Kurz: „… zu achten und zu schützen …“

Ein biss­chen mit­ge­fie­bert habe ich dann doch, heu­te mor­gen, als in einer Pres­se­kon­fe­renz der Ent­wurf für das grü­ne Grund­satz­pro­gramm vor­ge­stellt wur­de. Damit erreicht der seit Anfang 2018 lau­fen­de Pro­zess für die Erstel­lung eines neu­en grü­nen Grund­satz­pro­gramms sei­nen vor­letz­ten Schritt, mit vie­len Kon­ven­ten, Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tun­gen, einem brei­ten Betei­li­gungs­pro­zess im Netz, einem Impuls­pa­pier und einem „Zwi­schen­be­richt“. – Vor­letz­ter Schritt, weil jetzt – ganz final erst nach einer wei­te­ren Pha­se der Betei­li­gung im Netz – klar ist, über was auf dem Bun­des­par­tei­tag im Novem­ber die­sen Jah­res in Karl­ru­he abge­stimmt wer­den kann. Und mit­ge­fie­bert habe ich, weil ich an der Urfas­sung, dem Zwi­schen­be­richt, mit­wir­ken durfte.

Für eine Bewer­tung des Pro­gramms (58 Sei­ten, 383 num­me­rier­te Absät­ze) ist es noch zu früh. Was ich nach der Pres­se­kon­fe­renz und dem ers­ten Durch­blät­tern sagen kann, ist aber sehr posi­tiv. Mit gefällt der Wer­te­teil sehr gut, der aus einer anthro­po­zen­tri­schen Per­spek­ti­ve – der Mensch in sei­ner Frei­heit und Wür­de – unser öko­lo­gi­sches und eman­zi­pa­to­ri­sches Pro­gramm her­lei­tet. Natur- und Kli­ma­schutz nicht als Selbst­zweck, son­dern um Frei­hei­ten für alle heu­te und in Zukunft leben­den Men­schen auf die­sem Pla­ne­ten zu erhal­ten. Das ist der rich­ti­ge Ansatz. Eben­so wich­tig fin­de ich, dass an der Ori­en­tie­rung an pla­ne­ta­ren Gren­zen als har­ten Leit­plan­ken für Poli­tik fest­ge­hal­ten wur­de, und dass zen­tra­le Pro­jek­te eines grü­nen Zukunfts­ent­wurfs sich im Pro­gramm wie­der­fin­den – etwa die Idee einer Föde­ra­len Repu­blik Euro­pa. Und nicht zuletzt gefällt mir, dass die­ses Pro­gramm Fort­schritt gegen­über offen ist, die Bedeu­tung von Wis­sen­schaft und Tech­nik wür­digt und dabei eine gute Balan­ce aus kri­ti­scher Beglei­tung und Frei­heit fin­det. Neu hin­zu­ge­kom­men ist auf­grund der Coro­na-Kri­se ein Fokus auf Resi­li­enz und Kri­sen­fes­tig­keit; auch das über den Tag hin­aus eine gute pro­gram­ma­ti­sche Ergänzung. 

Das als aller­ers­ter Blick in die­sen fri­schen und nach vor­ne wei­sen­den Pro­gramm­ent­wurf. Ich bin gespannt auf die wei­te­ren Dis­kus­sio­nen in der Par­tei – und dar­auf, wie die­ser Ent­wurf die Novem­ber-BDK übersteht.

Einer wagt es, uns im Netz zu verlassen

Pau­ken­schlag: Robert Habeck ver­ab­schie­det sich von Face­book und Twit­ter. Als Grund dafür nennt er zwei Din­ge – zum einen den mas­si­ven Daten­klau samt Ver­öf­fent­li­chung pri­va­ter Chat­ver­läu­fe vor ein paar Tage, er war einer von rund 50 der etwa 1000 betrof­fe­nen Politiker*innen, bei denen nicht „nur“ eine pri­va­te Mobil­funk­num­mer ver­öf­fent­licht wur­de, son­dern auch wei­te­re Daten. Zum ande­ren einen dum­men Ver­spre­cher in einem Wahl­vi­deo für Thü­rin­gen, der prompt hef­tigs­te böse Kom­men­ta­re aus­ge­löst hat. Schuld dar­an sei auch der auf Twit­ter gepfleg­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stil, der Drang zur Ver­kür­zung, zur redu­zier­ten Aufmerksamkeit.

Robert hat aus die­sen bei­den Ereig­nis­sen für sich den Schluss gezo­gen, Face­book, Twit­ter (und wohl auch Insta­gram) zu ver­las­sen – zumin­dest im For­mat der direk­ten, per­sön­lich-pri­va­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ob es auch in Zukunft eine von der Par­tei gepfleg­te offi­zi­el­le Sei­te geben wird, bleibt abzu­war­ten. Twit­ter- und Face­book-Account sind inzwi­schen gelöscht.

