16227) liegt inzwi­schen vor. Die Debat­te um das Netz­sper­ren-Gesetz ist dort ab S. 127 wie­der­ge­ge­ben – falls jemand noch­mal wört­li­che Zita­te etc. sucht. Die per­sön­li­chen Erklä­run­gen sind als Anla­gen erwähnt, die aber dem vor­läu­fi­gen Pro­to­koll noch nicht beiliegen.

Update 2: Hier die per­sön­li­che Erklä­rung von Ekin Deli­göz zu ihrem Abstimmungsverhalten.

Update 3: Syl­via Kot­ting-Uhl hat die per­sön­li­che Erklä­rung jetzt auch auf ihre Home­page gestellt; wenn ich das rich­tig sehe, ist die­se wort­gleich mit der von Ekin.

Wenn ich mir die 15 Abweich­le­rIn­nen noch­mal anschaue, dann bleibt der Ein­druck einer Mischung – die 15 wür­den sonst nicht unbe­dingt gemein­sam unter einem Antrag o.ä. stehen. 

Inter­es­sant sind die The­men­fel­der: Ekin Delin­göz ist kin­der- und fami­li­en­po­li­ti­sche Spre­che­rin, Irmin­gard Sche­we-Gerigk ist frau­en­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Bun­des­tags­frak­ti­on. Cor­ne­lia Behm, Syl­via Kot­ting-Uhl, Hans-Josef Fell und Ulri­ke Höf­gen sind Exper­tIn­nen der Frak­ti­on in ver­schie­de­nen umwelt­po­li­ti­schen Fel­dern. Thi­lo Hop­pe ist Ent­wick­lungs­exper­te und Vor­sit­zen­der die­ses Aus­schus­ses. Thea Dückert ist eine der par­la­men­ta­ri­schen Geschäfts­füh­re­rIn­nen und sitzt im Aus­s­schuss für Wirt­schaft und Tech­no­lo­gie, der den Gesetz­ent­wurf feder­füh­rend betreut hat. Im klas­si­schen Sor­tier­me­cha­nis­mus „Flü­gel“ reicht das Spek­trum von ganz links (z.B. Kot­ting-Uhl, Sche­we-Gerigk, Hop­pe) bis ganz rea­lois­tisch (z.B. Chris­ti­ne Scheel, Kat­rin Göring-Eckardt). Was ich damit sagen will: hier wird mehr oder weni­ger das gan­ze Spek­trum der Par­tei abgebildet. 

Nicht bei den „Ent­hal­te­rIn­nen“ dabei sind (glück­li­cher­wei­se) die Fach­leu­te für Innen­po­li­tik und Bür­ger­rech­te (z.B. Vol­ker Beck, Wolf­gang Wie­land, Jer­zey Mon­tag, Hans-Chris­ti­an Strö­be­le, Moni­ka Lazar). Scha­de, dass deren Exper­ti­se hier nicht mehr Gewicht erhal­ten hat.

Update 4: Der Web­site von Pris­ka Hinz ist zu ent­neh­men, dass die bis­her bekann­te per­sön­li­che Erklä­rung von ihr, von Ekin Deli­göz, Chris­ti­ne Scheel, Kat­rin Göring-Eckardt, Kers­tin Mül­ler, Syl­via Kot­ting-Uhl, Thea Dückert, Cor­ne­lia Behm, Harald Ter­pe und Hans-Josef Fell unter­stützt wird. 

Blei­ben also noch fünf (Marie­lui­se Beck, Rain­der Steen­block, Thi­lo Hop­pe, Ulri­ke Höf­ken und Irmin­gard Sche­we-Gerigk) die sich – soweit mir bis­her bekannt – nicht zu den Grün­den für ihr Abstim­mungs­er­geb­nis geäu­ßert haben.

Update 5: Muss­te ja so kom­men ;-) – inzwi­schen gibt’s die Face­book-Grup­pe Grü­ne Pirat_innen. Mit hof­fent­lich deut­lich mehr Rücken­wind als bei den Pira­ten in der SPD (das gleich­na­mi­ge Blog wur­de übri­gens inzwi­schen gelöscht). Und zumin­dest schon mal mit ’nem Gender_Gap im Namen.

Update 6: (20.6.2009) Per Twit­ter wird ver­mel­det, dass das heu­te statt­ge­fun­de­ne „Camp Netz­be­grü­nung“ mehr netz­po­li­ti­sche Kom­pe­tenz – auch in der grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on ein­for­dert. Was auch immer das kon­kret bedeutet. 