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Grüner Parteitag in Leipzig: Europa – darum kämpfen wir

Es fühlt sich gera­de ziem­lich gut an, Mit­glied von Bünd­nis 90/Die Grü­nen zu sein. Das hat was mit den 20 Pro­zent in den Umfra­gen zu tun, aber sehr viel mehr noch mit einer der Ursa­chen für die­se 20 Pro­zent – aktu­ell sind wir nahe dran an der pla­to­ni­schen Form einer grü­nen Par­tei. So muss das sein!

Gibt es den Aus­druck eines hei­te­ren Ernsts? Das ist in etwa die Hal­tung, mit der wir der­zeit der Welt begeg­nen, und das ist die rich­ti­ge Haltung. 

Wir leben in Zei­ten, in denen ziem­lich viel schief läuft. Man­ches davon ist lebens­be­dro­hend für die Zukunft der Mensch­heit. So kann es nicht wei­ter­ge­hen. Des­we­gen, und das ist glau­be ich der Kern des­sen, was Robert Habeck mit „radi­kal“ meint, braucht es Ant­wor­ten, die die­ser Situa­ti­on ange­mes­sen sind. Aber nur weil die Din­ge so sind, wie sie sind, wer­den wir nicht ver­bis­sen – ich schrieb irgend­wann mal etwas über grum­py old men -, wer­den auch nicht mora­lis­tisch und mora­lin­sauer, und erst recht ver­schlie­ßen wir nicht die Augen vor dem Zustand der Welt. Nein: wir schau­en hin, wir ent­wi­ckeln sehr kon­kre­te Ideen, wie die Welt bes­ser wer­den kann, und wir tre­ten dafür ein. Über­zeugt, aber nicht abge­ho­ben, hart in der Sache, aber fair und ver­bind­lich (oder, wie das Han­des­blatt schreibt, „mode­rat“) im Ton. Nach innen wie nach außen. (Und damit dann, um noch­mal Robert auf­zu­neh­men, auch bündnisfähig.)

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Kurz: Merz statt Merkel?

Die Fra­ge, wie ein mög­li­cher Kanz­ler­kan­di­dat Merz zu bewer­ten sei, führ­te auf mei­nem Face­book-Account zu einer regen Debat­te. Ins Auge ste­chen, auch nach der Pres­se­kon­fe­renz heu­te, vor allem zwei Aspek­te. Par­tei­po­li­tisch wür­de Merz die CDU kla­rer auf der kon­ser­va­ti­ven Sei­te des poli­ti­schen Spek­trums posi­tio­nie­ren. Das könn­te dazu füh­ren, dass die CDU Wähler*innen von der AfD zurück­ge­winnt, es könn­te aber auch dazu füh­ren, dass Men­schen, die eine unter Mer­kel etwas libe­ra­ler und „mit­ti­ger“ gewor­de­ne CDU wähl­bar fan­den, sich dau­er­haft wie­der davon abkeh­ren. Das könn­te den in Bay­ern und Hes­sen zu beob­ach­ten­den Trend einer Wäh­ler­wan­de­rung von der CDU zu Bünd­nis 90/Die Grü­nen stär­ken. Auch im Sin­ne einer kla­ren Unter­scheid­bar­keit poli­ti­scher Ange­bo­te wäre eine Merz-CDU mög­li­cher­wei­se gar nicht so blöd. Ein Neben­ef­fekt könn­te dann der sein, dass Grün dau­er­haft zur zwei­ten Kraft in Deutsch­land wird.

Aber es gibt ja nicht nur eine par­tei­po­li­ti­sche Per­spek­ti­ve. Für das Land wäre ein mög­li­cher Kanz­ler Merz ein deut­li­cher Rück­schritt. Kaum jün­ger als Mer­kel, dafür deut­lich kon­ser­va­ti­ver und „schnit­ti­ger“, ein Mann, eng mit der „Groß­in­dus­trie“, wie das frü­her ein­mal hieß, ver­bun­den. Eher so 1998 als 2018. Und eine Koali­ti­on, womög­lich gar eine Jamai­ka-Koali­ti­on, mit einer rechts­kon­ser­va­ti­ven CDU und einer wirt­schaft­li­be­ra­len FDP – auch das ist schwie­ri­ger vor­stell­bar als in der aktu­el­len Konstellation.

Aber viel­leicht ist es ja die Syn­the­se bei­der Argu­men­te, die wei­ter­hilft: ein Kanz­ler­kan­di­dat Merz – mög­li­cher­wei­se wäre das die Pro­jek­ti­ons­flä­che, um in einer Bun­des­tags­wahl von der bür­ger­lich-libe­ra­len Mit­te bis nach links zu mobi­li­sie­ren und dann eine Mehr­heit jen­seits der CDU/CSU zu fin­den. Oder, wie es Bernd Ulrich von der ZEIT auf Twit­ter ges­tern auf den Punkt brachte: 

„Nur damit hin­ter­her nie­mand sagt, ich hät­te es vor­her sagen sol­len: Wenn #Merz Vor­sit­zen­der wird, wird #Habeck Kanz­ler. #Grü­ne “.

Letzt­lich muss die CDU ent­schei­den, wie sie nach Mer­kels vor­züg­lich in Sze­ne gesetz­tem Aus­stieg wei­ter­ma­chen möchte.

Über fliegende Teppiche und eine mögliche Zukunft als offene Bündnispartei

Many apples

Heu­te wird in Hes­sen gewählt. Ich ken­ne das Ergeb­nis noch nicht, gehe aber davon aus, dass die letz­ten Umfra­gen nicht völ­lig dane­ben lie­gen wer­den, und – ähn­lich wie in Bay­ern – Ver­lus­te bei der Uni­on und bei der SPD und grü­ne Gewin­ne zu erwar­ten sind. Ob es 20 Pro­zent wer­den, ob Grü­ne erst‑, zweit- oder dritt­stärks­te Par­tei in Hes­sen wer­den, und ob sich dar­aus Chan­cen für Tarek Al-Wazir ablei­ten las­sen, nicht nur stell­ver­tre­ten­der Minis­ter­prä­si­dent zu wer­den – all das wird in ein paar Stun­den klar sein.

Mir geht’s um etwas ande­res. Bay­ern und Hes­sen sind in gewis­ser Wei­se die ers­ten Test­fel­der einer neu­en grü­nen Auf­stel­lung für den Bund. Auch da sind wir wie­der mal Umfra­gen­sie­ge­rin in der Mit­te der Legis­la­tur­pe­ri­ode. Jeden­falls dann, wenn die Legis­la­tur­pe­ri­ode einen nor­ma­len Ver­lauf nimmt und die „Gro­ße“ Koali­ti­on im Bund wei­ter Bestand hat. Ange­sichts der der­zei­ti­gen Umfra­gen, ange­sichts der Unklar­heit über poten­zi­el­le Merkel-Nachfolger*innen in der CDU wie in der SPD hal­te ich es für sehr wahr­schein­lich, dass „Schre­cken ohne Ende“ für die alten Volks­par­tei­en die weni­ger ris­kant erschei­nen­de Stra­te­gie ist und die Koali­ti­on hält. Aber auch das wer­den wir in den nächs­ten Tagen wissen.

Peter Unfried schreibt heu­te in der taz von Grü­nen als Par­tei ver­nünf­ti­ger Leu­te. In der ZEIT wird über groß ange­leg­te Stra­te­gien spe­ku­liert, um die Mit­te der Gesell­schaft zu gewin­nen. Klar ist jeden­falls: Grün zu wäh­len ist heu­te kei­ne rand­stän­di­ge Ent­schei­dung mehr. Ein Fünf­tel, ein Vier­tel, ein Drit­tel – poten­zi­ell die Hälf­te aller Wähler*innen! – kann sich vor­stel­len, eine Stim­me für Bünd­nis 90/Die Grü­nen abzugeben. 

Das ist ein Erfolg einer unauf­ge­reg­ten Klar­heit. Auf der einen Sei­te ste­hen die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen. Nicht nur der Kli­ma­wan­del und die anhal­ten­de öko­lo­gi­sche Kri­se, son­dern auch die sozia­le Pola­ri­sie­rung in Deutsch­land. Das welt­weit unter Druck gera­te­ne Modell der libe­ra­len Demo­kra­tie. Eine Welt­po­li­tik, die ihre Mit­te ver­lo­ren hat. (Ach ja: der digi­ta­le Wan­del ist auch noch da und war­tet nicht.)