Und noch­mal zum Abstim­mungs­ver­hal­ten der grü­nen Frak­ti­on – es war wohl erst kurz vor der Abstim­mung klar, dass es eine gro­ße Zahl von Ent­hal­tun­gen geben wür­de. Wie zu hören war, gab es kei­ne Pro­be­ab­stim­mung, und auch die nament­li­che Abstim­mung war in der Frak­ti­on nicht abge­spro­chen. Einer­seits scha­de, weil ein geschlos­se­ne­res und kla­re­res Bild viel­leicht bes­ser gelun­gen wäre, wenn die Frak­ti­ons­füh­rung frü­her die Bri­sanz der Sache wahr­ge­nom­men hät­te, bzw. wenn die „Ent­hal­te­rIn­nen“ frü­her Wort gege­ben hät­ten. Ander­seits liegt damit ein sonst in der Pro­gramm­po­si­ti­on ver­deck­ter Kon­flikt in der Par­tei in der Öffent­lich­keit – das ist im Wahl­kampf nicht toll, ist aber Vor­aus­set­zung dafür, dass der Kon­flikt jetzt ange­gan­gen wird.

In other news: die heu­ti­gen Mahn­wa­chen waren wohl über­wie­gend gut besucht, auch von Grü­nen (dass es in Frei­burg eine geben soll­te, habe ich lei­der zu spät erfah­ren). Jörg Tauss hat, wie ges­tern bereits als Gerücht zu hören, heu­te sei­nen Über­tritt zur Pira­ten­par­tei ver­kün­det – da passt er hin, den­ke ich. 

Update 7 (21.06.2009): Die poli­ti­sche Bun­des­ge­schäfts­füh­re­rin Stef­fi Lem­ke der Grü­nen stellt in ihrem Blog noch­mal klar da, was die offi­zi­el­le Par­tei­li­nie ist – und sagt auch deut­lich, dass sie die 15 Abwei­chun­gen davon falsch fin­det. Im HR-Blog wird die per­sön­li­che Erklä­rung von Pris­ka Hinz et al. ver­ris­sen. Und „Was war, was wird“ bei hei­se online zitiert die­sen Blog­ein­trag, wenn auch nicht ganz vor­teil­haft ;-) – „Mit 15 Ent­hal­tun­gen zeig­ten die Grü­nen ihre bekann­te Geschmei­dig­keit der kohl­krafti­gen Inter­pre­ta­ti­on, die schon immer die FDP für Bes­ser­es­ser auszeichnete.“

Update 8 (22.06.2009): „Clau­dia Roth ist mit dem grü­nen bun­des­vor­stand ein­stim­mig gegen inter­net­sper­rung.“ schreibt sie auf ihrer Face­book-Sei­te. Und auch die Grü­ne Jugend hat auf ihrem gest­ri­gen Bun­des­aus­schuss einen ent­spre­chen­den Beschluss gefasst (noch nicht online). Schließ­lich noch der Hin­weis auf die inner­grü­ne Unter­schrif­ten­samm­lung mit Bit­te an die Frak­ti­on, das The­ma ernst zu nehmen.

Update 9: Wer sowas mag, kann sich den grü­nen Bun­des­vor­sit­zen­den Cem Özd­emir zum The­ma Ableh­nung der Netz­sper­ren auch im Bewegt­bild anschauen.

(2.7.2009) Hab’s auch als Kom­men­tar dran­ge­hängt, der Voll­stän­dig­keit hal­ber auch hier: Es gab wohl heu­te ein Gespräch zwi­schen der Bun­des­tags­frak­ti­on der Grü­nen, diver­sen (grü­nen) Netz­po­li­ti­ke­rIn­nen und Kin­der­schüt­ze­rIn­nen. Habe bis­her nur die Tweets von Julia See­li­ger, Jan Phil­ipp Albrecht und Josef Wink­ler dazu gese­hen, die alle­samt posi­tiv klan­gen. Bin gespannt, ob des Gespräch kon­kre­te Ergeb­nis­se zeitigt.

Kommunikationsprobleme

Yellow communication

Heu­te gab es eine Pro­be­ab­stim­mung zur Netz­z­ensur in der SPD-Frak­ti­on. Jörg Tauss schrieb dar­über bei Twit­ter:

ent­aeuscht: In der SPD-Frak­ti­on nur zwei Gegen­stim­men zu #zen­sur­su­la. Scha­de. War es dann wohl. Peten­ten haben alles falsch verstanden :-( 

Ich bin über das „Peten­ten haben alles falsch ver­stan­den“ gestol­pert. Dach­te erst, er meint das selbst so. Habe dann noch­mal nach­ge­fragt. Die rich­ti­ge Inter­pre­ta­ti­on: die über­gro­ße Mehr­heit der SPD-Frak­ti­on glaubt, dass die 131919 Unter­stüt­ze­rIn­nen der Peti­ti­on gegen Inter­net­sper­ren gar nicht wirk­lich böse auf die SPD und ihre Poli­tik sind, son­dern den Gesetz­ent­wurf nur falsch ver­stan­den haben. Alles also ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem (die Nach­wahl­va­ri­an­te davon: ein Mobi­li­sie­rungs­pro­blem). Gemeint ist damit: wir wis­sen, was gut ist, wir haben es nur nicht geschafft, das den Leu­ten auch nahezubringen.

Die­se Argu­men­ta­ti­on mag ich gar nicht. Lei­der kommt sie in der Poli­tik oft vor. Wenn eine poli­ti­sche Maß­nah­me auf Wider­stand stößt, wenn eine Par­tei nicht gewählt wird: Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem. Ein­fach und blöd. Und zwar aus drei Gründen.

  1. Wer von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men redet, um poli­ti­sche Dif­fe­ren­zen zu erklä­ren, kann nur davon aus­ge­hen, selbst und ein­zig und allein im Besitz der Wahr­heit zu sein. Wenn der ande­re es bloss ver­stan­den hät­te, hät­te er’s schon rich­tig ver­stan­den. Die Argu­men­ta­ti­ons­fi­gur Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem impli­ziert also Über­heb­lich­keit und negiert – mög­li­cher­wei­se ja berech­tig­te! – unter­schied­li­che Wahr­neh­mun­gen. Sie igno­riert, dass ande­re als die Mit­glie­der und Abge­ord­ne­ten der eige­nen Par­tei viel­leicht mehr wis­sen könnten. 
  2. Wer von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men redet, hat ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem, weil die Par­tei dann näm­lich nicht kom­mu­ni­ziert. Son­dern meint damit ja, dass die Mar­ke­ting-Bot­schaft nicht ange­kom­men ist. Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem impli­ziert also auch: Ein­weg statt Dia­log. Fol­ge­rich­tig also, dass diver­se Inter­net-Akti­vis­tIn­nen-Grup­pen heu­te wei­te­re Gesprä­che mit der SPD abge­lehnt haben. 
  3. Schließ­lich: Wer von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men redet, ver­steht sein eigent­li­ches Geschäft nicht. Selbst Ein­weg-Mar­ke­ting-Par­tei­en soll­ten in der Lage sein, ihre Poli­tik auch zu „ver­kau­fen“. Wer sich am Ende, wenn das fal­sche beschlos­sen wird, auf Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­me zurück­zieht, hat auch vor­her nicht ver­sucht, zu über­zeu­gen, die poli­ti­sche Posi­ti­on der Par­tei zu ver­brei­ten. Hat das viel­leicht gar nicht für not­wen­dig ange­se­hen, weil im Inne­ren der Raum­schiff-Bla­se alles so schön selbst­evi­dent aussah. 

Also, lie­be Par­tei­en (auch: lie­be eige­ne Par­tei!) – bit­te kei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­me. Wer Wäh­le­rIn­nen und Bür­ge­rIn­nen nicht für dumm hält, son­dern für mün­dig, muss ers­tens ver­su­chen, mit die­sen in einen zwei­sei­ti­gen Dia­log zu tre­ten, statt auf Beschal­lung zu set­zen, muss zwei­tens Argu­men­te dann auch ernst­neh­men – und, wenn gro­ße Pro­test­wel­len gera­de jen­seits der regis­trier­ten Lob­by-Gesprä­che auf­tau­chen, mal über­le­gen, wo die her­kom­men, und muss drit­tens ein­se­hen, dass man­che poli­ti­sche Ideen gesell­schaft­lich nicht akzep­tiert wer­den. Nicht, weil die fal­schen Wer­be­spots geschal­tet wur­den, son­dern weil eine Mehr­heit sie falsch findet. 

Es kann ja sogar Fäl­le geben, in denen es sinn­voll ist, irgend­ei­ne poli­ti­sche Maß­nah­me trotz gerin­ger Akzep­tanz durch­zu­set­zen – dann bit­te ich aber dar­um, auch dazu zu ste­hen, und sich nicht hin­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men zu ver­ste­cken. Es mag tat­säch­lich Miss­ver­ständ­nis­se geben. Aber wenn ein gro­ßer Teil aller Exper­tIn­nen in einem The­ma einer Mei­nung sind – dann liegt ver­mut­lich kein Miss­ver­ständ­nis vor. Und ja, Poli­tik kann sehr kom­plex sein, und Poli­tik ist schwie­rig zu kom­mu­ni­zie­ren: aber es macht doch mehr Sinn, es zu ver­su­chen – und dank elek­tro­ni­scher Medi­en ist genau das immer ein­fa­cher gewor­den, als selbst dar­an zu glau­ben, dass nur aller­ein­fachs­te Bot­schaf­ten ver­stan­den werden.

Denn wer sei­ne Wäh­le­rIn­nen wie unmün­di­ge Kin­der behan­delt (und selbst die soll­ten nicht so behan­delt wer­den), muss sich – letz­ter Satz – nicht wun­dern, wenn denen die Lust an der Poli­tik ver­geht. Oder an bestimm­ten Par­tei­en.

War­um ich das blog­ge? Weil mein laten­ter Ärger über die­ses Schein­ar­gu­ment hier mal einen kon­kre­ten Anlass gefun­den hat.