Ange­sichts die­ser Her­aus­for­de­run­gen, ange­sichts der Dring­lich­keit wür­de es nahe lie­gen, nun in Alar­mis­mus zu ver­fal­len. Das Ende ist nahe. Manch­mal macht die­se Welt ja wirk­lich die­sen Ein­druck. Aber für Unter­gangs­pro­phe­zei­un­gen wird nie­mand gewählt. Ich neh­me heu­te eine grü­ne Linie war, die in etwa heißt: ja, es gibt da gigan­ti­sche Her­aus­for­de­run­gen, und ja, es ist wich­tig, hier und jetzt zu han­deln (statt sich im Zwei­kampf zu ver­bei­ßen). Und ja: wir haben ein paar Ideen, wie die­se Pro­ble­me gelöst wer­den könn­ten, aber bei wei­tem noch nicht alle Ant­wor­ten. Wir wis­sen, in wel­che Rich­tung es gehen soll. Wir haben Über­zeu­gun­gen, für die wir bereit sind, aktiv zu wer­den, aber wir sind eben­so bereit, zuzu­hö­ren. Und die­se grü­ne Linie stößt durch­aus auf Inter­es­se bei Wäh­le­rin­nen und Wählern.

Wenn dann noch Per­so­nen dazu kom­men, die eine sol­che Hal­tung glaub­haft ver­mit­teln, weil sie dafür ste­hen: für fröh­li­che Gesprächs­be­reit­schaft und Klar­heit in der Posi­ti­on, für Unauf­ge­regt­heit ange­sichts von rich­tig gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen und für Kom­pe­tenz und Lösungs­be­reit­schaft – dann fängt der grü­ne Tep­pich an zu flie­gen. Und das sehen wir gerade.

Bis­her klappt das ganz gut. Als Par­tei kön­nen wir ein biss­chen was dazu tun, dass die­ser Tep­pich in der Luft bleibt. Unse­re Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz am 9.–11. Novem­ber, bei der Euro­pa­lis­te und Euro­pa­wahl­pro­gramm beschlos­sen wer­den, ist in gewis­ser Wei­se der Lack­mus-Test dafür, ob die eben skiz­zier­te Hal­tung in die­ser Par­tei breit ange­kom­men ist. Es gibt aber auch Tur­bu­len­zen, die von außen kom­men – wenn BILD sich sen­sa­ti­ons­lüs­ter­ne Kam­pa­gnen star­tet, bei­spiels­wei­se. Da kommt es dann dar­auf an, zusam­men­zu­ste­hen und sich nicht intern zu zerlegen.

Mit­tel­fris­tig stellt sich bei Wahl­er­geb­nis­sen, die eher in Rich­tung 20, 30 Pro­zent gehen, schnell die Volks­par­tei­f­ra­ge. Selbst mit inzwi­schen 70.000 Mit­glie­dern sind wir weit von der gesell­schaft­li­chen Ver­wur­ze­lung ent­fernt, die die klas­si­schen Volks­par­tei­en, die ja immer noch meh­re­re hun­der­tau­send Mit­glie­der haben, aus­zeich­net. Ich hal­te es für unrea­lis­tisch, in den nächs­ten Jah­ren in die­se Grö­ßen­ord­nun­gen vor­zu­sto­ßen. Was wir statt des­sen anbie­ten kön­nen, als in der Mit­glied­schaft klei­ne­re Par­tei, ist etwas, was viel­leicht zeit­ge­mä­ßer ist als das Modell der Volks­par­tei. Wir kön­nen Bünd­nis­part­ner sein. 

Das Grund­satz­pro­gramm von 1980 und der grü­ne Grund­kon­sens von 1993 beto­nen die sozia­len Bewe­gun­gen als Wur­zel der grü­nen Par­tei­wer­dung. Bewe­gungs­par­tei im Sin­ne eines „par­la­men­ta­ri­schen Arms“ sind wir sicher nicht mehr. Aber wir kön­nen heu­te der Kris­tal­li­sa­ti­ons­keim sein, der brei­te Bünd­nis­se aus der (umfas­send zu ver­ste­hen­den) Zivil­ge­sell­schaft zusam­men­bringt. Bünd­nis­se, die sich von links bis in die libe­ra­le Mit­te erstre­cken. Die für eine ver­nünf­ti­ge Poli­tik ste­hen – egal, ob es um einen huma­nen Umgang mit Flücht­lin­gen, um die Wer­te des Grund­ge­set­zes oder um die gemein­sam not­wen­di­ge Anstren­gung geht, den CO2-Aus­stoß nicht nur in Deutsch­land mas­siv zu redu­zie­ren. Das sind die Fra­gen unse­rer Zeit, die vie­le Men­schen umtreibt (übri­gens auch Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer). Ich glau­be, dass es unse­re Rol­le und Auf­ga­be sein könn­te, die­sen heu­te zen­tra­len The­men eine poli­ti­sche Stim­me zu geben. Das krie­gen wir hin – gemeinsam.

War­um blog­ge ich das? Als klei­ne Reak­ti­on auf die Wah­len in Bay­ern und Hes­sen und auf die Debat­te ange­sichts der bun­des­wei­ten Umfragewerte.